Steve Harris
Wirklich Weltklasse ist kein Stück auf „British Lion“. Dennoch ist die Scheibe eine durch und durch sympathische und ehrlich klingende Angelegenheit. Wer Metal will, wird hier aber definitiv nicht fündig. Ganz knappe fünf Punkte von mir – eine Wertung bei der zugegeben auch eine Menge Sympathie für unseren Mann durchklingt. Wer mit solchen Gefühlen nichts anfangen kann, muss einen Punkt abziehen. Besser als vieles, was im Rock-Bereich veröffentlicht wird, bleibt „British Lion“ dennoch.
Gesamteindruck: 5/7
Keine Perfektion und kein Metal, dafür erdiger, unpretentiöser Rock.
Für diese Platte gilt ein altes Klischee: Es ist alles eine Frage der Erwartungen. Viele haben im Vorfeld damit gerechnet, dass „British Lion“ in Ausrichtung und Qualität irgendetwas mit Iron Maiden zu tun hat. Dem ist nicht so; lediglich ganz leicht wirft das Flaggschiff der NWoBHM gelegentlich seinen Schatten auf das erste Solo-Projekt, von Band-Boss Steve Harris. Musikalisch orientiert sich „‚Arry“ vornehmlich an Heroen seiner eigenen Jugend, also erdigem Rock á lá UFO oder Thin Lizzy und punkigem wie The Who. Dass „British Lion“ überhaupt so stark mit dem sympathischen Bassisten und seinem Hauptbetätigungsfeld assoziiert wird, ist ohnehin ein zweischneidiges Schwert. Einerseits war das natürlich dem Bekanntheitsgrad und der Verbreitung der Debüt-Scheibe sehr zuträglich – weshalb wohl vor allem die Plattenfirma auf die Verwendung seines Namens bestand (ursprünglich war British Lion der Name der Band). Andererseits: Siehe oben – die Erwartungen, die das weckt, können praktisch nur enttäuscht werden. Zumindest für ein breiteres Publikum, wie diverse Rezensionen zeigen.
Die teilweise gnadenlosen Verrisse werden dem, was auf dieser Scheibe geboten wird, aber nicht gerecht. Im Gegenteil, Harris liefert mit seinen nicht mehr ganz jungen Mannen ein zwar keineswegs perfektes, aber doch angenehm zu hörendes Album ab. Bei den ersten Durchgängen merkt man davon allerdings tatsächlich nicht so viel, lediglich, dass das Ganze mehr dem Rock als dem Metal zuzuordnen ist, fällt sofort auf. Ein paar Stücke bleiben dann aber doch schnell hängen. „Lost Words“ ist musikalisch und textlich eher melancholisch und schafft es, beim Hörer eine Art verträumter Sehnsucht zu wecken. Der Schluss ist fast schon Singer/Songwriter-artig aufgebaut – insgesamt ein schönes, unaufdringliches Stück Musik. „Us Against The World“ lebt hingegen von seiner eingängigen Gesangsmelodie und ein paar beinahe schon verschüchtert wirkenden, Iron Maiden-mäßigen Gitarrenläufen. Ebenfalls sehr gelungen ist „The Chosen Ones“, bei dem überdeutlich die Zuneigung unseres Mannes für The Who zu hören ist. Um es direkt zu sagen: Dieser Song könnte locker als Titelmelodie für eine Serie aus dem „CSI“-Universum durchgehen; insbesondere „Won’t Get Fooled Again“ (CSI: Miami) dürfte hier Pate gestanden haben. Ansonsten bleibt noch der schöne, akustische Rausschmeißer „The Lesson“ zu erwähnen, eine völlig kitschfreie, mit Streichern und Piano unterlegte Ballade.
Die übrigen Songs fallen demgegenüber ein wenig ab. Immer noch im grünen Bereich sind das recht eingängige „A World Without Heaven“ und „These Are The Hands“. Beim Rest will auch nach zig Durchläufen der Funke nicht recht überspringen. Insbesondere der Opener „This Is My God“ kann mich persönlich überhaupt nicht überzeugen und ist dementsprechend schlecht platziert. Wirklichen Totalausfall gibt es zwar keinen auf „British Lion“, mehr als unterer Durchschnitt wird bei „Karma Killer“, dem nach Muse für Arme klingenden „Judas“ und dem symptomatisch betitelten, irgendwo zwischen Bon Jovi und Aerosmith verortbaren „Eyes Of The Young“ aber nicht geboten.
Größter Kritikpunkt für viele Hörer ist der Gesang, der – große Überraschung! – nicht nach Bruce Dickinson klingt. Tatsächlich fehlt Richard Taylor die Power seines Maiden-Pendants. Das Organ des Sängers klingt am ehesten ein wenig nach diversen Prog Rock-Bands, die größte Ähnlichkeit dürfte man bei Claudio Sanchez (Coheed And Cambria) finden, ohne dass Taylor dessen Variabilität erreicht. Insgesamt ist die Stimme sehr unaufdringlich und klingt angenehm – nicht mehr und nicht weniger; ein schlechter Sänger ist Richard Taylor jedenfalls nicht. In einer Metal-Band würde er wohl ohne Wenn und Aber untergehen, für „British Lion“ passt seine Stimme jedoch sehr gut.
Eine kritische Anmerkung muss aber trotz aller Sympathie gestattet sein: Wieso wurde der Bass derart Maiden-mäßig in den Vordergrund gemischt? Steve Harris hat natürlich seinen eigenen, „lauten“ Stil, aber dennoch wäre hier etwas mehr Zurückhaltung angebracht gewesen. So ist es natürlich schwer, als homogene, gleichberechtigte Band wahrgenommen zu werden, auch wenn Harris das in Interviews immer wieder betont hat.
Track – Titel – Länge – Wertung
- This Is My God – 4:57 – 2/7
- Lost Worlds – 4:58 – 6/7
- Karma Killer – 5:29 – 3/7
- Us Against The World – 4:12 – 6/7
- The Chosen Ones – 6:27 – 6/7
- A World Without Heaven – 7:02 – 5/7
- Judas – 4:58 – 3/7
- Eyes Of The Young – 5:25 – 3/7
- These Are The Hands – 4:28 – 5/7
- The Lesson – 4:15 – 5/7
Gesamteindruck: 5/7
Steve Harris auf “British Lion” (2012):
- Richard Tyler − Vocals
- Steve Harris − Bass
- David Hawkins – Guitar, Keyboards
- Grahame Leslie − Guitar
- Barry Fitzgibbon − Guitar
- Simon Dawson − Drums
- Ian Roberts − Drums
- Richard Cook − Drums
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