Ich habe noch nie erlebt, wie eine wirklich gelungene und auch kommerziell erfolgreiche Reihe nach nur drei Teilen dermaßen an die Wand gefahren wurde, wie das bei „Gothic“ passiert ist. Langsamen Verfall ist man bei Serien ja gewohnt, dass es aber so schnell, mit einem solch eklatanten Niveau-Unterschied zwischen zwei Spielen („Gothic II“ vs. „Gothic 3“) und noch dazu sehenden Auges passieren kann, war mir völlig neu. Im Gegensatz zu vielen anderen hatte ich sowieso nie viel Hoffnung für das Add-On zum völlig indiskutablen dritten Teil des einstigen Flaggschiffs der deutschsprachigen, action-orientierten Rollenspiele. Meine Befürchtungen, dass der Murks weitergehen und sogar die härtesten Anhänger verärgern würde, waren leider berechtigt – allerdings in einem Ausmaß, das ich so nicht erwartet hätte.
Gesamteindruck: 2/7
Der tiefe Fall eines Klassikers.
Die erste Warnung an den unbedarften User fand man seinerzeit (2008) bereits vor der Installation (das „deutsche“ Handbuch lasse ich mal außen vor). Dafür genügte ein kurzer Blick ins Internet, wo bereits am Erscheinungstag ein erster Patch angeboten wurde. Kurz darauf gab es auch den ersten offiziellen Patch – wobei es den Entwicklern nicht gerade zur Ehre gereichte, dass die Community bereits vor dessen Veröffentlichung zugeschlagen und eigene Verbesserungen bereitgestellt hat. Wie auch immer, die Suche im Netz vor der ersten Installation einer damals gekauften Version lohnt nach wie vor, da man so um eine eventuelle Neuinstallation herumkommt, die auch alle alten Savegames vernichten kann. Was das Spiel selbst (inzwischen durch diverse Patches spielbar, ganz im Gegensatz zu 2008) betrifft, gibt es ebenfalls recht schnell die ersten Ernüchterungen.
Wer das verstehen will, bräuchte vermutlich die Original-Version – hier ein Versuch der Beschreibung: „Götterdämmerung“ ging eigentlich gut, nämlich mit wunderschöner Grafik, los. Noch bevor man allerdings dazu kommt, die Landschaft zu bewundern, gab es schon das erste Rätsel: Warum, in Beliars Namen, hatte sich niemand von der deutschsprachigen (!) Firma JoWood die Mühe gemacht, auch nur einmal in das Spiel hineinzusehen? Bereits im ersten Hilfe-Dialog (also noch vor Spielstart) wurde aus dem „Schmied“ ein „Schmid“, bereits in der ersten Truhe fand man neben „200 Goldmünzens“ auch noch „17 Klingenbolzens“ und „2 Trank der Stärkes“. Dass viele Dialogzeilen und Beschreibungen zu lang für ihre Fenster und darum nicht vollständig lesbar waren, erschien in diesem Licht schon fast als besondere Gnade. Ich kann einfach nicht verstehen, wie der Publisher diese Peinlichkeiten übersehen und auf sich sitzen lassen konnte. Man sah bald darauf zwar durch die Patches einige Verbesserungen (der legendäre „verruckt Birdman“ wurde „leider“ zum nicht ganz so legendären „verrückter Vogelmann“), aber die „Münzens“ und „Bolzens“ waren lange Zeit weiterhin vorhanden, ebenso das Sprachen-Kuddelmuddel in einigen Dialogfenstern (Deutsch, Englisch, Französisch werden munter gemischt). Rätselhaft auch, warum die Gegenstände aus dem Hauptspiel (Beispiel Silden: Fischfässer, Kisten mit Fellen usw.) überall in der Gegend herumlagen, jedoch nicht aufgenommen werden können. Dass am Questlog nicht gearbeitet wurde und dieses die gleiche Zumutung wie in „Gothic 3“ war (wieder werden nur Dialoge wiedergegeben; Hauptquest diesmal: „Vereine Myrtyna“, ohne weiteren Kommentar), passte da perfekt ins Bild. Diese Dinge störten zwar ganz massiv die Glaubwürdigkeit, hätten aber vielleicht noch übergangen werden können, wenn der Rest gestimmt hätte. Nur ging es leider in der gleichen Tonart weiter.
Ein Beispiel: Offensichtlich hatten Trine Games aus einem Fehler von „Gothic 3“ gelernt und dem Ausdauerbalken einen neuen „Sinn“ gegeben. Sobald dieser durch Zuschlagen mit der Waffe auf Null sinkt, kann nicht mehr gekämpft werden. Stattdessen musste man davonrennen (!), d. h. den Gegner umkreisen (!!) bis sich der Balken während des Laufens (!!!) wieder erholt. Eine sehr realistische Sache, die den schon aus dem Hauptspiel bekannten Klickorgien eine zusätzliche, taktische Variante gab. Man musste nämlich höllisch aufpassen, dass man im Eifer des Gefechtes diesen ominösen Balken im Auge behielt und schnell genug das wilde Geklicke beendete – andernfalls rannte man in den Gegner hinein ohne zu schlagen und war selbst ein leichtes Opfer. Wenn das ernsthaft jemand als Verbesserung gesehen hat, dann gute Nacht. A pro pos Kämpfe: In manchen Situationen war „Friendly Fire“ an, d. h. man sollte lieber nicht an belebten Plätzen kämpfen, weil sich sonst mitunter das ganze Dorf auf den Helden stürzte.
Ja, ich weiß, all das konnte durch Nachbesserung behoben werden… Wobei ich persönlich diese Politik eine absolute Frechheit finde – aber viele „Fans“ schienen und scheinen den Verantwortlichen alles zu verzeihen, solange „Gothic“ auf der Schachtel steht. Einige Dinge können jedoch durch keinen Patch verbessert werden: Atmosphäre, Spielgefühl und Story. Zunächst ist „Götterdämmerung“ im Endeffekt nur ein abgespecktes „Gothic 3“ (kann also auch mit einem Killer-Addon wie „Die Nacht des Raben“, das perfekt ins Hauptprogramm integriert wurde, bei weitem nicht mithalten), das selbst bereits nur mehr rudimentären „Gothic“-Charme hatte. Was die Hintergrundgeschichte betrifft, ist das Ganze ähnlich gut – oder schlecht – gelungen wie im Hauptspiel. Vor allem wurde es wieder verabsäumt, einen roten Faden zu schaffen, der den Spieler bei der Stange hält. Die großteils faden Quests tun ihr übriges dazu, dass man auch diesen Punkt als uneingeschränkt misslungen bezeichnen kann – sie nerven bereits nach einer Stunde mit ihrer Eintönigkeit. Hole dies, bringe das, töte jenen – ohne jegliche Innovation und Motivation. Übrigens kann man zum Thema „Atmosphäre“ auch noch anmerken, dass der namenlose Held mittlerweile gar nichts Sympathisches mehr an sich hat, sondern zu einem arroganten Dreckskerl verkommen ist (aber nicht auf eine angenehme, kauzige Art…).
Aber es gibt selbst an einem Spiel wie diesem Positives zu berichten. Zum einen ist neben der Grafik (für deren Genuss auf vollen Details seinerzeit allerdings nicht mal ein High-End-Rechner ausreichend war) der Sound sehr gelungen – Kunststück, ist ja der gleiche, wie im Vorgänger. Dazu gehören auch die bereits bekannten Synchronsprecher, die einen tollen Job machen. Hin und wieder gibt es im Spiel sogar Stellen, an denen das legendäre „Gothic-Gefühl“ aufkommt – zum Beispiel wenn man in Silden mit Cornelius redet. Ein weiterer Pluspunkt ist die Möglichkeit, Truheninhalte, Menschen, Tiere usw. mit einem einzigen Klick der rechten Maustaste zu plündern – das geht um einiges schneller und war zum Release lediglich leicht verbuggt (als Feedback erhält man beispielsweise ein etwas holpriges „30 Goldmünzens received“). Ansonsten gibt es nicht viel Gutes zu vermelden, außer man findet Gefallen an der Gel-Frisur des Helden. Ach ja, einige Quests sind recht gut gelungen, im Großen und Ganzen haben wir es aber mit Standardware zu tun.
Wer zum Release noch davon träumte, dass mit Patches nachgebessert werden kann und damit auch nur ein Quäntchen altes „Gothic“ zurückkehrt wird, dem war wirklich nicht mehr zu helfen. Auf „Gothic 4 – Arcania“ empfand ich schon damals keinerlei Vorfreude – zu Recht, wie sich später herausgestellt hat, aber das ist eine andere Geschichte. Es gibt im Falle von „Götterdämmerung“ leider nichts zu beschönigen: ein Totalausfall!.
Gesamteindruck: 2/7
Genre: Rollenspiel
Entwickler: Trine Games
Jahr: 2008
Gespielt auf: PC
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