Lewis Carroll
Wenn man nur die zugrunde liegende Geschichte betrachtet, ist „Durch den Spiegel und was Alice dort fand“ aus meiner Sicht ein gelungeneres Werk als sein berühmterer Vorgänger „Alice im Wunderland“. Der Roman und die Figuren wirken ausgereifter, die Handlung zusammenhängender. Auch die Idee der Spiegelwelt und die Darstellung des Ganzen als Schachpartie gefällt sehr gut. Es scheint fast, als ob der Leser eine überarbeitete, gereifte Version der ersten „Alice“ vor sich hat.
Gesamteindruck: 6/7
Gute Fortsetzung eines Klassikers.
Grund für die bessere Lesbarkeit und höhere Spannung ist für mein Dafürhalten, dass Band 2 nicht ganz so mit Wortspielen und versteckten Anspielungen überfrachtet ist wie „Alice im Wunderland“. Das mag auf den ersten Blick paradox klingen und kann bei der englischsprachigen Original-Version durchaus als negativ angesehen werden, wenn man jedoch die deutsche Übersetzung nimmt, sieht die Sache grundlegend anders aus. Durch den Wegfall vieler nur unbefriedigend oder überhaupt nicht übersetzbarer Wortspiele gerät der Übersetzer (in der Reclam-Ausgabe wieder Günther Flemming) viel seltener in die Verlegenheit, holprige Interpretationen des englischen Textes anbieten zu müssen.
Die Handlung selbst ist ähnlich skurril und phantasievoll gestaltet wie in Teil 1. Die Charaktere sind bizarr und einfallsreich, immer philosophisch und selten sympathisch. Alles in allem hätte sich die von Lewis Carroll erfundene Welt und die Wesen, die sie bevölkern wesentlich mehr Tiefe und Farbe verdient – andererseits ist es durchaus denkbar, dass der Autor absichtlich darauf verzichtet hat, um die Phantasie seiner Leser noch mehr anzuregen. Dazu tragen auch die beeindruckenden Zeichnungen von John Tenniel (die Carroll angeblich gar nicht so gut gefielen) einen großen Teil bei. Auch möglich, dass es in der heutigen Zeit zunehmend schwieriger wird, sich von einem solchen Buch verzaubern zu lassen. Gelesen haben sollte man es auf jeden Fall (wenn möglich im Original). 6 Punkte für die deutsche Version eines Klassikers, bei dem im Gegensatz zu seinem Vorgänger auch die Übersetzung großteils ansprechend gelungen ist.
Gesamteindruck: 6/7
Autor: Lewis Carroll
Originaltitel: Through the Looking-Glass, and What Alice Found There.
Erstveröffentlichung: 1871
Umfang: 211 Seiten
Gelesene Sprache: Deutsch
Gelesene Version: Taschenbuch