Robert Seethaler
Der österreichische Autor Robert Seethaler geht in seinem 2012er Werk „Der Trafikant“ sehr zartfühlend zu Werke, obwohl die Zeit während und nach dem „Anschluss“ ja eigentlich eher nach Brutalität klingt. Die kommt im Buch auch vor – aber ganz generell konzentriert sich Seethaler auf die ruhigeren und privateren Nuancen. Das hat mir sehr gut gefallen, es ist eine etwas andere Herangehensweise an ein immer noch sehr wichtiges (und leider wieder wichtiger werdendes) Thema. Fünf Punkte, weil Leichtigkeit zwar gut ist, ein bisschen Tiefgang mir aber doch gefehlt hat. Vor allem bei meinem „literarischen Treffen“ mit Sigmund Freud.
Gesamteindruck: 5/7
Die schlechte alte Zeit.
„Der Trafikant“ spielt 1937/38, zur wohl dunkelsten Zeit der österreichischen Geschichte und zeichnet die Veränderungen durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten aus Sicht eines unbedarften jungen Mannes aus der Provinz nach. Es ist zunächst ein wenig befremdlich, dieses ernste Thema mit der im Buch zu lesenden Naivität zusammenzubringen – genau das ist jedoch gleichzeitig auch das Erfrischende am Buch von Robert Seethaler. Denn er trifft damit – soweit man das aus heutiger Sicht überhaupt beurteilen kann – sehr gut die Sichtweise, mit der ein Bursche vom Land, plötzlich in die Großstadt Wien verpflanzt, die Ereignisse erlebt haben mag.
Interessant ist, wie es dem Autor gelingt, die Hauptfigur Franz Huchel sehr behutsam weiterzuentwickeln. Das funktioniert so selbstverständlich und unmerklich, dass man in der Rückschau meint, es gäbe kaum eine Entwicklung und Huchel hätte sich seine Persönlichkeit den ganzen Roman über bewahrt. In Wirklichkeit ist das zwar nicht ganz der Fall (viel ändert sich am gutmütigen Landei jedoch nicht), es führt aber zu einer schönen inneren Konsistenz des Romans. Von den drei wichtigen Nebenfiguren fand ich während der Lektüre den grantigen, jüdischen Trafikanten Otto Trsnjek am gelungensten. Ausgerechnet der auf dem Klappentext prominent angepriesene Sigmund Freud als Hauptgesprächspartner Huchels war mir ein bisschen zu schablonenhaft gezeichnet. Das böhmische Mädchen Anezka gewinnt hingegen ganz und gar keinen Sympathiepreis, lässt aber die blinde Hilflosigkeit den eigenen Gefühlen gegenüber sehr gut erkennen.
All das beschreibt Robert Seethaler in einer leichten Sprache, die die Seiten dahinfliegen und das ernste Thema des Buches nahezu vergessen lässt. Wenn man sie erlebt hätte, diese Zeit, als Franz Huchel wäre man – vielleicht! – am besten und saubersten durchgekommen. So denkt man zumindest als Leser während man der Handlung folgt. Doch der Autor kennt keine Gnade mit seinen Figuren und so kommt am Ende was kommen muss. Schade – aber wohl auch realistisch, denn ein Happy End mit Wohlfühlfaktor kann es bei so einer Geschichte kaum geben. Faszinierend, spannend und ja, auch unterhaltsam, ist „Der Trafikant“ dennoch für mich zu lesen gewesen.
Gesamteindruck: 5/7
Autor: Robert Seethaler
Originaltitel: Der Trafikant.
Erstveröffentlichung: 2012
Umfang: ca. 250 Seiten
Gelesene Sprache: Deutsch
Gelesene Version: Taschenbuch
Den Trafikanten kann man echt nur empfehlen! 🙂