Geschockt starre ich auf den Bildschirm: „Flora Firebearer is deceased“ steht dort zu lesen. Meine treue Diebin mit den violetten Haaren, den Tattoos im Gesicht und einem dieser wunderbaren Namen, die das Spiel generiert, hat immerhin fünf Tage und ebenso viele erfolgreiche Raubzüge durchgehalten. Etwas, das weder ihrem Vorgänger Nat Forgestock noch ihrem Nachfolger Lew Huntington II vergönnt war, die jeweils an Tag 1 ihrer Arbeit das Leben lassen mussten. Und warum? Weil ich a) zu gierig war und b) im falschen Moment die Taste „A“ anstatt „D“ gedrückt habe, als es galt, eine Mine zu entschärfen. Herzlich willkommen zu einem ganz normalen Tag in „The Swindle“.
Gesamteindruck: 4/7
Leider überwiegt der Frust.
„The Swindle“ ist in einem Steampunk-London des 18. Jahrhunderts angesiedelt. Dampfbetriebene Roboter und Computer kurz vor dem Auseinanderfallen bestimmen das optisch vorwiegend in Brauntönen gehaltene Bild. Wer eine Ader für diesen Look hat, wird dem Spiel mit seiner liebevollen, handgezeichneten Grafik allein schon deshalb viel abgewinnen können – ich persönlich nehme mich da keineswegs aus. Dazu gehört auch die hervorragende Sound- und Musikkulisse, die sich ausgezeichnet ins Gesamtbild einfügt. Grafisch, atmosphärisch und soundtechnisch ist an „The Swindle“ also definitiv nichts auszusetzen, wovon man sich bspw. hier überzeugen kann.
Das Spielprinzip ist denkbar einfach: Der Spieler steuert einen Dieb, der in gut gesicherten Gebäuden auf Beutezug zu geht. Ultimatives Ziel ist es, bei Scotland Yard einzusteigen und die dort entwickelte künstliche Intelligenz, die künftige Diebestouren unmöglich macht, vor der Fertigstellung auszuschalten. Dafür steht ein Zeitrahmen von 100 Tagen (=Leben) zur Verfügung, wobei auch gelungene „Heists“ den Countdown um jeweils einen Tag reduzieren. Letztlich hat man also genau 100 „Spielzüge“, um das Ziel zu erreichen, auf dem Weg dorthin Geld zu sammeln und seinen Dieb zum perfekten Verbrecher hochzuzüchten. Aufgebaut sind die Touren immer gleich: Die Spielfigur wird vor einem Haus abgesetzt. Es gibt eine Vorder- und eine Hintertür, durch welche man tritt, ob man sich durch die Wand bombt oder eine Scheibe einschlägt, bleibt dem Spieler überlassen. Das Ganze spielt sich in der aus klassischen Jump n‘ Runs bekannten 2D-Ansicht ab, wobei es allerdings kein automatisches Scrollen gibt und der Spieler sich frei auf dem Bildschirm bewegen kann. Bewacht werden die Anwesen von allerlei Robotern und Fallen, die es zu vermeiden und/oder auszuschalten gilt. Bei manchen Gegnern hilft beispielsweise ein Schlag auf den Kopf, bei anderen muss man sich mehr vorsehen und manche Sicherheitsmaßnahme sollte man besser komplett umgehen.
Auf jeder Tour sammelt der Spieler Geld, mit dem man sich Upgrades kaufen kann, zum Beispiel verbesserte Sprungkraft, Werkzeuge zum Hacken von Computerterminals (die mehr Geld aufs Konto spülen), Bomben um Wege freizusprengen oder Anzeigeinstrumente, von denen ablesbar ist, wie viel Geld überhaupt noch im Haus ist. Es gibt eine Vielzahl an Fähigkeiten, die die diebische Arbeit entsprechend erleichtern – das ist auch notwendig, weil der Schwierigkeitsgrad steil ansteigt. Da jedes Gebäude nach dem Zufallsprinzip generiert wird, sind die Möglichkeiten schier endlos und es fällt weniger auf, dass der Spielverlauf immer ähnlich ist – genretypisch für die sogenannten Rogue-likes. Genau wie die Tatsache, dass der permanente Tod der Spielfigur praktisch zum Spielprinzip gehört. Jeder Fehltritt ist tödlich und hat das sofortige Ende des Raubzuges unter Verlust des aktuell gesammelten Geldes zur Folge. Ist der Dieb tot und es stehen weiterhin genügend Tage zur Verfügung, kann man sofort mit einer neuen Spielfigur weitermachen, die – immerhin ein Zugeständnis – die vorher erworbenen Upgrades behält. Dabei schlägt die eigene Gier dem Spieler immer wieder ein Schnippchen: Riskiere ich es, die vor mir liegende Mine zu entschärfen, um das dahinter sichtbare Geldbündel einzustreichen? Oder gebe ich mich mit dem zufrieden, was ich habe und bringe mich in Sicherheit? Diese Entscheidung bestimmt im Wesentlichen das Spielgeschehen und lässt einen immer wieder schier verzweifeln – siehe den Einleitungstext zu dieser Rezension – wenn der Dieb, zu dem man fast schon eine Beziehung aufgebaut hat, plötzlich das Zeitliche segnet.
All das klingt ja nicht schlecht, zumindest für jene, die grundsätzlich mit einem solchen Spielprinzip etwas anfangen können. Woran hapert es bei „The Swindle“ also? Warum gibt es im Vergleich zum recht ähnlich gelagerten „FTL“ keine bessere Wertung? Es sind im Wesentlichen drei Dinge, die das Steampunk-Abenteuer immer wieder am Spagat zwischen Lust und Frust scheitern lassen:
- Steuerung: Ich weiß nicht, wie sich „The Swindle“ auf der Konsole spielt. Auf dem PC ist die Steuerung trotz einiger Möglichkeiten zur individuellen Belegung vor allem dazu geeignet, sich die Finger zu verknoten. Das führt einerseits dazu, dass man immer mal wieder den falschen Knopf drückt, was meist den Tod zur Folge hat. Andererseits passiert es wahnsinnig schnell, dass man beispielsweise zu weit oder zu kurz springt, was ebenso tödlich enden kann. Man muss letztlich sehr exakt arbeiten, was über die PC-Tastatur kaum funktioniert. So richtig flüssig und intuitiv will das Spiel daher nicht von der Hand gehen, was aber notwendig wäre. Denn man läuft ohnehin oft genug in Fallen und wird von Gegnern entdeckt, auch noch an der Belegung der Tastatur zu scheitern ist Frust pur.
- Balancing: Natürlich ist man weder in diesem, noch in anderen Spielen zu Beginn mit Reichtum gesegnet. Hat man aber ein Spielprinzip, das den ständigen Tod der Spielfigur quasi billigend in Kauf nimmt, braucht es schon ganz besonders flotte Abläufe, um den Gamer bei der Stange zu halten. In „The Swindle“ ist jedoch zu Beginn ewig langes Spielen notwendig, um sich die entscheidenden Upgrades leisten zu können. Und wehe, man macht dabei einen Fehler: Einmal falsch investiert, braucht man weitere (gefühlte) Ewigkeiten, um genug Geld für bessere Fähigkeiten zusammenzutragen. Damit hat man ständig das Gefühl, dass einem die Programmierer vorschreiben wollen, welche Upgrades man haben MUSS. Im Extremfall führt eine falsche Investition dazu, dass das Spiel aufgrund einer frühen Fehlentscheidung nicht mehr schaffbar ist, weil die Frist abläuft. Einen Hinweis darauf gibt es nicht – um herauszufinden, ob man es packt oder nicht, muss man bis zum bitteren Ende durchhalten (oder erfahren genug sein, um abschätzen zu können, wie lange man sich auf jeder der 6 Stufen, die es bis zum Finale gibt, aufhalten darf). Das fällt am Anfang, wenn alles noch neu ist, nicht so sehr ins Gewicht – spätestens nach dem 3. gescheiterten Versuch, das Endgame überhaupt zu erreichen (noch keine Rede von Schaffen), stellt sich dadurch der nackte Frust ein. Und sogar, wenn man es mal bis zum bockschweren Finale schafft: Dort einen Fehler zu machen ist ein unglaublicher Rückschlag – 400.000 Pfund kostet ein erneuter Versuch. Diese Summe zu sammeln benötigt wieder einige Tage, sodass man es pro Spieldurchgang kaum öfter als zwei Mal versuchen kann, Scotland Yard zu besiegen. Und dann wieder bei Tag 1 zu beginnen ist sehr anstrengend – ein knapperes Zeitlimit und dafür ein schnellere Ablauf hätten vermutlich Wunder gewirkt.
- Leveldesign: Zufallsgenerierte Levels sind eine großartige Erfindung. In „The Swindle“ haben sie aber einen mächtigen Haken: Das Spiel nimmt keinerlei Rücksicht darauf, welche Fähigkeiten und Upgrades sich der Spieler gekauft hat. So steht man öfter als einem lieb sein kann vor unmöglichen Aufgaben und muss einen wertvollen Tag abschreiben. Beispielsweise hat man zu Beginn noch keine Bomben. Dem Spiel ist das egal und es baut trotzdem Korridore in die Anwesen ein, die man nur durch eine Sprengung erreichen kann. Die Folge: Bargeld bleibt liegen, ohne dass man als Räuber etwas dafür kann. Und auch später im Spiel sind einige Herausforderungen geradezu kindisch einfach, während andere trotz hochgezüchteter Spielfigur nicht schaffbar sind.
Schade drum, denn auch wenn man zu Beginn noch sehr viel Ehrgeiz entwickelt hätten die Diebestouren noch viel mehr Potential gehabt. Vermutlich hätte eine etwas flüssigere Steuerung schon für eine bessere Wertung gereicht. Wenn man sich leichter tun würde, schnelle und geradezu virtuose Raubzüge durchzuführen, würden auch der hohe Schwierigkeitsgrad und das ausbaufähige Balancing keine so große Rolle mehr spielen. Wenn man aber zum 30. Mal die gesamte, mühevoll gesammelte Beute verliert, weil man eine Wand einen Millimeter zu tief hinuntergerutscht ist, ist man geneigt, das Spiel frustriert in die Ecke zu werfen. Was gar nicht so leicht ist, wenn man es wie ich auf gog.com käuflich erworben hat.
Leider überschreitet „The Swindle“ immer wieder recht deutlich die Frustgrenze, an der ein solches Spiel immer entlang schrammen muss – im Idealfall halt ohne in den jenseitigen Bereich zu rutschen. Aber nur rund 100 gelungene Raubzüge in über 700 Versuchen sprechen eine deutliche Sprache (diese Statistik blendet das Spiel aktuell bei mir am Startbildschirm ein). Gute 4 Punkte, weil das Spiel trotz alledem eine magische Anziehungskraft ausübt und man immer wieder versucht, es endlich einmal bis zu Endgame zu schaffen. Ich würde „The Swindle“ wahnsinnig gern noch lieber mögen, aber es fehlt einfach ein kleines bisschen Feintuning.
Genre: Jump n‘ Run, Stealth, Rogue-like, Geschicklichkeit
Entwickler: Size Five Games
Jahr: 2015
Gespielt auf: PC