Wer Dystopien mag ist bei „Children of Men“ richtig. Der Film hat nichts weniger als den Untergang der Menschheit und die Hoffnungslosigkeit, die daraus entsteht, zum Thema. Dass der Regisseur mehr auf gute Charaktere und ein schlüssiges Drehbuch setzt, anstatt den Zuseher mit computergenerierten Effekten, von denen man mittlerweile ohnehin die Nase voll hat, zu bombardieren, macht diese englische Produktion noch interessanter. Ein rundum sehenswerter Film, der mich in allen Belangen positiv überrascht hat.
Gesamteindruck: 6/7
Dystopie mit einem Funken Hoffnung.
Was passiert, wenn die Menschheit kurz vor ihrer Vernichtung steht? Zumindest in Film und Literatur haben sich zwei mögliche Pfade ergeben: Entweder finden die zerstrittenen Völker im Angesicht der Apokalypse endlich zusammen und stemmen sich wie ein einziger Mann gegen die Auslöschung. Oder, und so würden es pessimistische (oder realistische) Zeitgenossen wohl auch für die Realität erwarten, es brechen Unruhen und Anarchie aus, das Faustrecht regiert und alles in allem geht es immer schneller in Richtung Abgrund. Erstere Option wird im Popcorn-Kino á lá „Independence Day“ (1996) oder „Armageddon“ (1998) immer gern verwendet und weiß als Wohlfühl-Faktor gelegentlich durchaus zu unterhalten. Zweiteres ist aber eigentlich die interessantere Variante, zumindest war mir persönlich die Dystopie immer lieber – und sei es nur als Warnung. Ein Selbstläufer ist eine dystopische Vision unserer Zukunft deshalb aber noch lange nicht, auch in diesem Genre gibt es gutes und schlechtes Material zu sehen oder zu lesen. „Children of Men“ ist für mein Dafürhalten glücklicherweise ein guter Vertreter seiner Zunft.
Inhalt in Kurzfassung*
In nicht allzu ferner Zukunft (vom Zeitpunkt dieser Rezension aus gesehen sind es nur mehr zehn Jahre bis dahin) ist die Menschheit vom Aussterben bedroht: Aus nicht näher genannten Gründen werden keinerlei Kinder mehr geboren. Die gesellschaftliche Ordnung steht dadurch am Rande des Zusammenbruchs und kann nur mit brutaler Polizei- und Militärgewalt einigermaßen aufrecht erhalten werden. In dieser Situation soll ein Durchschnittsbürger einem ganz besonderen Mädchen zur Flucht aus einem von Chaos, Brutalität und Terrorismus geprägten Großbritannien verhelfen.
* Der Versuch eines neuen Features auf WeltenDing. Ich versuche Spoiler zu vermeiden.
Die Geschichte, die Regisseur Alfonso Cuarón (bekannt durch Filme wie „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“, „Pans Labyrinth“ und „Gravity“) in „Children of Men“ auf die Leinwand bzw. den Schirm bringt, fügt dem Ende-der-Welt-Thema definitiv neue Nuancen hinzu. Dass es nicht Außerirdische oder eine Naturkatastrophe sind, die die Menschheit bedrohen, sorgt für wohltuende Abwechslung. Die Grundannahme, dass ein einzelner Mensch die Welt retten kann/soll, ist nun nicht bahnbrechend neu, allerdings liegt die Stärke des Films in seinen Figuren. Die Anti-Helden, die in „Children of Men“ vor Probleme gestellt werden, die wesentlich realistischer wirken, als vieles, was man sonst speziell aus Hollywood kennt, sind so zerbrechlich, wie jeder Normalsterbliche. Das erzeugt eine Identifikationsfläche, von der so mancher Blockbuster nur träumen kann und macht aus relativ einfachen Zutaten einen hervorragenden Film.
Vor allem der britische Schauspieler Clive Owen, der die Hauptrolle spielt, weiß durchgehend und vorbehaltlos zu überzeugen. Die Art, wie sich sein Charakter entwickelt und er vom widerwilligen, genervten und müden Regierungsangestellten zum unfreiwilligen Helden entwickelt, ist aller Ehren wert. Dass er bis zum tragischen Schluss nur mit Glück und nicht aufgrund seiner überragenden Fähigkeiten durchkommt, macht ihn zur sympathischen Identifikationsfigur für den Zuseher. Aber auch die anderen Rollen bzw. Schauspieler wissen zu überzeugen, auch wenn die weibliche Hauptperson, gespielt von Claire-Hope Ashitey aufgrund der Synchronisation etwas zu anstrengend wirkt.
Drehbuch und Kamera: Top!
„Children of Men“ ist aber nicht nur gut besetzt, sondern weiß auch mit einem intelligenten Drehbuch zu überzeugen – nicht umsonst gab es in dieser Kategorie 2007 sogar eine Oscar-Nominierung (wie auch für Kamera und Schnitt). Die Handlung ist schlüssig erzählt und bietet einige überraschende Wendungen. Einziger Wermutstropfen: Das Ende kommt recht plötzlich. Dass es kein „richtiges“ Happy End gibt, ist natürlich erwartbar, auch wenn die Hoffnung zuletzt nicht ganz stirbt. Dennoch war der Schluss nach den atemlosen und dramatischen Minuten davor ein bisschen unbefriedigend für mich.
Dass es bis zum Ende spannend bleibt, ist freilich auch der hervorragenden Kamera-Arbeit zu verdanken, die für mein Dafürhalten großartig ist. Ein Beispiel: In einer der finalen Szenen befindet sich der Protagonist mitten im Kriegsgebiet. Um die Dramatik dieser Situation besser einzufangen, kommt die Handkamera in einer gefühlt endlosen, vermeintlich ungeschnittenen Sequenz zum Einsatz – das Ergebnis erinnert an die Eröffnungsszene von „Der Soldat James Ryan“ (1998). Das haben auch schon andere Filme versucht, die Intensität der Spielberg’schen Produktion wurde dabei selten (oder nie?) erreicht. „Children of Men“ kommt meiner Ansicht nach jedoch nicht nur heran, sondern – ich bin ketzerisch – übertrifft sie sogar noch. Ja, das meine ich ernst – der Grund ist, dass besagte Szene fast den Schluss des Films bildet und sich lediglich auf den Hauptcharakter konzentriert, zu dem man in der vorhergehenden Stunde eine enge Beziehung aufgebaut hat. Nicht falsch verstehen: Die Invasion in „Der Soldat James Ryan“ thematisiert das anonyme Sterben im Krieg sehr gut, daran gibt es nichts zu rütteln. Die besagte Szene im Flüchtlingslager in „Children of Men“ nimmt aber mindestens genauso mit, weil sie wesentlich persönlicher ist. Allein für diese meisterhafte Leistung gibt es fünf Punkte in der Gesamtwertung.
Prophetisch.
Aus heutiger Sicht sind Teile von „Children of Men“ geradezu prophetisch. 2006 waren die aktuellen Entwicklungen in Großbritannien, der EU und der Welt kaum vorhersehbar. Und doch denkt die (echte) britische Regierung anno 2017 darüber nach, die Menschenrechte für gewisse Gruppen und Ethnien einzuschränken. Das Land steht vor dem Austritt aus der EU und entsprechender außenpolitischer Insolation. Und auch das Zusammenfassen von Flüchtlingen in Lagern zur Abschiebung und all die damit verbundenen, unerfreulichen Vorgängen sind plötzlich gar nicht mehr so fiktional, wie es im Erscheinungsjahr des Films vermutlich noch den Anschein hatte. All das macht „Children of Men“ noch einmal düsterer und trostloser – weil er sich näher an unserer Wirklichkeit bewegt, als Alfonso Cuarón 2006 gewusst haben kann.
Fazit: Ein ausgezeichneter Film, der mit einem etwas ausführlicheren Ende die volle Punktezahl hätte abräumen können.
Gesamteindruck: 6/7
Originaltitel: Children of Men
Regie: Alfonso Cuarón
Jahr: 2006
Land: USA, UK
Laufzeit: 106 Minuten
Besetzung (Auswahl): Clive Owen, Julianne Moore, Michael Caine, Claire-Hope Ashitey, Chiwetel Ejiofor, Pam Ferris, Peter Mullan, Charlie Hunnam