Andri Snær Magnason
Andri Snær Magnason hat eine eigenständige, ziemlich schräge Geschichte geschrieben, die nach kurzer Eingewöhnung sehr gut und schnell zu lesen ist. Die Handlung läuft gelegentlich Gefahr, von den teilweise extrem skurrilen Einfällen überdeckt zu werden, letztlich schafft es der Autor aber immer wieder, den Fokus auf einer doch recht dystopischen Geschichte zu halten. „LoveStar“ ist satirisch, lustig, tragisch und sehr aktuell. Sollte man als jemand, der sich in unseren Zeiten zurechtfinden muss, jedenfalls gelesen haben.
Gesamteindruck: 5/7
Berechnete Liebe.
„LoveStar“ ist eine Geschichte, die eigentlich perfekt in unsere Zeit passt. Der globale Konzern, der jeden (und damit meine ich wirklich jeden) Aspekt des Lebens und der Welt berechnen, kontrollieren und vermarkten kann, ist wohl die Traumvorstellung des einen oder anderen Managers. Manche Firmen sind ja schon durchaus nahe an diesem „Ideal“, was einigermaßen beängstigend ist. Dass der isländische Autor Andri Snær Magnason nicht ganz genau erklärt, wie die Entschlüsselung der Welt in „LoveStar“ eigentlich funktioniert, tut dabei recht wenig zur Sache. Wesentlich ist, dass man dennoch das Gefühl hat, dass nur eine Kleinigkeit fehlt, damit wir genau das, was wir in diesem Roman vorfinden, auch in der wirklichen Welt bekommen. Und das macht „LoveStar“ zum Teil tatsächlich zu einer Dystopie.
Inhalt in Kurzfassung*
Einem Isländer ist es gelungen, das Geheimnis der Zugvögel – und damit nebenbei gleich die ganze Welt – zu entschlüsseln. So wird alles für die Wissenschaft möglich, sogar die Liebe kann wissenschaftlich berechnet werden. Irrtümer und Abweichungen sieht das auf Basis dieser fantastischen Entdeckung gegründete LoveStar-Imperium, Sitz natürlich in Island, nicht vor. Doch was, wenn sich zwei Verliebte nicht von einem Computer auseinander dividieren lassen wollen? Und was passiert, wenn sogar Gott berechnet werden kann?
* Ein neues Feature auf WeltenDing. Ich versuche Spoiler zu vermeiden.
Auf den ersten Seiten liest sich „LoveStar“ ein wenig holprig, man braucht ein wenig Zeit, um sich an die ganz spezielle Sprache zu gewöhnen. Alles wirkt sehr nüchtern, knapp beschrieben und ohne große Ausschmückungen. Gefühlsmäßig hat das damit zu tun, dass dieses Buch – entgegen normaler mitteleuropäischer Lesegewohnheiten – in einer recht exotischen Sprache geschrieben wurde. Hat man diese Startschwierigkeiten allerdings überwunden, geht es mit der Lektüre großteils schnell voran. Längen gibt es eigentlich keine, ins Stocken gerät der Lesefluss hauptsächlich dann, wenn eine der zahlreichen Ideen des Autors ganz besonders abstrus ist. Wie oft das für den einzelnen Leser zutrifft, ist natürlich Geschmackssache.
Abseits von seinem Setting, dass einer Dystopie für den Normalbürger, einer Utopie für den findigen Unternehmer, gleichkommt, hat „LoveStar“ vornehmlich zwei Aspekte zu bieten. Der eine ist die Frage danach, ob tatsächlich jede Idee, zu der ein Mensch fähig ist, auch tatsächlich umgesetzt werden sollte bzw. ob es überhaupt möglich ist, eine einmal gedachte und ausgesprochene Idee nicht zu verfolgen. Eine ähnliche These stellte Friedrich Dürrenmatt bereits 1962 in „Die Physiker“ dar – und da wie dort zeigt sich, dass der technische Fortschritt der Menschheit nicht nur Gutes, sondern sogar den Untergang bringen kann.
Das zweite große Thema von „LoveStar“ ist die klassische Geschichte einer verbotenen Liebe und aller Unwägbarkeiten, die sich daraus ergeben. Das mag auf den ersten Blick langweilig klingen, ist aber letztlich durch seine Einbindung in das große Ganze, in die wissenschaftlich mögliche und daher auch gnadenlos durchgeführte, exakte Berechnung der Gefühle, eine durchaus interessante Handlung – zeigt sie doch einerseits die schiere Machtlosigkeit des einzelnen gegen die geballte Macht des globalen Konzerns, andererseits die Problematik des Datenschutzes bzw. wer denn nun eigentlich die Überwacher überwacht. Brandaktuelle Themen also, die in „LoveStar“ mit einer gehörigen Portion Zynismus aber auch mit echtem Humor verpackt präsentiert werden.
Zum ganz großen Wurf reicht es zwar nicht, dafür ist mir der Stil insgesamt dann doch ein bisschen zu holprig. Von meiner Seite daher respektable 5 Punkte es für dieses mit mehreren Preisen ausgezeichnete Roman-Debüt.
Gesamteindruck: 5/7
Autor: Andri Snær Magnason
Originaltitel: LoveStar.
Erstveröffentlichung: 2002
Umfang: ca. 300 Seiten
Gelesene Sprache: Deutsch
Gelesene Version: Taschenbuch