FilmWelt: Bokeh

Vereinfacht gesagt bietet die Postapokalypse im Film zwei Möglichkeiten: Die eine ist das Überleben in ständiger Gefahr, gejagt von Zombies, Killer-Viren oder Naturkatastrophen – sprich eine action-orientierte Variante. Der zweite Ansatz, der nicht allzu häufig umgesetzt wird, ist eher ruhiger Natur und beschäftigt sich mit den psychologischen Auswirkungen des Endes der Welt auf die Überlebenden. Und genau das ist das Thema der Independent-Produktion „Bokeh“.

Gesamteindruck: 4/7


Die leise Postapokalypse.

Island ist per se ein relativ einsames Fleckchen Erde: Weit vom Schuss, wenige Einwohner, dünn besiedelt – und doch wunderschön. Jedenfalls für diejenigen, die die schroffe Natur, das Gefühl, am Ende der Welt angekommen zu sein, zu schätzen wissen. „Das Ende der Welt“ ist auch genau das Thema des Independent-Streifens „Bokeh“, wenn auch in einem anderen Sinne. Denn ein unbekanntes Ereignis lässt plötzlich fast alle Menschen verschwinden. Einfach so. Diese Apokalypse passiert in „Bokeh“ ruhig, ohne Panik und Aufregung: Ein kurzes Aufflackern, das genauso gut das Nordlicht sein könnte – mehr gibt es nicht zu sehen. Und auch in der Postapokalypse wird es – zumindest in dem relativ kurzen Zeitraum, den der Film abdeckt – nicht laut. „Bokeh“ lebt von den ruhigen Tönen, von der Konzentration auf zwei Charaktere und deren Psyche. Leider (und es tut mir bei einem ambitionierten Independent-Werk tatsächlich leid, so etwas zu schreiben) krankt der Film letztlich genau an dem, was er eigentlich darstellen möchte.

Inhalt in Kurzfassung
Ein amerikanisches Pärchen verbringt ein paar Urlaubstage auf Island – mit allen Schikanen: Blaue Lagune, Geysire, Wandern mit Touristengruppen und exzessives Fotografieren stehen am Programm. Aber nur bis eines Nachts ein rätselhaftes Licht aufglüht und plötzlich alle anderen Menschen verschwunden zu sein scheinen. Nach anfänglicher Ratlosigkeit und Panik beginnen sich die jungen Urlauber in der Welt, in der sie nun tun können, was sie wollen, einzuleben. Doch es gibt von Anfang an psychische Spannungen im gemeinsamen Umgang mit der Situation.

Die Inhaltsangabe liest sich wie die Beschreibung einer umgekehrten Robinsonade (die sprichwörtliche einsame Insel, nur dass die „Schiffbrüchigen“ nicht dort stranden, sondern alle anderen verschwinden). Oder etwas in der Art von „I Am Legend“, nur mit zwei Hauptpersonen und ohne Vampire. Und genauso funktioniert „Bokeh“ (der japanische Ausdruck bezeichnet übrigens den unscharfen Bereich eines Fotos, der ein darauf zu sehendes, scharfes Objekt im Vordergrund besonders hervorheben soll) im Prinzip auch: Es gibt keine Menschen mehr auf der Welt, nur noch unser Liebespaar. Was bedeutet diese Tatsache für ihre persönliche Entwicklung, welche psychischen Zustände durchlaufen sie in den ersten Wochen nach der Apokalypse?

Zu wenig Kontext.

Was zunächst spannend klingt, wird im Laufe des Films leider relativ schnell langatmig und zäh. Im Wesentlichen konnte ich zwei Gründe dafür ausmachen. So wäre meiner Ansicht nach eine für den Zuseher komplett nachvollziehbare Entwicklung der Charaktere nur möglich, wenn man deren Ausgangspunkt gut genug kennt. Diese Basis fehlt in „Bokeh“ praktisch vollständig. Das „Vorgeplänkel“, bis es zur Apokalypse kommt, ist zu kurz, um Riley und Jenai, so die Namen der Protagonisten, kennenzulernen. Ja, man sieht, dass sie sich lieben, man weiß, dass sie gerne fotografieren und kann nachvollziehen, was ihnen an Island gefällt. Aber das ist eben nur eine Momentaufnahme, die Beziehung wirkt einigermaßen konstruiert. Denn ohne jegliche Kenntnis einer Vorgeschichte ist unmöglich zu sehen, ob und wie sich die Figuren angesichts des Ausnahmezustandes, in den sie geworfen werden, entwickeln.

Das fällt insbesondere bei Jenai auf, die sich wesentlich schwerer tut, ihre Situation zu akzeptieren. Das wäre grundsätzlich ein guter Aufhänger, würde für Drama und Spannung sorgen. Aber wenn man nicht weiß, warum es ihr so geht, wird es schwierig – es gibt nicht einmal einen Hinweis darauf, wo ihr Zuhause, in das sie unbedingt zurück will, überhaupt ist. So kann man sich schwer vorstellen, warum es für die offenbar ziemlich streitsüchtige Blondine dermaßen schrecklich ist, auf Island gestrandet zu sein, während ihr Freund kaum Anpassungsprobleme zu haben scheint. Am schlimmsten daran ist, dass ihre Rolle dadurch ohne Not extrem unsympathisch wird. Auch weil das Spiel von Maika Monroe eine Gedankenwelt der Figur andeutet, die sich dem Zuseher überhaupt nicht erschließt. Lösen hätte man das auch ohne ewig langen Vorspann können – z.B. indem man im Film die eine oder andere Rückblende einbaut.

Der zweite Kritikpunkt, den ich an „Bokeh“ habe, betrifft Teile des Drehbuches. Es geht teilweise recht unlogisch zu, so verstehe ich beispielsweise nicht, warum unsere Helden nicht relativ schnell am Flug- oder Schifffahrtshafen nach Menschen suchen. Und letztlich ist es dann doch einigermaßen ermüdend, wenn die beiden immer wieder Ausflüge in die Natur Islands unternehmen, wo dies und das für wunderschön befunden wird. Diese Szenen ähneln sich und scheinen sich zu wiederholen, was den Film langatmiger erscheinen lässt, als er eigentlich sein müsste. Etwas mehr Drama hätte es meines Erachtens zwischendurch schon gebraucht.

Wunderbare Bilder.

„Bokeh“ hat dennoch zwei große Punkte auf der Habenseite. Der Drehort ist natürlich ein Selbstläufer – Island ist einfach wunderschön und das wurde in den Bildern perfekt eingefangen. Nimmt man die musikalische Untermalung hinzu, fällt mir nichts ein, was man atmosphärisch hätte besser machen können. Die Lust auf einen Island-Urlaub erzeugt der Film also definitiv. Das zweite Plus sind die Darsteller. Monroe und O’Leary holen tatsächlich unglaublich viel aus den eigentlich sehr schwachen Charakteren heraus. Fast wirkt es so, als wären die Schauspieler mit dem, was ihnen im Drehbuch vorgesetzt wurde, unterfordert gewesen und hätten versucht, eigenmächtig einen draufzusetzen. So wird es wohl nicht gewesen sein, aber ich habe es angedeutet: Ihre Darstellung, vor allem die Mimik, suggeriert eine Tiefe der Rollen, die de facto einfach nicht vorhanden ist. Schade um diese hervorragende Leistung.

Letztlich ist „Bokeh“ einer dieser Filme, die man so gerne wirklich mögen würde, der aber bei halbwegs objektiver Betrachtung einfach zu viele Mängel dafür aufweist. Denn was helfen die schönsten Bilder, was die besten Darsteller, wenn das Drehbuch einfach nicht mitreißen kann? Leider sehr wenig, daher reicht es nur für eine durchschnittliche Wertung.

Gesamteindruck: 4/7


Originaltitel: Bokeh
Regie: Geoffrey Orthwein, Andrew Sullivan
Jahr: 2017
Land: USA, Island
Laufzeit: 92 Minuten
Besetzung (Auswahl): Maika Monroe, Matt O’Leary, Arnar Jónsson



 

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Live (Kreator)

KonzertWelt: Guns n‘ Roses (Wien, 10.07.2017)

Datum: Montag, 10. Juli 2017
Location: Ernst-Happel-Stadion (Wien)
Tour: „Not in this Lifetime“
Headliner: Guns n‘ Roses
Support: WolfmotherTyler Bryant & The Shakedown
Ticketpreis: 150 Euro (Sitzplatz)


Wie süß die Nostalgie schmecken kann.

GUNS N‘ ROSES in Wien – noch dazu mit W. Axl Rose, Slash und Duff McKagan – das muss man gesehen haben. Oder doch nicht? Nun, für alle, die mit dieser Band musikalisch aufgewachsen sind und wie der Autor dieser Zeilen eine wahnsinnige, emotionale Bindung zu ihr entwickelt haben, stellt sich die Frage nicht. Man musste einfach hin – auch wenn es durchaus Gründe gab, die dagegen sprachen. Da wäre zunächst der stolze Preis – 150 Euro für einen Sitzplatz (für den Spätentschlossenen waren natürlich keine Stehplätze mehr zu haben, die aber nur unwesentlich günstiger waren) sind eigentlich weit jenseits des Zumutbaren. Noch schwerer wog aber die kleine, leise Stimme im Inneren, die ständig vor der Enttäuschung warnte, die sich eventuell einstellen würde und unter Umständen sogar geeignet wäre, die tollen Jugenderinnerungen zu überschatten. Diese Stimme hatte bereits 10 Jahre vor dem 2017er-Konzert zu flüstern begonnen, als GUNS N‘ ROSES, damals bestehend aus Axl Rose mit Band aber ohne Slash/McKagan, einen dem Hörensagen nach katastrophalen Gig am Nova Rock ablieferten. Sollte man sich dieser erneuten Gefahr tatsächlich aussetzen? Nun, es half nichts – wer weiß schon, ob sich diese Chance noch einmal bietet, von daher: Ja zu GUNS N‘ ROSES, ja zu einem Erlebnis, auf das ich persönlich über 20 Jahre gewartet habe. So viel gleich vorweg: Die Erinnerung ist leicht getrübt, was einem Nebel aus Alkohol und Glückshormonen geschuldet ist. Dennoch will ich versuchen, meine Gefühle und mein Konzerterlebnis wiederzugeben – und das mit einem gewissen emotionalen Abstand, daher kommt dieser Bericht erst eine Woche nach dem Konzert.

Vorgruppen? Ja, waren auch da.

Als wir nach dem Kauf eines aktuellen Gn’R-Tourshirts (35 Euro, das geht ja noch) und der gar nicht sooo strengen Sicherheitskontrolle unsere Plätze einnahmen, war die erste Vorgruppe, TYLER BRYANT & THE SHAKEDOWN, so gut wie fertig. Zwei oder drei Lieder haben wir gehört, könnte jetzt aber nicht sagen, wie das geklungen hat. Überhaupt war man zu der Zeit eher damit beschäftigt, auszuloten, wie gut man von den Sitzplätzen im Sektor Grün überhaupt sehen würde. Die Antwort: Super, was die Videowalls betrifft, die Figuren auf der Bühne waren hingegen relativ winzig.

Nach überraschend kurzer Umbaupause folgten WOLFMOTHER. Die Australier, die hierzulande nie richtig Fuß fassen konnten, wirkten ziemlich entschlossen. Auf der Bühne gab es einiges an Bewegung, davor im Publikum nicht so sehr. Zumindest nicht über die ersten – keine Ahnung – 10 Reihen hinaus. War meines Erachtens eine bemühte Show, die aber auch zeigte, warum WOLFMOTHER es nicht so richtig geschafft haben und der ganz große Erfolg vermutlich auf ewig ausbleiben wird. Einerseits war der Sound suboptimal, zumindest auf den Rängen. Andererseits haben die Australier abseits ihres großen Hits „Woman“ nicht allzu viel im Gepäck, das sich in den Ohren festkrallt. Es fehlt einfach an den Hooks und großen Refrains, die speziell ein Stadionkonzert braucht. Und so konnten sich WOLFMOTHER halt nicht mehr als einen Höflichkeitsapplaus abholen.

Pünktlichkeit ist eine Zier.

Und dann war es endlich soweit: Der Headliner schickte sich an, die Bühne zu entern. Damit das auch alle Mann mitbekamen, wurde gefühlte 10 Minuten lang das GUNS N‘ ROSES-Logo, immer wieder von lauten Schüssen unterlegt, eingeblendet. Einige dürften den Anfang dennoch versäumt haben – denn es gab eine Überraschung. GUNS N‘ ROSES begannen mehr als pünktlich. Unglaublich. Von den angeblich 55.000 Besuchern hatten – so mein Eindruck – längst nicht alle ihren Platz eingenommen, als es losging. Übrigens sollten die Gunners laut Timetable ursprünglich um 20:15 Uhr beginnen. Das wurde bereits im Vorfeld auf 19:30 Uhr vorverlegt, was per eMail kommuniziert wurde. Ob das jeder mitbekommen hat, weiß ich nicht – aber an einem Montag relativ knapp nach Feierabend im Stadion zu sein, dürfte einigen Besuchern eher schwer gefallen sein, auch wenn sie um den früheren Beginn wussten. Von Ausverkauft!-Feeling war also anfangs noch keine Rede, noch dazu weil – und das ist die eigentliche Überraschung – GUNS N‘ ROSES tatsächlich um 19:31 Uhr mit „It’s So Easy“ ihren Gig eröffneten. Unglaublich, es ging tatsächlich (über-)pünktlich los! Das und die Vorverlegung um 45 Minuten sowie eine etwas gekürzte Setlist lassen im Nachhinein übrigens vermuten, dass man es wohl ziemlich eilig hatte, aus Wien wegzukommen.

Zu dem Zeitpunkt war mir das aber völlig egal. Nach der Eröffnung setzte man mit „Mr. Brownstone“ gleich noch einen drauf und ich war sofort in einem nostalgischen Glücksrausch angekommen, den ich so nicht erwartet hätte. Als dritter Song folgte „Chinese Democracy“, was ich mit einer Bierpause bedachte – langes Anstehen inklusive. Danach kam mit „Welcome to the Jungle“ wieder ein Gassenhauer, bei dem ich aber erstmals etwas genauer hinhörte und merkte, dass der Sound ganz und gar nicht so war, wie ich es mir vorgestellt hatte. Das sollte sich später noch bessern, zumindest was die Musik betrifft. Zwei Probleme blieben aber mehr oder minder bis zum Schluss bestehen: Einerseits die viel zu leise abgemischte Stimme, andererseits die extrem störende Asynchronität zwischen Sound und Bildern auf der Videowall. Ich habe mir erklären lassen, dass das mit der Akustik des Stadions zu tun hat, wo auf den Rängen die Töne quasi im Kreis liefen – im Infield, bei den Stehplätze, wäre dieses Problem wohl nicht so eklatant gewesen. Blöd für alle „Sitzer“, aber offenbar nicht zu ändern.

Nicht jeder altert in Würde.

Nach diesem akustischen Fazit gab es mit dem Doppelpack „Double Talkin‘ Jive“ und „Better“ gleich auch noch die Möglichkeit zum optischen Check. Wen das nicht interessiert: Einfach die folgenden Absätze skippen.

Unser aller Helden werden alt. Das sieht man mittlerweile mit alarmierender Häufigkeit auf allen möglichen Konzerten – sei es der graue Bart von Tom Araya (SLAYER), der massive Haarverlust von Lars Ulrich (METALLICA) oder der Tod des unsterblich geglaubten Lemmy Kilmister (MOTÖRHEAD). Wobei man sagen muss, dass manche Musiker die Grenze, ab der sie plötzlich gar nicht mehr zu altern scheinen, überspringen – siehe Ozzy Osbourne (BLACK SABBATH) oder auch Steve Harris (IRON MAIDEN). Im Falle von GUNS N‘ ROSES sind beide Seiten des Spektrums abgedeckt: Auf der einen Seite das enfant terrible, der letzte große Rockstar, W. Axl Rose, dem man die Jahre unerbittlich ansieht. Einst schlank und rank und mit üppiger, roter Mähne gesegnet, ist des Frontmannes Haupthaar schütter geworden (was er unter verschiedenen Kopfbedeckungen zu verstecken versuchte), der Körper einigermaßen in die Breite gegangen, das Gesicht stark verlebt. Da will dann nicht mal mehr der berühmt-berüchtigte Schlangentanz so sexy wirken, wie er damals von Heerscharen weiblicher Fans aufgenommen wurde.

Auf der anderen Seite haben wir den großen Gitarren-Helden Slash, ebenfalls den letzten seiner Art. Dessen Gesicht war schon zu den besten Zeiten hinter verspiegelter Sonnenbrille und wallender Haarpracht versteckt. Und genau so sieht er immer noch aus, es scheint, als wäre die Zeit für denn Mann mit dem Zylinder spätestens Mitte der 1990er Jahre stehen geblieben. Er scheint sogar an Muskelmasse gewonnen zu haben, sah irgendwie kompakter und muskulöser aus, als ich ihn von alten Videos in Erinnerung hatte.

Zwischen diesen beiden Reizfiguren, deren Egos verhindert haben, dass wir diese Reunion früher erleben durften: Bassist Duff McKagan, dem die Drogenvergangenheit deutlich anzumerken ist, der mittlerweile dennoch zwar älter, gleichzeitig aber fitter wirkt als je zuvor. Keyboarder Dizzy Reed, auch schon seit fast 30 Jahren in der Band (immerhin ziemlich durchgehend, soweit ich weiß), war nicht so oft im Bild, sah aber recht normal aus. Drei „Neuzugänge“ (also Musiker, die mir nicht bekannt waren) gab es auch zu vermelden: Am Schlagzeug ging es mit dem spielerisch unauffälligen Frank Ferrer (seit 2006 an Bord) optisch in Richtung Metalcore und am zweiten Keyboard steht mit Melissa Reese seit 2016 ein angenehmer Farbtupfer. Natur- bzw. soundgemäß noch herausstechender war Rhythmus-Gitarrist Richard Fortus, der auch schon auf 15 Jahre Bandzugehörigkeit zurückblicken kann und altersmäßig sehr gut zu den Gunners passt, dem eine Drogenvergangenheit aber anscheinend weitgehend erspart geblieben ist.

Weitgehend starke Setlist.

Nach diesem kleinen Exkurs zurück zum Konzert, das mit „Estranged“ (meiner Lieblingsnummer aus dem Repertoire von Gn’R) eigentlich erst so richtig losging. Nun wurde nicht nur der Sound besser, sondern auch das Publikum wachte plötzlich richtig auf. War das die Andacht, mit der die Fans bis zu diesem Zeitpunkt gelauscht hatten? Oder war es einfach ein schwieriger Einstieg in ein so lange erwartetes Konzert? Man wird es wohl nicht mehr erfahren, mit „Estranged“ war die Welt, die vorher schon in Ordnung gewesen war, mit einem Mal fast perfekt. Diese Stimmung, unglaublich. Da konnte auch der Regen, der für ein paar Minuten recht stark prasselte, nichts ändern. Mehr noch, Axl Rose verließ sogar das schützende Bühnendach – so als wollte er den Fans zeigen „ich bin einer von euch“. Wie glaubwürdig das ist, sei dahin gestellt, war mir in dem Moment aber auch vollkommen egal, muss ich sagen.

Nun folgte Hit auf Hit, ich persönlich habe mich besonders über das MISFITS-Cover „Attitude“ gefreut, gesungen von Duff McKagan, dem man ruhig das Mikro hätte lauter drehen sollen. Dann gab es wieder eine kleine Verschnaufpause namens „This I Love“ – man sieht schon, was ich, was die Fans, was alle hören wollten, bevor es mit „Civil War“, „Yesterdays“ und „Coma“ so richtig in die Vollen ging und es auch auf den Rängen niemanden mehr auf dem Platz hielt. Auf das obligatorische Gitarrensolo (meiner Meinung nach schon „damals“ verzichtbar) und das „The Godfather“-Theme folgte der zweitbeste Song der Band, „Sweet Child O’Mine“, bevor mich eine Änderung zur vorher gelesenen Setlist stutzig machte: Statt „My Michelle“ gab es „Used To Love Her“ und „Out Ta Get Me“, was ich super fand (auch wenn „My Michelle“ ebenfalls sehr willkommen gewesen wäre). Das Grande Finale, bestehend aus „November Rain“, „Knockin‘ On Heaven’s Door“, „Nightrain“, „Patience“ und – natürlich – „Paradise City“ wurde durch mehrere Cover-Versionen (ja, ich weiß, BOB DYLAN…) aufgelockert. Am besten hat mir die extrem mächtige Version von SOUNDGARDEN’s „Black Hole Sun“ gefallen, gewidmet natürlich dem unlängst verstorbenen Chris Cornell.

So viel zu den Songs, die genaue Setlist gibt es hier. Deutlich zu sehen ist dabei auch, dass GUNS N‘ ROSES auf einen gar nicht mal so großen Backkatalog zurückgreifen können. Das Œuvre besteht ja auch nur aus fünf regulären Studio-Alben (von denen allerdings nur „Appetite For Destruction“, 1987, sowie die beiden „Use Your Illusion“-Teile, 1991, durchgehend gut sind) und der Cover-Scheibe „‚The Spaghetti Incident?'“ (1993). So ist es kein Wunder, dass nur 20 der 27 Songs auf der Setlist (nimmt man das Gitarren-Solo heraus) wirklich von GUNS N‘ ROSES stammen. Das stört zwar nicht unbedingt, ist aber durchaus eine Erwähnung wert – wobei ich denke, dass es weitere Original-Stücke gegeben hätte, die man gerne spielen hätte können. Wo waren zB „Pretty Tied Up“, „Locomotive“ oder „Get in the Ring“?

Endlich am Ziel.

Die Frage aller Fragen ist aber natürlich, wie es denn nun wirklich war, GUNS N‘ ROSES erstmals live zu erleben. Und das noch dazu mit drei der fünf wichtigsten Protagonisten der Bandgeschichte. Nun, es war… sehr gut. Zumindest für mich. Ich kann es nicht anders sagen – die emotionale Bindung ist auch nach über 20 Jahren noch da und praktisch unverändert stark. Da kann es dann schon passieren, dass man bei „Estranged“ und „Sweet Child O’Mine“ ein paar Tränchen zerdrücken muss. Ganz ehrlich: Ich habe zu diesem Zeitpunkt keine Sekunde an die horrenden Kosten, an die unwürdige Vergangenheit, an den bescheidenen Sound, an „Chinese Democracy“, an Grunge und Heavy Metal oder an sonst was gedacht. Nur an mein eigenes Leben, wie es verlaufen ist und was die Musik von GUNS N‘ ROSES in einer prägenden Phase für einen Anteil daran hatte. Das mag für den Uneingeweihten übertrieben klingen, daran kann ich nichts ändern. Jeder, der Ähnliches erlebt hat, wird es jedoch verstehen.

Ein bisschen Kritik muss sein.

Auf der anderen Seite gibt es – abgesehen von meiner eigenen, nostalgisch-verklärten Brille – nichts, was mich daran hindert, auch einen etwas kritischeren Blick auf das Geschehen am 10. Juli 2017 zu werfen. Traurig war ich mit einem Blick auf die Setlist von Paris, dass „Don’t Cry“ offenbar dem Rotstift zum Opfer gefallen war. Das schien mir übrigens auch eine Frage des Zeitdrucks zu sein, mit dem die Band offenbar zu kämpfen hatte. Denn das fiel schon auf: Es gab keine Ansagen, das ein oder andere „Thank you!“ wurde zwar genuschelt, viel mehr war es aber nicht. Was manche vielleicht positiv sehen mögen („die lassen die Musik sprechen“) – ich bin da jedoch etwas zwiegespalten, Kommunikation mit dem Publikum gehört für mich schon dazu und die hätte ich mir tatsächlich erhofft.

Überhaupt wirkte die Band in der Rückschau distanziert auf mich und schien mit geradezu verbissener Routine und Konzentration zu Werke zu gehen. Schon klar, die wilden Jahre sind lange vorbei, aber das war schon ein wenig … hmmm … wie auswendig gelernt. Der „Abstand“ zum Publikum schien mir recht groß und auch die drei Herren, um die es sich hauptsächlich drehte, vermieden es für mein Gefühl, sich zu nahe zu kommen. Auch, dass die Zugabe direkt und (fast) ohne Übergang nach Ende des regulären Sets gespielt wurde (Haben sie überhaupt die Bühne verlassen? Ich weiß es nicht mehr) und dass mir „Paradise City“ extrem verkürzt vorkam, war ein bisschen merkwürdig. Fast kam es mir vor, als ob ausgerechnet vor dem Wien-Konzert irgend etwas hinter den Kulissen vorgefallen wäre, was ich natürlich nicht bestätigen kann, weil ich keine Vergleichswerte habe. Es wäre jedenfalls gelogen, wenn man sagen würde, dass der Funke vollkommen übergesprungen wäre.


Fazit: Trotz der angeführten Kritikpunkte bleibe ich dabei: Das war ein sehr gutes Konzerterlebnis. Etwas intensiver hätte es ausfallen können – das wäre aber vermutlich nur mit einer anderen Location möglich. Ja, es gab Probleme und nein, sie sind nicht mehr so wild wie früher und wie man sie in Erinnerung hat. Aber das ist egal – ich habe sie endlich gesehen und bin wahnsinnig froh darüber. Wäre ganz gut, wenn GUNS N‘ ROSES sich nochmal in meine Nähe verirren würden – dann kann ich quasi „ohne Druck“ hingehen und mir das Spektakel etwas neutraler ansehen.

 

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FilmWelt: Seventh Son

„Seventh Son“ macht sehr viel richtig: Die Action stimmt, die Effekte passen, die Story ist passabel, die Schauspieler können meistens punkten, der Film ist durchaus unterhaltsam. Leider bleibt die Geschichte für meinen Geschmack etwas zu oberflächlich. Und auch wenn ich weiß, dass „Seventh Son“ vorwiegend unterhalten will, wird mir ein bisschen zu wenig erklärt. Könnte natürlich damit zu tun haben, dass der Film auf einer literarischen Vorlage basiert, die – so meine Vermutung – wesentlich mehr Erklärungsansätze bietet. Nutzt aber nichts – ein Film muss auch für sich alleine funktionieren.

Gesamteindruck: 4/7


Kein Meisterwerk, aber durchaus unterhaltsam.

„Seventh Son“ ist ein brauchbarer Fantasy-Film. Die Story vom Bauernsohn, der auszieht, um ein Held zu werden, ist natürlich bekannt, wird aber erfreulich straff abgehandelt und weiß daher einigermaßen zu unterhalten. Besonders hervorzuheben ist hingegen die Action, die perfekt choreografiert ist und kaum an den wie üblich bis zum Exzess eingesetzten Computer-Effekten leidet. Ich würde sogar behaupten, dass man in einem solchen Film selten derart gute Kampf- und Actionszenen sieht, die noch dazu kaum Längen haben und sich auch nicht gleich abnutzen. Leider ist inhaltlich nicht genug Substanz vorhanden, auch dann nicht, wenn man „Seventh Son“ in erster Linie als kurzweilige Unterhaltung und nicht als dramatisches Meisterwerk auffasst.

Inhalt in Kurzfassung
Ein alter Geisterjäger hat vor vielen Jahren eine böse Hexe zu ewiger Gefangenschaft verbannt. Zumindest dachte er das – viele Jahre später kann sie entkommen und beginnt ihre Gefolgschaft erneut um sich zu scharen. Der „Spook“, wie der Geisterjäger hier genannt wird, hat hingegen nur seinen Gehilfen, den siebten Sohn eines siebten Sohnes, an seiner Seite. Ausbilden muss er ihn im Schnellverfahren. Zusammen bestehen Meister und Lehrling einige Abenteuer, bis sie sich der Hexenkönigin und ihren Untertanen zum letzten Kampf stellen.

Jedem, der schon einmal etwas von der „Geralt“-Saga des polnischen Autors Andrzej Sapkowski bzw. der Computerspiel-Reihe „The Witcher“ gehört hat, wird die Geschichte, die in „Seventh Son“ erzählt wird, bekannt vorkommen. Wobei es weniger die Geschichte an sich ist – vielmehr ist es die Figur des „Spook“, die offenbar stark von eben jenem Hexer Geralt inspiriert wurde. Die Parallelen sind offensichtlich: Sowohl Spook als auch Hexer verdingen sich als eine Art Geisterjäger, der – gegen klingende Münze – allerlei finstere Geschöpfe vernichtet und verbannt. Zimperlich sind beide nicht, was die Wahl der Waffen und die Methoden zur Vernichtung ihrer Gegner betrifft. Und noch eine Gemeinsamkeit gibt es: Weder Spook noch Hexer sind bei den Menschen sonderlich beliebt, werden aber als notwendiges Übel angesehen, um schmutzige und gefährliche Arbeiten zu erledigen. Im Wesentlichen gibt es nur zwei Unterschiede zwischen den Figuren: Einerseits hat der Spook im Gegensatz zum Hexer einen Gehilfen, den er selbst ausbildet, andererseits ist er ein normaler Mensch während der Hexer eine Art magiebegabter Mutant ist. Ansonsten gibt es keine Unterschiede – beide sind intelligent, Meister mit verschiedensten Waffen, ständig übel gelaunt und einem guten Tropfen nicht abgeneigt. Die Vorlage zum Film „Seventh Son“ ist allerdings nicht der Hexer, sondern der „Spook“-Zyklus, eine Fantasy-Reihe für Kinder, geschrieben vom Briten Joseph Delaney. Ob und wie sehr der sich bei Sapkowski bedient hat, kann jeder für sich selbst beurteilen.

Schwache Nebencharaktere, mittelprächtige Hauptfiguren.

Dass die Story das Rad nicht neu erfindet, habe ich bereits erwähnt. Muss sie natürlich nicht – dass so etwas auch gut gehen kann, zeigt „Seventh Son“ meiner Ansicht nach recht deutlich. Der Film unterhält gut, auch wenn ich persönlich die gemeinsame Vergangenheit von Hexenkönigin und Geisterjäger etwas zu dick aufgetragen finde. Darüber kann man allerdings hinwegsehen – ganz im Gegensatz zu den teils recht schwachen Charakteren. Dabei macht es mir nicht einmal etwas aus, dass die Nebenfiguren per se extrem schablonenhaft daherkommen. Dass ihre Geschichte, ihre Motivation und ihre Absichten aber so gar nicht beleuchtet werden, stört mich hingegen schon. Das umso mehr, weil man ja eigentlich das Gefühl hätte, es wäre an dieser Stelle mehr möglich gewesen. Ich hätte beispielsweise zu gerne gewusst, was Radu, der Anführer der Assassinen, mit seiner Armee so gemacht hat, bis ihn die Hexenkönigin zu sich ruft. So ist er eigentlich nur der Befehlshaber über eine Bande von Kanonenfutter. Glatt, ohne Ecken und Kanten wie seine Kollegen, die genau darum nicht wirklich gefährlich sondern wie leichte Beute für den Spook wirken. Das könnte natürlich der Adaption einer Buchvorlage geschuldet sein, die – so meine Vermutung – wesentlich detaillierter sein sollte.

Aber auch von den Hauptfiguren bin ich nicht ganz überzeugt. Jeff Bridges gefällt mir als gealterter Spook sehr gut, hat ein bisschen was von seiner Paraderolle als Jeffrey Lebowsky. Seine Verkörperung des zynischen und vom Leben als Außenseiter gezeichneten Geisterjägers kann jedenfalls überzeugen. Sein Gehilfe Tom Ward, der „Siebte Sohn“, wird passabel von Ben Barnes dargestellt – ein echter Sympathieträger, wie er in dieser Rolle vermutlich sein sollte, ist er jedoch nicht. Julianne Moore als böse Hexenkönigin Mutter Malkin macht ihre Sache recht gut, hätte aber von der Charakterentwicklung her etwas mehr Feinschliff gebraucht. Bleibt noch Alicia Vikander, die das „Halbblut“ Alice spielt. Auch hier gilt: Die Schauspielerin macht ihre Sache ordentlich, die Rolle ist allerdings denkbar klischeehaft angelegt. Leider.

Letztlich ist „Seventh Son“ ein unterhaltsamer Hollywood-Blockbuster. Ob der Film überhaupt mehr sein möchte, weiß ich nicht – ich hätte es definitiv besser gefunden, wenn etwas mehr Tiefe vorhanden gewesen wäre. Dann wäre der Film wohl länger geworden, was aus meiner Sicht auch überhaupt kein Problem gewesen wäre. So gibt es 4 Punkte für einen lässigen Streifen, der sehr kurzweilig daherkommt, bei dem man aber durchgehend das Gefühl hat, dass wichtige Aspekte der Vorlage fehlen.

Gesamteindruck: 4/7


Originaltitel: Seventh Son
Regie: Sergey Bodrow
Jahr: 2014
Land: USA, UK, Russland
Laufzeit: 102 Minuten
Besetzung (Auswahl): Ben Barnes, Jeff Bridges, Julianne Moore, Alice Vikander, Kit Harrington