Marduk
„Nightwing“ (1998) ist der fünfte reguläre Longplayer der schwedischen Black Metaller Marduk. Gleichzeitig ist es auch Teil 1 einer losen Trilogie, die Themen aufgreift, die nach Meinung von Bandgründer Morgan „Evil“ Steinmeyer Håkansson essentiell für den Black Metal sind: Blut, Krieg und Tod (versinnbildlicht durch die Alben „Nightwing“, „Panzer Divison Marduk“ und „La Grande Danse Macabre“). „Nightwing“ steht also für das Blut und ist in sich wiederum zweigeteilt. Und unterschiedlicher könnten die zwei Teile kaum sein.
Gesamteindruck: 6/7
Eine Art Konzeptalbum.
Die Tracks 1 bis 4 auf „Nightwing“ sind unter dem Titel „Dictionnaire Infernal“ zusammengefasst. Musikalisch sind die Stücke – abgesehen vom brauchbaren Intro „Preludium“ – genau in dem pfeilschnellen, brutalen und immer ein bisschen monoton wirkenden Stil gehalten, den man bis heute als typisch für Marduk erachtet (zu unrecht, wie ich übrigens finde). Lyrisch lässt man einen regelrechten Schwall an Verwünschen und Gotteslästerungen auf den Hörer los, was ebenfalls den Erwartungen entspricht, immerhin ist die Band damals angetreten, die böseste und blasphemischste Musik zu machen, die möglich ist. Das alles ist schön und gut, gelingt allerdings nicht immer auf gleich starkem Niveau. Bedeutet im Falle von „Nightwing“: „Bloodtide (XXX)“ prescht zwar gleich ordentlich nach vorne, allerdings ohne großen Wiedererkennungswert. „Of Hells Fire“ ist schon wesentlich besser und der Fan-Favorite „Slay The Nazarene“ toppt das sogar noch, auch wenn die beiden Nummern mit ihren jeweils herausgebrüllten Songtiteln als quasi-Refrain einigermaßen ineinander zu fließen scheinen. Wobei wir konstatieren müssen, dass das Kritik auf hohem Niveau ist, die Stücke sind alle gut, auch weil Marduk trotz aller Härter nie auf ein gerüttelt Maß an Melodie verzichten, die man sich allerdings erst einmal erschließen muss.
Worum es in Teil 2 von „Nightwing“ geht, lässt sich durch den Untertitel „The Warlord of Wallachia“ erahnen: Vlad III., Woiwode der Walachei, auch bekannt als Drăculea („Sohn des Drachen“) oder Țepeș („Pfähler“). Wer jetzt aber denkt, man bekommt hier passend zum übergeordneten Blut-Konzept eine schaurig-romantische Vampirgeschichte serviert, täuscht sich. Die Songs 6 bis 10 sind vielmehr der Versuch, den historischen Vlad, den Fürsten, der gegen die Bedrohung durch das osmanische Reich kämpfte und dem besondere Grausamkeiten nachgesagt wurden, darzustellen. Der inhaltliche Unterschied zu den ersten Songs von „Nightwing“ ist also signifikant, was sich zunächst in den Lyrics äußert, die meines Erachtens mit zum besten gehören, das Marduk bis zu diesem Zeitpunkt – und vielleicht sogar in ihrer ganzen Karriere – geschaffen haben. Man sollte sich tatsächlich die Mühe machen und mitlesen, was Sänger Legion hier zum Besten gibt, denn das gibt der Musik nochmals einen etwas düstereren Touch.
Auch musikalisch unterscheiden sich die Teile von „Nightwing“ deutlich. Im Gegensatz zur Blast Beat-Attacke, die die Tracks 2 bis 4 dominiert, regiert ab dem weder zu „Dictionnaire Infernal“ noch zu“The Warlord of Wallachia“ gehörenden Titeltrack fast schon epische Breite. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Auch die Songs der zweiten Albumhälfte sind reinrassiger Black Metal, ohne Keyboards oder sonstige Sperenzchen. Allerdings gibt es hier deutliche Variationen im Tempo, was ein gehöriges Plus an dunkler Atmosphäre bringt. Ich habe es immer wieder gesagt und kann es auch im Falle von „Nightwing“ nur wiederholen: Bösartigkeit lässt sich nicht zwingend mit Geschwindigkeit gleichsetzen. Ja, der erste Teil des Albums ist düstere und hässliche Musik, die in ihrer Monotonie auch jene hypnotische Wirkung erzeugt, die man am Black Metal schätzt. Mindestens genauso durchschlagskräftig ist aber der zweite Teil, in dem Marduk den brachialen Riffs Platz zum Atmen geben und das Gaspedal nicht vollkommen durchtreten.
Zwei Volltreffer und viel Atmosphäre.
Zwei Tracks haben es mir auf „Nightwing“ besonders angetan. Da wäre zunächst der Titelsong, der ursprünglich als eine Art Hidden Track gar nicht auf der Plattenrückseite genannt wurde. Interessant für einen Song an 5. Stelle der Tracklist – keine Ahnung, ob das Absicht oder ein Fehler war. Dementsprechend kann man die Nummer auch keiner der beiden Albumhälften zuordnen, weder von ihrer Platzierung her noch inhaltlich. Musikalisch, und das ist ja das Wichtigste, bietet „Nightwing“ einen unwiderstehlichen Riff, der – so ehrlich muss man sein – allerdings nicht direkt aus der Feder von Marduk stammt, sondern auf der Musik zu einem B-Horror-Serie basiert („Subspecies“, lief wohl von Anfang bis Ende der 1990er, hat aber meines Wissens nie den Sprung nach Europa geschafft; hier kann man reinhören). So oder so – wer Legions legendären Anfangs-Schrei „Nightwiiiiiing…!“ hört und nicht sofort gepackt wird, ist hier wohl bei der falschen Band.
Gleich auf diese Hausnummer folgt mit „Dreams Of Blood And Iron“ die Eröffnung von „The Warlord of Wallachia“ und damit des langsameren, dunkleren Teils von „Nightwing“. Dieser Song ist fast schon eine Doom-Nummer, so langsam wabern die sinistren Riffs aus den Boxen. Der Gesang steht durch das gemäßigte Tempo noch mehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und ist – vielleicht gerade dadurch – von faszinierender Bösartigkeit. Ich gehe mal davon aus, dass genau solche Songs maßgeblich zum Legendenstatus von Sänger Legion beigetragen haben (neben seinem extravaganten Verhalten auf der Bühne, das mehr zu einer Rock-Band und weniger zu Marduk passt, aber ich schweife ab).
Auch „Dracole Wayda“, das tatsächlich über Textzeilen mit Wiedererkennungswert verfügt, kann man nicht meckern. Starker Song. Ebenso das ziemlich obskure Outro, eine Art Marsch, den Marduk – böse Buben, die sie nun mal sind – mit einem Sample aus dem italo-faschistischen „La Lupta Muncitori“ enden lassen. Meines Erachtens die erste derartige Provokation in der Karriere der Band – es sollte bei weitem nicht die letzte bleiben. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass man zu solchen Mitteln gegriffen hat, weil man mit dem klischeehaft-plakativen Satanismus kaum jemanden erschrecken konnte. Ob das so ist, bleibt wohl das Geheimnis von Mastermind Morgan Håkansson.
Zwischen diesen zwei abseits Provokationen guten Songs gibt es mit „“Kaziklu Bey (The Lord Impaler)“ die schnellste Nummer in der zweiten Albumhälfte. Hätte ich so nicht gebraucht, bringt zwar Abwechslung in den ruhigeren Teil der Platte, krankt aber am bereits genannten Problem der Wiedererkennbarkeit. Die Nummer rauscht einfach so durch, würde ich sagen. Und dann gibt es da noch „Deme Quaden Thyrane“. Ja, richtig, ein Song dieses Namens befand sich schon vier Jahre vor der Veröffentlichung von „Nightwing“ auf „Opus Nocturne“. Wozu diese Neueinspielung gut ist? Ich weiß es nicht. Ein wenig wurde der Song verändert, die Produktion wurde angepasst und – natürlich – stammt der Gesang in dieser Variante von Legion. Geschmacksache, viel mehr fällt mir dazu ehrlich gesagt nicht ein. Ich persönlich finde eigentlich die alte Aufnahme besser – die Produktion war kühler und die unheilvoll gesprochenen Worte am Anfang waren irgendwie passender als das unvermittelte Gekreische von Legion. Aber das mögen andere ganz anders sehen.
Guter Sänger, mieses Cover.
A pro pos Legion: Der Sänger stellt sich auf seinem zweiten Marduk-Album wesentlich stärker dar, als noch auf „Heaven Shall Burn… When We Are Gathered“ (1996). Er hat seinen Platz eindeutig gefunden und ist tatsächlich eine Bereicherung für die Kompositionen. Das wird übrigens sowohl bei den schnellen als auch bei den atmosphärischen Tracks sehr deutlich. Bei letzteren fällt es naturgemäß stärker auf, dass der Schreihals durchaus in der Lage ist, die Songs entsprechend ihrer Stimmung zu veredeln. Was allerdings noch deutlicher wird, als auf dem Vorgängeralbum: In jenen Jahren scheint es bei Marduk eine Tendenz gegeben zu haben, möglichst viel Text in gar nicht so langen Songs unterzubringen. Das mal belächelte, mal als Kult gefeierte „Darkness It Shall Be“ auf „Opus Nocturne“ war schon ein Fingerzeig in diese Richtung, auf „Nightwing“ fragt man sich zum Teil, wie überhaupt jemand so viel Text lernen konnte. Das führt teilweise dazu, dass man sich wünscht, Legion würde ab und an eine Pause einlegen, damit man wenigstens ein bisschen mehr von der Musik mitbekommt. Ein Schelm, wer denkt, dass Marduk damit die sich im Endeffekt doch relativ häufig wiederholenden Riffs verstecken wollten…
Ein Wort noch zum Albumcover: „Nightwing“ setzt die Serie der miesen Cover, die mit „Opus Nocturne“ begonnen hat, nahtlos fort und ist meiner Ansicht nach der absolute Tiefpunkt in dieser Kategorie. Also nicht insgesamt, da gibt es noch ganz andere Dinger, aber zumindest Marduk haben nichts in petto, das noch schlechter ist. Waren die Bilder, die man für „Opus Nocturne“ und „Heaven Shall Burn…“ verwendet hat, einfach nur unpassend weil naiv, kitischig und fantasy, ist das Cover von „Nightwing“ einfach nur grottenschlecht. Kein Wunder, dass es für den Re-Release (2008) komplett durch ein anderes ersetzt wurde.
Gesamteindruck passt.
Interessant ist, dass unterm Strich trotzdem ein ins sich stimmiges Gesamtwerk herausgekommen ist. Mag sein, dass es an zündenden Ideen für Riffs und Drums fehlte und man das mehr oder minder geschickt zu verstecken versuchte. Aber merkwürdigerweise fügt sich dennoch alles sehr gut zusammen und „Nightwing“ ist nicht langweilig, biedert sich aber auch nirgendwo an und wirkt sehr gut abgestimmt. Wie gesagt: Interessant. Und 6 von 7 möglichen Punkten wert.
Track – Titel – Länge – Wertung
- Preludium – 2:09 – 4/7
- Bloodtide (XXX) – 6:44 – 4/7
- Of Hell’s Fire – 5:22 – 5/7
- Slay The Nazarene – 3:49 – 6/7
- Nightwing – 7:35 – 7/7
- Dreams Of Blood And Iron – 6:20 – 7/7
- Dracole Wayda – 4:08 – 6/7
- Kaziklu Bey (The Lord Impaler) – 4:02 – 4/7
- Deme Quaden Thyrane – 5:07 – 5/7
- Anno Domini 1476 – 2:14 – 6/7
Gesamteindruck: 6/7
Marduk auf “Nightwing” (1998):
- Legion – Vocals
- Evil – Guitar
- Bogge – Bass
- Fredrik Andersson – Drums
Anspieltipp: Nightwing