FilmWelt: Der Hauptmann

Der Gedanke, dass Kleider Leute machen, ist nicht neu und hat seinen fixen Platz in Kunst, Literatur und Film; gerne wird der Hochstapler dabei als liebenswerter Tölpel dargestellt. „Der Hauptmann“ ist hingegen eine durchwegs verstörende Variante dieses Themas. Das wäre auch der Fall, wenn die Handlung fiktiv wäre – dass der Film allerdings auf Ereignissen basiert, die tatsächlich so stattgefunden haben, sorgt für ein besonders beklemmendes Gefühl. Wie genau das filmische Porträt eines Kriegsverbrechers den tatsächlichen Begebenheiten entspricht, wage ich nicht zu beurteilen – ein sehenswerter Film ist unter der Regie von Robert Schwentke in jedem Fall entstanden. 

Gesamteindruck: 7/7


Kleider machen Leute.

Die meisten heute lebenden Menschen stellen sich die Zeit des Nationalsozialismus so vor, wie man sie aus zahlreichen Film- und Fotodokumenten kennt: Schwarz-Weiß. An dieser ganz speziellen Sichtweise auf das dunkelste Kapitel in der Geschichte Europas ändern auch nach-kolorierte Dokumentationen und eine Vielzahl an Kriegsfilmen in Farbe nichts. Genau dieses kollektive Bild einer schwarz-weißen Epoche macht sich „Der Hauptmann“ zu Nutze. Übrigens ist das nicht der erste Film, der so gedreht wurde – man denke z.B. an „Schindler’s Liste“, der durch den Wegfall der gewohnten Farben ebenfalls eine ordentliche Schippe an Düsterkeit gewinnt.

Inhalt in Kurzfassung
Deutschland, Anfang April 1945: Der Gefreite Willi Herold, ein Deserteur, findet hinter der Front in einer Feldkiste die Uniform eines Offiziers. Er nutzt diese Gelegenheit, um sich neu einzukleiden und stellt schnell fest, dass Uniform und forsches, selbstbewusstes Auftreten tatsächlich reichen, um als Hauptmann durchzugehen. In weiterer Folge gelingt es ihm, eine Anzahl an versprengten Soldaten um sich zu scharen und ohne jemals Marschbefehl oder Soldbuch vorweisen zu müssen, der Feldgendarmerie zu entgehen. Schließlich übernimmt der vermeintliche Hauptmann sogar das Kommando über ein Gefangenenlager und nutzt seine neue Stellung gnadenlos aus.

Ironie des Schicksals: Der Fahnenflüchtige Willi Herold wird dank einer zufällig gefundenen Uniform zum Hochstapler, der sich schließlich zum Richter und Vollstrecker aufschwingt und seinerseits die Beseitigung von Deserteuren befiehlt, oft auch selbst erledigt. Das alles ohne, dass der junge Mann jemals einen Befehl dazu erhalten hätte, sondern offenbar nur deshalb, weil er es kann. Was macht den Reiz einer solchen Geschichte aus?

Einerseits ist da die Realität des Gezeigten. „Der Hauptmann“ ist echt, so – oder zumindest so ähnlich – ist es 1945 passiert. Es ist also nicht möglich, den unbequemen Fragen, die der Film aufwirft, zu entkommen, weil es eben keine Fantasie ist, die da auf den Zuschauer hereinprasselt. Es gab in der Endphase des 2. Weltkrieges tatsächlich einen 21-jährigen (!) Soldaten, der – vermutlich desillusioniert und verängstigt – von seiner Einheit getrennt wurde, eine Uniform anzog und der damit einhergehenden Macht unterlag. Ob Willi Herold erst durch die Offiziersuniform zum gewissenlosen Mörder wurde oder diese Anlagen schon vorher (als Gefreiter oder vielleicht noch früher) in sich trug, ist ein Thema, über das man automatisch nachdenkt, wenn man den Film gesehen hat.

Andererseits reicht der Film weit über die Frage nach Moral und Anstand der Person Willi Herold hinaus. Als Zuseher sieht man sich ständig mit der Überlegung konfrontiert, wie man selber handeln würde. Die Uniform verspricht Macht – und gewährt sie in jenem System auch. Und zwar so sehr, dass alle Grenzen, Gesetze und Normen, die es sogar in dieser finsteren Zeit gab, aufgehoben werden und der Träger der Uniform tatsächlich tun und lassen kann, was er will. Dass das eine Versuchung ist, werden die Wenigsten bestreiten können, es bleibt zu hoffen, dass man seine Macht besser eingesetzt hätte, als der vermeintliche Hauptmann es getan hat. Das gilt übrigens auch für die Männer, die er um sich schart und die zum Teil zu ahnen scheinen, dass es mit der unbeschränkten Vollmacht, verliehen vom „Führer“ höchstpersönlich, nicht so weit her ist. Wer hätte es an deren Stelle wohl gewagt, sich den Befehlen offen zu widersetzen? Unbequeme Fragen, fürwahr. Darum ertappt man sich wohl häufiger dabei, Willi Herold als „Kind seiner Zeit“ abzutun und damit praktisch zu entschuldigen, als es dem reflektierten Zuseher lieb sein kann. Denn gerade der Beginn des Films zeigt den späteren Henker vom Emsland als normalen, verängstigten, jungen Mann, mit dem sich jeder Kriegsgegner gut identifizieren kann.

Sauber inszeniert.

„Der Hauptmann“ bietet also einige moralisch-philosophische Denksportaufgaben. Angesichts dessen gerät fast ein wenig in den Hintergrund, dass der Film handwerklich sehr gut gemacht und inszeniert ist. Das Schwarz-Weiß funktioniert ausgezeichnet, ist zum Einen geeignet, die trostlose Endzeit-Stimmung im kurz vor dem Zusammenbruch stehenden deutschen Reich einzufangen, bedient zum Anderen unser kollektives Geschichtsbild (siehe oben) und sorgt drittens dafür, dass man als Zuseher auf andere Dinge achtet als auf leuchtend rotes Filmblut. Der Wahnsinn, der auf der Leinwand dargestellt wird, verstärkt sich durch die Geräuschkulisse des Krieges, industriell anmutender Musik und den Schlagern aus jener Zeit. All das verbindet sich zu einem Strudel aus Gewalt und Irrsinn, der den Zuseher ab und an mitten ins Geschehen zu reißen scheint.

Die Handlung ist bei einer filmischen Biografie ohnehin vorgegeben. Einige Freiheiten wird sich der Regisseur sicher genommen haben, wirklich störend ist das nicht. Maximal die Szene, in der der Hochstapler nach seiner ersten Gefangennahme und dem Verhör entkommt, mutet merkwürdig an. Auch, dass nicht erzählt wird, wie Willi Herold 1946 den Tod fand, fand ich ein wenig unglücklich (er wurde übrigens von der britischen Militärregierung hingerichtet). Abgesehen davon finde ich am Gesamtpaket nichts auszusetzen. Noch ein Wort zu den Darstellern: Sie alle machen ihre Sache sehr gut. Vor allem der junge Schweizer Max Hubacher kann in der Hauptrolle glänzen und vermag ein sehr mulmiges Gefühl beim Zuseher auszulösen. Erwähnenswert auch der einzige moralische Kontrapart im Film, personifiziert durch Milan Peschel, der als Gefreiter Freytag gleichzeitig der erste ist, der sich Herold anschließt, später aber als einziger Bedenken hat. Freilich hindert das auch ihn letztlich nicht daran, sich an den Verbrechen zu beteiligen, die der „Hauptmann“ befiehlt.

Als persönliche Randnotiz sei angemerkt, dass ich es erstaunlich finde, wie es Herold in dem von schwerfälliger und überbordender Bürokratie gekennzeichneten NS-Staat gelungen ist, unerkannt zu bleiben. Auch, wenn es nicht lange währte, ist doch bemerkenswert, wieviel Unheil er in dieser Zeit anrichten konnte, ohne, dass es einen wie auch immer gearteten Befehl dazu gegeben hat. Einerseits zeugt das vermutlich von unglaublichem Charisma, andererseits hatte er es wohl nicht allzu schwer, Erfüllungsgehilfen zu finden, die ihn gewissenlos bei seinem Tun unterstützt haben. Was davon bedenklicher ist, kann man kaum beurteilen – fest steht jedoch, dass Willi Herold gemordet hat, weil er a) die Gelegenheit hatte und b) es von sich aus tun wollte. Denn einen Befehl dazu hatte er nie.

Fazit: Volle Punktezahl für ein rundum gelungenes Porträt und einen stimmungsvoll-düsteren Film, der keine Längen aufweist. Sowohl inhaltlich als auch handwerklich hat sich Regisseur Robert Schwentke hiermit ein Denkmal gesetzt.

Gesamteindruck: 7/7


Originaltitel: Der Hauptmann
Regie: Robert Schwentke
Jahr: 2017
Land: GER, FRA, POL
Laufzeit: 119 Minuten
Besetzung (Auswahl): Max Hubacher, Milan Peschel, Frederick Lau, Waldemar Kobus, Alexander Fehling



 

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MusikWelt: La Grande Danse Macabre

Marduk


Mit „Panzer Division Marduk“ hatten die Schweden Marduk 1999 ein Ausrufezeichen besonderer Art gesetzt. Das in manchen Fankreisen geradezu kultisch verehrte Werk begründete den Ruf der Band, die schnellsten, bösesten und härtesten unter den Black Metaller der alten Schule zu sein. Und: Gar nichts anderes zu können als Blast Beats und Tremolo Picking. An diesem (falschen) Eindruck konnten weder die wesentlich abwechslungsreicheren Vorgänger noch der 2001 erschienene Nachfolger „La Grande Danse Macabre“ so richtig rütteln. 

Gesamteindruck: 3/7 2/7


Keine runde Sache.


*** UPDATE (15. Jänner 2019) ***

Ursprünglich hatte ich dieses Album mit einem Gesamteindruck von 3/7 bewertet. Nach weiteren Durchgängen und Vergleichen mit anderen Platten der Band erscheint mir diese Wertung zu hoch, sodass ich auf 2/7 abwerten muss.


Wer Marduk mit „Panzer Division Marduk“ kennengelernt hat und/oder jenes Werk als das Nonplusultra der Schweden betrachtet, wird nach dem ersten Durchlauf von „La Grande Danse Macabre“ verwundert auf das Bandlogo schielen. Und dabei feststellen, dass sich der Schriftzug mindestens ebenso sehr verändert hat wie die Musik. Ja, finster sind sie auch auf Album Nummer 7, die Jungs um Gitarrist Morgan Steinmeyer Håkansson. Allerdings lenkt „Der große Totentanz, so die Übersetzung des französischen (!) Albumtitels, die Düsternis in andere musikalische Bahnen als es auf dem Hassbolzen mit dem Panzer am Cover der Fall war. Randnotiz: Mit „La Grande Danse Macabre“ schließen Marduk die mit „Nightwing“ (1998) und „Panzer Divsion Marduk“ begonnene Trilogie um die Themen Blut, Krieg und Tod ab.

Zur Beruhigung: Ganz ohne Highspeed kommen die Norrköpinger freilich auch auf „La Grande Danse Macabre“ nicht aus. Mit „Azrael“ gibt es gleich zu Anfang eine Nummer, die direkt aus den Songwriting-Sessions zu „Panzer Divsion Marduk“ stammen könnte. Und es vielleicht auch tut – in der Gerüchteküche heißt es zumindest, dass einige Songs des 2001er-Albums bereits 1999 geschrieben, dann aber aufgehoben wurden; zum Teil aufgrund der zu geringen Geschwindigkeit. Merkwürdige Herangehensweise, die aus meiner Sicht weder „Panzer Division Marduk“ noch „La Grande Danse Macabre“ gut getan hat. Neben „Azrael“ hätten auch „Obedience Unto Death“ und „Jesus Christ… Sodomized“ auf dem Vorgänger stehen können. Allein, während „Azrael“ seine Momente hat, wirken die zwei letztgenannten Stücke wie ungeliebte Überbleibsel und hätten sich auch 1999 unter den schwächeren Tracks eingereiht.

Der generelle Tenor auf „La Grande Danse Macabre“ ist ohnehin ein anderer: Regelrecht doomig walzt sich der Großteil der Songs aus den Boxen. Nun ist es ja nicht so, dass man das von Marduk gar nicht kennen würde – auf „Nightwing“ standen bereits Jahre zuvor mehrere langsame Stücke. Und auch sonst hat sich – abgesehen von „Panzer Division Marduk“ – immer mal wieder ein richtiger Stampfer in die Tracklists geschlichen. Was ich selbst immer goutiert habe, weil ich finde, dass den Schweden ein gemäßigteres Tempo gut zu Gesicht steht und ihre Bösartigkeit wesentlich eindrucksvoller unterstreicht.

Man ahnt schon, dass nun ein „Aber“ folgen muss. Und so ist es auch, denn auf „La Grande Danse Macabre“ sind weder die schnellen, noch die langsameren Nummern so gelungen, wie man sich das erhofft hätte. In der Theorie sind alle Zutaten vorhanden: Schwere, malmende Riffs, ein Gutteil Melodie, es gibt Solos, die Produktion (aufgenommen wurde einmal mehr in den Abyss-Studios mit Tommy und Peter Tägtgren an den Reglern) ist sehr stark und organisch und Legion krächzt sich in seiner unnachahmlichen Art durch die Nummern. In Summe sorgt das dafür, dass dieses Album dem nicht an Black Metal gewöhnten Hörer weniger abschreckend erscheinen dürfte, als der bisherige Output von Marduk.

Schwere Kost.

Freilich bedeutet das nicht, dass „La Grande Danse Macabre“ leichtfüßig und zugänglich daherkommt. Im Gegenteil, mir hat sich die Platte als Gesamtwerk auch nach vielfachem Hören nicht so richtig erschlossen. Das war bei keinem der vorher erschienen Marduk-Alben der Fall. Ja, das Debüt „Dark Endless“ (1992) ist unvollkommen und irgendwo auch unspektakulär, aber auf seine Weise dennoch gut hörbar. Ja, „Panzer Division Marduk“ ist anstrengend und monoton, hat aber immerhin einen roten Faden. Und ja, „Nightwing“ besteht aus zwei Einzelteilen, klingt aber trotzdem (fast) wie aus einem Guss. All das lässt sich über den 2001er-Longplayer nicht sagen, so hart das klingen mag und so ungern man das hörbare Bemühen um Abwechslung verreißen möchte.

Eine richtige Linie kann ich jedenfalls nicht heraushören. Auf das gitarrendominierte Intro „Ars Moriendi“ (klingt fast, als hätten sich Satyricon davon bei „Voice Of Shadows“, der Eröffnung ihres 2013er-Albums „Satyricon“ , inspirieren lassen) folgt der Brecher „Azrael“, gleich darauf gibt es mit „Pompa Funebris 1660“ ein weiteres, eher gemächliches Instrumental, gefolgt von einer weiteren Highspeed-Nummer. Sehr merkwürdiger Einstieg in das Album, der es mir schwer macht, aufmerksam zu bleiben. Danach geht es im doomigen Doppelpack und zweifacher Überlänge (für Marduk-Verhältnisse) weiter: Zunächst „Bonds of Unholy Matrimony“, das mir zu langatmig ausgefallen ist, dann der durchaus überzeugende Titeltrack, der mit mehr als 8 Minuten (!) zu Buche schlägt. Diese Nummer bildet mit ihren tonnenschweren Riffs das Fundament des Albums und verhindert, dass „La Grande Danse Macabre“ komplett aus dem Leim geht. Ein stoischer Rhythmus, der erstmals auf dieser LP für hypnotische Konsistenz sorgt. Gefällt! Danach gibt es mit „Death Sex Ejaculation“ und „Funeral Bitch“ zwei weitere Nummern, die trotz ihrer peinlichen Titel gut gelungen sind, bevor es mit dem fast schon als Halbinstrumental zu bezeichnenden „Summers End“ und dem bereits erwähnten „Jesus Christ… Sodomized“ nochmal bergab geht.

All das ist ziemlich schwere Kost. Das aber nicht unbedingt im positiven Sinn, obwohl die Riffs selbst großteils sehr heavy sind und wissen schon zu gefallen. Nur hilft alles nichts, wenn die Tracks per se unfertig und uninspiriert klingen. Das Songwriting ist – über das ganze Album betrachtet – schwach, sodass „La Grande Danse Macabre“ letztlich weder im Hinblick auf das Gros der einzelnen Nummern noch als Gesamtalbum etwas taugt. Und auch das Konzept des Todes ist schön und gut, schlägt sich im Hinblick auf den Gesamteindruck aber bei weitem nicht so eindrucksvoll nieder, wie auf den zwei Vorgängern. Schade, aber für mich definitiv einer der schwächsten Outputs aus dem Hause Marduk.


Track – Titel – Länge – Wertung

  1. Ars Moriendi – 1:50 – 4/7
  2. Azrael – 3:07 – 5/7
  3. Pompa Funebris 1660 – 2:36 – 3/7
  4. Obedience Unto Death – 3:16 – 3/7
  5. Bonds of Unholy Matrimony – 7:03 – 4/7
  6. La Grande Danse Macabre – 8:11 – 6/7
  7. Death Sex Ejaculation – 5:11 – 5/7
  8. Funeral Bitch – 4:58 – 5/7
  9. Summers End– 4:40 – 3/7
  10. Jesus Christ… Sodomized – 4:33 – 2/7

Gesamteindruck:  3/7 2/7 


Marduk auf “La Grande Danse Macabre” (2001):

  • Legion – Vocals
  • Morgan Steinmeyer Håkansson – Guitar
  • B. War – Bass
  • Fredrik Andersson – Drums

Anspieltipp: La Grande Danse Macabre

SerienWelt: Lost In Space (2018) – Staffel 1

Remakes von alten Filmen, aber auch von Serien, sind schwer in Mode. Das kann einem gefallen oder auch nicht: Gegner beklagen den Mangel an neuen Ideen und die zum Teil arg lieblosen Neufassungen, Befürworter freuen sich über Updates mit aktuellem Anstrich und sind häufig der Meinung, dass früher ohnehin alles besser war. Streaming-Anbieter Netflix versucht sich ab 2018 an einem Remake von „Verschollen zwischen fremden Welten“, einer klassischen Science Fiction-Serie der 1960er Jahre.

Gesamteindruck: 3/7


Bruchlandung.

Nimmt man es ganz genau, ist „Lost In Space“ das Remake einer bereits 1998 als Hollywood-Film adaptierten TV-Serie, die auf einem Comic („Space Family Robinson“, 1962) basiert. Dieser hat wiederum ein Kinderbuch („Der Schweizerische Robinson“, Johann David Wyss, 1798) zur Vorlage, das seinerseits eine Adaption von „Robinson Crusoe“ (Daniel Defoe, 1719) darstellt. Insofern ist der Stoff nicht an die 60, sondern 200 Jahre alt, wenn man so will. Übrigens: Ich habe kein grundsätzliches Problem mit Remakes. Im Gegenteil, die Neuauflage von „Battlestar Galactica“ (2004-2009) ist beispielsweise eine meiner absoluten Lieblingsserien und schlägt das Original in praktisch allen Belangen. Von der Klasse eines „BSG“ ist „Lost In Space“ jedoch Lichtjahre entfernt – doch der Reihe nach.

Inhalt in Kurzfassung
In naher Zukunft wird die Erde immer unbewohnbarer. Einzige Chance für die Menschheit scheint die Besiedelung einer neuen Welt im Sternensystem Alpha Centauri zu sein. Unter den wenigen Auserwählten, die die Reise antreten dürfen, ist die fünfköpfige Familie Robinson. Als das Kolonieschiff „Resolute“ auf dem Weg zur neuen Welt schwer beschädigt wird, können sich die Robinsons auf einen unbekannten Planeten retten. Dort müssen sie um ihr Überleben kämpfen.

Die Grundprämisse der „Robinsonade“ ist das Stranden auf der einsamen Insel. Ganz so allein wie weiland Robinson Crusoe ist man allerdings nur zu Beginn von „Lost In Space“. Und auch an anderen Schrauben wurde sanft gedreht, um die Serie aus den 1960ern in die Gegenwart zu holen: Von der harmonischen Familie mit den braven Kindern ist praktisch nichts übrig – so erfahren wir, dass die Eltern John und Maureen Robinson seit Längerem getrennt sind und kurz vor der Scheidung stehen. Die älteste Tochter Judy ist dunkelhäutig, stammt aus erster Ehe und ist eine Art Universalgenie. Ihre Halbschwester Penny steht in milder Konkurrenz zu ihr und übernimmt den ironisch-komischen Part. Und dann wäre da noch Will, jüngster Spross, ebenfalls sehr intelligent, gleichzeitig aber auch als einziges Familienmitglied verletzlich und emotional. Mehr oder weniger rebellisch sind alle drei Kinder.

Neben den Robinsons gibt es drei weitere Hauptrollen. Der Antagonist nennt sich wie im Original Dr. Smith, ist 2018 allerdings weiblich und hat eine dubiose Hintergrundgeschichte spendiert bekommen. Mit dabei außerdem wie schon in den 1960ern Don West, der allerdings als Techniker/Schmuggler. Und auch der Roboter, mit dem sich Will Robinson anfreundet, darf nicht fehlen. Dessen außerirdischer Ursprung und sein bedrohliches Äußeres haben nichts mehr mit seinem plump-freundlichen Pendant aus der Original-Serie zu tun.

All das klingt zunächst sehr positiv und spannend. Im Übrigen weiß auch die Technik zu überzeugen: Alles an „Lost In Space“ sieht geradezu unverschämt gut aus. Das beginnt bei den realistisch wirkenden Raumschiffen und Fahrzeugen sowie den gut gemachten Kostümen, setzt sich beim Planeten mit seinen spektakulären Außenaufnahmen fort und reicht bis zum wunderschön dargestellten Weltraum. Nichts auszusetzen gibt es außerdem an Kamera, Schnitt und Special Effects – alles fügt sich sehr gut ins Gesamtbild. Lediglich der dramatische Soundtrack ist für meinen Geschmack ein wenig zu vordergründig, aber das ist bei Weitem kein Beinbruch. Was sind also die Probleme an „Lost In Space“, wenn Idee und Technik passen? Man kann es leicht erraten: Die Serie krankt massiv an Drehbuch und Charakterdarstellung. Ich bin sogar versucht zu sagen, dass man in diesen beiden so wichtigen Bereichen praktisch alles falsch gemacht hat.

Kommt nicht richtig in Schwung.

Beginnen wir mit dem Drehbuch: Die Autoren bringen jedes Mitglied der Hauptbesetzung in den 10 Episoden der Staffel praktisch durchgängig in vermeintlich ausweglose, gefährliche Situationen. Das muss per se nicht problematisch sein, gewisse Action-Serien arbeiten auch mit solchen Mitteln und wissen trotzdem zu unterhalten. Nun ist „Lost In Space“ mit seinen stark aufeinander aufbauenden Folgen aber vollkommen anders angelegt als „Knight Rider“ oder von mir aus auch „Stargate – Kommando SG-1“. Heißt: Die Serie sollte eigentlich ein (Familien-)Drama sein, garniert mit gut gemachten, zweckmäßigen Action-Sequenzen. Leider hat man ständig das Gefühl, dass ein Missverhältnis zwischen diesen beiden Polen besteht; eine Vielzahl an Szenen bringt weder die Serie als Ganzes noch die Charaktere, die darin agieren, voran. Schlimmer noch, einige Sequenzen wirken wie Lückenfüller, damit die Spielzeit von rund 50 Minuten pro Folge überhaupt erreicht wird. Es ist, als hätte man sich im Vorhinein viel zu wenige Gedanken darüber gemacht, wo man eigentlich hin möchte. Oder als wären die Bücher für 30-minütige Episoden geplant gewesen und Netflix hätte in letzter Minute gesagt: „Es müssen 50 Minuten sein!“ So funktioniert es aber nicht, man hat den Eindruck von Stückwerk und die Serie kommt einfach nicht richtig in Schwung, ist nicht rhythmisch, wenn man so will.

Ein Beispiel dazu: Maureen Robinson will in einer Episode mit einer Art Ballon in die Atmosphäre des namenlosen Planeten aufsteigen, um von dort aus einen besseren Blick auf die Sonne zu haben. Warum auch immer – die Erklärungen für solche Handlungen sind in „Lost In Space“ gerne mal an den Haaren herbeigezogen und geraten entsprechend schnell in Vergessenheit. Bevor sie das schafft, wird ihr Fluggerät vom Wind erfasst, schleift sie über den Boden und lässt sie fast in eine Schlucht stürzen. Dieser Zwischenfall hat allerdings keinerlei Auswirkung auf den Erfolg ihrer Mission oder die Entwicklung ihres Charakters, ist also vollkommen irrelevant. Derartige Dinge kommen immer wieder vor, sodass man sich fragt, was uns die Produzenten damit sagen wollen – für mich macht das „Lost In Space“ zu einer Anhäufung von Unwahrscheinlichkeiten und Situationen, in denen man einen Deus ex machina bemühen muss. Das mag auch in anderen Serien immer wieder vorkommen, so geballt, wie in dieser Netflix-Produktion habe ich es aber noch nie erlebt. Erschwerend kommt die Vorhersehbarkeit gewisser Handlungen und Situationen hinzu – so wird zum Beispiel in einer Weltraumszene eine Harpune abgeschossen, um driftende Crewmitglieder zu bergen. Die Kamera fängt ein, wie das Seil, an dem die Harpune hängt, auf sein Ziel zuschießt, sich abwickelt, immer länger und länger wird – und weiß sofort, dass die Länge nicht ausreichen wird. Und genau so kommt es dann auch.

Keine Identifikationsfiguren.

Während das Drehbuch meiner Meinung nach die Orientierungslosigkeit der Verantwortlichen offenlegt, haben die Charaktere mit einem ganz anderen Problem zu kämpfen: Der Versuch einer moderneren Inszenierung der 1960er-Vorzeigefamilie scheitert gnadenlos an deren dümmlicher Darstellung (und damit meine ich nicht die schauspielerische Leistung, die allerdings auch nicht Emmy-verdächtig ist). So ist zum Beispiel die Idee, dass man die Hintergrundgeschichten zu den Figuren immer wieder in kleinen Rückblenden erfährt, gut. Nur sind die Häppchen, die dabei serviert werden, sehr klein, sodass sich das Gefühl von Tiefe sehr langsam einstellt – wenn überhaupt. Im Endeffekt ist das aber fast egal, weil das großteils unrealistische Verhalten der Raumfahrer alles andere überdeckt. Zu allem Überfluss betrifft das nicht nur die Hauptpersonen, sondern auch die später eingeführten Nebencharaktere.

Was meine ich damit? Es kommt in „Lost In Space“ beispielsweise immer wieder zu brenzligen Situationen weil man trotz des gemeinsamen Schicksals stets das eine oder andere Geheimnis voreinander hat. Dass so etwas für gruppendynamische Prozesse und damit Spannung in einer Serie sorgen kann, haben andere Shows bewiesen – hier ist es allerdings so, dass dieses Gehabe hoffnungslos aufgesetzt und an den Haaren herbeigezogen wirkt. Womit sich der Kreis zu den Mängeln im Drehbuch wieder schließt. Denn wenn man es nicht schafft, seine Charaktere sympathisch oder wenigstens interessant zu gestalten, versucht man eben, sich über Tricks zu retten, die Tiefe vorgaukeln sollen. Das kann funktionieren, tut es im Falle von „Lost In Space“ aber nicht.

A pro pos „Sympathie“: Es ist schon ein Kunststück, bei einer Kernmannschaft von 7 Hauptpersonen (8, wenn man den wortkargen Roboter dazu rechnet) praktisch niemanden hat, der Sympathien beim Zuseher zu wecken vermag. Dafür fehlt es entweder an Charisma (Vater, Mutter, älteste Tochter) oder dümmlich-peinliche Dialoge stehen im Weg (jüngere Tochter, der Techniker). Für mich unerwartet ist es ausgerechnet der jüngste Sohn, dessen Rolle am besten funktioniert und dessen Darstellung verhältnismäßig wenig nervt. Brauchbar geschrieben wurde auch die Antagonistin, die weniger bösartig, sondern eher verschlagen wirkt, gleichzeitig sogar ein wenig Mitleid weckt. Sympathisch geht anders, ist aber immerhin einigermaßen interessant und annehmbar von „Independent-Queen“ Parker Posey gespielt. Das zeigt aber gleichzeitig auch eine Facette des Problems mit der Charakterdarstellung: Die Familie ist dysfunktional, außerhalb gibt es einen halb-lustigen Techniker und eine Schurkin. Mit wem soll man sich als Zuseher identifizieren? Mir persönlich war das praktisch unmöglich und wäre einer der Charaktere ums Leben gekommen, hätte das bei mir keine Emotionen geweckt. In manchen Fällen hätte ich mich sogar gefreut – was kaum Sinn und Zweck der Übung sein kann.

Hoffnung auf Staffel 2.

Ob ich mir eine weitere Staffel dieser Serie antue, weiß ich noch nicht. Der finale Cliffhanger spricht schon dafür, ein paar offene Fragen wurden durchaus geschickt eingebaut – und die Antworten würde ich gerne erfahren. Dass man die Fortsetzung kaum erwarten kann (wie es z.B. bei „Game of Thrones“ der Fall ist), ist dennoch nicht der Fall. Paradoxerweise hat das auch was mit dem Finale zu tun, dessen letzter Twist dafür sorgt, dass die 10 Folgen von Staffel 1 mit einem Schlag quasi ihre gesamte Bedeutung verlieren. Das wäre rein von der Handlung her ja kein Problem, weil es aber an Darstellung und Entwicklung der Charaktere dermaßen hapert, fragt man sich am Schluss zwangsläufig, wofür die man eigentlich 10 Stunden seines Lebens geopfert hat.

Bewertungstechnisch ist das quasi der Todesstoß für „Lost In Space“. Dass es dennoch 3 Punkte gibt, liegt an der exzellenten Ausstattung und an ein paar guten Ansätzen, die zumindest ab und an zu unterhalten vermögen.

Gesamteindruck: 3/7


Originaltitel: Lost In Space
Idee: Matt Sazarma, Burk Shapless
Land: USA
Jahr: 2018
Episoden: 10
Länge: ca. 45-65 Minuten
Gesehen auf: Netflix
Haupt-Besetzung: Toby Stevens, Molly Parker, Taylor Russell, Mina Sundwall, Maxwell Jenkins, Parker Posey, Ignacio Serricchio, Brian Steele



 

FilmWelt: The Road

Romanverfilmungen sind ja immer so eine Sache – meist ist das Ergebnis irgendwo zwischen Katastrophe und „geht so“ einzuordnen. Umso lobenswerter, wenn es dann doch mal gelingt, das Buch einigermaßen werkstreu auf die Leinwand zu bringen. „The Road“ ist einer dieser relativ seltenen Fälle, in denen genau das gelungen ist.

Gesamteindruck: 6/7


Gute Romanverfilmung.

Wer das gleichnamige Buch von Cormac McCarthy (deutsch: „Die Straße“, 2006) gelesen hat, weiß um die Schwierigkeiten, die eine Verfilmung dieses Stoffes mit sich bringen muss: Im Roman wird kaum gesprochen, die wenigen Dialoge sind kurz, teilweise redundant und kaum das, was man in irgendeiner Weise unterhaltsam nennen kann. Im Buch funktioniert das – dafür sorgt der ganz eigene, sehr knappe Stil des Autors, der damit eine intensiv-verstörende Dystopie zu erschaffen vermag, die in Sachen Trostlosigkeit ihresgleichen sucht.

Inhalt in Kurzfassung
Eine unbekannte Katastrophe hat Amerika verwüstet. Die wenigen Menschen, die es noch gibt, kämpfen in einer verottenden Welt um ihr Überleben. Werte wie Moral und Anstand zählen nicht mehr, Raub, Mord und Kannibalismus haben sich breitgemacht. Mitten in diesem post-apokalyptischen Alptraum sind ein Mann und sein Sohn unterwegs. Ihre wenigen Habseligkeiten liegen in einem Einkaufswagen, den sie eine Straße entlang schieben, immer auf der Suche nach Nahrung und einem Unterschlupf. Dabei versuchen sie, ihre Menschlichkeit zu bewahren, was in dieser feindseligen Welt jeden Tag schwerer zu werden scheint.

Eine dermaßen minimalistische Vorlage stellt natürlich ganz besondere Herausforderungen an die Schauspieler. Fündig wurde der australische Regisseur John Hillcoat (eher bekannt für seine Musikvideos, u.a. für Depeche Mode und Nick Cave) bei Viggo Mortensen (u.a. „Herr der Ringe“) und Kodi Smit-McPhee (u.a. „Let Me In“). Beide machen ihre Sache gut, speziell Mortensen wächst meiner Meinung nach über sich hinaus. Smit-McPhee leidet hingegen ein wenig an der hoffnungslos-romantischen Naivität, die zu seiner Rolle gehört – dafür ist der Australier meines Erachtens einfach zu alt, sodass Glaubwürdigkeit verloren geht.

Das liegt aber auch am Drehbuch, das die Gefühlsduselei, die im Buch wesentlich hintergründiger ausgefallen ist, stärker in den Fokus rückt. Klar, Vater und Sohn sind emotional aneinander gebunden. Was im Roman aber einigermaßen natürlich wirkt, scheint zum Teil übertrieben, wenn man es in bewegten Bildern vor sich sieht. Aus irgendeinem Grund irritiert das mehr, als das es Gefühle weckt. Hinzu kommt, dass man sich beim Lesen des Buches kaum die Frage stellt, wieso der Junge sich so schwer tut, das zu machen und zu lernen, was für das Überleben notwendig ist. Im Film hingegen ist seine Uneinsichtigkeit – wohl aufgrund des höheren Alters des Darstellers – gelegentlich kaum zu ertragen. Um es salopp auszudrücken: Leider funktioniert die Unschuldsnummer nicht so gut wie erhofft.

Starke Atmosphäre.

Diese Probleme in der Darstellung des Sohnes sind allerdings alles, was ich an „The Road“ auszusetzen habe. Alles andere macht der Film richtig – das beginnt bei den starken Bildern, die den erbärmlichen Zustand der Überlebenden sowie die immer weiter verfallende Infrastruktur und Landschaft perfekt einfangen. Für mein Gefühl ist das ein so realistischer Ausblick auf die Post-Apokalypse, wie man ihn selten zu sehen bekommt. Jeder einzelne Gegenstand, den Vater und Sohn besitzen ist unendlich wertvoll, entsprechend schlimm ist jeder Verlust – auch für den Zuseher. Und erleben die beiden etwas Gutes, wie das Auffinden von gebunkerten Lebensmitteln, kommt echte Freude auf. Das Drehbuch passt ebenfalls und setzt auf den richtigen Mix aus ruhigen Momenten und Spannung, garniert mit ein paar Action-Sequenzen. Ganz so still wie das Buch ist der Film allerdings nicht, was ein bisschen schade ist – dafür hat dem Regisseur dann wohl doch der Mut gefehlt (was auch am Einsatz von Off-Text zu erkennen ist, der eigentlich gar nicht notwendig gewesen wäre).

Bleiben Soundtrack und Bilder. Die Musik wurde von Warren Ellis und Altmeister Nick Cave komponiert. Die schwermütigen Klavier-Melodien passen hervorragend zur Grundstimmung und verstärken die düstere Atmosphäre. Manchem mag das aufdringlich erscheinen, ich empfinde den Soundtrack hingegen als grandiose Ergänzung. Und auch optisch macht der Film sehr viel her: Gefilmt wurde praktisch nur bei schlechtem Wetter an entsprechend verlassenen und kargen Plätzen, darunter ein niedergebrannter Freizeitpark. Farbflecken gibt es so gut wie keine, teils wurde in der digitalen Nachbearbeitung entsprechende Trostlosigkeit erzeugt. Das in starkem Kontrast zu den Rückblenden, die in satten Farben gestaltet sind und damit den Unterschied zwischen Prä- und Post-Apokalypse herausstreichen.

Fazit: Trotz kleinerer Unzulänglichkeiten finde ich diesen Film sehr gelungen. Dass die absolute Unschuld des Jungen noch stärker herausgestrichen wird als im Buch, ist zu verschmerzen. Das ist aus meiner Sicht aber der einzige Punkt, an dem sich wirklich stören könnte – ging mir schon beim Buch so und ist hier nicht anders. Wäre dieser Faktor nicht ganz so prominent und der Darsteller des Sohnes ein wenig jünger, hätte es sogar für die Höchstwertung gereicht. Aber auch so bekommt man mit „The Road“ eine intelligente und atmosphärische Umsetzung eines großartigen Romans.

Gesamteindruck: 6/7


Originaltitel: The Road
Regie: John Hillcoat
Jahr: 2009
Land: USA
Laufzeit: 112 Minuten
Besetzung (Auswahl): Viggo Mortensen, Kodi Smit-McPhee, Robert Duvall, Guy Pearce, Charlize Theron, Molly Parker



 

MusikWelt: Panzer Division Marduk

Marduk


Die schwedischen Radaubrüder Marduk, immer schon ein besonderer Vertreter ihrer Zunft, haben 1999 mit dem programmatisch betitelten „Panzer Division Marduk“ ein sehr spezielles Album auf die Menschheit losgelassen. Damit zementierte die Band ihren Ruf, sich nur für in Hochgeschwindigkeit vertonte Kriegsgeschichten zu interessieren, über Jahre hinaus. Was diese 30 Minuten Trommelfeuer aus allen Rohren jedoch wirklich sind – Kunst, Müll oder irgendwas dazwischen – ist gar nicht so einfach zu beantworten. Sicher ist retrospektiv nur, dass die Platte eine Zäsur im Schaffen von Marduk darstellt. 

Gesamteindruck: 4/7


30 Minuten Trommelfeuer.

Beginnen wir mit den Äußerlichkeiten, bevor wir zur Musik kommen. Albumtitel und Cover gehen Hand in Hand und sind passend zum Inhalt gewählt. Ich vermute, beides lässt zartbesaiteten Menschen den Atem stocken, bevor sie noch einen Ton gehört haben. Dem Eingeweihten ist hingegen klar, dass Black Metal schon immer auch Provokation war – und sich das Böse, was auch immer das ist, perfekt dafür eignet. Zur Beruhigung: Nirgends in und an „Panzer Division Marduk“ ist braunes Gedankengut zu finden. Der Krieg ist hingegen ganz großes Thema; „Panzer Division Marduk“ ist Teil 2 der „Blut, Krieg, Tod“-Trilogie, die mit dem Vorgänger-Album „Nightwing“ (1999) begonnen hat und die Marduk’sche Version dessen darstellt, was Black Metal ausmacht.

Ein Wort zu den Texten: Die Lyrics gehören mit zum Schlimmsten, was die Norrköpinger bis dato produziert haben. Man mag kaum glauben, dass dieselbe Band nur ein Jahr zuvor auf „Nightwing“ historisch akkurat und durchaus lesenswert Vlad III. skizziert hat. „Panzer Division Marduk“ treibt hingegen auf die Spitze, was vorher vereinzelt angedeutet wurde: Peinlich-plumpe Rhetorik auf einem Kreuzzug gegen das Christentum von der per Eigendefinition bösesten und blasphemischsten Truppe der Welt. Ja, richtig, hier dreht es sich gar nicht so sehr um einen handelsüblichen Krieg, was das ganze Konzept zwar nicht ad absurdum führt, ihm aber gehörig an Durchschlagskraft nimmt. Sorry, Marduk, das war meiner Meinung nach nichts, vermutlich schon 1999 nicht.

Kein „Reign In Blood“.

Sind die Lyrics schon eine Zuspitzung bisheriger Marduk-Extreme, gilt das für die Musik erst recht. Vor „Panzer Division Marduk“ war die erste Hälfte von „Nightwing“ wohl mit das Härteste und Schnellste, das von den Schweden zu hören war. 1999 beschloss man, einen draufzusetzen: Das „Reign In Blood“ des Black Metal sollte vertont werden, ist gerüchteweise noch heute zu vernehmen. Ich weiß nicht, ob das wirklich das Ziel war, denn dem würde ja auch ein gewisser Wille zum kommerziellen Erfolg innewohnen, wenn man überlegt, was Slayer mit ihrem Meisterwerk von 1985 erreicht haben. Was ihre Kompromisslosigkeit und Attitüde angeht, sind sich beide Platten tatsächlich ähnlich. Allerdings, und das ist entscheidend, scheitern Marduk letztlich an der exorbitanten musikalischen Qualität des Vorbildes.

Produktionstechnisch empfinde ich „Panzer Division Marduk“ als gelungen. Der Mix von Peter Tägtgren (Abyss Studios, außerdem Hypocrisy, Pain) ist trocken und übersteuert, wie es damals üblich war. Dennoch sind alle Instrumente zu hören, lediglich der Gesang hätte für meinen Geschmack eine kleine Spur lauter sein können. A pro pos Gesang: Frontmann Legion kann mit seiner verhältnismäßig tiefen, dennoch sehr rauen Stimme punkten. Man versteht trotz des infernalischen Krachs fast jedes Wort, wobei man einmal mehr sagen muss, dass teilweise zu viele Lyrics in zu kurzer Zeit untergebracht wurden. Ein Problem, das seit dem Einstieg des Sängers immer wieder kritisiert wurde.

Der Teufel im Detail.

Hört man „Panzer Division Marduk“ zum ersten Mal, ist man schlicht erschlagen von diesem 30 Minuten dauernden Trommelfeuer. Mehr als eine unglaublich laute und schrille Wand aus Krach, hier und da unterlegt von Kriegsgeräuschen, scheint das nicht zu sein. Eine Atempause gibt es praktisch nicht, die Blast Beats sind allgegenwärtig, die Gitarrenriffs flirren und jeder Ansatz, aus diesem Schema auszubrechen, bringt nur für Sekunden Erleichterung. Das alles macht das Album sehr angriffslustig, gleichzeitig aber auch extrem monoton. Dessen muss man sich bewusst sein – und auch, wenn man hypnotisch-monotonen Black Metal mag, ist „Panzer Division Marduk“ nochmal eine ganz andere Hausnummer und scheint aus einem einzigen, 30 Minuten langen Song zu bestehen.

Das klingt, als wäre es sinnlos, auf die 8 Tracks dieses Stahlgewitters einzugehen. Nach zwei, drei Durchgängen hätte ich das so unterschrieben, hört man aber öfter und genauer rein, erkennt man durchaus das eine oder andere Detail, an dem man sich orientieren kann. Eröffnet wird „Panzer Division Marduk“ vom Titeltrack. Ein Intro gibt es nicht, ein bisschen Artillerie und das programmatische „Fire!“ müssen reichen. Der Song selbst gilt als Klassiker und wird immer noch gerne live gespielt – ich persönlich bezweifle ein wenig, dass ihn ein Großteil der Zuhörer überhaupt erkennt, wenn man vom markanten Anfang absieht. Blast-Attacken, ultraschnelles Tremolo-Picking, wüstestes Gebrüll – mehr ist es im Prinzip nicht. Steht also ganz in der Tradition schwächerer Marduk-Eröffnungsnummern.

Darauf folgen zwei wesentlich stärkere Tracks: „Baptism By Fire“ beginnt mit Stuka-Geheul und unterscheidet sich im sehr eng gesetzten musikalischen Rahmen mehr oder weniger deutlich von der Eröffnung. Denn hier gibt es tatsächlich etwas, das hängen bleibt – „Death from above!“ und „Baptism by fire!“ kann jeder mitbrüllen, der Song wirkt dadurch verhältnismäßig eingängig. Eine gute Black Metal-Nummer an der ich nichts auszusetzen finde, sogar ein wenig Black n‘ Roll-Feeling versprüht der Track. Noch dazu gibt es ein kleines Break, das man dankbar aufnimmt, vor allem, wenn man dem Album schon ein paar Durchläufe gegönnt hat. Danach kommt „Christraping Black Metal“, der beste Song des Albums. Ja, der Titel könnte kaum schlimmer sein, wobei Marduk ja mit „The Black Tormentor of Satan“ auf „Heaven Shall Burn… When We Are Gathered“ bereits einmal derartiges fabriziert haben, interessanterweise auch einer der besten Songs auf jenem Album. Davon sollte man sich aber nicht täuschen lassen, die Nummer ist sogar noch vehementer als der Track davor und der …naja… „Refrain“ ist noch besser gelungen, was auch an der extrem räudigen Stimme von Legion liegt. Sogar eine Art Gitarrensolo hat das Stück zu bieten. All das verleiht ihm den höchsten Wiedererkennungswert im kriegerischen Rauschen von „Panzer Division Marduk“.

Neben diesen zwei guten Tracks ist noch „Blooddawn“ zu erwähnen. Diese Nummer zeigt meines Erachtens am besten, woran „Panzer Division Marduk“ im Endeffekt krankt. Dank des Mainriffs wirkt „Blooddawn“ gehörig düster, was nicht heißt, dass diese Nummer nicht bretthart ist – nur wird hier die Vehemenz in eine etwas dunklere und dadurch noch brutalere Richtung kanalisiert. Aber: Das Drumming ist einmal mehr komplett und ausschließlich auf auf Blasts fokussiert. Ohne jede Varianz. Wenn das nicht der Fall wäre, könnte „Blooddawn“ anstatt eines guten ein exzellenter Song sein. Durch dieses stetige Geprügel im Hintergrund geht allerdings fast alles von der Qualität verloren. Schade, denn so gut wie in in Track Nummer 6 wird auf dem ganzen Album nicht das zelebriert, was man sich von einem starken Black Metal-Gesamtpaket erhofft: Atmosphäre.

Der Rest ist in meinen Ohren Stangenware. Bei „Scorched Earth“ denkt man beim doomigen Start-Riff noch, dass es etwas Abwechslung gäbe. Diese Hoffnung zerschlägt sich jedoch nach wenigen Sekunden. Immerhin erkennt man ab 1:20 Minuten zumindest für 30 Sekunden einen sehr guten und interessanten Gitarrenpart. Oder kommt einem das nur so vor, weil es die Monotonie unterbricht? „Beast Of Prey“ brilliert mit der legendären Textzeile „All I want / All I need / Is to see my enemies bleed“. Nicht schlecht, Herr Specht. Davon abgesehen gibt es ein schönes Break in der Mitte. „502“ ist hingegen nicht mehr als eine langweilige Nummer. Zu gefallen weiß maximal der Gesang, den man aber auch in anderen Tracks mindestens genauso gut bekommt. Der Rausschmeißer „Fistfucking God’s Planet“ bietet neben dem „kultigen“ Titel das übliche Sperrfeuer aus dem Drumkit, das das gute Riffing zunichte macht. Ganz zum Schluss gibt’s nochmal Panzer, Artillerie und Stalinorgel, wie sollte man so ein Album auch sonst beschließen.

Bewertungsdilemma.

„Panzer Division Marduk“ macht es mir schwer, eindeutig Position zu beziehen,. Gefällt mir das Album tatsächlich oder will ich nur, dass es mir gefällt, obwohl es eigentlich Schrott ist? Ganz erschöpfend kann ich das nicht beantworten – ich vermute auch, dass diese Rezension genau dadurch viel länger geworden ist, als man es bei einem 30-Minüter erwarten würde. Vielleicht gehe ich aber auch zu verkopft an die Sache heran: Je länger ich mir diese Platte angehört habe, desto mehr Fragen habe ich mir gestellt. Wollten Marduk dieses Album tatsächlich so machen, wie es geworden ist? Konnten sie es nicht besser, nur ein Jahr nach dem guten „Nightwing“? Hatten sie ein kreatives Tief? Oder ist das weniger ernstgemeinte Kunst, sondern vielmehr Statement und ausgestreckter Mittelfinger? Sollte man sich all diese Fragen überhaupt stellen? Oder lieber nur „Panzer Division Marduk“ auf sich wirken lassen? Ich weiß es wirklich nicht.

Ich habe eine Rezension gelesen, die im Kern sehr gut das beschreibt, was auch ich beim Hören dieses Werks empfinde: Marduk veranschaulichen hiermit – ob beabsichtigt oder nicht – das Beste und das Schlechteste des Black Metal. Einerseits wären da die Kompromisslosigkeit, die flirrenden Gitarren, das rebellische Lebensgefühl und die Ausreizung musikalischer Extreme. Andererseits haben wir es mit kindischen Provokationen, unglaublicher Monotonie und dem Versuch zu tun, jeglichen Gedanken an Zugänglichkeit zu unterdrücken (und zwar künstlich und nicht künstlerisch). Die guten Riffs sind vereinzelt da, wurden aber gekonnt unter einfallslosen Drumbeats versteckt. Jener Rezensent ging übrigens weniger ins Detail und hat meiner Ansicht nach einen Punkt zu erwähnen vergessen: Atmosphäre ist ein großes Plus im Black Metal – und die fehlt mir auf „Panzer Division Marduk“ letztlich. Andererseits: Ich war – wie hoffentlich fast alle, die dieses Album hören – nie in einem Krieg. Ich könnte mir aber zumindest vorstellen, dass, versucht man das Gefühl, an einem Großkampftag, an der Front zu sein, musikalisch umzusetzen, etwas ähnlich Infernalisches wie „Panzer Division Marduk“ herauskommen könnte. Und vielleicht war das, und nur das, auch das Ziel.

Wie auch immer, der Gesamteindruck bleibt durchwachsen. Es gibt ab und an durchaus Stimmungen, in denen man das Album „genießen“ kann. Auf Dauer ist es mir aber zu anstrengend und ich bin nicht überzeugt davon, dass man das alles als genau so geplante und durchdachte Kunst abheften kann. Im Gegensatz zu vielen Marduk-Fans liebe ich „Panzer Division Marduk“ nicht, ich hasse es aber auch nicht. Ich bin ambivalent dazu eingestellt und werde es wohl auch immer bleiben.


Track – Titel – Länge – Wertung

  1. Panzer Division Marduk – 2:39 – 3/7
  2. Baptism By Fire – 3:51 – 5/7
  3. Christraping Black Metal – 3:46 – 6/7
  4. Scorched Earth – 3:37 – 3/7
  5. Beast Of Prey – 4:07 – 4/7
  6. Blooddawn – 4:20 – 5/7
  7. 502 – 3:14 – 2/7
  8. Fistfucking God’s Planet – 4:28 – 4/7

Gesamteindruck: 4/7 


Marduk auf “Panzer Division Marduk” (1999):

  • Legion – Vocals
  • Evil – Guitar
  • Bogge – Bass
  • Fredrik Andersson – Drums

Anspieltipp: Christraping Black Metal