Marduk
Wer Marduk nach dem Ausstieg von Rampensau Legion und dem kurz darauf veröffentlichten, halbgaren „Plague Angel“ (2004) abgeschrieben hatte, wird mit „Rom 5:12“ eines Besseren belehrt. Ich lehne mich mal aus dem Fenster: Dieses Album ist für mich der mit Abstand ausgereifteste und songwriterisch beste Longplayer der Schweden seit „Opus Nocturne“ (1994). Nie klang das zum Trio geschrumpfte Black Metal-Kommando (Drummer Emil Dragutinović wird hier nur mehr als „Gast“ geführt und teilt sich die Schießbude mit Jens Gustafsson) so gut. Durchgängig, wohlgemerkt.
Gesamteindruck: 6/7
Überraschend starkes Album.
Der Titel des 10. Marduk-Longplayers bezieht sich nicht – wie man meinen könnte – auf die Ewige Stadt Rom. Vielmehr handelt es sich dabei um einen Vers aus der Bibel. Dort steht im Römerbrief des Apostels Paulus, Kapitel 5, Vers 12: „Durch einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt und durch die Sünde der Tod und auf diese Weise gelangte der Tod zu allen Menschen, weil alle sündigten.“ Gut gewählt von Morgan „Evil“ Håkansson (seines Zeichens letztes verbliebenes Gründungsmitglied), der damit zeigt, dass er durchaus bereit ist, das Themen-Spektrum seiner Band zu öffnen. Marduk gelten ja – zu Unrecht – bis heute als eine Band, die lediglich für ihre, wenn man so will, Kriegsgeilheit bekannt ist. Dass man mit „Rom 5:12“ in religiösen Gefilden unterwegs ist, ist schon beachtlich.
Doch nun zur Musik, die zum Teil mindestens ebenso ungewöhnlich ist wie das übergeordnete Thema. Gleich zwei Tracks auf „Rom 5:12“ lassen mit ungewohnten Stimmen aufhorchen: Auf „Cold Mouth Prayer“ gibt sich Joakim „Af Gravf“ Göthberg die Ehre, seines Zeichens Marduk-Mitglied von 1992 bis 1994 (zunächst als Schlagzeuger, dann auch als Sänger). Man muss allerdings recht genau hinhören, um ihn herauszuhören (Af Gravf ist in einer etwas höheren Stimmlage unterwegs als Mortuus). So oder so ist „Cold Mouth Prayer“ ein sehr starker Song. Schnell, aber ohne im Hyperblast von „Panzer Division Marduk“ (1999) zu versinken, im Gegenteil, durch eine feine Melodie, die kaum zu hören aber dennoch präsent ist, ist die Nummer sehr episch ausgefallen. Der zweite Gast tritt im mit 8:43 Minuten längsten Song, „Accuser/Opposer“, auf. Und hier erkennt man sofort, wer wer ist, denn der zweite Mann am Mikro ist niemand geringerer als Alan „Nemtheanga“ Averill, legendärer Frontmann von Primordial. Der Ire macht aus einer langsamen Nummer, die ohne ihn wohl nicht sonderlich beeindruckend wäre, einen epischen Song, der vom Duett der zwei Sänger lebt. Das funktioniert im Übrigen auch live, wie bereits mehrfach bewiesen wurde, z.B. hier. Wobei man nicht verhehlen darf, dass der Track eigentlich viel zu lang ist, was an Intro und Outro liegt. Hätte ich in dieser Breite jetzt nicht unbedingt gebraucht.
Das schöne an „Rom 5:12“ ist, dass sich die Qualität des Albums nicht in zwei guten Songs erschöpft. Bei weitem nicht, ich konnte auch nach zig Durchläufen keine große Schwachstelle ausmachen. Außerdem, und das merkt man auch sehr schnell, ist die Produktion, die zum zweiten Mal im Endarker Studio umgesetzt wurde, wesentlich besser ausgefallen als auf dem Vorgänger. Ich würde sogar so weit gehen, „Rom 5:12“ als das bis zu diesem Zeitpunkt am stimmigsten produzierte Marduk-Werk überhaupt ist. Der Sound ist voll und organisch, gleichzeitig aber durchaus auch räudig, wie es sich für eine Black Metal-Produktion gehört. Die Balance, die hier gefunden wurde, ist – natürlich in Verbindung mit dem Songwriting – für eine Atmosphäre verantwortlich, die am besten mit „sinister“ beschrieben werden kann. Und das über die gesamte Länge des Albums hinweg, das dadurch wie aus einem Guss klingt.
Vielseitig und praktisch ohne Füllmaterial.
„Rom 5:12“ ist ungewöhnlich abwechslungsreich. Wer genau hinhört, wird mit so vielen Details wie auf keinem einzigen Marduk-Album davor überrascht. Beispiele gefällig? „Imago Mortis“ besticht mit fast schon Stoner-mäßigem Anfang und nimmt damit einige Jahre vor dem großen Hype mal eben den Post Black Metal vorweg. Unglaublich auch der Gesang in dieser Nummer, der stellenweise nichts Menschliches mehr an sich hat. Verschleppte Drums, stark verzerrter Gitarrensound im Mittelteil – all das macht „Imago Mortis“ zum wohl ungewöhnlichsten aller Marduk-Tracks neben „Castrum Doloris“ (auf „World Funeral“, 2003). Oder: Mit „Trough the Belly of Damnation“ meint man zunächst, einen typischen Marduk-Brecher zu hören. Eine brutale Nummer, die wiederum zeigt, was für ein großartiger und variantenreicher Sänger Mortuus ist. Hört man genauer hin, sticht der krachende Bass hervor, der klingt, als würde weiland Steve Harris in die Saiten greifen. Und auch der stoische Groove nach dem eingebremsten Mittelteil ist nicht von schlechten Eltern. „Vanity of Vanities“ ist ebenfalls ein Fall für sich: Abgesehen vom unglaublichen Schrei am Beginn (ich glaube, so etwas gibt es in keinem anderen Lied von Marduk zu hören) klingt die ganze Nummer so, als hätte man das …ähem… „Songwriting“ von „Panzer Division Marduk“ genommen, weiterentwickelt und tatsächlich durchgedacht. Dabei ist ein schneller, brutaler und grausamer Song entstanden – richtiger Black Metal eben. Bis nach etwas über zwei Minuten ein Tempowechsel folgt und sich der geneigte Hörer unerwartet in einem Death Metal-Groove wiederfindet. Ganz großes Kino. Vielleicht noch ein Wort zum quasi-Instrumental, das diesmal auf den Namen „1651“ hört. Irgendwie auch ein wenig typisch für Marduk, so ähnliche Nummern gibt es ja immer wieder zu hören. Aber das hier ist, Meister Mortuus sei Dank, ganz besonders düster und tatsächlich richtiggehend unheimlich. Ob man das auch mit Legion so hinbekommen hätte? Ich hege irgendwie meine Zweifel.
Am unspektakulärsten auf „Rom 5:12“ ist der Opener ausgefallen. „The Levelling Dust“ bewegt sich im doomigen Midtempo und erzeugt in der ersten Hälfte ein wenig das Gefühl, eine Art langes Intro zu hören. So richtig gelungen finde ich diesen Einstieg nicht. Auf der Suche nach weiterem Füllmaterial wird man dann noch beim finalen „Voices of Avignon“ fündig: Nicht der ganz große Bringer, zumindest im Vergleich zum sonst so großartigen Material auf dieser Platte. Mehr zu meckern habe ich aber tatsächlich nicht.
Fazit: Dass zwischen „Rom 5:12“ und dem Vorgänger „Plague Angel“ drei Jahre liegen, hat dem Album definitiv gut getan. Der mörderische Album-Tour-Album-Rhythmus, in dem die Band vorher jahrelang gefangen schien, hat meines Erachtens viel zu unausgegorenen und müden Veröffentlichungen beigetragen. Schön, dass das dieser …ähem… Teufelskreis mit der 2007er-Platte durchbrochen werden konnte.
Track – Titel – Länge – Wertung
- The Levelling Dust – 5:11 – 4/7
- Cold Mouth Prayer – 3:28 – 7/7
- Imago Mortis – 8:36 – 6/7
- Through the Belly of Damnation – 4:19 – 6/7
- 1651 – 4:54 – 6/7
- Limbs of Worship – 4:24 – 5/7
- Accuser/Opposer – 8:43 – 6/7
- Vanity of Vanities – 3:40 – 7/7
- Womb of Perishableness – 7:01 – 6/7
- Voices from Avignon – 5:08 – 4/7
Gesamteindruck: 6/7
Marduk auf “Rom 5:12” (2007):
- Mortuus – Vocals
- Evil – Guitar
- Devo – Bass
Anspieltipp: Cold Mouth Prayer