FilmWelt: Lords of Chaos

Anfang der 1990er, also vor rund 30 Jahren, hat eine Gruppe junger Männer Norwegen in Angst und Schrecken versetzt. Satanismus, Brandstiftung und sogar Mord – die Rebellion, die unter dem Banner des Black Metal nicht nur die Musikwelt erzittern lassen sollte, schreckte vor keinem Extrem zurück. Drei Figuren waren prägend für jene Zeit: Øystein „Euronymus“ Aarseth, Per „Dead“ Ohlin und Kristian „Varg“ Vikernes. „Lords of Chaos“ (2019), entstanden unter der Regie des Schweden Jonas Åkerlund, erzählt ihre Geschichte.

Gesamteindruck: 5/7


Eine skandinavische Tragödie.

„Lords of Chaos“ ist die Verfilmung des gleichnamigen Sachbuches von 1998. In jenem Werk arbeiteten die Autoren Michael Moynihan und Didrik Søderlind jene Ereignisse auf, die zur Etablierung eines neuen musikalischen Genres führten, das so extrem war, wie nichts davor oder danach. Dennoch wäre der norwegische Black Metal wohl nie über versiffte Kellerräume in Oslo oder Bergen hinausgekommen – wären da nicht seine brutalen und blutigen Begleiterscheinungen gewesen. Denn es sollte nicht lange dauern, bis die dunkle Ideologie in höchst reale Taten umschlug, die bis heute ihresgleichen suchen.

Inhalt in Kurzfassung
Oslo, Mitte der 1980er Jahre: Der junge Gitarrist Øystein „Euronymus“ Aarseth gründet mit Freunden die Band Mayhem und „erfindet“ dabei gleich ein neues musikalisches Genre: True Norwegian Black Metal, eine extreme Form des Heavy Metal, ausgelegt auf düstere Atmosphäre, größtmögliche Aggression und Auflehnung gegen sämtliche musiktheoretische – und auch gesellschaftlich-religiöse – Konventionen. Zunächst lärmt man noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor sich hin. Eine Art Durchbruch gelingt erst, als sich der schwedische Sänger Per Yngve Ohlin, besser bekannt unter seinem Pseudonym Dead, dazu gesellt. Dessen späteren Selbstmord nutzt Euronymus für Promotion-Zwecke – ein Tabubruch, dem viele weitere folgen sollen. Als schließlich der Bergener Kristian „Varg“ Vikernes, seines Zeichens einziges Mitglied von Burzum, in das Leben von Euronymus tritt, geraten die Dinge vollständig außer Kontrolle.

Bevor sich der geneigte Black Metal-Fan – oder jeder andere, an der Thematik interessierte Zuseher – „Lords of Chaos“ ansieht, sollte er sich über folgendes bewusst sein: Der Film ist im Gegensatz zum Buch, auf dem er basiert, keine Dokumentation. Wohl ist er eine filmische Biographie, vor allem über Euronymus, er ist und bleibt aber ein Spielfilm. Heißt: Schauspieler verkörpern die Protagonisten, es gibt keinerlei weiterführende Erklärungen und reale Persönlichkeiten kommen nicht zu Wort. Entsprechend gibt es im Film Szenen zu sehen, für die es in Wirklichkeit keine Augenzeugen gab und von denen man nur mutmaßen kann, ob sie sich tatsächlich so zugetragen haben. Das ist aus meiner Sicht kein grundsätzliches Problem, sorgt aber dafür, dass man den Film nicht ganz so ernst nehmen sollte, wie man vielleicht gehofft hatte.

Grundsätzlich ist die Konstellation, die zum Aufstieg und Fall der ersten Black Metal-Band der 2. Generation, Mayhem, geführt hat, sehr komplex. Verständlich also, dass sich der Regisseur (seines Zeichens Anfang der 1980er als ehemaliger Drummer von Bathory übrigens Mitglied der 1. Black Metal-Generation) für „Lords of Chaos“ auf einen Gesichtspunkt konzentrieren wollte. Als Hauptprotagonisten hat Jonas Åkerlund daher Euronymus (überraschend gut gespielt von Rory „Ich bin der Bruder von Macauly“ Culkin) herausgegriffen, den er vor allem als musikalischen Impulsgeber der Szene betrachtet. Diese Simplifizierung finde ich durchaus in Ordnung – dass „Lords of Chaos“ ein umfassender und jeden Teilaspekt betrachtender Film wird, hätte ich ohnehin nicht erwartet. Abgesehen davon ist die Konzentration auf Mayhem und Burzum bei nahezu vollständiger Ausblendung anderer Protagonisten ein Vorwurf, den sich bereits das Buch gefallen lassen musste.

Allgemein ist der Blick, den Jonas Åkerlund auf dieses Stück Musikgeschichte wirft, ist unterhaltsamer, als man erwarten könnte. Vorwiegend liegt das wohl daran, dass der Regisseur keine Identifikationsfiguren bieten wollte. Euronymus ist zwar nicht ganz unsympathisch, neigt aber sehr stark zu Opportunismus, was nun keine erstrebenswerte Eigenschaft ist. Liest man ältere Aussagen von ehemaligen Weggefährten, scheint diese Charakterisierung durchaus zutreffend zu sein. Varg wird vom für mein Gefühl etwas zu stattlichen Emory Cohen hingegen als jemand dargestellt, der sogar in diesem Kreis aus Außenseitern zunächst wenig Akzeptanz findet. Ihm, der als einziger der drei Hauptprotagonisten jene Zeit überlebt hat und der weder damals noch heute als angenehmer Zeitgenosse gelten dürfte, schreibt der Regisseur eine leicht tollpatschiges, naives Verhalten zu, das sich später immer mehr ins Radikale verkehrt. Sein musikalisches Genie, mit dem man sich eventuell identifizieren könnte, ist lediglich eine Randbemerkung, sodass wir es bei ihm nicht einmal mit einem kauzigen Anti-Helden, sondern einfach mit einem fehlgeleiteten, nicht gerade hellen Typen zu tun haben. All das sorgt für den einen oder anderen Lacher, bei dem man sich als Kenner der Geschichte zwar irgendwie unwohl fühlt, der einige Szenen aber eben auch nicht ganz so verbissen macht, wie sie die Protagonisten damals wohl erlebt haben.

Trve Norwegian Black Metal – Achtung, Spoiler!

Der Film deckt – so jedenfalls meine Wahrnehmung – einen Zeitraum von ungefähr 1986 bis 1993 ab. Grob kann er in vier Teile gegliedert werden. Der erste Part stellt stark verknappt die Hauptfigur Euronymus und seine Motivation vor. Aufgegriffen wird die „Erfindung“ des Black Metal-Riffs und die ersten rebellischen Gehversuche einer Bande von Außenseitern, die freilich noch vergleichsweise harmlos und kaum von der Punk-Bewegung unterscheidbar ausfallen. All das funktioniert sehr gut und jeder, der in seiner Jugend gerne gefeiert und ab und an nicht ganz brav war, wird sich im einen oder anderen Moment wiederfinden.

Im 2. Teil lernen wir mit Dead (dargestellt von Jack Kilmer) den Protagonisten kennen, der jene geisterhafte, düstere Atmosphäre in den Black Metal bringt, die wir bis heute kennen – und auch der Film nimmt damit eine Wendung in Richtung Wahnsinn und wird zunehmend blutig. Das allgemeine Verhalten des schwedischen Sängers, seine Obsession für den Tod – sowohl auf als auch abseits der Bühne – und sein Selbstmord (1991, er wurde nur 22 Jahre alt) sind für den Zuseher schwer zu ertragen, zumal kaum Details ausgespart werden. Das ist der intensivste Teil von „Lords of Chaos“, der für mein Gefühl voller Respekt vor einem jungen Mann ist, der dringend Hilfe gebraucht hätte. Ob seinen Freunden das in diesem Ausmaß bekannt war, bleibt offen, ihre Aussagen lassen aber darauf schließen, dass sie Dead mehr als nur ein bisschen seltsam fanden. Der blutige Selbstmord stellt gleichzeitig eine Zäsur dar – an dieser Stelle wenden sich die ersten Freunde von Euronymus ab, der den Tod seines Freundes direkt nutzt, um Aufmerksamkeit für Mayhem zu generieren. Kurzer Exkurs: In Wirklichkeit dürfte all das sogar noch über den im Film gezeigten Ausstieg von Bassist Jørn „Necrobutcher“ Stubberud hinausgegangen sein und auch andere Leute aus der Szene verurteilten Euronymus für sein Verhalten gegenüber Dead – sowohl vor als auch noch dessen Selbstmord.

Auftritt Varg – Achtung, Spoiler!

Der 3. Abschnitt des Films zeigt, wie die finstere Ideologie des Black Metal – ausgehend von Euronymus‘ berüchtigtem Plattenladen „Helvete“ – in Taten gipfelte, an die man sich tatsächlich bis heute erinnert und die jene Jahre nach wie vor wie einen Mythos erscheinen lassen, der sich selbst am Leben erhält. Kristian „Varg“ Vikernes tritt hier in das Leben von Euronymus – zunächst noch musikalisch über sein Ein-Mann-Projekt Burzum, das im Film aber eine Randnotiz bleibt. Der Bergener, vorerst noch skeptisch betrachtet, holt sich bei Euronymus Inspiration, belässt es aber nicht dabei. Als die erste Stabkirche (Fantoft im Juni 1992) brennt, ist er im „Inneren Zirkel“ angekommen und freundet sich immer mehr mit dem Mayhem-Gitarristen an. An dieser Stelle wird der Film ambivalent in seiner Tonalität – fast hat man das Gefühl, der Regisseur hätte nicht recht gewusst, wie er mit Varg (der 2009 aus der Haft entlassen wurde), umgehen sollte. Es ist, als hätte Åkerlund Bedenken gehabt, das Publikum würde sich mit einem verurteilten Verbrecher identifizieren. Ob das damit zu tun hat, dass Varg aus Sicht des Regisseurs für die Kommerzialisierung des Genres verantwortlich war oder ob er ihm insgeheim recht gibt, das aber nicht „zugeben“ möchte, ist mir nicht klar.

Der 4. und letzte Part von „Lords of Chaos“ thematisiert schließlich die wachsenden Spannungen zwischen Varg und Euronymus, die im – vermutlich – bekannten Ende kulminieren. Dieser finale Abschnitt hat die eine oder andere Länge. Das ist auch der Teil der Geschichte, über den ich persönlich am wenigsten informiert bin (vom Finale abgesehen). In „Lords of Chaos“ werden Euronymus zum Schluss hin die Geister, die er rief, zunehmend unheimlich. Ob aus Reue oder weil ihm Varg den Rang als Anführer abzulaufen droht, wird nicht aufgelöst, es entsteht allerdings der Eindruck von letzterem. Ob es wirklich so passiert ist? Ich weiß es nicht.

Ein paar Haare in der Suppe.

Wie man sieht, bietet die Geschichte um Mayhem tatsächlich Stoff für eine griechische Tragödie. Unglaublich eigentlich, dass sich das alles im Großen und Ganzen genauso abgespielt hat. Mit dem Drehbuch, den Darstellern und, Überraschung, auch den meisten Dialogen kann man zufrieden sein. Dass ein bisschen ausgeschmückt wurde, sollte nicht allzu sehr stören (genannt seien hier die Alpträume Euronymus‘ nach dem Tod von Dead – ob er die wirklich hatte, weiß wohl niemand).

Tatsächlich gestört haben mich – auch in Bewusstsein, dass der Film die Geschichte an manchen stellen zurechtbiegt – an „Lords of Chaos“ eigentlich nur zwei Dinge. Einerseits geht er meiner Ansicht nach zu wenig auf die Musik selbst ein. Dadurch entsteht der Eindruck, diese wäre ganz generell nur eine Nebensache gewesen, was meines Erachtens so einfach nicht stimmt. Ja, die Verbrechen im Umfeld waren das relevantere Ereignis und auch die zwischenmenschlichen Beziehungen sind wichtig. Dennoch wäre es schön und für Außenstehende vielleicht sogar essenziell gewesen, ein bisschen mehr Wert auf den Soundtrack zu legen. Wobei zu vernehmen ist, dass diverse Musiker etwas dagegen hatten und deshalb die Rechte fehlten. Schade eigentlich, Black Metal ist zwar tatsächlich mehr als nur Musik, aber eben auch Musik. Abgesehen davon übernimmt der Film einen Punkt, den ich bereits am Buch kritisiert habe: Es geht daraus überhaupt nicht hervor, dass diese Musikrichtung trotz aller Katastrophen, die sich vor 30 Jahren ereignet haben, nach wie vor besteht. Sogar Mayhem sind als Band noch aktiv und haben mit Necrobutcher und Jan Axel „Hellhammer“ Blomberg zwei Zeitzeugen an Bord.

Der zweite Kritikpunkt – und hier gehe ich schon sehr ins Detail – betrifft die Szene, in der Bård „Faust“ Eithun (Drummer bei Emperor, hier gespielt von Valter Skarsgård) einen Homosexuellen in einem Park in Lillehammer ersticht. Abgesehen davon, dass es im Film so aussieht, als würde die gesamte Handlung in wenigen Tagen und vorwiegend in Oslo spielen, wird die filmische Darstellung dieser Tat nicht gerecht. Im Gegenteil, sie lässt den Eindruck entstehen, Faust wäre von seinem Opfer bedrängt und auf unterdrückte sexuelle Tendenzen seinerseits angesprochen worden. In Wirklichkeit – so steht es jedenfalls in „Lords of Chaos“ – wollte Faust (2003 aus der Haft entlassen) einfach „nur“ wissen, wie es wohl wäre, einen Menschen zu ermorden. Diese Umdeutung der Ereignisse kann ich weder nachvollziehen noch gutheißen – war der Mord doch per se schon schlimm genug. Einen Grund dafür zu „erfinden“ halte ich für höchst problematisch. Sollte der Regisseur hierfür andere Quellen bzw. Einblicke gehabt haben, fällt dieser Kritikpunkt selbstverständlich weg.

Fazit: Mir hat der Film tatsächlich gut gefallen, auch wenn ich weiß, dass man nicht alles darin gezeigte für bare Münze nehmen darf. Besonders gelungen: Die Einbindung von Szenen, die zeigen, wie die eine oder andere berühmte Fotografie entstanden ist (bzw. entstanden sein könnte). Das verstärkt das Gefühl von Authentizität (ich weiß, ich weiß…). Aber: Wer „Lords of Chaos“ gelesen oder sich über andere Kanäle über die damaligen Ereignisse informiert hat, wird durch den Film ohnehin wenig neue Einblicke gewinnen. Die Lücken, die der Regisseur lässt bzw. lassen musste, um die gut zwei Stunden dramaturgisch sinnvoll zu gestalten, können von jedem Kenner der Materie aus dem Gedächtnis gefüllt werden – oder sind nicht zu füllen, weil tatsächlich niemand etwas darüber sagen kann. Wer noch nicht Bescheid weiß, erhält hingegen ein verkürztes, dafür aber auch ohne Vorkenntnisse relativ leicht verständliches Bild über den Anfang und das Ende einer in gewissen Kreisen immer noch sehr einflussreichen und extremen Persönlichkeit.

Gesamteindruck: 5/7


Originaltitel: Lords of Chaos
Regie:
Jonas Åkerlund
Jahr: 2018
Land: UK, Schweden
Laufzeit: 118 Minuten
Besetzung (Auswahl): Rory Culkin, Emory Cohen, Jack Kilmer, Sky Ferreira, Valter Skarsgård, Anthony De La Torre, Jonathan Barnwell



 

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MusikWelt: Frontschwein

Marduk


Das 13. Album der schwedischen Urgesteine dürfte bereits beim Blick auf das Cover verschiedenste Assoziationen wecken. Beim gemeinen Metaller wird es in Richtung „typisch Marduk gehen, während der erfahrene Anhänger des Black Metal-Kommandos – je nach Gusto – eine vermeintliche Rückbesinnung auf „Panzer Division Marduk“ (1999) entweder erhoffen oder befürchten wird. Was gänzlich genrefremde Menschen von Titel und Covermotiv halten werden, bedarf wohl keiner näheren Erläuterung

Gesamteindruck: 5/7


Panzer Division 2.0?

Der Griff zur Stielhandgranate als Covermotiv, das prominent platzierte Eiserne Kreuz, ein bisschen Frakturschrift, der eine oder andere Song mit deutschem Namen und „Frontschwein“ als Titel – Marduk sind 2015, also 25 Jahre (!) nach ihrer Gründung, weiterhin voll auf Konfrontations- und Provokationskurs. Dabei darf man allerdings nicht den Fehler machen, die Schweden der Verherrlichung des wohl dunkelsten Kapitels der europäischen Geschichte zu verdächtigen. Ja, Bandboss Morgan „Evil“ Håkansson und Sänger Daniel „Mortuus“ Rostén sind augenscheinlich auf morbide Weise vom Krieg fasziniert. Welches reale Thema könnte auch böser und damit Black Metal-tauglicher sein? Eine Glorifizierung vermag ich allerdings weder in der Musik noch in den Lyrics zu erkennen. Eigentlich ist sogar das Gegenteil der Fall, der harsche Sound und die düsteren Lyrics wirken wie eine Warnung vor schrecklichen Ereignissen.

Bevor wir zur Musik kommen, ein paar generelle Worte zur Kriegsthematik bei Marduk: Der bewaffnete Konflikt gehört ja neben den Themen „Tod“ und „Blut“ zu den drei bestimmenden Faktoren der Marduk’schen Philosophie des Black Metal. Nun könnte man denken, dass ein Album namens „Frontschwein“ „typisch Marduk“ wäre. Dem ist jedoch – mit Blick auf die Diskographie der Schweden – ganz und gar nicht so. Der Tod in seinen verschiedenen – auch religiösen – Facetten herrscht im Backkatalog eindeutig vor. Letztlich gab es von 1990 bis 2015 ein einziges Werk, das vollständig dem Krieg gewidmet war: „Panzer Division Marduk“ (1999). Von „typisch“ kann in diesem Sinne also keine Rede sein. Im Übrigen sei gesagt, dass „Panzer Divsion Marduk“ mit seinen teils arg infantilen Texten meinem Verständnis nach kein ernsthafter Versuch war, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Im Gegenteil, auch abseits des gewöhnungsbedürftigen Songwritings halte ich das Album für mehr Schein (=Provokation) als Sein (=musikalische Qualität). Ganz im Gegensatz zum geistigen Nachfolger von 2015.

Lärm mit Sinn und Verstand.

Wenn man so will kann man „Frontschwein“ als in allen Belangen verbesserte Variante, als eine Art „Panzer Division 2.0“, sehen. Das beginnt schon bei der angriffslustigen und brutalen Attitüde, die man anno 2015 jedoch mit anderen Methoden erreicht. Denn das Songwriting ist kaum mit dem Getrümmer vergleichbar, das „Panzer Division Marduk“ auf Dauer dermaßen anstrengend gemacht hat. Insgesamt gehen Marduk auf „Frontschwein“ musikalisch so abwechslungsreich und ausgefeilt zu Werke, wie man es seit dem Einstieg von Frontmann Mortuus kennt (wenn man es ganz genau nimmt, kannte man Marduk schon immer relativ abwechslungsreich, dass der allgemeine Eindruck ganz anders ist, ist auch ein zweifelhafter Verdienst ihres 1999er-Albums…). Bei den Lyrics gibt man sich ebenfalls keine Blöße und setzt sich diesmal mit realen Begebenheiten des 2. Weltkrieges auseinander, was den Eindruck einer gereiften und erwachsen gewordenen Band verstärkt.

„Frontschwein“ beginnt mit dem Titeltrack. Ein heftiger Ausbruch, der den Zuhörer zu packen und mitten auf einem Schlachtfeld abzusetzen scheint. Salven aus Bass (ja, der ist einmal mehr sehr gut hörbar!), Drums (dort gab es erneut einen Wechsel, Fredrik Widigs ersetzt nach nur zwei Alben Lars Brodesson) und Rhythmusgitarre drücken unaufhörlich, scheinbar kommandiert von gebellten Befehlen Mortuus‘. Nur die eingängige Leadgitarre bringt ein wenig Erleichterung in diesem Inferno. Nach einem solchen Opener meint man, auf alles gefasst zu sein – und doch gibt es mit dem folgenden „The Blond Beast“ eine faustdicke Überraschung: Ausgerechnet der Song, in dem es um Reinhard Heydrich, einen der schlimmsten Nazi-Verbrecher überhaupt, geht (übrigens nicht zum ersten Mal bei Marduk), ist die eingängigste Nummer auf „Frontschwein“.  Dafür sorgt der für einen Black Metal-Track ungewöhnliche, rock n‘ rollige Midtempo-Rhythmus, den man auch bei neueren Werken von Satyricon immer mal wieder präsentiert bekommt. Lässt man sich auf die Kombination aus Lyrics und Musik ein, bekommt man mit „The Blond Beast“ einen der makabersten Songs präsentiert, die Marduk je geschrieben haben. Und das – kaum zu glauben – weder mit Blastbeats noch in schleppendem Doom.

Nach diesem starken Auftakt geht es im Prinzip im Wechsel zwischen schnell und langsam weiter. Den Highspeed-Attacken ist eine gewisse Nähe zu „Panzer Division Marduk“ nicht abzusprechen, was Intensität und Brutalität betrifft. Kompositorisch hätten Songs wie „Afrika“, „Rope of Regret“ oder die unglaubliche Attacke auf Mortuus‘ Stimmbänder, „Thousand-Fold Death“, auf „Panzer Division Marduk“ definitiv zu den besten Nummern gehört – eben, weil sie trotz ähnlicher Brutalität einfach viel, viel besser komponiert sind. Insbesondere gilt das für „Falaise: Cauldron of Blood“, das einen hörenswerten Spagat zwischen brutal und düster-erhaben schafft.

Für jeden, der sich ein bisschen genauer mit Marduk beschäftigt hat, dürfte es wenig überraschend sein, dass auch die langsameren Stücke überzeugen können. Vor allem „Wartheland“ und „Nebelwerfer“ seien hier genannt, die unterschwellig eine gehörige Portion Angst mittransportieren. Zu den eher gemächlichen Nummern gehört auch „503“, das musikalisch nichts mit dem quasi-Vorgänger „502“ auf „Panzer Division Marduk“ gemein hat. Wohl aber inhaltlich, denn auch diese Zahl bezieht sich auf eine schwere Panzerabteilung im 2. Weltkrieg.

Einziger Song, der auf „Frontschwein“ aus meiner Sicht ein wenig abfällt, ist das lange „Doomsday Elite“. Somit haben wir es bei Album Nummer 13 erneut mit einer sehr guten Scheibe zu tun, die zwar nicht ganz an meine persönlichen Favoriten „Rom 5:12“ (2007), „Wormwood“ (2009), „Nightwing“ (1998) und „Opus Nocturne“ (1994) herankommt, aber dennoch weit vorne in der Marduk-Diskographie angesiedelt ist. Chapeau!

Abschließend noch ein Wort zum Sound: Die Vorgänger von „Frontschwein“, insbesondere „Serpent Sermon“ (2013), waren over the top, was die Produktion betrifft. Das dürfte das Maximum gewesen sein, das bei einer Black Metal-Truppe an klarem Sound rauszuholen war, ohne zu poliert zu klingen. Für „Frontschwein“ haben die Schweden hörbar einen Schritt zurück gemacht. Das Album ist dreckiger, kälter und damit näher an den klassischen Produktionen der 2. Black Metal-Generation als alles, was Marduk seit der Jahrtausendwende auf den Markt gebracht haben. Gleichzeitig ist ihnen das Kunststück gelungen, trotz eines gewissen Rumpelfaktors modern und differenziert zu klingen. Als tontechnischer Laie tue ich mir schwer, das zu erklären – in meinen Ohren ist es jedenfalls so, dass für „Frontschwein“ der perfekte Sound für diese Art von Musik und das inhaltliche Thema gefunden wurde. Das hätte ich eigentlich nicht für möglich gehalten, auch, weil mir warme, volle Produktionen eigentlich lieber sind. Hier zeigen Marduk aber mal eben dem gesamten Genre, wie Black Metal in den 2010ern klingen kann, nein, klingen muss, ohne wahlweise dilettantisch, kommerziell oder schablonenhaft rüberzukommen. Nochmal Chapeau, mehr kann man dazu kaum sagen.


Track – Titel – Länge – Wertung

metal-archives.com

  1. Frontschwein – 3:13 – 6/7
  2. The Blond Beast – 4:26 – 6/7
  3. Afrika – 4:00 – 5/7
  4. Wartheland – 4:17 – 6/7
  5. Rope of Regret – 3:52 – 5/7
  6. Between the Wolf-Packs – 4:28 – 5/7
  7. Nebelwerfer – 6:17 – 7/7
  8. Falaise: Cauldron of Blood – 4:58 – 7/7
  9. Doomsday Elite – 8:11 – 4/7
  10. 503 – 5:12 – 5/7
  11. Thousand-Fold Death – 3:45 – 6/7

Gesamteindruck: 5/7 


Marduk auf “Frontschwein” (2015):

  • Mortuus – Vocals
  • Morgan – Guitar
  • Devo – Bass
  • Widigs – Drums

Anspieltipp: Nebelwerfer

FilmWelt: Heavy Trip

Finnland ist in Sachen Film ja nicht unbedingt für internationale Großproduktionen bekannt, sieht man mal vom Überraschungserfolg „Iron Sky“ (2012) ab. Daran wird „Heavy Trip“ (2018) vermutlich nicht viel ändern – zu zielgruppenspezifisch dürfte die Komödie aus dem Land der Tausend Seen sein. Dabei haben die Regisseure Juuso Laatio und Jukka Vidgren eine liebevolle Hommage an ein Genre, das sich in weiten Teilen immer noch hartnäckig weigert, erwachsen zu werden, geschaffen. Und das ist ihnen so gut gelungen, dass nicht nur Heavy Metal-Fans ein Auge riskieren sollten.

Gesamteindruck: 6/7


Kuuuuuusaaamooo!

Heavy Metal besteht als Subkultur mittlerweile seit gut 40 Jahren. Vieles hat sich in dieser Zeit geändert – und doch sind die Grundzüge der einst so rebellischen Jugendbewegung nach wie vor da. Ja, heute ist die Musikrichtung abwechslungsreicher und letztlich beliebter als je zuvor, was längst einen Grad an Professionalisierung nach sich gezogen hat, der früher undenkbar gewesen wäre. Gleich geblieben ist hingegen, dass die beste und ehrlichste Musik weiterhin ihren Ursprung weiterhin in elterlichen Garagen und improvisierten Proberäumen hat – allen Casting-Shows und ähnlichen Massenphänomenen zum Trotz. Und immer noch werden Metalheads in ihrer Jugend oft als Außenseiter belächelt, immer noch sind diejenigen, die Pop und Schlager machen, die in fast allen Belangen Erfolgreicheren.

Inhalt in Kurzfassung
In einem kleinen Dorf, irgendwo im ländlichen Finnland, proben vier Freunde seit fast 20 Jahren als namenlose Band. Zu einem Auftritt haben es die sympathischen Außenseiter in all der Zeit nie gebracht. Als der Zufall den Manager eines norwegischen Festivals in ihre Gegend führt, spielen sie ihm eine Demokassette zu, in der Hoffnung, so entdeckt zu werden. Schnell macht im Dorf das Gerücht die Runde, die kurzerhand Impaled Rektum (!) benannte Band stünde kurz vor einem großen Auftritt – und schon werden aus den Außenseitern gefeierte Helden. Dass der Weg an die Spitze nicht so einfach ist, müssen die vier allerdings schneller feststellen als ihnen lieb ist.

Wer sich als Regisseur einer in sich geschlossenen Kultur wie dem Heavy Metal nähern möchte, muss vorsichtig sein. Der größte Teil des Zielpublikums ist innerhalb der Szene zu finden und schätzt es gar nicht, mit einer plumpen Persiflage konfrontiert zu werden. Glücklicherweise machen die Regisseure Juuso Laatio und Jukka Vidgren in ihrem ersten abendfüllenden Spielfilm alles richtig. Sie schaffen es, die Besonderheiten und liebenswerten Schrullen so gut einzufangen, dass man sich als Metalhead zu keinem Zeitpunkt verarscht fühlt. Da gibt es den Typen, der jeden Songtitel der vergangenen 30 Jahre auswendig kennt, da gibt es die absonderlichsten Genre-Bezeichnungen, da gibt es die typischen Outfits, das Corpsepaint und den ständigen Konflikt mit den Normalos. Ja, all das ist teilweise überzeichnet. Und doch ist es so, dass sich jeder, der sich jemals – und sei es auch nur kurz – in der Szene bewegt hat, sich in dem einen oder anderen Aspekt von „Heavy Trip“ wiederfinden wird. Übrigens: Laatio und Vidgren haben sich vor „Heavy Trip“ mit Musikvideos, z.B. für die finnische Melodic Death Metal-Band Kalmah, einen Namen gemacht; sie sind also nicht ganz unbeleckt, was das Thema betrifft – und das merkt man auch sehr deutlich.

Fast durchgehend brillant.

Dass in einem solchen Film der Soundtrack eine wichtige Rolle spielt, sollte nicht überraschen. Neben diversen Metal- und Rock-Klassikern, die im Hintergrund gespielt werden, wurde der Score von Lauri Porra komponiert, seines Zeichens Bassist der finnischen Power Metaller Stratovarius. Die beeindruckendste Nummer im Film ist eine Cover-Version des Amorphis-Gassenhauers „Kuusamo“. Sollte man in der Variante von Impaled Rektum definitiv gehört haben.

Gedreht wurde großteils in einem Dörfchen im Nordosten Finnlands, entsprechend authentisch sieht die Gegend aus. Generell sind die Bilder, die man in „Heavy Trip“ zu sehen bekommt, dem starken Soundtrack zumindest ebenbürtig, fangen sie doch perfekt den starken Kontrast zwischen der wunderschönen skandinavischen Natur und der Trostlosigkeit des Dorfes irgendwo im Nirgendwo ein. Zur Auswahl der Darsteller kann man ebenfalls nur gratulieren. Jede einzelne Rolle wurde gut besetzt und die weitgehend unbekannten, finnischen Mimen machen ihre Sache ausgezeichnet. Man lacht, bangt und hofft mit den Helden, man hasst die Bösewichte (ganz klassisch: der Dorfpolizist und ein Schnulzensänger) – kurz: Man nimmt jeder Figur ihre Rolle ab.

Dass die Schauspieler überzeugen ist natürlich auch dem Drehbuch zu verdanken, das erstaunlich konventionell daherkommt. Aber auch, wenn Überraschungen fehlen und es manchmal arg vorhersehbar wird, gibt es hier nicht viel zu meckern – die Handlung setzt auf solide Komödien-Kost mit Road Movie- und Coming-of-Age-Anleihen. Der Humorfaktor ist sehr hoch, ich habe das Gefühl, durchgehend gelacht zu haben. Damit man wirklich jeden Gag mitnehmen kann, ist es an dieser Stelle allerdings von Vorteil, wenn man zumindest ein bisschen bewandert ist, was Szene und Musik angeht.

Kleinere Längen.

Nach so viel Lob muss aber auch ein bisschen Kritik erlaubt sein. Dass der Film zum Teil sehr vorhersehbar ist, habe ich erwähnt. Dementsprechend zündet auch nicht jede Idee, auf manche Situation wird man gefühlt minutenlang vorbereitet. Lustig sind die Gags freilich trotzdem, aber an einigen Stellen hätte man sich doch etwas mehr Einfallsreichtum gewünscht. Zweiter Kritikpunkt ist die eine oder andere Szene, die den Eindruck erweckt, der Film hätte künstlich auf über 90 Minuten gestreckt werden sollen. Gerade zum Schluss hin wird das eigentlich angenehme, sehr flotte Erzähltempo etwas gedrosselt. Zwar ist das Finale dann wieder recht rasant, doch die angezogene Handbremse im letzten Viertel hinterlässt im Nachgang einen etwas bittereren Geschmack als der Film verdient hat.

Dennoch: „Heavy Trip“ ist ein sehr gelungener Film, dem man jedem Heavy Metal-Fan, aber auch jedem anderen, der auch nur ein bisschen Sympathie für die Szene mitbringt, bedenkenlos empfehlen kann.

Gesamteindruck: 6/7


Originaltitel: Hevi Reissu
Regie: Juuso Laatio, Jukka Vidgren
Jahr: 2018
Land: Finnland, Norwegen
Laufzeit: 91 Minuten
Besetzung (Auswahl): Johannes Holopainen, Samuli Jaskio, Max Ovaska, Antti Heikkinen, Minka Kuustonen, Ville Tiihonen, Chike Ohanwe