Finnland ist in Sachen Film ja nicht unbedingt für internationale Großproduktionen bekannt, sieht man mal vom Überraschungserfolg „Iron Sky“ (2012) ab. Daran wird „Heavy Trip“ (2018) vermutlich nicht viel ändern – zu zielgruppenspezifisch dürfte die Komödie aus dem Land der Tausend Seen sein. Dabei haben die Regisseure Juuso Laatio und Jukka Vidgren eine liebevolle Hommage an ein Genre, das sich in weiten Teilen immer noch hartnäckig weigert, erwachsen zu werden, geschaffen. Und das ist ihnen so gut gelungen, dass nicht nur Heavy Metal-Fans ein Auge riskieren sollten.
Gesamteindruck: 6/7
Kuuuuuusaaamooo!
Heavy Metal besteht als Subkultur mittlerweile seit gut 40 Jahren. Vieles hat sich in dieser Zeit geändert – und doch sind die Grundzüge der einst so rebellischen Jugendbewegung nach wie vor da. Ja, heute ist die Musikrichtung abwechslungsreicher und letztlich beliebter als je zuvor, was längst einen Grad an Professionalisierung nach sich gezogen hat, der früher undenkbar gewesen wäre. Gleich geblieben ist hingegen, dass die beste und ehrlichste Musik weiterhin ihren Ursprung weiterhin in elterlichen Garagen und improvisierten Proberäumen hat – allen Casting-Shows und ähnlichen Massenphänomenen zum Trotz. Und immer noch werden Metalheads in ihrer Jugend oft als Außenseiter belächelt, immer noch sind diejenigen, die Pop und Schlager machen, die in fast allen Belangen Erfolgreicheren.
Inhalt in Kurzfassung
In einem kleinen Dorf, irgendwo im ländlichen Finnland, proben vier Freunde seit fast 20 Jahren als namenlose Band. Zu einem Auftritt haben es die sympathischen Außenseiter in all der Zeit nie gebracht. Als der Zufall den Manager eines norwegischen Festivals in ihre Gegend führt, spielen sie ihm eine Demokassette zu, in der Hoffnung, so entdeckt zu werden. Schnell macht im Dorf das Gerücht die Runde, die kurzerhand Impaled Rektum (!) benannte Band stünde kurz vor einem großen Auftritt – und schon werden aus den Außenseitern gefeierte Helden. Dass der Weg an die Spitze nicht so einfach ist, müssen die vier allerdings schneller feststellen als ihnen lieb ist.
Wer sich als Regisseur einer in sich geschlossenen Kultur wie dem Heavy Metal nähern möchte, muss vorsichtig sein. Der größte Teil des Zielpublikums ist innerhalb der Szene zu finden und schätzt es gar nicht, mit einer plumpen Persiflage konfrontiert zu werden. Glücklicherweise machen die Regisseure Juuso Laatio und Jukka Vidgren in ihrem ersten abendfüllenden Spielfilm alles richtig. Sie schaffen es, die Besonderheiten und liebenswerten Schrullen so gut einzufangen, dass man sich als Metalhead zu keinem Zeitpunkt verarscht fühlt. Da gibt es den Typen, der jeden Songtitel der vergangenen 30 Jahre auswendig kennt, da gibt es die absonderlichsten Genre-Bezeichnungen, da gibt es die typischen Outfits, das Corpsepaint und den ständigen Konflikt mit den Normalos. Ja, all das ist teilweise überzeichnet. Und doch ist es so, dass sich jeder, der sich jemals – und sei es auch nur kurz – in der Szene bewegt hat, sich in dem einen oder anderen Aspekt von „Heavy Trip“ wiederfinden wird. Übrigens: Laatio und Vidgren haben sich vor „Heavy Trip“ mit Musikvideos, z.B. für die finnische Melodic Death Metal-Band Kalmah, einen Namen gemacht; sie sind also nicht ganz unbeleckt, was das Thema betrifft – und das merkt man auch sehr deutlich.
Fast durchgehend brillant.
Dass in einem solchen Film der Soundtrack eine wichtige Rolle spielt, sollte nicht überraschen. Neben diversen Metal- und Rock-Klassikern, die im Hintergrund gespielt werden, wurde der Score von Lauri Porra komponiert, seines Zeichens Bassist der finnischen Power Metaller Stratovarius. Die beeindruckendste Nummer im Film ist eine Cover-Version des Amorphis-Gassenhauers „Kuusamo“. Sollte man in der Variante von Impaled Rektum definitiv gehört haben.
Gedreht wurde großteils in einem Dörfchen im Nordosten Finnlands, entsprechend authentisch sieht die Gegend aus. Generell sind die Bilder, die man in „Heavy Trip“ zu sehen bekommt, dem starken Soundtrack zumindest ebenbürtig, fangen sie doch perfekt den starken Kontrast zwischen der wunderschönen skandinavischen Natur und der Trostlosigkeit des Dorfes irgendwo im Nirgendwo ein. Zur Auswahl der Darsteller kann man ebenfalls nur gratulieren. Jede einzelne Rolle wurde gut besetzt und die weitgehend unbekannten, finnischen Mimen machen ihre Sache ausgezeichnet. Man lacht, bangt und hofft mit den Helden, man hasst die Bösewichte (ganz klassisch: der Dorfpolizist und ein Schnulzensänger) – kurz: Man nimmt jeder Figur ihre Rolle ab.
Dass die Schauspieler überzeugen ist natürlich auch dem Drehbuch zu verdanken, das erstaunlich konventionell daherkommt. Aber auch, wenn Überraschungen fehlen und es manchmal arg vorhersehbar wird, gibt es hier nicht viel zu meckern – die Handlung setzt auf solide Komödien-Kost mit Road Movie- und Coming-of-Age-Anleihen. Der Humorfaktor ist sehr hoch, ich habe das Gefühl, durchgehend gelacht zu haben. Damit man wirklich jeden Gag mitnehmen kann, ist es an dieser Stelle allerdings von Vorteil, wenn man zumindest ein bisschen bewandert ist, was Szene und Musik angeht.
Kleinere Längen.
Nach so viel Lob muss aber auch ein bisschen Kritik erlaubt sein. Dass der Film zum Teil sehr vorhersehbar ist, habe ich erwähnt. Dementsprechend zündet auch nicht jede Idee, auf manche Situation wird man gefühlt minutenlang vorbereitet. Lustig sind die Gags freilich trotzdem, aber an einigen Stellen hätte man sich doch etwas mehr Einfallsreichtum gewünscht. Zweiter Kritikpunkt ist die eine oder andere Szene, die den Eindruck erweckt, der Film hätte künstlich auf über 90 Minuten gestreckt werden sollen. Gerade zum Schluss hin wird das eigentlich angenehme, sehr flotte Erzähltempo etwas gedrosselt. Zwar ist das Finale dann wieder recht rasant, doch die angezogene Handbremse im letzten Viertel hinterlässt im Nachgang einen etwas bittereren Geschmack als der Film verdient hat.
Dennoch: „Heavy Trip“ ist ein sehr gelungener Film, dem man jedem Heavy Metal-Fan, aber auch jedem anderen, der auch nur ein bisschen Sympathie für die Szene mitbringt, bedenkenlos empfehlen kann.
Gesamteindruck: 6/7
Originaltitel: Hevi Reissu
Regie: Juuso Laatio, Jukka Vidgren
Jahr: 2018
Land: Finnland, Norwegen
Laufzeit: 91 Minuten
Besetzung (Auswahl): Johannes Holopainen, Samuli Jaskio, Max Ovaska, Antti Heikkinen, Minka Kuustonen, Ville Tiihonen, Chike Ohanwe
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