Marduk
Das 13. Album der schwedischen Urgesteine dürfte bereits beim Blick auf das Cover verschiedenste Assoziationen wecken. Beim gemeinen Metaller wird es in Richtung „typisch Marduk„ gehen, während der erfahrene Anhänger des Black Metal-Kommandos – je nach Gusto – eine vermeintliche Rückbesinnung auf „Panzer Division Marduk“ (1999) entweder erhoffen oder befürchten wird. Was gänzlich genrefremde Menschen von Titel und Covermotiv halten werden, bedarf wohl keiner näheren Erläuterung.
Gesamteindruck: 5/7
Panzer Division 2.0?
Der Griff zur Stielhandgranate als Covermotiv, das prominent platzierte Eiserne Kreuz, ein bisschen Frakturschrift, der eine oder andere Song mit deutschem Namen und „Frontschwein“ als Titel – Marduk sind 2015, also 25 Jahre (!) nach ihrer Gründung, weiterhin voll auf Konfrontations- und Provokationskurs. Dabei darf man allerdings nicht den Fehler machen, die Schweden der Verherrlichung des wohl dunkelsten Kapitels der europäischen Geschichte zu verdächtigen. Ja, Bandboss Morgan „Evil“ Håkansson und Sänger Daniel „Mortuus“ Rostén sind augenscheinlich auf morbide Weise vom Krieg fasziniert. Welches reale Thema könnte auch böser und damit Black Metal-tauglicher sein? Eine Glorifizierung vermag ich allerdings weder in der Musik noch in den Lyrics zu erkennen. Eigentlich ist sogar das Gegenteil der Fall, der harsche Sound und die düsteren Lyrics wirken wie eine Warnung vor schrecklichen Ereignissen.
Bevor wir zur Musik kommen, ein paar generelle Worte zur Kriegsthematik bei Marduk: Der bewaffnete Konflikt gehört ja neben den Themen „Tod“ und „Blut“ zu den drei bestimmenden Faktoren der Marduk’schen Philosophie des Black Metal. Nun könnte man denken, dass ein Album namens „Frontschwein“ „typisch Marduk“ wäre. Dem ist jedoch – mit Blick auf die Diskographie der Schweden – ganz und gar nicht so. Der Tod in seinen verschiedenen – auch religiösen – Facetten herrscht im Backkatalog eindeutig vor. Letztlich gab es von 1990 bis 2015 ein einziges Werk, das vollständig dem Krieg gewidmet war: „Panzer Division Marduk“ (1999). Von „typisch“ kann in diesem Sinne also keine Rede sein. Im Übrigen sei gesagt, dass „Panzer Divsion Marduk“ mit seinen teils arg infantilen Texten meinem Verständnis nach kein ernsthafter Versuch war, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Im Gegenteil, auch abseits des gewöhnungsbedürftigen Songwritings halte ich das Album für mehr Schein (=Provokation) als Sein (=musikalische Qualität). Ganz im Gegensatz zum geistigen Nachfolger von 2015.
Lärm mit Sinn und Verstand.
Wenn man so will kann man „Frontschwein“ als in allen Belangen verbesserte Variante, als eine Art „Panzer Division 2.0“, sehen. Das beginnt schon bei der angriffslustigen und brutalen Attitüde, die man anno 2015 jedoch mit anderen Methoden erreicht. Denn das Songwriting ist kaum mit dem Getrümmer vergleichbar, das „Panzer Division Marduk“ auf Dauer dermaßen anstrengend gemacht hat. Insgesamt gehen Marduk auf „Frontschwein“ musikalisch so abwechslungsreich und ausgefeilt zu Werke, wie man es seit dem Einstieg von Frontmann Mortuus kennt (wenn man es ganz genau nimmt, kannte man Marduk schon immer relativ abwechslungsreich, dass der allgemeine Eindruck ganz anders ist, ist auch ein zweifelhafter Verdienst ihres 1999er-Albums…). Bei den Lyrics gibt man sich ebenfalls keine Blöße und setzt sich diesmal mit realen Begebenheiten des 2. Weltkrieges auseinander, was den Eindruck einer gereiften und erwachsen gewordenen Band verstärkt.
„Frontschwein“ beginnt mit dem Titeltrack. Ein heftiger Ausbruch, der den Zuhörer zu packen und mitten auf einem Schlachtfeld abzusetzen scheint. Salven aus Bass (ja, der ist einmal mehr sehr gut hörbar!), Drums (dort gab es erneut einen Wechsel, Fredrik Widigs ersetzt nach nur zwei Alben Lars Brodesson) und Rhythmusgitarre drücken unaufhörlich, scheinbar kommandiert von gebellten Befehlen Mortuus‘. Nur die eingängige Leadgitarre bringt ein wenig Erleichterung in diesem Inferno. Nach einem solchen Opener meint man, auf alles gefasst zu sein – und doch gibt es mit dem folgenden „The Blond Beast“ eine faustdicke Überraschung: Ausgerechnet der Song, in dem es um Reinhard Heydrich, einen der schlimmsten Nazi-Verbrecher überhaupt, geht (übrigens nicht zum ersten Mal bei Marduk), ist die eingängigste Nummer auf „Frontschwein“. Dafür sorgt der für einen Black Metal-Track ungewöhnliche, rock n‘ rollige Midtempo-Rhythmus, den man auch bei neueren Werken von Satyricon immer mal wieder präsentiert bekommt. Lässt man sich auf die Kombination aus Lyrics und Musik ein, bekommt man mit „The Blond Beast“ einen der makabersten Songs präsentiert, die Marduk je geschrieben haben. Und das – kaum zu glauben – weder mit Blastbeats noch in schleppendem Doom.
Nach diesem starken Auftakt geht es im Prinzip im Wechsel zwischen schnell und langsam weiter. Den Highspeed-Attacken ist eine gewisse Nähe zu „Panzer Division Marduk“ nicht abzusprechen, was Intensität und Brutalität betrifft. Kompositorisch hätten Songs wie „Afrika“, „Rope of Regret“ oder die unglaubliche Attacke auf Mortuus‘ Stimmbänder, „Thousand-Fold Death“, auf „Panzer Division Marduk“ definitiv zu den besten Nummern gehört – eben, weil sie trotz ähnlicher Brutalität einfach viel, viel besser komponiert sind. Insbesondere gilt das für „Falaise: Cauldron of Blood“, das einen hörenswerten Spagat zwischen brutal und düster-erhaben schafft.
Für jeden, der sich ein bisschen genauer mit Marduk beschäftigt hat, dürfte es wenig überraschend sein, dass auch die langsameren Stücke überzeugen können. Vor allem „Wartheland“ und „Nebelwerfer“ seien hier genannt, die unterschwellig eine gehörige Portion Angst mittransportieren. Zu den eher gemächlichen Nummern gehört auch „503“, das musikalisch nichts mit dem quasi-Vorgänger „502“ auf „Panzer Division Marduk“ gemein hat. Wohl aber inhaltlich, denn auch diese Zahl bezieht sich auf eine schwere Panzerabteilung im 2. Weltkrieg.
Einziger Song, der auf „Frontschwein“ aus meiner Sicht ein wenig abfällt, ist das lange „Doomsday Elite“. Somit haben wir es bei Album Nummer 13 erneut mit einer sehr guten Scheibe zu tun, die zwar nicht ganz an meine persönlichen Favoriten „Rom 5:12“ (2007), „Wormwood“ (2009), „Nightwing“ (1998) und „Opus Nocturne“ (1994) herankommt, aber dennoch weit vorne in der Marduk-Diskographie angesiedelt ist. Chapeau!
Abschließend noch ein Wort zum Sound: Die Vorgänger von „Frontschwein“, insbesondere „Serpent Sermon“ (2013), waren over the top, was die Produktion betrifft. Das dürfte das Maximum gewesen sein, das bei einer Black Metal-Truppe an klarem Sound rauszuholen war, ohne zu poliert zu klingen. Für „Frontschwein“ haben die Schweden hörbar einen Schritt zurück gemacht. Das Album ist dreckiger, kälter und damit näher an den klassischen Produktionen der 2. Black Metal-Generation als alles, was Marduk seit der Jahrtausendwende auf den Markt gebracht haben. Gleichzeitig ist ihnen das Kunststück gelungen, trotz eines gewissen Rumpelfaktors modern und differenziert zu klingen. Als tontechnischer Laie tue ich mir schwer, das zu erklären – in meinen Ohren ist es jedenfalls so, dass für „Frontschwein“ der perfekte Sound für diese Art von Musik und das inhaltliche Thema gefunden wurde. Das hätte ich eigentlich nicht für möglich gehalten, auch, weil mir warme, volle Produktionen eigentlich lieber sind. Hier zeigen Marduk aber mal eben dem gesamten Genre, wie Black Metal in den 2010ern klingen kann, nein, klingen muss, ohne wahlweise dilettantisch, kommerziell oder schablonenhaft rüberzukommen. Nochmal Chapeau, mehr kann man dazu kaum sagen.
Track – Titel – Länge – Wertung
- Frontschwein – 3:13 – 6/7
- The Blond Beast – 4:26 – 6/7
- Afrika – 4:00 – 5/7
- Wartheland – 4:17 – 6/7
- Rope of Regret – 3:52 – 5/7
- Between the Wolf-Packs – 4:28 – 5/7
- Nebelwerfer – 6:17 – 7/7
- Falaise: Cauldron of Blood – 4:58 – 7/7
- Doomsday Elite – 8:11 – 4/7
- 503 – 5:12 – 5/7
- Thousand-Fold Death – 3:45 – 6/7
Gesamteindruck: 5/7
Marduk auf “Frontschwein” (2015):
- Mortuus – Vocals
- Morgan – Guitar
- Devo – Bass
- Widigs – Drums
Anspieltipp: Nebelwerfer
2 Gedanken zu “MusikWelt: Frontschwein”