Hier haben wir es also: Das erste Album von Dimmu Borgir, bei dem ich mich nach den ersten Durchläufen im Jahre 2007 tatsächlich an Enttäuschung meinerseits erinnern kann. Klar, aus heutiger Sicht und bei ganz genauem Hinhören sind alle Alben der Norweger – mit Ausnahme des genau zehn Jahre zuvor erschienenen, nach wie vor grandiosen „Enthrone Darkness Triumphant“ – nicht so toll, wie ich sie im Gedächtnis hatte. „In Sorte Diaboli“ (2007) war aber die erste Platte, bei der ich direkt merkte, dass sie mir über weite Strecken nicht gefällt.
Gesamteindruck: 3/7
Unaufhaltsamer Abstieg.
Anno 2007 erwartete man von Dimmu Borgir selbstverständlich schon lange kein schwarzmetallisches Manifest mehr, sondern ein solides Album mit dem einen oder anderen Hit. Derer stehen dann auch wirklich zwei auf „In Sorte Diaboli“: Der Opener „The Serpentine Offering“ ist ein vielversprechender Auftakt für das erste Konzeptwerk von Dimmu Borgir. Die Stimmung des Songs passt gut zur Geschichte, die das Album erzählt: Ein Priester, der im mittelalterlichen Europa an seinem Glauben zu zweifeln beginnt und schließlich den Mächten des Bösen verfällt. „The Serpentine Offering“ ist eingängig, dennoch dunkel genug, um zu überzeugen – so will man das von Dimmu Borgir hören. Oder auch nicht, aber das ist ein anderes Thema.
Zweiter Treffer ist „The Sacrilegous Scorn“, das wie „The Serpentine Offering“ und „The Chosen Legacy“ mit einem (recht aufwändigen) Videoclip ausgestattet wurde. Auch dieses Stück kann mit den Attributen punkten, die man an Dimmu Borgir entweder seit „Spiritual Black Dimensions“ (1999) samt Nachfolgern entweder hasst oder die man von der Band unbedingt hören möchte. Also Klargesang von Bassist ICS Vortex, den aggressiven Gegenpart von Shagrath, ein paar Passagen zum Mitschreien, Orchester-artige Arrangements von Keyboarder Mustis und hie und da einen leichten Industrial-Touch. Passt für mich – wobei hier (und mehr noch bei „The Serpentine Offering“) bereits auffällt, dass die Norweger sehr sparsam mit den Texten sind. Nicht, dass die bei Dimmu Borgir jemals eine Offenbarung gewesen wären… Vielleicht ist es aber auch so, dass es auf „In Sorte Diaboli“ umso mehr auffällt, weil sich Silenoz hier zur Umsetzung des Konzepts tatsächlich mal an sinnvollen Lyrics versuchen musste, was vorher nie der Fall gewesen war. In diesem Zusammenhang sei auch noch erwähnt, dass der Titel des Albums (deutsch etwas „Im Auftrag des Teufels“) erstmals seit 1997 vom völlig sinnfreien Drei-Wort-Nonsens abweicht.
So viel zu den Songs auf „In Sorte Diaboli“, die ich seit 1997 in guter Erinnerung habe und die den test of time für mein Dafürhalten gut überstanden haben. Beim neuerlichen Hören des gesamten Albums ist mir ein weiterer Track positiv aufgefallen, den ich damals gar nicht auf dem Schirm hatte: „The Ancestral Fever“ ist eine vergleichsweise langsame Nummer, die im Gegensatz zum Rest der Platte tatsächlich sowas wie Black Metal-Atmosphäre verbreitet – natürlich im Rahmen des Dimmu Borgir’schen Soundkosmos, dessen bin ich mir durchaus bewusst. Dennoch, das ist ein guter, sehr dunkler Song, der mir zu Unrecht vollkommen entfallen ist. In dessen Genuss kommen übrigens nur Besitzer einer europäischen Variante des Albums.
Die übrigen sechs Nummern (darunter mit „The Fallen Arises“ ein Instrumental) sind hingegen reichlich unspektakulär ausgefallen. Es gibt gelegentlich Momente, in denen man aufhorcht, meist sind das aber in immer recht ähnlicher Form reingebrüllte Textzeilen wie „In sorte! Diaboli!“ („The Chosen Legacy“) oder „Antichristus! Spiritualis!“ („The Sinister Awakening“). Das ist zwar auch bei „The Serpentine Offering“ so („Share my sacrifice!“), aber dort stimmt der Rest des Materials halt auch, während bei genannten Nummern bis auf diese paar Worte so gut wie nichts hängenbleibt.
Viel Beliebigkeit.
Und genau das ist das Problem von „In Sorte Diaboli“ als Gesamtwerk. Bis auf wenige Momente verschwimmen die Songs ineinander, sind kaum unterscheidbar und wirken wie eine einziges, langes Hintergrundrauschen. Es hilft natürlich nicht, dass fast alle Tracks in ähnlichem Tempo aus den Boxen kommen – das Hauptübel würde ich jedoch definitiv im Songwriting an sich verorten. In meinen Ohren verstärkt sich hier ein Faktor, der spätestens seit „Puritanical Euphoric Misanthropia“ (2001) bei Dimmu Borgir Einzug gehalten hat: Es gibt zu viel Beliebigkeit.
Für mein Dafürhalten setzt die Band unbegreiflicherweise nicht auf die paar lichten Momente, die jedes (!) ihrer neueren Alben hat, sondern genau auf die Art von Song, bei dem ich mich frage, wem das eigentlich wirklich gefällt. Das, was auf „In Sorte Diaboli“ über weite Strecken geboten wird, ist dementsprechend weder Fisch noch Fleisch – die Zugänglichkeit für die moderne Generation fehlt, umgekehrt ist das Material aber auch nicht wirklich progressiv oder auch nur ansatzweise tiefgründig. Und auch die düstere Atmosphäre ist maximal in homöopathischen Dosen vorhanden; kurz: Es fehlt hier an allem, vor allem aber an Seele. Daran kann auch die höchst professionelle Umsetzung (Technik, Produktion, Mix) nichts ändern. Eventuell ist die sogar ein Hinderungsgrund (klinischer Drumsound, anyone?), aber das führt jetzt zu weit.
Fazit: Dafür haben die Osloer tatsächlich 4 Jahre seit dem letzten regulären Album „Death Cult Armageddon“ (2003) gebraucht? „In Sorte Diaboli“ ist für mich neben dem noch reichlich amateurhaften aber weit atmosphärischeren Debüt „For All Tid“ (1995) der bis zu diesem Zeitpunkt schwächste Output von Dimmu Borgir. Mit Abstand. Da wird es dann auch zur Randnotiz, dass kvlt-Drummer Hellhammer zum zweiten Mal nach der semi-gelungenen „Stormblåst“-Neueinspielung von 2005 die Felle gerbt. Ganz ehrlich: Vermutlich wäre es sogar noch ein Punkt weniger geworden, wenn ich nicht wüsste, was in den folgenden Jahren noch aus dem Hause Dimmu Borgir auf uns zukommen würde….
metal-archives.com
Track – Titel – Länge – Wertung
The Serpentine Offering – 5:09 – 6/7
The Chosen Legacy – 4:16 – 4/7
The Conspiracy Unfolds – 5:23 – 3/7
The Ancestral Fever [europäischer Bonustrack] – 5:51 – 6/7
Spannend und unterhaltsam, versehen mit einigen interessanten Twists und durchaus harten Szenen – so präsentiert sich der 2019 weltweit von Netflix veröffentlichte Film „The Perfection“. Dabei besticht der Streifen durch eine Handlung, die vielschichtiger ist, als man meinen möchte. Leider dämpfen kleinere Unzulänglichkeiten die Begeisterung ein wenig. Dennoch: Ein guter Film, den sich jeder, der auf Thriller mit ein paar Horror-Elementen steht, gut ansehen kann.
Gesamteindruck: 5/7
Ein Plot Twister.
„The Perfection“ einem Genre zuzuordnen, fällt gar nicht so leicht. Der Film trägt Züge eines Horror-Streifens, ist aber eigentlich eher ein Psycho-Thriller. Getragen wird der Plot einerseits von einem aus dramaturgischer Sicht sehr stark geschriebenen Drehbuch, andererseits von den Hauptdarstellerinnen Allison Williams und Logan Browning, die sehr gut miteinander harmonieren. Das Duo schafft es meines Erachtens einwandfrei schaffen, seinen doch recht unterschiedlichen Figuren Leben einzuhauchen. Gleiches gilt für Steven Weber, der den Leiter der Bachhoff-Schule sehr glaubhaft verkörpert.
Inhalt in Kurzfassung Charlotte Willmore war einst Schülerin des renommierten Bachhoff-Konservatoriums – bis sie ihre Ausbildung zur Cellistin abbrechen musste, um ihre schwerkranke Mutter zu pflegen. Jahre später trifft sie in Shanghai, wo ihre ehemalige Schule gerade auf der Suche nach neuen Talenten ist, auf ihre Nachfolgerin Lizzie Wells. Die jungen Frauen sind sich sofort sympathisch, beginnen sogar eine intime Beziehung. Doch der gemeinsame Urlaub, der mit einer Busfahrt durch das chinesische Hinterland beginnt, wird zu einem Horrortrip, auf dem nichts so ist, wie es zunächst scheint.
Als Thriller funktioniert „The Perfection“ in meinen Augen sehr gut, das Spannungslevel ist durchgehend hoch, sieht man von einigen Momenten ab, die man vermutlich nur als Kenner klassischer Musik richtig schätzen kann. Vordergründig haben wir es hier schlicht und einfach mit sehr gut inszenierter Unterhaltung zu tun; Drehbuch, Dialoge, Schauspieler – alles im grünen Bereich. Der Film versteht es ferner, sehr lange unvorhersehbar zu sein, was mehreren Plot Twists zu verdanken ist, die meiner Meinung nach sehr gut eingearbeitet wurden. Zu erwähnen wäre noch, dass der eine oder andere Ekeleffekt (daher: Horror) nichts für schwache Nerven ist, wobei man Körperflüssigkeiten und Gewalt zunächst in relativ dosierter, punktueller Form zu sehen bekommt – Splatter geht definitiv anders, auch wenn es im Finale dann doch recht drastisch und blutig wird.
Sieht man genauer hin, hat „The Perfection“ einen sehr ernsten Hintergrund. Es geht, soviel sei verraten, um die Art und Weise, wie junge Menschen auf Perfektion getrimmt werden, ferner um Machtmissbrauch, Eifersucht und Rache. Alles Dinge, von denen man sich vorstellen kann – nein, von denen man weiß! – dass sie in der Realität der Eliteschulen genau so vorkommen. Wenn es ein Ziel des Films war, derartige Missstände aufzuzeigen, hat er das erreicht, wobei man sagen muss, dass das nun auch nicht ganz neu ist. Dennoch ist es aller Ehren wert, dass sich „The Perfection“ einem Tabuthema widmet, das wahrscheinlich seit Jahrhunderten als Problem besteht, aber erst heute langsam in den Fokus der Öffentlichkeit rückt.
Schwächen in der Glaubwürdigkeit.
Auch, wenn alles, was ich bisher geschrieben habe, sehr positiv klingt, hat „The Perfection“ mit ein paar Problemen zu kämpfen. Das betrifft speziell einige sehr abstruse Ansätze, die voraussetzen, dass eine Protagonistin eine in Wirklichkeit unkontrollierbare Situation steuern kann – Stichwort: Nebenwirkung von Medikamenten. Mehr möchte ich dazu jetzt nicht sagen, weil dafür größere Spoiler notwendig wären, aber es ist offensichtlich, dass hier einiges an den Haaren herbeigezogen wurde. Überhaupt ist der gesamte Lösungsvorschlag, den „The Perfection“ für sein grundlegendes, ernstzunehmendes Thema bietet, fragwürdig. Das wäre für einen reinen Horrorfilm kein großes Problem, in vorliegendem Fall stört man sich dann aber doch daran, weil man das Gefühl hat, dass die Regisseur und/oder Drehbuchautoren nicht so richtig wussten, wohin sie im Endeffekt wollten. Das verwehrt einem guten Film letztlich eine noch bessere Wertung. Sehenswert ist „The Perfection“ aber auf jeden Fall.
Gesamteindruck: 5/7
Originaltitel:The Perfection. Regie:Richard Shepard Drehbuch: Richard Shepard, Eric Charmelo, Nicole Snyder Jahr: 2018 (Premiere) Land: USA Laufzeit: 90 Minuten Besetzung (Auswahl): Allison Williams, Logan Browning, Steven Weber, Molly Grace, Milah Tompson, Alaina Huffman
Ich gestehe, dass ich das zweite Album von Dimmu Borgir, „Stormblåst“ (1996), erst nach vorliegender Fassung von 2005 kennengelernt habe. Mir waren zwar einzelne Songs bekannt, aber intensiver damit beschäftigt habe ich mich erst 10 Jahre nach der Veröffentlichung. Dass es überhaupt so gekommen ist, ist mit Sicherheit auch „Stormblåst MMV“ zu verdanken. Denn dieses Album klingt für jemanden, der wie ich erst mit „Enthrone Darkness Triumphant“ (1997) bei Dimmu Borgir eingestiegen ist, völlig anders als die gewohnte Musik der Norweger. Die Neugier war damit geweckt und es war nur noch ein kleiner Schritt bis zur Entdeckung des Originals. Hier geht es allerdings um die Neuaufnahme – oder auch nicht, denn eine Rezension derselben ist meines Erachtens nicht möglich, ohne auf das 1996er-Werk Bezug zu nehmen.
Gesamteindruck: 4/7
Guter Sound macht nicht alles besser.
Eines musste man Stian Aarstad, Keyboarder auf „„Stormblåst“ (1996), lassen: Er wusste ganz genau, was er klauen und wie er es einsetzen musste, um der Musik von Dimmu Borgir den letzten Kick zu verpassen. Das wird einem gleich bei den ersten Takten des „Stormblåst MMV“-Openers „Alt Lys er Svunnet Hen“ klar, aus dem die markante Keyboard-Melodie der Originalaufnahme komplett entfernt wurde. Ja, die Nummer bleibt dennoch gut, aber ein ganz so großes Ausrufezeichen wie ihr 1996er-Pendant ist sie in meinen Ohren nun nicht mehr. Zur Erklärung: Aarstad hatte für diesen Song 1996 „Sacred Hour“ von Magnum plagiiert, ohne seine Bandkollegen darüber zu informieren.
Im weiteren Verlauf von „Stormblåst MMV“ zeigt sich dann, dass die Neuauflage dem Original generell in fast allen Punkten unterlegen ist. Ja, ich weiß, das klingt ein bisschen nach ewiggestrigem Klischee – nur ist es aus meiner Sicht tatsächlich so, dass das, was ich oben über „Alt Lys er Svunnet Hen“ geschrieben habe, auf mehrere Songs dieses Albums passt. Nehmen wir zum Beispiel eine weitere, im Original sehr starke Nummer: „Broderskapets Ring“. Auch hier wurden Keyboard-Elemente des Originals entfernt und in diesem Fall durch ähnliche Gitarrenriffs ersetzt. Und auch hier gereicht das dem Song meines Erachtens nicht zum Guten, nimmt ihm sein ursprüngliches Feeling. Doch während ich beim Opener den Grund für die Maßnahme verstehen kann, erschließt sich die Veränderung in „Broderskapets Ring“ für mich nicht, es sei denn, man wollte einfach alles entfernen, das an den als Plagiator entlarvten Ex-Keyboarder erinnert. Wenn dem so ist, hat man damit unbeabsichtigt erreicht, dass deutlich zu hören ist, wer die Songs der Osloer Formation damals offenbar über den Durchschnitt hinaus gehoben hat.
Sorgen mit der Kammer.
Ein Stück von 1996 musste überhaupt komplett dem Rotstift zum Opfer fallen: „Sorgen’s Kammer“, das ebenfalls den Makel des Plagiats (in diesem Fall stammt die Melodie aus dem Computerspiel „Agony“) trug, wurde durch einen neu komponierten Song mit dem kreativen Namen „Sorgen’s Kammer – Del II“ ersetzt. Spätestens bei diesem Track wird es ein wenig ungemütlich für die Herren Shagrath und Silenoz: Die Neukomposition kann weder musikalisch noch atmosphärisch mit dem mithalten, was auf „Stormblåst“ ein Highlight war. Übrigens gilt ähnliches für das zweite neue Lied auf „Stormblåst MMV“, „Avmaktslave“, mit dem ich noch weniger anfangen kann. Beiden gemein ist, dass sie sich im Reigen der älteren Kompositionen wie Fremdkörper ausmachen und einen deutlichen Unterschied in Sachen Songwriting offenbaren, obwohl sie angeblich Überbleibsel der damaligen Sessions sein sollen. So wie anno 1996 wollten oder konnten Shagrath und Silenoz jedenfalls nicht mehr, was bei einem neuen Album vollkommen in Ordnung wäre – nicht aber, wenn man auf einer Neueinspielung den Geist alter Zeiten beschwören möchte. Ganz besonders eklatant wird diese Diskrepanz übrigens beim Gesang von „Sorgens Kammer – Del II“, der im Gegensatz zu den anderen neu aufgenommenen Nummern nicht mal versucht, sich am Geist von ’96 zu orientieren. Elektronisch verfälschte Vocals sind ein Markenzeichen neuerer Dimmu Borgir. Ja, auch das kann man machen, aber irgendwie finde ich es nicht so richtig passend, weil man ja versucht hat, beim Rest des Albums einigermaßen originalgetreu zu agieren, wo es möglich war.
An dieser Stelle nebenbei bemerkt: Das Albumcover zeigt deutlich, wie sehr sich die Zeiten geändert haben. „Stormblåst“ mit seinem mysteriösen, vom Boden aus betrachteten Turm, fand und finde ich großartig. „Stormblåst MMV“ ist hingegen… wie sagen die Kids heute? … random bebildert. Das Covermotiv ist dermaßen beliebig, ich habe das Gefühl, man hätte einfach den Reaper von Children of Bodom genommen, weil der irgendwie cool ist und ihm mit dem Computer ein paar Hörner aufgesetzt. Ganz schwach.
Besser als vieles nach „Enthrone Darkness Triumphant“.
Böse Zungen könnten behaupten, dass ausgerechnet zwei der besten Songs auf „Stormblåst“ nur reüssieren konnten, weil sie nicht auf eigenen Ideen von Dimmu Borgir fußten. Stimmt, ungefähr. Allerdings muss man den Osloern zugute halten, dass „Alt Lys er Svunnet Hen“ ganz grundsätzlich eine gute Nummer ist, woran auch das fehlende Plagiat nicht so viel ändert, wie man meinen könnte. Das ist nämlich die Kehrseite der Medaille, die ebenfalls mit den ersten Takten dieses Songs auffällt: Der Unterschied zu dem, was Dimmu Borgir seit der Jahrtausendwende veröffentlicht haben, ist eklatant. Die Atmosphäre unterscheidet sich massiv von dem, was man z.B. auf dem unmittelbaren Vorgänger von „Stormblåst MMV“, „Death Cult Armageddon“ (2003), findet. Und ich muss ehrlich sagen, dass mir die älteren Dimmu Borgir trotz aller Probleme der Neuaufnahme besser gefallen, so merkwürdig es mir im ersten Moment auch fällt, das zu schreiben, weil ich im Falle dieser Truppe immer eher ein Fan der neueren Alben war.
Aber man höre nur „Når Sjelen Hentes til Helvete“ – die Nummer, die meines Erachtens tatsächlich stark von der besseren Produktion profitiert und mit Abstand das Highlight auf „Stormblåst MMV“ ist. Hier zeigen die Osloer, dass sie a) früher mal wirklich starken Black Metal machen konnten und b) derartige Musik nicht zwangsweise mies produziert sein muss, um Atmosphäre zu entfalten. Dieser Song ist letztlich besser als vieles, was die Norweger nach 1997 auf den Markt gebracht haben. Wer ein bisschen was mit altmodischem Black Metal anfangen kann und von Dimmu Borgir nicht nur überbordende Keyboards hören möchte, wird das vermutlich wie ich sehen. Überhaupt ist das sehr einfache und straighte Songmaterial von „Stormblåst MMV“ eine Wohltat für die von Orchester-Bombast überlasteten Ohren. Zugegeben, auch nach 1997 hatten Dimmu Borgir große Momente („The Insight and the Catharsis“, um nur ein Beispiel zu nennen). Aber „richtiger“ für den Black Metaller fühlt sich definitiv an, was auf „Stormblåst“ und damit auch auf „Stormblåst MMV“ steht. Klingt wirr? Mag sein, ich weiß auch nicht recht, wie ich das beschreiben soll.
Auch das Original war nicht nur gut.
Nostalgie hin oder her, man muss konstatieren, dass bereits auf dem originalen „Stormblåst“ bei weitem nicht alles Gold war, was glänzte. Dazu (und zur Überlegenheit der ersten Albumhälfte) habe ich in meiner dortigen Rezension einiges geschrieben und daran ändert auch die zeitgemäße Produktion, die allgemein betrachtet schon ein Pluspunkt von „Stormblåst MMV“ ist, nichts. Richtig gelesen, ich finde den Klang hier tatsächlich besser, das Album wirkt härter und kälter als sein Vorbild. Ich glaube, dass das der Platte gut zu Gesicht steht, wobei man auch hier ein „aber“ setzen könnte (das jedoch nicht so viel mit der Produktion an sich zu tun hat): Als Drummer fungiert hier Hellhammer, der offenbar Gefallen daran findet, fast jede Nummer ein klein wenig schneller einzuspielen, als sie ursprünglich aufgenommen worden war. Gut, er ist definitiv der bessere Schlagzeuger als es Tjodalv anno 1996 war – dennoch ist das eine Änderung, die der Atmosphäre nicht immer gut tut. Das fällt aber vermutlich eh nur denen auf, die das Original tatsächlich in- und auswendig kennen.
Wie dem auch sei – wie sein 1996er-Pendant lässt auch „Stormblåst MMV“ irgendwann nach dem Titeltrack (der übrigens in der neuen Variante besser, weil kälter und schneidender ist) nach. In Sachen Produktion zeigt sich aber, dass eher schwache Nummern wie „Dødsferd“ tatsächlich besser geworden sind. Und auch das im Original schon gute „Vinder fra en Ensom Grav“ bekommt einen schönen Kick, der ihm ganz gut tut. Interessanterweise finde ich aber, dass der Mix, der übrigens von Peter Tägtgren stammt (ja, jenem Mann, der „Spiritual Black Dimensions“ anno 1999 so übel mitgespielt hat) das ohnehin schon schwache „Antikrist“ erst recht ruiniert.
Wie soll man das alles nun bewerten? Ich sag‘ mal so: Den guten Songs auf dem Original-“Stormblåst” schadet die Neuaufnahme, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Trotz von einer allgemeinen Warte aus gesehen besserem Klang, nimmt sie ihnen einfach die Atmosphäre, die sie 1996 besonders gemacht hat. Ja, es ist wirklich merkwürdig: “Stormblåst” hatte mit einer dünnen, kraftlosen Produktion zu kämpfen und klang stellenweise viel zu zahm für Black Metal. Das wurde 2005 behoben – und siehe da, so richtig passt es nun nicht mehr. Offenbar hatte der unorthodoxe Sound doch sein Gutes. Umgekehrt zeigt sich, dass einige der im Original recht schwachen Songs durch die verbesserte Tontechnik zumindest sehr gut hörbar geworden sind, auch wenn sie das nicht zu Alltime-Classics macht.
Zu welcher Platte man nun greifen soll, kann ich nicht abschließend beantworten. Ich persönlich tendiere zum Original, gebe aber zu, dass man als moderner Hörer mehr Arbeit investieren muss, als in die 2005er-Fassung. Im Endeffekt sind es – und das ist jetzt vielleicht unbefriedigend – praktisch zwei verschiedene Alben. Ja, trotz aller Vergleiche komme ich zu diesem Schluss. Man kann und sollte sich meines Erachtens unbedingt beide zu Gemüte führen, dann kann man sich vielleicht ein Urteil bilden. Bei mir schneidet “Stormblåst MMV” im Gesamteindruck nicht so schlecht ab, wie ich anfangs dachte. Ein Punkt weniger als das Original.
Track – Titel – Länge – Wertung
Alt Lys er Svunnet Hen – 4:44 – 6/7
metal-archives.com
Broderskapets Ring – 5:30 – 4/7
Når Sjelen Hentes til Helvete – 4:43 – 7/7
Sorgens Kammer – Del II – 5:51 – 3/7
Da den Kristne Satte Livet til– 4:46 – 5/7
Stormblåst – 6:10 – 6/7
Dødsferd – 5:42 – 4/7
Antikrist – 3:36 – 2/7
Vinder fra en Ensom Grav– 4:00 – 6/7
Guds Fortapelse – Åpenbaring av Dommedag– 4:01 – 4/7
Die Identität in Zeiten von Social Media ist das zentrale Element von „CAM“. Was bedeutet es für einen Menschen, eine Art virtuelles Doppelleben zu führen – tagsüber als brave Tochter mit einem erfundenen „Job im IT-Bereich“ und nachts als verruchtes Webcamgirl mit sehr realem Einkommen? Der Thriller mit Horror-Elementen ist trotz bunter Farben ein düsteres Spiegelbild unserer Zeit, in der viele Menschen ihren Wert einzig und allein über „Likes“ und „Follower“ definieren. Und das betrifft nicht nur emotionale Werte, sondern hat durchaus auch monetäre Aspekte. Doch was passiert, wenn jemandem, der in jeder Hinsicht davon abhängig ist, seine Online-Identität gestohlen wird?
Gesamteindruck: 4/7
Black Mirror als Film.
Der 2018 von Netflix auf den Markt gebrachte Film „CAM“ orientiert sich für mein Dafürhalten sehr stark an der britischen Anthology-Serie „Black Mirror“. Auch in deren Folgen wird immer wieder vor den katastrophalen Entwicklungen, die unser Technik- und Social Media-Wahn für ganze Gesellschaften aber auch für den Einzelnen haben kann, gewarnt. So auch in „CAM“, wobei es hier eher um ein Einzelschicksal geht.
Inhalt in Kurzfassung Alice Ackerman alias „Lola_Lola“ bestreitet ihren Lebensunterhalt als Webcamgirl. Mit immer ausgefalleneren Methoden versucht sie, ihre zahlreichen Konkurrentinnen in der Rangliste des einschlägigen Portals zu überholen. Gleichzeitig ringt die junge Frau mit der Entscheidung, ihre Mutter über ihren außergewöhnlichen Job zu informieren. Das alles wird hinfällig, als sich Alice plötzlich nicht mehr in ihren Account einloggen kann und fassungslos mit ansehen muss, dass „Lola_Lola“ weiterhin sendet. Live, mit ihrem Gesicht und ihrer Stimme.
Der Plot gliedert sich in vier Teile: Zunächst werden Haupt- und Nebenfiguren vorgestellt, dann berichtet der Film über die Verzweiflung der Protagonistin, als sie sich nicht mehr in ihren Account einloggen kann. Als nächstes bestimmen die Versuche, das Geschehene aufzuklären die Handlung, bis es schließlich zur finalen Auseinandersetzung mit der vermeintlichen Identitätsdiebin kommt. Die ersten gut drei Viertel der Laufzeit beschäftigen sich auf durchaus spannende Weise mit aktuellen Fragen. Wenn die Protagonistin beispielsweise plötzlich aus ihrem eigenen Account ausgesperrt ist, alle Klärungsversuche beim gesichtslosen Betreiber des Portals scheitern und die Polizei weder versteht, um was es geht, noch gewillt ist, zu helfen, hat das etwas beunruhigend Realistisches. Das liegt vorwiegend an der guten Darstellung durch Madeline Brewer, die die Diskrepanz zwischen echten Gefühlen im wirklichen Leben und der Plastik-Welt als Webcamgirl sehr stark umsetzt. Dadurch schafft es der Film hier tatsächlich, aufklärend zu wirken und die Schattenseiten der schönen neuen Medienwelt vor den Vorhang zu zerren.
Überhaupt muss man der Hauptdarstellerin gratulieren, die den zwei Facetten ihrer Rolle Leben einhaucht. Einerseits ist da das Webcamgirl Lola_Lola, das nicht mehr als ein Geschäftsmodell ist. Das Lächeln wirkt aufgesetzt, die Quasi-Dialoge mit den Typen im Chatroom, die die Cam-Show verfolgen, künstlich und gestellt, aber genau in der Sprache, die man aus allen möglichen Social Media-Kontexten kennt. Etwas realer wirkt Lola_Lola nur beim Privatchat mit besonders zahlungswilligen Kunden. Die andere Seite ihrer Persönlichkeit ist die junge Frau Alice Ackerman, die tatsächlich reale Gefühle hat und zeigt. Daher: Lob an die Schauspielerin, die scheinbar mühelos zwischen diesen beiden Rollen wechselt. Übrigens helfen Ton- und Bildkomposition sehr gut, all das glaubhaft zu machen – denn auch hier gibt es, vor allem in Sachen Optik – den starken Kontrast zwischen virtuellem und realem Leben.
Merkwürdiger Schluss.
Leider, und damit kommen wir zum letzten Viertel des Films, wird der zu Beginn aufgebaute Realismus nicht konsequent bis zum Schluss beibehalten. Scheinbar waren sich die Verantwortlichen nicht sicher, wie sie „CAM“ vernünftig zu Ende bringen können – denn fast bis zum Finale haben wir es mit einem reinrassigen, technoiden Thriller zu tun, der so oder so ähnlich tatsächlich in unserer Welt passieren könnte; und das vermutlich sogar tagtäglich tut. Dann tauchen aber plötzlich Horror-Elemente auf, die meines Erachtens nicht notwendig gewesen wären und den Gesamteindruck stören. Die „Schuld“ für die Ereignisse, speziell den vermeintlichen Identitätsdiebstahl, wird auf ein übernatürliches Phänomen geschoben, was nicht zum bis dahin sehr realitätsnahen Geschehen passen will. Noch dazu gibt es keinerlei weiterführende Erklärungen dazu, was das Ganze noch einmal merkwürdiger macht.
Das ist doppelt schade – einerseits, weil es eben einen Teil der Beklemmung, den „CAM“ durch seinen Realismus bis dahin ausgelöst hat, direkt raus nimmt. Andererseits kann der Film dadurch in letzter Konsequenz nicht als ernstgemeinte Warnung vor den Auswüchsen unseres Internet-Zeitalters durchgehen. Gerade letzteres hätte ich bis zum Finale jedoch sehr wohl als Intention des Films verstanden. Damit nimmt sich „CAM“ selbst einen Gutteil seiner Bedeutung.
Für die Gesamtwertung bedeutet das, dass „CAM“ auf den letzten Metern einiges von seinem Potenzial liegen lässt. Das stimmt mich ein bisschen traurig, weil der Film seine Geschichte sehr gut aufbaut und die Darsteller einwandfreie Arbeit leisten (an dieser Stelle seien neben der Hauptdarstellerin vor allem zwei ihrer „Kunden“ genannt, die etwas längere Auftrittehaben). Letztlich bleibt durch das vermurkste Finale aber der Eindruck, nicht mehr als eine durchschnittliche Black Mirror-Folge gesehen zu haben.
Gesamteindruck: 4/7
Originaltitel:CAM. Regie: Daniel Goldhaber Jahr: 2018 Land: USA Laufzeit: 95 Minuten Besetzung (Auswahl): Madeline Brewer, Patch Darragh, Melora Walters, Devin Druid, Imani Hakim, Michael Dempsey
„Die Mauern des Universums“ basiert auf den Annahmen der „Viele-Welten-Interpretation“ aus der Quantenmechanik. Im Wesentlichen geht diese Theorie von der Existenz unendlich vieler Parallel-Universen aus, die sich mal mehr, mal weniger von unserem unterscheiden. Ein Ansatz, der in der Science Fiction seit vielen Jahren immer wieder gerne verwendet wird. Die Frage ist also, ob US-Autor Paul Melko dem Thema neue Impulse hinzufügen kann.
Gesamteindruck: 3/7
Wie man einen Flipper baut.
Wer sich Mitte der 1990er für Science Fiction-Serien interessiert hat, wird die Story von „Die Mauern des Universums“ nach wenigen Sekunden verorten können: „Sliders – Das Tor in eine fremde Dimension“ (1995-2000) erzählt eine sehr ähnliche Geschichte; teilweise bedient sich Paul Melko sogar identischer Begrifflichkeiten (z.B. „Prime“). Ob man sich daran stört, ist freilich Geschmacksache – ich persönlich hatte kein grundsätzliches Problem damit. Im Gegenteil, bietet diese spezielle Form von „alternativer Realität“ doch zahllose Möglichkeiten für „was-wäre-wenn“-Spielchen.
Inhalt in Kurzfassung Der junge John Rayburn staunt nicht schlecht, als er plötzlich sich selbst gegenüber steht. Sein anderes Ich entpuppt sich als Reisender zwischen Parallel-Universen und nach einigem Hin und Her lässt John sich überreden, auch einmal einen Wechsel in eine andere Welt zu versuchen. Als er merkt, dass er hereingelegt wurde, ist es zu spät und die Rückkehr in sein Heimat-Universum schient unmöglich.
Meiner Ansicht nach krankt „Die Mauern des Universums“ nicht an der auf den ersten Blick recht ausgetretenen Story. Letztlich ist das Buch jedoch die Weiterentwicklung einer Kurzgeschichte, was man vor allem im langen Mittelteil deutlich merkt. Dabei geht es gut los: Der Held springt von einem Universum ins andere, trifft mal auf menschenleere Welten, die von gefährlichen Lebewesen bevölkert sind, nur um im nächsten Moment an einem Ort zu sein, der sich kaum von der ihm bekannten Realität unterscheidet. All das ist flott, durchwegs spannend und fantasievoll geschildert. Auch die Versuche, sich das Wissen anzueignen, das defekte Sprunggerät zu reparieren, sind ein schöner, wenn auch etwas inkonsequent umgesetzter Aspekt der Geschichte. Und dass Paul Melko in einem zweiten Handlungsstrang versucht, die Situation des Doppelgängers zu beschreiben, der sich im alten Leben des Protagonisten eingenistet hat, ist ebenfalls eine gute Idee.
Verliert im Mittelteil an Momentum.
Doch irgendwann geht dem Buch dann doch die Luft aus. Irgendwann? Nein, eigentlich ist die Grenze recht genau definiert: Unser Held wird in einem Universum sesshaft und verliert dort zunehmend das ursprüngliche Ziel aus den Augen, irgendwann in seine Heimat zurückzukehren. Das scheint mir fast symptomatisch für den Autor zu sein, der – so jedenfalls mein Gefühl – immer mehr den Fokus auf die Grundprämisse des Buches verliert. Denn an dieser Stelle des Romans ist dem Leser längst klar, dass die Unterschiede zwischen den Universen eine Möglichkeit darstellen, zu Geld zu kommen. Finde ich per se einen interessanten Ansatz – doch leider beginnt Paul Melko zunehmend, sich in Details und Problemen der Konstruktion und Vermarktung eines Flipper-Automaten (denn den gibt es im Universum, für das sich der Held letztlich entschieden hat, nicht) zu verstricken. Im Nachhinein betrachtet scheinen genau das die Seiten zu sein, die der Autor gebraucht hat, um seine ursprüngliche Kurzgeschichte auf Roman-Umfang zu strecken. Sehr ähnlich ist es im Übrigen mit dem Handlungsstrang, der dem zweiten John Rayburn folgt und dessen Probleme als Ehemann und Vater beschreibt – ebenfalls aller Ehren wert, aber kaum essenziell für die eigentliche Geschichte.
Stilistisch finde ich an „Die Mauern des Universums“ übrigens wenig auszusetzen – umso bitterer, dass der Inhalt trotz vieler guter Ideen nicht überzeugen kann. Das Problem ist, dass sich Paul Melko viel zu stark auf aus meiner Sicht eher nebensächliche Details konzentriert. Es hätte doch einige lohnendere Anknüpfungspunkte gegeben; z.B. hätte ich zu gerne erfahren, wer denn nun wirklich Verbrecher in andere Welten verbannt und wie das überhaupt funktioniert. Letztlich ist es so, dass der Autor für mein Dafürhalten bei den falschen Dingen ins Detail geht (siehe „Flipper“), während er durchwegs interessante Ideen entweder im Sande verlaufen lässt oder vollkommen unbefriedigend auflöst. Vor allem der Schluss lässt viele Fragen offen und wirkt generell überhastet und wenig durchdacht. Schade, das Potenzial für eine höhere Wertung wäre durchaus da gewesen.
HartliebsBücher
Gesamteindruck: 3/7
Autor: Paul Melko Originaltitel:The Walls of the Universe. Erstveröffentlichung: 2009 Umfang: ca. 510 Seiten Gelesene Sprache: Deutsch Gelesene Version:Taschenbuch
Als ich unlängst begonnen habe, mir die gesamte Diskographie von Dimmu Borgir erneut und in chronologischer Reihenfolge zu Gemüte zu führen, habe ich festgestellt, dass ich gleich mehrere Platten der Norweger wesentlich stärker in Erinnerung habe, als ich sie heute einschätze. Das betrifft vor allem drei Alben aus der mittleren Phase der Band: „Spiritual Black Dimensions“ (1999), „Puritanical Euphoric Misanthropia“ (2001) und „Death Cult Armageddon“ (2003). Erstere habe ich bereits in Rezensionen besprochen; nun möchte ich zeigen, wie sich „Death Cult Armageddon“ anno 2020 für mich anfühlt.
Gesamteindruck: 4/7
Armageddon für die Dimmus?
Eigentlich unterscheidet sich die Problematik von „Death Cult Armageddon“ nicht sehr von dem, was für beide Vorgänger galt: Fragt man mich, welche Songs auf dem Album stehen, könnte ich aus dem Stegreif jeweils drei oder vier nennen, von denen ich ganz genau weiß, wie sie klingen und die mir auch sehr gut gefallen. Von ein paar weiteren fallen mir vielleicht noch die Titel ein, aber das war’s dann auch schon (immerhin könnte ich jetzt umgekehrt auch keinen einzigen Song nennen, der ein Totalausfall wäre – ist ja auch etwas). Beginnen wir bei „Death Cult Armageddon“ (hach, wie vermisse ich mittlerweile diese 3-Wort-sinnlos-Titel) mit dem Offensichtlichen: Wir haben hier mit „Progenies of the Great Apocalypse“ einen veritablen Hit in der Tracklist. Für diese Nummer wurde auch ein Musikvideo produziert, außerdem hat ex-Immortal-Frontpanda Abbath ein paar Zeilen eingesungen. Man sieht schon: Hier wird schweres Geschütz aufgefahren, was den Song aus meiner Sicht aber keineswegs schlecht macht. Am besten könnte man ihn vielleicht als eine reduzierte Variante von „Kings of the Carnival Creation“ (auf „Puritanical Euphoric Misanthropia“) beschreiben. Ein paar Breaks, ein bisschen Industrial und Klargesang von ICS Vortex gibt es, dazu die üblichen Orchesterpassagen (diesmal übrigens eingespielt vom Prager Symphonie Orchester). Passt für mich, auch wenn ich weiß, dass das alles viel zu eingängig für wahre Black Metaller ist. Aber hören die bei Dimmu Borgir überhaupt noch rein? Wenn ja: Selbst schuld, ihr solltet wissen, was euch erwartet.
Alle anderen dürfen sich freuen (oder auch nicht?), dass die Osloer endlich wieder zwei Songs in ihrer Landessprache am Start haben. Das gab es seit „Stormblåst“ (1996) nicht mehr. Dabei ist „Vredesbyrd“ (zu Deutsch etwa „Bürde des Zorns“) die weit aggressivere Nummer. Weil ich oben bereits „Kings of the Carnival Creation“ genannt habe: Auch bei „Vredesbyrd“ bemerkt man gewisse Passagen, die einem bekannt vorkommen. Dennoch bleibt das unterm Strich ein sehr guter Song, der tatsächlich auch mit klassischem Black Metal-Riffing punkten kann. Ja, wirklich. Und auch die symphonischen Passagen sind hier keineswegs fehl am Platze. Für mich der beste Track auf diesem Album. Zweiter norwegischer Song auf „Death Cult Armageddon“ ist „Allehelgens død i Helveds rike“ und im hinteren Drittel der Platte zu finden. Auch nicht übel, weil ebenfalls recht traditionell-schwarzmetallisch. In Erinnerung bleiben allerdings vor allem ein paar „Woh-oh-oh„-Passagen von Vortex. Das ist dann schon hart an der Grenze dessen, was man von einer solchen Band hören möchte. Vor allem bei einem Songtitel, der sich ungefähr als „Der Tod aller Heiligen im Reich der Hölle“ übersetzen lässt. Keine weiteren Fragen. Es sei mir aber die Anmerkung gestattet, dass es genau diese Diskrepanz zwischen ach-so-bösen Titeln und der musikalischen Umsetzung ist, die Dimmu Borgir schon öfter zum Verhängnis geworden ist. Wenn sie ihr Image nicht so zwanghaft auf evil zu trimmen versuchen würden, hätten die Norweger wohl nicht einen so schweren Stand – aber das führt jetzt zu weit.
Gut sind auf „Death Cult Armageddon“ außerdem noch: Der flotte Opener „Allegiance“, die schleppende Horrorgeschichte „Blood Hunger Doctrine“ und der von Tempowechseln geprägte Rausschmeißer „Heavenly Perverse“, bei dem sich Abbath ein zweites Stelldichein gibt. Dazwischen gibt es einiges an Füllmaterial – und damit sind wir auch schon wieder bei dem, was ich eingangs angedeutet habe: Ich weiß zwar ungefähr, dass es von Dimmu Borgir Songs wie „Lepers Among Us“ und „Unorthodox Manifesto“ gibt. Mit Mühe und Not kann ich sie vielleicht noch „Death Cult Armageddon“ zuordnen und würde sie eventuell sogar wiedererkennen, wenn ich sie irgendwo höre. Aber ein Stück wie z.B. „Eradication Instincts Defined“? Keine Ahnung, noch nie davon gehört. Der Hund liegt im Songwriting begraben, das wahlweise zerfahren und nichtssagend ist oder – genauso schlimm – sich an eigenen, bereits mehrfach verbratenen Ideen oder sogar der Konkurrenz orientiert. Beides macht mir das konzentrierte Hören des Albums streckenweise sehr schwer.
Bessere Produktion? Ja, tatsächlich.
Einen Vorteil gegenüber seinen beiden Vorgängern hat das „Death Cult Armageddon“ allerdings: Die Orchesterparts sind deutlich besser in die Songs integriert, der neo-klassizistische Overkill, der ein herber Kritikpunkt an „Puritanical Euphoric Misanthropia“ war, bleibt aus. Überhaupt ist die Produktion meiner Ansicht nach auf der Habenseite zu verbuchen. Nein, ich bin nicht verrückt geworden – auch wenn einem in unzähligen Reviews versucht wird, einzureden, dass ein Album nicht so produziert sein „darf“, stehe ich zu meiner Meinung. Ich glaube, Dimmu Borgir wollten die maschinelle Kälte, die diese futuristische Vision vom Ende der Welt mit sich bringt, auch im Klang des Albums umgesetzt haben. Das ist meines Erachtens gelungen – organisch-warm klingt hier gar nichts, alles ist kalt und steril. Das fügt sich für mein Dafürhalten perfekt in das Gesamtkonzept inklusive Albumcover ein. Am Rande sei noch angemerkt, dass der Mix ebenfalls passt und allen Instrumenten ihren gleichberechtigten Part lässt. Das gilt auch für den Gesang, zu dem noch zu sagen ist, dass man durch Gastvokalist Abbath deutlich merkt, wer das Vorbild von Shagrath in dieser Hinsicht ist, fällt es doch bei „Progenies of the Great Apocalypse“ schwer, überhaupt zu unterscheiden, wer von den beiden gerade ins Mikro krächzt. Wie dem auch sei – die Stimmlage von Shagrath, die mittlerweile nicht mehr viel mit klassichem Black Metal-Gekeife zu tun hat, passt ebenfalls perfekt zum Thema des Albums.
Fazit: Auch wenn ich letztlich diverse positive Aspekte an „Death Cult Armageddon“ gefunden habe, muss ich konstatieren, dass der Gesamteindruck nicht so gut ist, wie er sein könnte. Das Songmaterial ist – abgesehen von ein paar Ausreißern – dem auf „Puritanical Euphoric Misanthropia“ nicht gewachsen. Und wenn dieser Punkt nicht stimmt, nutzen die genannten Verbesserungen (vor allem in punkto orchestraler Integration) nicht viel. Damit müssen 4 von 7 Punkten reichen. Das klingt erstmal nicht so gut – aber das Armageddon ist dieses Album für die Norweger (noch) nicht. Leider sollte es noch viel, viel schlimmer kommen. Doch das ist eine andere Geschichte für andere Rezensionen.
Staffel 1 von „Lost in Space“ (ein Remake einer TV-Serie der 1960er, weiterführende Links dazu gibt es in der entsprechenden Rezension) hatte meines Erachtens an mehreren Fronten mit Problemen zu kämpfen. Trotz eines vielversprechenden Starts schaffte es die Serie um eine im Weltraum gestrandete Familien nicht, nachhaltig zu begeistern – das Drehbuch war über weite Strecken hanebüchen, es war praktisch unmöglich, sich mit den Figuren vernünftig zu identifizieren und weite Teile der Präsentation waren ein einziges Klischee. Dennoch hoffte ich auf Besserung in Staffel 2 – ob sich die Hoffnung erfüllt hat oder woran es diesmal hakt, versuche ich in folgender Rezension herauszuarbeiten.
Gesamteindruck: 3/7
Keine Besserung in Sicht.
Ja, das Drama. Es ist aus modernen Serien nicht wegzudenken. Egal, ob das Genre nun Science Fiction („Star Trek: Picard„), Fantasy („Game of Thrones„), Horror („Spuk in Hill House„) oder …ähem… Drama („Das Boot“) heißt – immer haben die Figuren neben ihrer meist sehr klassischen Mission (der Kampf gegen das Böse, die Rettung der Menschheit, der Welt, der Galaxis oder des Friedens) mit einer Vielzahl an privaten Problemen zu kämpfen. Ich bin beileibe kein Gegner dieser Herangehensweise, hat sie uns doch in vielen Fällen einen bisher im Serienbereich nicht gekannten Tiefgang beschert. Dennoch: Es gelingt manchmal besser, manchmal schlechter, komplexe persönliche Beziehungen darzustellen. „Lost in Space“ zeigt leider auch in Staffel 2, wie es nicht geht.
Inhalt in Kurzfassung Einige Monate nach den Ereignissen von Staffel 1 sitzt die Familie Robinson gemeinsam mit Erzfeindin Dr. Smith und Techniker/Schmuggler/Soldat Don West nebst Huhn Debbie auf einem lebensfeindlichen Planeten fest. Ihrem Raumschiff fehlt es an Energie, sodass ein Entkommen unmöglich scheint – bis sie ein Naturphänomen entdecken, dass die Lösung ihrer Probleme sein könnte.
Freilich liegen die Schwierigkeiten der Serie nicht darin, dass sie die brave und nette Familie aus den 1960ern mit Ecken und Kanten versieht. Zumindest nicht vordergründig – sieht man genauer hin, merkt man hingegen recht schnell, dass der in „Lost in Space“ laufend zelebrierte Familienzwist großteils Fassade ist und, wenn es gerade ins Drehbuch passt, geflissentlich ignoriert wird. Für mein Gefühl will man die Robinsons gar nicht als zerstrittene und dysfunktionale Familie darstellen, „muss“ es aber tun, um modernen Anforderungen an eine Serie gerecht zu werden. Das Ergebnis ist ein ständiges Auf und Ab aus Streit und Versöhnung, aus „wir haben uns alle lieb“ und „wir gehen uns ganz fürchterlich auf die Nerven“. Letztlich überwiegt meines Erachtens der Ansatz, dass die Familie zusammenhält und nur so alles schaffen kann. Klingt wie ein klebrig-süßes Klischee aus Amerika? Ist es auch, wäre aber dennoch gar nicht so verkehrt, wenn es nicht dermaßen aufgesetzt rüberkommen würde.
Denn, und auch daran hat sich seit Staffel 1 nichts geändert: Das Drehbuch erfindet ständig neue Bedrohungen und Gefahren, scheinbar mit dem einzigen Ziel, die Familienmitglieder zur Zusammenarbeit zu zwingen. Häufig passiert das zu allem Überfluss auch noch mit mit dem Holzhammer, Subtilität ist und bleibt in „Lost in Space“ Mangelware. Wer die erste Staffel gesehen hat, weiß, was das bedeutet: Durchgehend explodiert irgendwo irgendwas und die Robinsons sind die einzigen, die wahlweise sich selbst oder allen anderen helfen können. Gelingt das nicht auf Anhieb, gibt es einen deus ex machina, der naturgemäß immer wieder Löcher in der eh schon fragilen Logik der Serie hinterlässt. Erklärungen bleibt man dann meist schuldig.
Ein Beispiel: Vater John Robinson stürzt in einen tiefen Schacht, bleibt schwer verletzt liegen. Retten kann ihn – natürlich – nur seine Stieftochter Judy, die auf dem Weg zu ihm vor allerlei Probleme gestellt wird. Zum Glück ist sie ein wahres Wunderkind und schafft es gerade noch rechtzeitig zum Verwundeten. Klingt ein bisschen oberflächlich und an den Haaren herbeigezogen? Für mich schon – und Sinn der Sache ist letztlich nur, eine „Ausrede“ zu haben, wie man in Rückblenden auf die Beziehung zwischen John und Judy eingehen kann. Nicht falsch verstehen: Das kann man schon mal so machen. In „Lost in Space“ ist das aber ein dermaßen inflationär verwendetes Muster, dass ich nur den Kopf schütteln kann. Die eigentlich brauchbare Idee, sich Gedanken über das Verhältnis zwischen Familienvater und adoptierter Tochter zu machen, wird vollkommen durch den kurios-dramatischen Rahmen, den so etwas heutzutage offenbar immer haben muss, überdeckt. So etwas kann man doch auch subtiler lösen, sollte man zumindest annehmen.
Kaum Charakterentwicklung.
An dieser Stelle sei – wenn auch eher am Rande – erwähnt, dass die Charaktere seit Staffel 1 kaum weiterentwickelt wurden. Die Versuche, das zu tun, erschöpfen sich großteils in Minidramen, wie ich es im obigen Beispiel dargestellt habe. Eine Ausnahme ist Dr. Smith, der ein paar neue Persönlichkeitsaspekte verpasst wurden – deren Eingliederung in das Robinson-Kollektiv lässt einen allerdings permanent am Geisteszustand der Familie zweifeln.
Deutlich verändert hat sich allerdings die Situation zwischen Will Robinson und seinem zu Staffelbeginn noch verschollenen Roboterfreund. Leider haben die Autoren auch hier nicht das richtige Erzähltempo gefunden – es ist ja von vornherein klar, dass es zu einer Wiedervereinigung kommen muss. Der Weg dorthin ist allerdings dermaßen zäh, dass man relativ schnell das Interesse verliert und sich dann über das tatsächliche Wiedersehen nicht so richtig freuen kann. Apropos Roboter: Dass es mehr als einen gibt, wurde in Staffel 1 ja bereits angedeutet. Staffel 2 liefert dazu einige Erklärungen nach, bleibt dabei aber stellenweise so vage, dass eher Verwirrung statt Aufklärung betrieben wird. Auch hier: Schade, denn genau an dieser Stelle wäre gutes Science Fiction-Potential vorhanden gewesen.
Optik bleibt größer Pluspunkt.
Den positivsten Faktor an „Lost in Space“ möchte ich abschließend aber auch noch erwähnen: Staffel 2 sieht für mein Dafürhalten sogar noch besser aus, als der Auftakt. Falls das überhaupt möglich ist – schon in Staffel 1 war die Optik unglaublich gut. Wie aber hier Planeten, Lebewesen, Raumschiffe, der Weltraum, Roboter usw. auf den Schirm gebracht wurden, ist einfach grandios. Allein die Wassserwelt, auf der die Robinsons zu Staffelbeginn gestrandet sind zeugt von einem sehr, sehr guten Gespür für die passende Optik. Zu schade, dass der Rest des Programms nicht ansatzweise mithalten kann.
Staffel 3 wird es 2021 wohl geben, die Gerüchte sagen allerdings, dass danach Schluss sein soll. Ich nehme jedenfalls an, dass ich der Vollständigkeit halber dabei bleiben werde. Wobei, wenn ich es mir recht überlege, hätte ich Staffel 2 ohne die derzeit verhängten Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus (wie sich das wohl in ein paar Jahren lesen wird?) vermutlich bis heute nicht gesehen. Und wenn ich an den Cliffhanger zum Abschluss von Staffel 2 denke, befürchte ich noch mehr Familiendrama. Naja, lassen wir uns überraschen. 3 von 7 Punkten für eine Staffel, die weder besser noch schlechter als die Erste ist.
Gesamteindruck: 3/7
Originaltitel:Lost In Space Idee: Matt Sazarma, Burk Shapless Land: USA Jahr: 2018- Episoden: 10 Länge: ca. 40-65 Minuten Gesehen auf: Netflix Haupt-Besetzung: Toby Stevens, Molly Parker, Taylor Russell, Mina Sundwall, Maxwell Jenkins, Parker Posey, Ignacio Serricchio, Brian Steele
Stilistisch unterscheidet sich Album Nummer fünf recht stark von der bisherigen Dimmu Borgir-Diskografie. Einerseits liegt das an einigen neuen Elementen, die dem Sound hier und da einen starken Industrial-Einschlag verleihen. Andererseits wurde für „Puritanical Euphoric Misanthropia“ erstmals ein richtiges Orchester engagiert, anstatt die symphonischen Parts rein über das Keyboard zu generieren. Beides zusammen sorgt für ein deutlich anderes Hörerlebnis, was aber nicht heißen soll, dass man nicht sofort weiß, mit wem man es hier zu tun hat. Dafür sorgen die typische Melodieführung und die durchaus markanten Stimmen von Shagrath und Vortex.
Gesamteindruck: 5/7
Industrial chic.
Nein, es ist insgesamt kein schlechtes Album, das die Osloer mit „Puritanical Euphoric Misanthropia“ 2001 vorgelegt haben (zumindest für all jene, die kein grundsätzliches Problem mit Dimmu Borgir haben). Allerdings leidet die Platte meines Erachtens an einem ähnlichen Problem, wie es mir schon beim Vorgänger „Spiritual Black Dimensions“ (1999) aufgefallen ist: Es gibt eine handvoll gute Nummern, die überdecken, dass wir es hier nicht mit jenem Meisterwerk zu tun haben, das mir meine Erinnerung suggeriert hat – und zu dem auch die zeitgenössischen Reviews die Platte hochstilisiert haben. Dabei ist man im ersten Moment durchaus beeindruckt von der progressiv anmutenden Vertracktheit mancher Kompositionen. Bei genauerem Hinhören sind Songs wie vor allem „IndoctriNation“ oder „The Maelstrom Mephisto“ jedoch nicht komplex, sondern gnadenlos überladen und führen letztlich nirgendwo hin. Das Problem ist bekannt: Durch den überbordenden Orchester- und Keyboard-Bombast hat man stellenweise Schwierigkeiten, die teils sehr guten Riffs überhaupt vernünftig zu hören.
Für die Aufnahmen wurde das Göterborgs Operans Orkester engagiert. Allein das macht die ganze Chose nochmal bombastischer macht, als es allein mit Keyboard-Arrangements gelungen wäre. Die Idee wäre grundsätzlich vielleicht gar nicht so schlecht gewesen, aber für mein Gefühl gibt es einfach zu viele Spuren und man kann dem Gehörten kaum folgen, was keinesfalls ein gutes Zeichen ist. Ich sogar bin versucht zu sagen, dass Teile von „Puritanical Euphoric Misanthropia“ in diesem Zusammenhang einem ähnlichen Schicksal erliegt wie „S&M“ (1998) von Metallica. Hier wie dort versucht man meiner Meinung nach, viel zu viel in Songs zu packen, die nicht dafür ausgelegt sind. Diese Gratwanderung sollten Dimmu Borgir auf späteren Alben aber zumindest rein technisch besser hinbekommen.
Klargesang als Rettungsanker?
Vor der Veröffentlichung von „Puritanical Euphoric Misanthropia“ hat sich das Besetzungskarusell bei Dimmu Borgir erneut gedreht. Gründungsmitglied Tjodalv räumte den Platz an der Schießbude, sein Ersatz kommt aus England: Nicholas Barker, der bis dahin bei Cradle of Filth die Felle gegerbt hatte. Weiters verabschiedeten sich Astennu (g) und Nagash (b) in Richtung ihrer Hauptband The Kovenant. Als Lead Gitarrist kommt Old Man’s Child-Mastermind Thomas Runde „Galder“ Andersen zu den Osloern. Der schnauzbärtige Glatzkopf bildet gemeinsam mit Shagrath und Silenoz übrigens bis heute das Kernteam von Dimmu Borgir. Neuer Mann am Viersaiter und wie bereits auf „Spritual Black Dimensions“ zuständig für den Klargesang ist Borknagar– und Arcturus-Fronter Simen „Vortex“ Hestnæs.
Mit letzerer Personalie verstärken Dimmu Borgir ein Element ihrer Musik, über das man trefflich streiten kann: Den Einsatz von Klargesang. Auf „Puritanical Euphoric Misanthropia“ ist die Stimme von Vortex häufiger und deutlich akzentuierter eingebaut, als es auf dem Vorgänger der Fall war. Damit kann man – je nach Geschmack – per se ein Problem haben, immerhin bedient sich der Rotschopf einer sehr speziellen, ziemlich melodramatischen Gesangsform. Dass das nicht jeder mag, ist klar; ich eigentlich schon, gleichzeitig komme ich aber nicht umhin, zuzugeben, dass sich Dimmu Borgir viel zu sehr darauf zu verlassen scheinen. Will sagen: Auf „Enthrone Darkness Triumphant“ (1997) brauchte man keinen Klargesang, um grandiose Nummern vorzulegen. Bereits auf dem folgenden „Spiritual Black Dimensions“ waren die Songs, bei denen Vortex am Start war, dem Rest des Materials überlegen (man höre vor allem „The Insight and the Catharsis“). Und genau so verhält es sich auch auf vorliegendem Album über weite Strecken. Man sehnt Vortex‘ Auftritte regelrecht herbei – und er schafft es meines Erachtens tatsächlich, die eine oder andere Nummer hörbar zu veredeln. Die Kehrseite der Medaille: Die Stücke, in denen unser Mann nicht zu hören ist, sind meistens… naja… bestenfalls mittelmäßig. Offenbar ist Dimmu Borgir irgendwo auf dem Weg zu „Puritanical Euphoric Misanthropia“ die Möglichkeit verloren gegangen, auch ohne die jubilierenden Gesangspassagen herausragende Nummern zu schreiben. Und das ist tatsächlich sehr schade.
Erste Albumhälfte deutlich stärker.
Wie erwähnt gibt es zwei weitere Auffälligkeiten auf „Puritanical Euphoric Misanthropia„, die man mögen kann oder auch nicht. Einerseits wäre da die Verwendung von allerlei Effekten und teilweise auch Songstrukturen, die man nicht im Black Metal sondern im Industrial verorten würde. Ohrenfälligstes (aber nicht einziges) Beispiel ist „Puritania“, das sich im gesamten Backkatalog von Dimmu Borgir wie ein absoluter Fremdkörper ausnimmt – und das bis heute. Einfach hier mal reinhören und vor allem auf das abgehackte Drumming, die elektronischen Spielereien und den merkwürdigen Aufbau achten. Ich muss aber ehrlich zugeben, dass mir der Song gefällt und dass er nach wie vor einer der besten auf dem Album ist, gemeinsam mit dem ebenfalls recht industriell anmutenden“Kings of the Carnival Creation“. Freilich nur, wenn man sich überhaupt an derartiges Songwriting, ausgerechnet von dieser Band, gewöhnen kann.
Abgesehen davon ist meines Erachtens die erste Albumhälfte deutlich stärker. Hier haben wir nach dem Soundtrack-mäßigen Intro „Fear and Wonder“, das es gut versteht, die Spannung aufzubauen, gleich fünf Songs, die mir gefallen. Die erwähnten „Kings of the Carnival Creation“ und „Puritania“, dann noch das rasante (vielleicht sogar schnellste Stück der Band überhaupt?) „Blessings Upon the Throne of Tyranny“, das eher an ältere Dimmu Borgir erinnernde „Hybrid Stigmata – The Apostasy“ und das mit galoppierenden Thrash-Riffs und Cradle of Filth-mäßigem Horror-Feeling ausgestattete „Architecture of a Genodical Nature“. Und ja, auch diese Songs sind teilweise sehr überladen, es passiert viel. Genaues Zuhören ist also notwendig, wenn es dann aber einmal Klick macht, unterhalten die genannten Stücke jedoch sehr gut.
Der Rest vom Schützenfest ist zwar nicht unterirdisch, kann aber mit genanntem Material nicht mithalten (sieht man vom positiven Ausreißer „Sympozium“ ab, der die gesamte zweite Albumhälfte „rettet“). Das Problem ist meines Erachtens, dass Dimmu Borgir ihr Pulver bereits vorher verschossen haben. Und das meine ich durchaus wörtlich – die drei Nummern „IndoctriNation“, „The Maelstrom Mephisto“ und „Absolute Sole Right“ klingen ein bisschen wie Ideen, die von den guten Songs auf dem Album sozusagen übrig geblieben sind und auch noch verwertet werden mussten, um die volle Spielzeit zu erreichen.
Abschließend noch ein Wort zur viel gescholtenen Produktion: Den Wechsel von einem Schweden zum anderen (von Peter Tägtgren hin zu Fredrik Nordström) hört man sehr deutlich. „Puritanical Euphoric Misanthropia“ klingt nicht nur im songwriterischen Sinne industriell; die Produktion wirkt auf mich kalt und maschinell, was recht gut zur futuristischen Ausrichtung passt. Ich denke tatsächlich, dass das die richtige Entscheidung war, denn „Spiritual Black Dimensions“ hatte aus meiner Sicht tatsächlich mit einem zu warmen Klang zu kämpfen. Der altmodische Black Metaller stört sich natürlich an der allzu cleanen Produktion, meiner Ansicht nach hätte es aber keine andere Möglichkeit gegeben, diesen Bombast-Overkill überhaupt hörbar zu machen. Von daher: Daumen hoch für die Fredman-Studios, das passt schon so.
Track – Titel – Länge – Wertung
metal-archives.com
Fear and Wonder – 2:48 – 6/7
Blessings Upon the Throne of Tyranny – 5:19 – 5/7
Kings of the Carnival Creation – 7:45 – 7/7
Hybrid Stigmata – The Apostasy – 6:57 – 5/7
Architecture of a Genocidal Nature – 6:08 – 5/7
Puritania – 3:01 – 6/7
IndoctriNation – 5:57 – 3/7
The Maelstrom Mephisto – 4:41 – 4/7
Absolute Sole Right – 6:24 – 4/7
Sympozium – 5:12 – 6/7
Perfection or Vanity – 3:27 – 5/7
Gesamteindruck:5/7
Dimmu Borgir auf “Puritanical Euphoric Misanthropia” (2001):
Eigentlich hätte mir von vornherein klar sein müssen, dass die erste Staffel über eine der Kultfiguren des Star Trek-Universums meine Erwartungen nicht erfüllen würde. Denn es ist doch so: Praktisch alle Star Trek-Serien nach „The Next Generation“ hatten gewaltige Anlaufschwierigkeiten. Warum hätten die neuesten Reinkarnationen, „Discovery“ und eben „Picard“ eine Ausnahme sein sollen? Und tatsächlich: Wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung ist der Auftakt zu der Serie, in die man als Fan noch größere Hoffnung gelegt hatte, als in alles, was in den vergangenen Jahren (eigentlich sogar Jahrzehnten) unter dem Star Trek-Banner angekündigt wurde, grandios gescheitert. Klingt hart? Ja, vielleicht. Versuchen wir, der Sache auf den Grund zu gehen…
Gesamteindruck: 3/7
Großer Name, herbe Enttäuschung.
„Star Trek: Picard“ ist ein Zugeständnis an moderne Sehgewohnheiten. Das betrifft einerseits den Inhalt, andererseits die Form. Letzteres bedeutet: Im Gegensatz zum letzten Serienauftritt von Jean-Luc Picard („Star Trek: The Next Generation“, 1987-1994) haben wir es mit einem staffelübergreifenden Handlungsrahmen zu tun. Das wäre grundsätzlich sogar begrüßenswert – die späteren Staffeln von „Star Trek: Deep Space Nine“ (1993-1999) „Star Trek: Enterprise“ (2001-2005) waren erste Versuche in diese Richtung und gehören mit zum Besten, das man in Sachen Star Trek sehen kann. Freilich hatte die damalige Herangehensweise noch nicht viel mit dem zu tun, wie Serien heute funktionieren, es war aber immerhin ein erster Schritt zu einem größeren Handlungsbogen. Die Erzählweise von „Picard“ ähnelt – was aufgrund der zeitlichen Nähe wenig überrascht – vor allem „Star Trek: Discovery“ (ab 2017), ist also ein fast schon Soap Opera-mäßiges Drama, das häufig durch Cliffhanger vorangetrieben wird.
Inhalt in Kurzfassung Wir schreiben das Jahr 2399. Jean-Luc Picard hat die Sternenflotte längst verlassen und verbringt seinen Ruhestand auf seinem Château in Frankreich. 20 Jahre sind seit den Ereignissen von „Star Trek: Nemesis“ vergangenen – und immer noch hat Picard den Verlust von Data nicht verwunden. Doch damit nicht genug: Plötzlich tritt eine junge Frau in das zurückgezogene Leben des ehemaligen Captains der USS Enterprise. Und schon bald findet sich der Pensionist im Weltraum wieder, umgeben von einer zusammengewürfelten Crew und mit der Mission, seinen Schützling vor dunklen Agenten zu retten und dabei ein Geheimnis zu ergründen.
„Star Trek: Picard“ hat leider auf verschiedensten Ebenen mit Problemen zu kämpfen. Ein großer Brocken ist die behäbige Story, die viel zu lange braucht, um überhaupt halbwegs in Fahrt zu kommen. Richtig gelesen, „halbwegs“, denn eigentlich bleibt es bis zum Schluss über weite Strecken zäh. Warum das so ist, ist schnell erklärt: Die Geschichte, die in „Picard“ erzählt wird, hätte man locker in ein oder zwei Folgen „The Next Generation“ abhandeln können. Hat man übrigens sogar gemacht; abgesehen davon wurde die Grundsatzfrage nach den Konsequenzen künstlicher Intelligenz auch in allen anderen Star Trek-Serien immer wieder aufgegriffen und „Picard“ schafft es nicht, diesem Thema neue Nuancen hinzuzufügen. Im Gegenteil, alles, was wir hier zu hören und zu sehen bekommen, hat uns nicht nur Star Trek bereits deutlich besser näher gebracht. Beispiele gefällig? Bitte sehr: „Battlestar Galactica“ (TV-Serie), „Blade Runner“ (Film), die „Roboter-Geschichten“ von Isaac Asimov (Buch), „Fallout 4“ (Spiel) – die Liste ließe sich lange fortsetzen.
Den genannten Titeln ist gemeinsam, dass sie wesentlich mehr Tiefgang haben, als „Picard“ vermitteln kann. Das ist ein bisschen paradox, weil ein solches Serienformat ja eigentlich genug Zeit für eine durchdachte Story bieten würde, wenn man es richtig angeht. Und damit schließt sich der Kreis: Dadurch, dass die Geschichte dünn ist, wirkt sie gestreckt und künstlich in die Länge gezogen. Das macht das Ansehen einzelner Folgen fast schon zur Qual, weil einfach nichts weiterzugehen scheint. Nicht falsch verstehen: Das Thema wäre prinzipiell auch heute noch spannend, müsste dann aber auch entsprechend aufbereitet werden. „Picard“ schafft das kaum, was umso schlimmer ist, weil Star Trek, wie es in den 1960ern von Gene Roddenberry erdacht wurde, immer entweder neue Themen gesetzt oder alte Fragen unter neuen Gesichtspunkten zu beantworten versucht hat. In „Picard“ werden bereits bekannte Versatzstücke genommen und schlicht und einfach schlecht zusammengefügt.
Auch die Charaktere überzeugen nicht.
Nun könnte man hoffen, dass zumindest der zweite Aspekt, der für eine moderne Serien Pflicht ist, bei „Picard“ funktioniert: die Charakterentwicklung. Leider kann man auch an dieser Stelle keine Entwarnung geben, was einerseits am Drehbuch liegt, andererseits aber auch ein bisschen die „Schuld“ des Zusehers ist, wenn man so will. Denn eines ist klar: Der Trekkie will a) Star Trek und b) Jean-Luc Picard sehen, und den ansatzweise so, wie man ihn in Erinnerung hat. Einigermaßen haut das sogar hin, wobei sich der ehemals selbstsichere und vollendete Diplomat in einen von Zweifeln und Gewissensbissen geplagten, komischen alten Kauz verwandelt hat. Schade ist, dass die Serie lieber die oben erwähnte, recht konventionelle Geschichte erzählen will, anstatt ein bisschen mehr darauf einzugehen, warum Captain Picard (übrigens nennen die Protagonisten ihn zum Teil tatsächlich immer noch Captain, warum eigentlich?) so wurde, wie er in „Picard“ eben ist. Leider werden ausgerechnet die entsprechenden Erläuterungen vollkommen überhastet dargestellt. 20 Jahre Föderationsgeschichte werden in wenige, oberflächliche Minuten gepackt, was dazu führt, dass mich die Serie von Anfang an nicht richtig abholt.
Abgesehen vom Hauptdarsteller (der oft genug eine Nebenrolle einnimmt, aber das nur am Rande) und seinem Schützling (gar nicht unsympathisch dargestellt von Isa Briones) teilt sich der Cast in zwei Gruppen. Einerseits haben wir als Fanservice einige alte Bekannte an Bord. War zu erwarten und ist unterschiedlich gut gelungen. Brent Spiner ist in einer Doppelrolle zu sehen und passt perfekt rein, gleiches gilt für zwei Ex-Borg. Der Auftritt des ewigen Traumpaares Jonathan Frakes und Marina Sirtis freut den Fan zwar (ja, wirklich!), wirkt aber gleichzeitig ziemlich beliebig. Wichtiger, weil mit mehr Screentime versehen, sind aber ohnehin die neuen Mitstreiter und Gegenspieler unseres Mannes. Erstere sind eine bunt gemischte Crew, deren Mitglieder allesamt gewisse Probleme mit der Föderation haben. Und auch miteinander, wie es bei einer heute eben zum guten Ton gehört. Ja, das Drama ist allgegenwärtig, so wie es in jeder neueren Science Fiction-, Fantasy-, Krimi- und sonstigen Serie ist. Aber zum Glück schafft es „J.L.“ (kein Kommentar zu diesem Kürzel…) erwartungsgemäß, dass im Laufe der Staffel alle am selben Strang ziehen. Naja.
Das Problem hierbei ist übrigens nicht so sehr, dass es sich dabei um keine Sternenflotten-Crew handelt, das hätte vielleicht sogar ein recht interessanter Aspekt sein können. Es sind mehr die Stereotypen, die hier bedient werden – die Alkoholikerin ist ebenso an Bord, wie der rebellische Pilot, die verunsicherte, leicht verschrobene Wissenschaftlerin und der jugendlich-naive Kämpfer. Allesamt natürlich mit geheimnisvoller und dunkler Vergangenheit. Eine richtige Beziehung konnte ich zu keinem davon aufbauen, denn ihre Eigenarten erschienen mir immer höchst oberflächlich, was kein Wunder ist, wenn man immer nur ganz kleine Fitzelchen an Hintergrundgeschichte bekommt. Kein Vergleich zu den Figuren, aus denen sich frühere Besatzungen zusammengesetzt haben. Die brauchten nämlich keinen in bedeutungsschwangeren Rückblicken angedeuteten Background, weil sie direkt mit ihrer Präsenz punkten konnten. Klar, es war auch damals nicht jeder Charakter zwingend ein Volltreffer, aber ich war z.B. über den Tod von Tasha Yar in „The Next Generation“ ehrlich erschüttert – im Falle von „Picard“ hätte es mir hingegen wenig ausgemacht, mich von einem Crewmitglied verabschieden zu müssen. Bezeichnend, dass ausgerechnet der Tod eines früheren Wegbegleiters, der hier nur eine kleine Nebenrolle spielt, den größten emotionalen Impact hat. Freilich liegt das alles auch an ewig langen, teils metaphysischen Dialogen, die letztlich nirgendwohin führen und nur den Anschein von Tiefgründigkeit erwecken.
Und die Antagonisten? Früher hatten wir in Star Trek ein klares Gut-Böse-Schema, das erst in späteren Staffeln von „Deep Space Nine“ und im einen oder anderen Film ein wenig aufgeweicht wurde, was dem Franchise definitiv gut getan hat. Heute ist es – nicht nur in Star Trek – so, dass sich die Grenzen noch mehr verwischt haben. Die Guten sind nicht mehr überlebensgroß, sondern haben ihre Schwächen, dürfen auch mal „böse“ Handeln. Umgekehrt ist es genauso, was zu einer ausgeglicheneren Darstellung der Charaktere geführt hat. Früher mussten die Schauspieler, die die Rolle der Bösewichte übernommen haben, besonders glänzen, auch, weil sie im Gegensatz zu den Guten häufig nur eine Folge hatten, um zu reüssieren. Lange Rede, kurzer Sinn: In „Picard“ gibt es einen Haupt-Antagonisten, den Romulaner Narek, der gut von Harry Treadaway (manchen vielleicht als Victor Frankenstein in der Serie „Penny Dreadful“ bekannt) verkörpert wird. Wie die Crew von Picard leidet auch er an Schwächen und Unsicherheiten, was letztlich dazu führt, dass er sich auch als „Guter“ qualifizieren könnte. Für mich dennoch eine der besseren Rollen in „Picard“.
Kurzer Exkurs: „Discovery“ hatte mit einem sehr ähnlichen Problem zu kämpfen. Die Crew ist einfach nicht gut genug – nur mit der Einführung bereits bekannter Charaktere (Christopher Pike und letztlich auch Spock) konnte man sich einigermaßen konsolidieren. Ob das auch ein Weg für „Picard“ sein kann, ist zu diesem Zeitpunkt offen.
Ambivalentes Drumherum.
Zwei Faktoren, die mir persönlich wichtig gewesen wären, sind bei „Picard“ also eine mittelschwere Katastrophe. Kommen wir nun zum Drumherum, das, soviel sei vorweg genommen, zumindest kein Totalausfall ist. Immerhin hat „Picard“ als erste Star Trek-Serie seit „Voyager“ (1995-2001) in einer für alte Trekkie ebenfalls essentiellen Hinsicht einen erheblichen Vorteil gegenüber den unmittelbaren Vorgängern „Enterprise“ und „Discovery“: Wir haben es diesmal mit keinem Prequel zu tun, der Kanon ist also nicht in Gefahr. Wobei ich an dieser Stelle ernsthaft hinterfragen muss, wieso man ausgerechnet die Ereignisse rund um die romulanische Supernova aus „Star Trek“ (2009) als Ausgangspunkt für die Story nehmen musste. Es wäre meines Erachtens besser gewesen, diese schon 2009 sehr fragwürdige Idee unter den Tisch zu kehren – oder endlich vernünftige Erklärungen rund um dieses Ereignis zu liefern. Passiert leider nicht und der Verdacht liegt zumindest nahe, dass diese Geschichte nur aufgegriffen wurde, weil Produzent Alex Kurtzman, der ja auch für den Star Trek-Reboot von 2009 verantwortlich war, seine eigene Idee so gut gefällt. Für mich stellt sich das so dar, als versuche man hier mit dem Holzhammer, Kohärenz zwischen allem, was im Star Trek-Universum seit 2009 passiert ist, herzustellen. Dabei verkennen die Verantwortlichen völlig, dass diejenigen, die eine emotionale Bindung zu diesem Franchise haben, am liebsten alles vergessen würden, was in den vergangenen 10 Jahren passiert ist und lieber ein stärkere Verbindung zur Zeit bis inklusive „Enterprise“ gehabt hätten.
Dem neuen Zielpublikum wird das vermutlich egal sein, ich frage mich aber, ob jüngere Seher überhaupt viel mit „Picard“ anfangen können. Denn die werden sich auch schwer tun, weil man ohne Vorkenntnisse trotz eher seichter Story zeitweise kaum durchblickt. Man hat das Gefühl, dass die Produzenten hier in einer Zwickmühle stecken: Auf der einen Seite der Wunsch, etwas ganz Neues zu schaffen, der dem Zwang, den Gesetzen des Star Trek-Univerums zu folgen, gegenübersteht. Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Das kennt man aus „Discovery“ und es hat zur Folge, das „Picard“ stellenweise ebenfalls weder Fisch noch Fleisch ist. Das äußert sich darin, dass sich die Produzenten sehr auf das unmittelbare Geschehen konzentrieren, dabei aber gleichzeitig dauernd Bezug auf die Vergangenheit nehmen. Das verwirrt stellenweise sogar den gelernten Trekkie, weil das Verhältnis nicht passt – Rückblenden sind schön und gut, sollten dann aber auch so gestaltet werden, dass sie Klarheit schaffen. Und das tun sie bei „Picard“ nur sehr, sehr bedingt.
Empfehlenswert ist in diesem Zusammenhang übrigens, sich einige Star Trek-Folgen aus der Vergangenheit anzusehen. Und damit meine ich nicht zwingend wegen kleinerer Anspielungen, die ein netter Service für die absoluten Fans sind (ein Beispiel dafür wäre der „Raumtrajektor“, den man aus einer „Voyager“-Episode kennt)… Ach was soll’s, dieser Artikel ist eh schon so lang, da kann ich auch gleich ein paar Episoden nennen, die essentiell für das Verständnis von „Picard“ sind: Zunächst die „The Next Generation“-Episoden „Wem gehört Data?“ (hier erfährt man u.a., wer Bruce Maddox ist), die Doppelfolge „In den Händen der Borg“/„Angriffsziel Erde“ (die Borg-Vergangenheit von Picard wird hier erklärt), „Ich bin Hugh“ (handelt von weiteren Versuchen Picards, mit seinem früheren Dasein als Locutus zurecht zu kommen und stellt Hugh vor, der in „Picard“ eine Nebenrolle hat) sowie die „Voyager“-Doppelfolge „Skorpion“ (in der wir Seven of Nine kennen lernen) und den Film „Star Trek: Nemesis“ (zum Tod von Data und der Herkunft von Before). Wer Infos zur romulanischen Supernova sucht, sollte sich den oben genannten Film „Star Trek“ aus 2009 ansehen. Einige weitere Folgen klären andere Details, sind aber meines Erachtens vernachlässigbar. Zusätzlich gibt es Romane und so genannte „Short Treks“, die ebenfalls hilfreich sind – man sieht schon, selbst als eingefleischter Trekkie muss man sich „Picard“ relativ mühsam erarbeiten, vor allem, weil vieles, das hier auftaucht, schon sehr, sehr lange her ist.
Was gibt es sonst noch? Naja, weiterhin Positives und Negatives. Gut gelungen finde ich die Einbindung der Borg, weil der Konflikt, den Jean-Luc Picard durch seine Vergangenheit als Teil des Kollektivs hat, immer schon sehr spannend war. Daran hat sich nichts geändert. Auch die Idee, einen Teil der Handlung auf einem beschädigten Borg-Kubus, der mittlerweile als Forschungsobjekt dient, spielen zu lassen, finde ich großartig. Genau das ist für mich Star Trek. Die Romulaner als Antagonisten wären grundsätzlich auch nicht zu verachten, sind aber leider nur mehr ein Schatten ihrer selbst, was mit der genannten Supernova-Story zu tun hat. So möchte man dieses Volk eigentlich nicht sehen. Und dann haben wir da noch die Föderation, die sich natürlich stark gewandelt hat und in „Picard“ nur mehr als abstraktes, kaltes Konstrukt in Erscheinung tritt. Das wäre zwar ebenfalls eine interessante Entwicklung, die wird aber leider fast komplett ignoriert. Den Weg zu verfolgen, den die Föderation hier eingeschlagen hat, wäre vielleicht die lohnenswertere Story für „Picard“ gewesen. Mir graut übrigens schon ein bisschen davor, wenn ich mir vorstelle, dass eventuell mit Ereignissen aus „Discovery“ in Verbindung gebracht wird…
Vom einen oder anderen Logikloch möchte ich jetzt gar nicht anfangen – da gibt es Kaliber wie eine Androidin, die zur vulkanischen Geistesverschmelzung fähig ist. Warum? Weil sie es sich selbst beigebracht hat. Klar. Solche Dinge mögen im ersten Moment unbedeutend scheinen und nur einem alten Trekkie, der sich starrsinnig an der Vergangenheit festhält, negativ auffallen. Für mich ist das aber – genau wie es beispielsweise der Sporenantrieb in „Discovery“ war – schon ein starkes Indiz dafür, was bei Star Trek mittlerweile absolut falsch läuft: Die Verantwortlichen scheren sich nur deshalb überhaupt um Kontinuität, Kanon und Feeling, damit wenigstens ein paar ältere Zuseher dabei bleiben. Der Rest folgt Marketing-Gesetzen, was mir grundsätzlich egal wäre, wenn es hier nicht unter „Star Trek“ laufen würde. Wie lange das noch gut geht? Keine Ahnung, es ist aber auch fast schon egal. Irgendwie fühlt sich Star Trek, so wie ich es kannte und geliebt habe, tot an.
Es reicht hinten und vorne nicht.
Nein, es reicht nicht, einer Serie den wohl größten Namen des Star Trek-Universums nach Kirk und Spock zu verpassen und von einem Selbstläufer auszugehen. Würde diese Serie nicht als „Star Trek“ vermarktet, würde wohl kein Hahn danach krähen. Zu recht, denn das, was wir hier zu sehen bekommen, ist in den besten Momenten nicht viel mehr als mittelmäßig. Leider überwiegen fragwürdige Ideen, schlechte Drehbücher, langwierige Dialoge und eine Story, die den Namen kaum verdient. Nicht einmal der Hauptdarsteller wirkt so, als wäre er emotional bei der Sache.
All das wäre eigentlich ein Todesurteil. Für „Picard“ vergebe ich dennoch gut gemeinte, wenig objektive 3 Punkte. Denn es gibt den einen oder anderen Moment, in dem man sich dann doch heimisch fühlt. Es gibt ein paar spannende Ansätze (ich hätte so gerne mehr über die Forschungsarbeit auf dem Borg-Kubus erfahren!) und der Weltraum sieht so schön aus, wie nie zuvor. Doch das allein reicht hinten und vorne nicht, um „Star Trek: Picard“ zu einer guten Serie zu machen. Ich dachte erst, es würde weh tun, das zu schreiben – aber nein, es ist schlimmer: Es ist mir tatsächlich fast schon egal. Dabei wollte ich sie doch unbedingt mögen.
Bleibt nur die Hoffnung auf Staffel 2.
Gesamteindruck: 3/7
Originaltitel:Star Trek: Picard Idee: Alex Kurtzman, Akiva Goldsman, Michael Chabon, Kirsten Beyer Land: USA Jahr: 2020 Episoden: 10 Länge: ca. 45 Minuten Gesehen auf: Amazon Prime Haupt-Besetzung (Auswahl): Patrick Stewart, Alison Pill, Isa Briones, Michelle Hurd, Santiago Cabrera, Harry Treadaway, Evan Evagora
Ich oute mich hiermit als Fan der „Fallout“-Reihe. Wobei das nicht ganz richtig ist – zum Zeitpunkt dieser Rezension habe ich, Schande über mich, weder „Fallout“ (1997)noch „Fallout 2″ (1998) jemals gespielt. Mein Einstieg ins post-apokalyptische Amerika erfolgte erst mit „Fallout 3“ (2008), das nach Übernahme der Rechte von Black Isle durch Bethesda und dem Sprung in die Ego-Perspektive eine Zäsur für die Serie darstellte. Mein Versäumnis mit den älteren Spielen werde ich definitiv nachholen, liegen sie doch, GOG.com sei Dank, bereits im virtuellen Regal. Doch nun, fünf Jahre nach seinem Erscheinen, stand für mich erst einmal „Fallout 4“ an und ich war höchst gespannt, ob diese Reinkarnation ihren starken Vorgängern das Wasser reichen kann.
Gesamteindruck: 4/7
Reicht nicht an seine Vorgänger heran.
„Fallout 4“ kam Ende 2015 für mich durchaus überraschend auf den Markt. Ich hatte keinerlei große Ankündigungen oder Ähnliches wahrgenommen. Aus Erfahrung weiß ich allerdings, dass man die Open World-Serien von Bethesda (namentlich die „Fallout“– und „The Elder Scrolls“-Reihen) zur Schonung der eigenen Nerven besser nicht direkt nach Release kauft. Zu oft hatten in der Vergangenheit zahllose Bugs und grobe Schnitzer im Design für Frust bei Schnellkäufern gesorgt; so auch bei „Fallout 4“, wie man leicht nachlesen kann. Darum habe ich das Spiel tatsächlich erst 2020 erstmals zur Hand genommen – und direkt mit ein paar Mods versehen, die für bessere Spielbarkeit und Bedienung sorgen. Denn einmal mehr hat die Community das ausgebügelt, was eigentlich Aufgabe der Programmierer gewesen wäre – per se eine Frechheit, aber umgekehrt wiederum ganz schön zu sehen, dass die Modder immer noch zusammenhalten und „Fallout 4“ auf einen guten Weg gebracht haben.
Die Handlung in Kurzfassung Am 23. Oktober 2077 – ein Datum, dass dem „Fallout“-Kundigen ein Begriff sein sollte – kann sich eine handvoll Menschen gerade noch in Vault 111, einen Atombunker im Bostoner Vorort Sanctuary Hills, retten, bevor der „Große Krieg“ beginnt. Unter einem Vorwand wird ein Teil der Neuankömmlinge direkt in einen Kälteschlaf versetzt, aus dem der Spieler erst lange Zeit später unsanft erwacht. Nach Verlassen von Vault 111 findet er ein zerstörtes, radioaktiv verseuchtes und sehr gefährliches Amerika vor. Seine wichtigste Aufgabe: Sein entführtes Kind finden und den Tod seines Partners rächen.
„Fallout 4“ ist ein Spiel in der Tradition seiner unmittelbaren Vorgänger „Fallout 3“ (2008) und „Fallout: New Vegas“ (2010). Heißt: Man bewegt sich in der Egoperspektive durch post-apokalyptische Ruinen. Alles, was man aus der Serie kennt und liebt ist da – das beginnt beim ansehnlichen Waffenarsenal, reicht über die übliche Gegnerschaft aus allerlei mutiertem Tierzeugs, Raidern, Supermutanten & Co, über bekannte und neue Fraktionen bis hin zur großen Karte mit unzähligen Locations, die man völlig frei erkunden kann. Ebenfalls vorhanden sind die ironischen Sprüche, die mal mehr, mal weniger absurden Ereignisse, darunter z.B. eine Begegnung mit Außerirdischen, sowie eine Vielzahl an Charakteren und Begleitern mit unterschiedlichen Persönlichkeiten. All das ist zweifellos schön umgesetzt, auch wenn nicht jede Begegnung im unter „Commonwealth“ firmierenden Großraum Boston ein Volltreffer ist. Kann sie bei einem solchen Umfang wohl auch nicht sein.
Abstriche bei der Grafik, Sound gelungen.
Die üblichen Abstriche muss man bei der Grafik machen, was den gelernten „Fallout“-Anhänger nicht verwundern dürfte. Teil 4 sieht für mein Dafürhalten nicht viel anders aus als seine Vorgänger, die damals schon nicht mit Hochglanz-Optik glänzen konnten. Ich bin nun keiner, der zwingend Spiele braucht, die nur auf Highend-Grafikkarten flüssig laufen – im Falle von „Fallout 4“ wirkt die Grafik aber schon extrem in die Jahre gekommen. Und das hat nichts damit zu tun, dass ich 2020 ein Spiel von 2015 spiele. Meiner Ansicht nach merkt man hier – wie bei einigen anderen Dingen – sehr deutlich, dass das Spiel eigentlich für den Konsolenmarkt entwickelt wurde und die Leistungsfähigkeit moderner Spiele-PCs nicht ansatzweise ausnutzt. Da hilft auch das nachgelieferte „Texture Pack“ nicht viel, ist aber besser als gar nichts. Schade – wie gesagt, als „Fallout“-Profi muss man nicht die beste Optik haben, aber hier wäre dann doch deutlich mehr drin gewesen. Und das gilt auch für Dinge wie Sichtweite, Geschwindigkeit des Bildaufbaus usw.
Der Sound ist per se sehr gut gelungen. Damit meine ich vor allem die „Hintergrundmusik“ (wenn man das so nennen will), die man hört, wenn man keiner der typischen Radiostationen lauschen möchte. Sehr stimmungsvoll, was hier komponiert wurde. Die Soundeffekte passen auch sehr gut, und dass man Supermutanten, Raider und andere NPCs miteinander sprechen hört, wenn man sich nähert, finde ich ausgesprochen stimmungsvoll. Dass nun erstmals auch der eigene Charakter mit einer Stimme ausgestattet wurde, ist auch schön – nur in Dialogen kann das ziemlich nerven. Absurd? Nein, die normalen Sätze, die man im üblichen Multiple-Choice-Verfahren auswählen kann, wurden perfekt eingesprochen. Aber die Kommentare, die automatisiert kommen, während der Dialogpartner spricht, sind oft ausgesprochen unpassend; es stört die Rollenspielatmosphäre teils erheblich, wenn einem etwas Wichtiges offenbart wird und man von sich selbst ein gelangweiltes „Aha“ o.ä. zu hören bekommt. Noch eine Anmerkung zum Sound: Ja, es gibt die Radiostationen. Die sind aber im Vergleich zu „Fallout 3“ und „New Vegas“ deutlich im Hintertreffen, sowohl was die Songauswahl als auch Sprecher betrifft. Macht nicht so viel Spaß, hier reinzuhören, ich bin daher meist beim Ambient-Sound geblieben.
4 Probleme sollt ihr sein.
Die Äußerlichkeiten von „Fallout 4“ hätten wir damit einigermaßen abgehandelt – alles nicht so gut, wie es sein könnte, aber kein Beinbruch, würde ich sagen. Nun aber zu den inneren Werten. Und hier tun sich aus meiner Sicht gleich mehrere Probleme auf – die, die mich am meisten gestört haben, möchte ich etwas übersichtlicher auflisten:
Bedienung: Schon bei den vor „Fallout 4“ erschienen Bethesda-Spielen wurde deutlich, wohin die Reise geht. Denn auf PC-Spieler wird nicht nur in Sachen Grafik (siehe oben) keinerlei Rücksicht genommen – alles an Steuerung und Bedienung von „Fallout 4“ schreit „Gamepad!“ und „Konsole!“. An unzähligen Elementen und Kommandos erkennt man deutlich, dass dieses Spiel nicht für die Bedienung mit dem Keyboard ausgelegt ist. Teilweise ist das so übel, dass einem die Lust vergehen kann – bestes Beispiel ist der grundsätzlich interessante, aber viel zu unhandliche Siedlungsbau. Perfekt wird die Katastrophe dadurch, dass keineswegs alles frei belegbar ist, warum auch immer. Gerade die Menüs inner- und außerhalb des üblichen Pip-Boys sind ein Paradebeispiel für Userunfreundlichkeit. Dass in der Navigation die gleiche Taste in verschiedenen Menüs unterschiedliche Funktionen hat setzt dem „Spaß“ die Krone auf. Sorry, Bethesda, so gerne ich eure Spiele mag, ich finde hier bleibt ihr den PC-Spielern, denen ihr sicher nicht wenig zu verdanken habt, einiges schuldig. Nur gut, dass ein Großteil von der Modding-Community gelöst wurde, sodass man sich mittlerweile das Spiel auch in Sachen Bedienfreundlichkeit tatsächlich so zusammenmodden kann, wie man es sich eigentlich von Herstellerseite gewünscht und erwartet hätte.
Story: Wo würden wir hinkommen, wenn Bethesda nur ein einziges Mal in „Fallout“ oder „The Elder Scrolls“ eine vernünftige Story zu erzählen hätte? Wobei, so uninteressant ist die Geschichte gar nicht. Allerdings ist die von Beginn an frei begehbare Welt gerade in diesem Zusammenhang Fluch und Segen zugleich. Dadurch hat man binnen kürzester Zeit ein prall mit Nebenaufgaben gefülltes Questlog. Was daran das Problem ist? Nun, man verzettelt sich sehr schnell, was kaum passieren würde, wenn die Story wirklich fesseln würde. Es fehlt an Emotionalität, was interessant ist, weil die Geschichte generell ja schon sehr dramatisch ist. Wäre das Spiel die Wirklichkeit, würde man sofort rausgehen, sich kurz umsehen und direkt versuchen, seinen Sohn zu retten. Das haut hier nicht so hin, sodass aus diesem Blickwinkel dem Spiel auch Glaubwürdigkeit abhanden kommt. Ich habe die Hauptquest nach den ersten paar Aufgaben erst nach gefühlten 200 Spielstunden wieder aufgenommen – zu spät, um überhaupt noch eine emotionale Bindung zu spüren. Übrigens sind auch die vier unterschiedlichen Finali (eines pro Fraktion) alles andere als episch, aber das nur am Rande.
Quests: Wenn schon die Hauptquest nicht zwingend ist, hofft man natürlich auf die zahlreichen Nebenaufgaben. Hier geht es ambivalent zu – manches ist super, einiges ist akzeptabel, vieles ist aber auch langweilige Beschäftigungstherapie. Alles in allem ist die Mischung aber gar nicht verkehrt, sieht man vom Novum der wiederkehrenden Quests sämtlicher Fraktionen ab. Diese nerven schnell, weil sie naturgemäß immer nach demselben Schema ablaufen. Beispielsweise soll man für die Stählerne Bruderschaft laufend technologische Artefakte besorgen. Dafür geht man an die bezeichnete Location, bringt dort alles und jeden um, holt den Gegenstand und kehrt zum immer gleichen Auftraggeber zurück. Das wiederholt sich unendlich, ich konnte jedenfalls keine dieser Questreihen abschließen. Langweilig – und ärgerlich übrigens auch für jemanden, der sein Questlog gerne „sauber“ hält, denn manche dieser Aufgaben (ich sehe euch an, Commonwealth Minutemen) bekommt man , ohne überhaupt danach gefragt zu haben und ablehnen zu können. Hier passt übrigens auch rein, dass sich „Fallout 4“ über weite Strecken fast wie ein Shooter spielt – man kommt zur Location, muss dort alles und jeden töten (schleichen wäre eine Option, funktioniert aber selten gut genug, um völlig unblutig durchzukommen), was keine Entwicklung ist, die ich ansatzweise goutiere.
Allgemeine Atmosphäre: Ich bin durchaus zwiegespalten, was diesen Punkt betrifft. Einerseits habe ich mehrere hundert Stunden im Commonwealth verbracht. Das ist ein gutes Zeichen, denn wenn es mir dort nicht gefallen hätte, wäre ich wesentlich früher ausgestiegen. Es ist das typische „Fallout“-Feeling und man kann nicht umhin, dass auch der vierte Teil der Serie in dieser Hinsicht mehr als gelungen ist. Ich störe mich auch weniger daran, dass die Ruinen von Boston insgesamt weniger markante Anhaltspunkte bieten als die Glücksspielmetropole New Vegas oder das zerstörte Washington D.C. aus „Fallout 3“ – das wurde ja auch von einigen Kommentatoren thematisiert. Was allerdings schon auffällt, ist die teils fehlende Kohärenz dieser Welt. Vor allem im Zuge der sich wiederholenden Quests (s. o.) wird das augenfällig. Da muss man nämlich durchaus mal für zwei verschiedene Fraktionen das gleiche Gebäude besuchen – wenn im Spiel zwischen den Aufträgen einige Tage vergangen sind, erlebt man allerdings sein blaues Wunder, wenn man denkt, locker durch eine bereits geräumte Location spazieren zu können. Offenbar setzt das Spiel nach einem gewissen Zeitraum fast alle Parameter zurück. Wofür es dann auf der Karte „Cleared“-Markierungen gibt, frage ich mich zwar auch, vor allem bedeutet das aber, dass ein von Raidern befreites Gebäude nach X Tagen wieder genau gleich aussieht – auch alle Fallen sind wieder aufgestellt, deaktivierte / zerstörte Protectrons stehen wieder in ihrer Ausgangsstellung, Ghule kriechen wieder durch die selben Fenster, durch die sie beim ersten Besuch kamen, bereits entschärfte Minen sind wieder aktiv usw. Und das nicht nur in Gebäuden, sondern auch auf Straßen. Irgendwie verstehe ich das ja – andernfalls würde man den Commonwealth wohl irgendwann leergeräumt haben. Dennoch: Wenn das bei „Fallout 3“ und „New Vegas“ auch schon so war, ist es mir zumindest nicht aufgefallen. Bei „Fallout 4“ ist es hingegen eine regelrechte Realismus- und Motivationsbremse. Was bedeutet es schon, wenn ich einen Steinbruch mühevoll von Raidern befreit habe, wenn die in 2 Tagen in gleicher Zahl und an exakt denselben Positionen wieder dort sind? Tatsächlich ist das alles sogar mein größter Kritikpunkt an „Fallout 4“, weil es einfach unglaublich viel von einer realistischen Rollenspielatmosphäre nimmt. Schade drum.
Ganz gut. Aber nicht gut genug.
Es gäbe noch viele Dinge aufzuzählen und zu beschreiben – „Fallout 4“ ist ja, ganz in der Tradition der zwei großen Bethesda-Reihen – ein wahres Monster, was den Umfang betrifft. Auf alles konnte und wollte ich jetzt natürlich nicht eingehen (allein über die jeder Beschreibung spottende KI könnte man sich seitenlang auslassen). Ich begnüge mich daher mit dem Fazit, weil ich hoffe, die wichtigsten Punkte erwähnt zu haben.
Und dieses Fazit lautet: „Fallout 4“ ist grundsätzlich ein gutes Spiel. Daran führt kein Weg vorbei – zumindest nicht für all jene, die mit dieser Reihe etwas anfangen können, seit sie den Sprung in die Egoperspektive gewagt hat. Gleichzeitig ist es aber auch so viel weniger, als es hätte sein können. Die Grundzutaten sind gut, kein Wunder, sind sie ja auch bewährt. Die Äußerlichkeiten, z.B. die Grafik, sind immer noch akzeptabel. Doch leider ist „Fallout 4“ einfach kleiner als die Summe seiner Teile. Es fehlt – um ein Klischee zu bemühen – das gewisse Etwas. Man kann viel erleben im Commonwealth und, ja, ein Teil davon spielt sich sicher auch im Kopf des Spielers ab, weswegen man schon eine gewisse Grundsympathie für das Spiel mitbringen muss. Aber auch, wenn man die hat, wirkt vieles unfertig, nicht zu Ende gedacht oder sogar lieblos hingeschludert. Als würde das letzte Bisschen fehlen, um „Fallout 4“ sein Versprechen, das es in den ersten Stunden durchaus abgibt, bis zum Schluss durchhalten zu lassen. Darum einfach nur: Schade!
Gesamteindruck: 4/7
Genre: Rollenspiel Entwickler: Bethesda Game Studios Publisher: Bethesda Softworks
Jahr: 2015 Gespielt auf: PC