SpielWelt: Fallout 4

Ich oute mich hiermit als Fan der „Fallout“-Reihe. Wobei das nicht ganz richtig ist – zum Zeitpunkt dieser Rezension habe ich, Schande über mich, weder „Fallout“ (1997) noch „Fallout 2″ (1998) jemals gespielt. Mein Einstieg ins post-apokalyptische Amerika erfolgte erst mit „Fallout 3“ (2008), das nach Übernahme der Rechte von Black Isle durch Bethesda und dem Sprung in die Ego-Perspektive eine Zäsur für die Serie darstellte. Mein Versäumnis mit den älteren Spielen werde ich definitiv nachholen, liegen sie doch, GOG.com sei Dank, bereits im virtuellen Regal. Doch nun, fünf Jahre nach seinem Erscheinen, stand für mich erst einmal „Fallout 4“ an und ich war höchst gespannt, ob diese Reinkarnation ihren starken Vorgängern das Wasser reichen kann.

Gesamteindruck: 4/7


Reicht nicht an seine Vorgänger heran.

„Fallout 4“ kam Ende 2015 für mich durchaus überraschend auf den Markt. Ich hatte keinerlei große Ankündigungen oder Ähnliches wahrgenommen. Aus Erfahrung weiß ich allerdings, dass man die Open World-Serien von Bethesda (namentlich die „Fallout“– und „The Elder Scrolls“-Reihen) zur Schonung der eigenen Nerven besser nicht direkt nach Release kauft. Zu oft hatten in der Vergangenheit zahllose Bugs und grobe Schnitzer im Design für Frust bei Schnellkäufern gesorgt; so auch bei „Fallout 4“, wie man leicht nachlesen kann. Darum habe ich das Spiel tatsächlich erst 2020 erstmals zur Hand genommen – und direkt mit ein paar Mods versehen, die für bessere Spielbarkeit und Bedienung sorgen. Denn einmal mehr hat die Community das ausgebügelt, was eigentlich Aufgabe der Programmierer gewesen wäre – per se eine Frechheit, aber umgekehrt wiederum ganz schön zu sehen, dass die Modder immer noch zusammenhalten und „Fallout 4“ auf einen guten Weg gebracht haben.

Die Handlung in Kurzfassung
Am 23. Oktober 2077 – ein Datum, dass dem „Fallout“-Kundigen ein Begriff sein sollte – kann sich eine handvoll Menschen gerade noch in Vault 111, einen Atombunker im Bostoner Vorort Sanctuary Hills, retten, bevor der „Große Krieg“ beginnt. Unter einem Vorwand wird ein Teil der Neuankömmlinge direkt in einen Kälteschlaf versetzt, aus dem der Spieler erst lange Zeit später unsanft erwacht. Nach Verlassen von Vault 111 findet er ein zerstörtes, radioaktiv verseuchtes und sehr gefährliches Amerika vor. Seine wichtigste Aufgabe: Sein entführtes Kind finden und den Tod seines Partners rächen. 

„Fallout 4“ ist ein Spiel in der Tradition seiner unmittelbaren Vorgänger „Fallout 3“ (2008) und „Fallout: New Vegas“ (2010). Heißt: Man bewegt sich in der Egoperspektive durch post-apokalyptische Ruinen. Alles, was man aus der Serie kennt und liebt ist da – das beginnt beim ansehnlichen Waffenarsenal, reicht über die übliche Gegnerschaft aus allerlei mutiertem Tierzeugs, Raidern, Supermutanten & Co, über bekannte und neue Fraktionen bis hin zur großen Karte mit unzähligen Locations, die man völlig frei erkunden kann. Ebenfalls vorhanden sind die ironischen Sprüche, die mal mehr, mal weniger absurden Ereignisse, darunter z.B. eine Begegnung mit Außerirdischen, sowie eine Vielzahl an Charakteren und Begleitern mit unterschiedlichen Persönlichkeiten. All das ist zweifellos schön umgesetzt, auch wenn nicht jede Begegnung im unter „Commonwealth“ firmierenden Großraum Boston ein Volltreffer ist. Kann sie bei einem solchen Umfang wohl auch nicht sein.

Abstriche bei der Grafik, Sound gelungen.

Die üblichen Abstriche muss man bei der Grafik machen, was den gelernten „Fallout“-Anhänger nicht verwundern dürfte. Teil 4 sieht für mein Dafürhalten nicht viel anders aus als seine Vorgänger, die damals schon nicht mit Hochglanz-Optik glänzen konnten. Ich bin nun keiner, der zwingend Spiele braucht, die nur auf Highend-Grafikkarten flüssig laufen – im Falle von „Fallout 4“ wirkt die Grafik aber schon extrem in die Jahre gekommen. Und das hat nichts damit zu tun, dass ich 2020 ein Spiel von 2015 spiele. Meiner Ansicht nach merkt man hier – wie bei einigen anderen Dingen – sehr deutlich, dass das Spiel eigentlich für den Konsolenmarkt entwickelt wurde und die Leistungsfähigkeit moderner Spiele-PCs nicht ansatzweise ausnutzt. Da hilft auch das nachgelieferte „Texture Pack“ nicht viel, ist aber besser als gar nichts. Schade – wie gesagt, als „Fallout“-Profi muss man nicht die beste Optik haben, aber hier wäre dann doch deutlich mehr drin gewesen. Und das gilt auch für Dinge wie Sichtweite, Geschwindigkeit des Bildaufbaus usw.

Der Sound ist per se sehr gut gelungen. Damit meine ich vor allem die „Hintergrundmusik“ (wenn man das so nennen will), die man hört, wenn man keiner der typischen Radiostationen lauschen möchte. Sehr stimmungsvoll, was hier komponiert wurde. Die Soundeffekte passen auch sehr gut, und dass man Supermutanten, Raider und andere NPCs miteinander sprechen hört, wenn man sich nähert, finde ich ausgesprochen stimmungsvoll. Dass nun erstmals auch der eigene Charakter mit einer Stimme ausgestattet wurde, ist auch schön – nur in Dialogen kann das ziemlich nerven. Absurd? Nein, die normalen Sätze, die man im üblichen Multiple-Choice-Verfahren auswählen kann, wurden perfekt eingesprochen. Aber die Kommentare, die automatisiert kommen, während der Dialogpartner spricht, sind oft ausgesprochen unpassend; es stört die Rollenspielatmosphäre teils erheblich, wenn einem etwas Wichtiges offenbart wird und man von sich selbst ein gelangweiltes „Aha“ o.ä. zu hören bekommt. Noch eine Anmerkung zum Sound: Ja, es gibt die Radiostationen. Die sind aber im Vergleich zu „Fallout 3“ und „New Vegas“ deutlich im Hintertreffen, sowohl was die Songauswahl als auch Sprecher betrifft. Macht nicht so viel Spaß, hier reinzuhören, ich bin daher meist beim Ambient-Sound geblieben.

4 Probleme sollt ihr sein.

Die Äußerlichkeiten von „Fallout 4“ hätten wir damit einigermaßen abgehandelt – alles nicht so gut, wie es sein könnte, aber kein Beinbruch, würde ich sagen. Nun aber zu den inneren Werten. Und hier tun sich aus meiner Sicht gleich mehrere Probleme auf – die, die mich am meisten gestört haben, möchte ich etwas übersichtlicher auflisten:

  • Bedienung: Schon bei den vor „Fallout 4“ erschienen Bethesda-Spielen wurde deutlich, wohin die Reise geht. Denn auf PC-Spieler wird nicht nur in Sachen Grafik (siehe oben) keinerlei Rücksicht genommen – alles an Steuerung und Bedienung von „Fallout 4“ schreit „Gamepad!“ und „Konsole!“. An unzähligen Elementen und Kommandos erkennt man deutlich, dass dieses Spiel nicht für die Bedienung mit dem Keyboard ausgelegt ist. Teilweise ist das so übel, dass einem die Lust vergehen kann – bestes Beispiel ist der grundsätzlich interessante, aber viel zu unhandliche Siedlungsbau. Perfekt wird die Katastrophe dadurch, dass keineswegs alles frei belegbar ist, warum auch immer. Gerade die Menüs inner- und außerhalb des üblichen Pip-Boys sind ein Paradebeispiel für Userunfreundlichkeit. Dass in der Navigation die gleiche Taste in verschiedenen Menüs unterschiedliche Funktionen hat setzt dem „Spaß“ die Krone auf. Sorry, Bethesda, so gerne ich eure Spiele mag, ich finde hier bleibt ihr den PC-Spielern, denen ihr sicher nicht wenig zu verdanken habt, einiges schuldig. Nur gut, dass ein Großteil von der Modding-Community gelöst wurde, sodass man sich mittlerweile das Spiel auch in Sachen Bedienfreundlichkeit tatsächlich so zusammenmodden kann, wie man es sich eigentlich von Herstellerseite gewünscht und erwartet hätte.
  • Story: Wo würden wir hinkommen, wenn Bethesda nur ein einziges Mal in „Fallout“ oder „The Elder Scrolls“ eine vernünftige Story zu erzählen hätte? Wobei, so uninteressant ist die Geschichte gar nicht. Allerdings ist die von Beginn an frei begehbare Welt gerade in diesem Zusammenhang Fluch und Segen zugleich. Dadurch hat man binnen kürzester Zeit ein prall mit Nebenaufgaben gefülltes Questlog. Was daran das Problem ist? Nun, man verzettelt sich sehr schnell, was kaum passieren würde, wenn die Story wirklich fesseln würde. Es fehlt an Emotionalität, was interessant ist, weil die Geschichte generell ja schon sehr dramatisch ist. Wäre das Spiel die Wirklichkeit, würde man sofort rausgehen, sich kurz umsehen und direkt versuchen, seinen Sohn zu retten. Das haut hier nicht so hin, sodass aus diesem Blickwinkel dem Spiel auch Glaubwürdigkeit abhanden kommt. Ich habe die Hauptquest nach den ersten paar Aufgaben erst nach gefühlten 200 Spielstunden wieder aufgenommen – zu spät, um überhaupt noch eine emotionale Bindung zu spüren. Übrigens sind auch die vier unterschiedlichen Finali (eines pro Fraktion) alles andere als episch, aber das nur am Rande.
  • Quests: Wenn schon die Hauptquest nicht zwingend ist, hofft man natürlich auf die zahlreichen Nebenaufgaben. Hier geht es ambivalent zu – manches ist super, einiges ist akzeptabel, vieles ist aber auch langweilige Beschäftigungstherapie. Alles in allem ist die Mischung aber gar nicht verkehrt, sieht man vom Novum der wiederkehrenden Quests sämtlicher Fraktionen ab. Diese nerven schnell, weil sie naturgemäß immer nach demselben Schema ablaufen. Beispielsweise soll man für die Stählerne Bruderschaft laufend technologische Artefakte besorgen. Dafür geht man an die bezeichnete Location, bringt dort alles und jeden um, holt den Gegenstand und kehrt zum immer gleichen Auftraggeber zurück. Das wiederholt sich unendlich, ich konnte jedenfalls keine dieser Questreihen abschließen. Langweilig – und ärgerlich übrigens auch für jemanden, der sein Questlog gerne „sauber“ hält, denn manche dieser Aufgaben (ich sehe euch an, Commonwealth Minutemen) bekommt man , ohne überhaupt danach gefragt zu haben und ablehnen zu können. Hier passt übrigens auch rein, dass sich „Fallout 4“ über weite Strecken fast wie ein Shooter spielt – man kommt zur Location, muss dort alles und jeden töten (schleichen wäre eine Option, funktioniert aber selten gut genug, um völlig unblutig durchzukommen), was keine Entwicklung ist, die ich ansatzweise goutiere.
  • Allgemeine Atmosphäre: Ich bin durchaus zwiegespalten, was diesen Punkt betrifft. Einerseits habe ich mehrere hundert Stunden im Commonwealth verbracht. Das ist ein gutes Zeichen, denn wenn es mir dort nicht gefallen hätte, wäre ich wesentlich früher ausgestiegen. Es ist das typische „Fallout“-Feeling und man kann nicht umhin, dass auch der vierte Teil der Serie in dieser Hinsicht mehr als gelungen ist. Ich störe mich auch weniger daran, dass die Ruinen von Boston insgesamt weniger markante Anhaltspunkte bieten als die Glücksspielmetropole New Vegas oder das zerstörte Washington D.C. aus „Fallout 3“ – das wurde ja auch von einigen Kommentatoren thematisiert. Was allerdings schon auffällt, ist die teils fehlende Kohärenz dieser Welt. Vor allem im Zuge der sich wiederholenden Quests (s. o.) wird das augenfällig. Da muss man nämlich durchaus mal für zwei verschiedene Fraktionen das gleiche Gebäude besuchen – wenn im Spiel zwischen den Aufträgen einige Tage vergangen sind, erlebt man allerdings sein blaues Wunder, wenn man denkt, locker durch eine bereits geräumte Location spazieren zu können. Offenbar setzt das Spiel nach einem gewissen Zeitraum fast alle Parameter zurück. Wofür es dann auf der Karte „Cleared“-Markierungen gibt, frage ich mich zwar auch, vor allem bedeutet das aber, dass ein von Raidern befreites Gebäude nach X Tagen wieder genau gleich aussieht – auch alle Fallen sind wieder aufgestellt, deaktivierte / zerstörte Protectrons stehen wieder in ihrer Ausgangsstellung, Ghule kriechen wieder durch die selben Fenster, durch die sie beim ersten Besuch kamen, bereits entschärfte Minen sind wieder aktiv usw. Und das nicht nur in Gebäuden, sondern auch auf Straßen. Irgendwie verstehe ich das ja – andernfalls würde man den Commonwealth wohl irgendwann leergeräumt haben. Dennoch: Wenn das bei „Fallout 3“ und „New Vegas“ auch schon so war, ist es mir zumindest nicht aufgefallen. Bei „Fallout 4“ ist es hingegen eine regelrechte Realismus- und Motivationsbremse. Was bedeutet es schon, wenn ich einen Steinbruch mühevoll von Raidern befreit habe, wenn die in 2 Tagen in gleicher Zahl und an exakt denselben Positionen wieder dort sind? Tatsächlich ist das alles sogar mein größter Kritikpunkt an „Fallout 4“, weil es einfach unglaublich viel von einer realistischen Rollenspielatmosphäre nimmt. Schade drum.

Ganz gut. Aber nicht gut genug.

Es gäbe noch viele Dinge aufzuzählen und zu beschreiben – „Fallout 4“ ist ja, ganz in der Tradition der zwei großen Bethesda-Reihen – ein wahres Monster, was den Umfang betrifft. Auf alles konnte und wollte ich jetzt natürlich nicht eingehen (allein über die jeder Beschreibung spottende KI könnte man sich seitenlang auslassen). Ich begnüge mich daher mit dem Fazit, weil ich hoffe, die wichtigsten Punkte erwähnt zu haben.

Und dieses Fazit lautet: „Fallout 4“ ist grundsätzlich ein gutes Spiel. Daran führt kein Weg vorbei – zumindest nicht für all jene, die mit dieser Reihe etwas anfangen können, seit sie den Sprung in die Egoperspektive gewagt hat. Gleichzeitig ist es aber auch so viel weniger, als es hätte sein können. Die Grundzutaten sind gut, kein Wunder, sind sie ja auch bewährt. Die Äußerlichkeiten, z.B. die Grafik, sind immer noch akzeptabel. Doch leider ist „Fallout 4“ einfach kleiner als die Summe seiner Teile. Es fehlt – um ein Klischee zu bemühen – das gewisse Etwas. Man kann viel erleben im Commonwealth und, ja, ein Teil davon spielt sich sicher auch im Kopf des Spielers ab, weswegen man schon eine gewisse Grundsympathie für das Spiel mitbringen muss. Aber auch, wenn man die hat, wirkt vieles unfertig, nicht zu Ende gedacht oder sogar lieblos hingeschludert. Als würde das letzte Bisschen fehlen, um „Fallout 4“ sein Versprechen, das es in den ersten Stunden durchaus abgibt, bis zum Schluss durchhalten zu lassen. Darum einfach nur: Schade!

Gesamteindruck: 4/7


Genre: Rollenspiel
Entwickler: Bethesda Game Studios
Publisher: Bethesda Softworks
Jahr:
2015
Gespielt auf: PC


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