Suffocation
Außenstehende, die wenig Bezug zu den extremeren Spielarten des Heavy Metal haben, werden es kurios finden: Als gestandener Black Metaller habe ich tatsächlich wenig Ahnung von klassischem Death Metal. Ja, die Florida-Standards wie Cannibal Corpse und Six Feet Under sind mir ein Begriff, und auch die europäisch-melodische Schiene ist mir auch nicht ganz fremd. Dennoch: Im Vergleich zum Black Metal ist Death Metal für mich auch nach 25 Jahren harter Musik noch ein Buch mit sieben Siegeln. Kein Wunder also, dass ich nicht viel zur Bedeutung des Debüt-Albums der New Yorker Suffocation für das Genre sagen kann. Wohl aber, ob und wie mir „Effigy of the Forgotten“ anno 2020 gefällt.
Gesamteindruck: 3/7
Frühe Brutalität.
Was mir bereits bei den ersten Durchläufen von „Effigy of the Forgotten“ klar geworden ist: Black und Death Metal sind zwei sehr, sehr unterschiedliche Musikrichtungen. Die Genres mögen gemeinsame Wurzeln haben, haben sich danach aber stetig auseinander entwickelt (sieht man von gewissen Ausnahmen, z. B. Behemoth, ab). Fakt ist: Das hier ist unterscheidet sich ganz massiv von der Musik, die ich normalerweise höre. Und, ich geh schon mal in Deckung, ich finde dieses Werk nicht so toll, wie es eine Vielzahl an Rezensionen vermuten lässt. Vielleicht muss man es als Zeitgenosse erlebt haben, um zu verstehen, wieso „Effigy of the Forgotten“ dermaßen grandios sein soll? Glaube ich eigentlich nicht, denn als die 2. Generation des Black Metal Anfang der 1990er Fahrt aufgenommen war ich ebenfalls noch zu jung – und doch empfinde ich die Frühwerke von Darkthrone, Mayhem, Immortal und wie sie alle heißen ganz anders. Paradoxerweise waren Suffocation auf diesem Debüt deutlich bessere Musiker als das Gros ihrer Corpsepaint-tragenden, meist aus Norwegen stammenden Zeitgenossen. Hieran ist aber auch erkennbar, dass technische Fähigkeiten keineswegs der einzige Schlüssel für gelungene Musik sind.
Eine Grundsatzfrage ist, wie man seinen Metal gern hätte. Suffocation klingen zweifellos brutal. Und sie schaffen es trotzdem, einigermaßen ansprechendes Songwriting zu bieten. Was mir allerdings fehlt – und das ist wohl mein persönliches Problem und hat weniger mit der grundsätzlichen Qualität des Albums zu tun – sind zwei Dinge. Einerseits wäre da der Mangel an Atmosphäre: „Effigy of the Forgotten“ ist für ein Debüt sehr routiniert runtergespielt und technisch durchaus fein gemacht. Aber so richtig Stimmung will bei mir kaum jemals aufkommen. Nach einer kurzen Hörprobe des Zweitwerks von Suffocation konnte ich einen Teil des Problems im Bereich der Produktion verorten – denn die ist beim Debüt noch sehr trocken und ein bisschen zu flach für meinen Geschmack, speziell, was die Gitarrenriffs betrifft. Album Nummer 2 („Breeding the Spawn“, 1993) klingt in meinen Ohren wesentlich frischer und spricht mich dadurch gleich viel mehr an. Davon abgesehen sind Suffocation eine musikalisch eindeutig beschlagene Band und legen auf diesen Aspekt auch viel Wert – die Emotionen gehen dadurch ein wenig unter.
Zweiter Faktor, der meine Begeisterung stark dämpft, sind die Songs an sich an sich. Ich bin ganz ehrlich: Ich höre hier recht wenige memorable Momente heraus. Per se könnte ich jetzt nicht sagen, wie ein einzelner der 9 Tracks klingt. Klar, man horcht immer wieder auf, wenn man das Album laufen hat: Der Opener „Liege of Inveracity“ ist meines Erachtens die beste Nummer und verfügt über ein ziemlich geiles Break, „Mass Obliteration“ hat ein lässiges Solo bzw. einen Mittelpart, der zu gefallen weiß; und das Riffing des Titeltracks ist auch nicht zu verachten. Das reicht mir persönlich aber einfach nicht. Und so klingt „Effigy of the Forgotten“ für mich verhältnismäßig anstrengend, ich habe Mühe, das Album konzentriert anzuhören und komme einfach nicht in den „Flow“. Dass diese Platte der Startschuss für die Brutalität gewesen ist, die wir vom modernen Death Metal gewohnt sind, glaube ich einfach mal unbesehen – diesen Teil des Impacts auf die damals noch junge Szene kann ich natürlich nicht mehr nachvollziehen, wenn ich das Album mit 40 Lenzen erstmals höre. Und damit schließt sich der Kreis: Black Metal muss Anfang der 1990er auch wie etwas Unglaubliches, nie Dagewesenes, dahergekommen sein. Ich weiß nicht, wie sich das angefühlt hat – und doch treffen dessen Frühwerke irgendwo in mir einen gewissen Nerv. Bei „Effigy of the Forgotten“ ist das leider nicht der Fall. Wer aber ein Death Metal-Fan durch und durch ist, kann dem Album sicher den einen oder anderen Punkt mehr geben (und wird mir meine Ignoranz hoffentlich verzeihen).
Abschließend noch ein Wort zum Cover: Ich weiß nicht, was man sich dabei gedacht hat. Das muss wohl eines der übelsten Cover sein, die man bei einer Death Metal-Band findet. Auch und vor allem, wenn man sich ansieht, welche Bilder 1991 die Konkurrenz auf ihre Alben pappte. Na gut, „From Beyond“ von Massacre aus dem gleichen Jahr ist nochmal deutlich mieser, aber ansonsten gab es damals wirklich viele Alben, die optisch und akustisch hervorragend zusammen passten. „Effigy of the Forgotten“ mit seinem merkwürdigen Roboter gehört da nicht unbedingt dazu…
Track – Titel – Länge – Wertung
- Liege of Inveracity – 4:28 – 5/7
- Effigy of the Forgotten – 3:47 – 5/7
- Infecting the Crypts – 4:45 – 4/7
- Seeds of the Suffering – 5:51 – 4/7
- Habitual Infamy – 4:15 – 4/7
- Reincremation – 2:52 – 3/7
- Mass Obliteration – 4:30 – 5/7
- Involuntary Slaughter – 3:00 – 3/7
- Jesus Wept – 3:38 – 4/7
Gesamteindruck: 3/7
Suffocation auf “Effigy of the Forgotten” (1991):
- Frank Mullen − Vocals
- Terrance Hobbs − Guitars
- Doug Cerrito − Guitars
- Josh Barohn − Bass
- Mike Smith − Drums
Anspieltipp: Liege of Inveracity
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