Stephen King
Mit „The Plant“ hat Bestseller-Autor Stephen King ein interessantes Konzept verfolgt: Die ersten drei Teile des Fortsetzungsromans erschienen 1982 bis 1985 in limitierter Form als eine Art Weihnachtsgeschenk für Freunde und Familie. Danach ruhte das Werk, bis King Anfang 2000 begann, „The Plant“ in überarbeiteter Form im Internet zu veröffentlichen und fortzusetzen. Insgesamt gibt es zum Zeitpunkt dieser Rezension (2020) sechs Teile, die auf der Website des Autors als kostenloser Download verfügbar sind.
Gesamteindruck: 6/7
Vielen Dank für die Blumen…
Vorweg eine Anmerkung für alle Interessenten: In den Untiefen des Internets findet man die eine oder andere deutschsprachige Version von „The Plant“. Eine offizielle Übersetzung existiert allerdings nicht; ich habe versuchsweise ein deutschsprachiges PDF angelesen, bin dann aber schnell wieder davon abgekommen. Einerseits, weil Stephen King im Original ohnehin leicht lesbar ist und Übersetzungen ihrer Vorlage sowieso selten gerecht werden. Andererseits weil es in meinem Fall so war, dass nur die Teile 1 und 2 einigermaßen brauchbar übersetzt waren. Der Rest las sich wie durch den automatischen Google Translator gejagt – und war es vermutlich auch. Daher: Einfach mal an das Original ranwagen, wenn man des Englischen halbwegs mächtig ist – es lohnt sich!
Inhalt in Kurzfassung
Wie jeder Verlag erhält auch die reichlich heruntergekommene Firma Zenith House immer wieder unaufgefordert eingesandte Manuskripte zwielichtiger Autoren. In einem dieser zweifelhaften Roman-Entwürfe entdecken die Lektoren verstörende Fotos, die auf einen Ritual-Mord hinweisen könnten. Die Polizei wird eingeschaltet, was dem abgelehnten Möchtegern-Autor naturgemäß sauer aufstößt. Er schwört Rache – und schickt den Verlegern zunächst eine kleine Topfpflanze. Im Laufe der Zeit beginnt das Gewächs ein merkwürdiges Eigenleben zu entwickeln…
Leider bezeichnet Stephen King das Projekt mittlerweile als Fehlschlag, es sieht also derzeit nicht danach aus, dass „The Plant“ jemals fertiggestellt wird. Ich persönlich fände es schade, wenn wir es hier tatsächlich mit der Unvollendeten von Stephen King zu tun hätten – aber noch ist aber nicht aller Tage Abend, denn der Autor hat die Pflanze ja schon einmal in eine jahrzehntelange Ruhephase geschickt. Die Hoffnung auf eine Fortsetzung lebt also.
Gute Figuren, unterhaltsame Story.
Abseits der interessanten Veröffentlichungsstrategie ist „The Plant“ ein klassischer King. Zumindest fast – die Story selbst ist eigentlich typisch, wenngleich nicht ganz so ernst, wie man es normalerweise gewohnt ist. Der große Unterschied zu anderen Romanen des Autors ist die Form: „The Plant“ ist ein Sammelsurium aus Briefen, Tagebucheinträgen und ähnlichen Schriftstücken. Erinnert z. B. an Bram Stoker’s „Dracula“, das sehr ähnlich aufgebaut ist. Mir gefällt diese Variante von King, denn er schafft es, seine Hauptpersonen hinreichend unterschiedlich klingen zu lassen. Natürlich, es ist immer noch Stephen King, der da schreibt, aber die Unterschiede sind dennoch akzentuiert genug, um die Illusion aufrecht zu erhalten, wir hätten es hier mit realen und grundverschiedenen Menschen zu tun.
Dass dem so ist, ist auch der wie üblich hervorragenden Charakterzeichnung des Autors zu verdanken. Ich war mir anfangs nicht sicher, ob das gelingen würde, wenn wie in diesem Fall kein allwissender Erzähler in der dritten Person über Ereignisse berichtet und Charaktere beschreibt. Man darf ja nicht vergessen, dass es kaum glaubwürdig ist, wenn in einer Tagebuchaufzeichnung ein Charakter einen anderen, mit dem er schon lange bekannt ist, bis ins Detail beschreibt. Das macht Stephen King zum Glück auch nicht – ihm gelingt es, durch immer mal wieder eingestreute Kleinigkeiten und Beobachtungen die Figuren plastisch und lebendig wirken zu lassen.
Form und Figuren sind also schon mal sehr gut gelungen – doch wie sieht es mit der Handlung aus? „The Plant“ soll wohl eine Persiflage auf das Horror-Genre sein, was mir aber gar nicht so sehr aufgefallen ist. Nun gut, ganz so grausig wie sonstige Horror-Visionen des Meisters ist die zunächst noch kleine und schwächlich wirkende Pflanze nicht gerade. Aber die Art und Weise, wie sich die Geschichte entspinnt und Fahrt aufnimmt ist durchaus gelungen, wie ich finde. Die Folge ist, dass der Roman trotz (oder gerade wegen) seiner kurzen Kapitel und der ungewohnten Form ein echter Pageturner ist. Ich hätte nicht gedacht, dass King so gut in der Lage sein würde, die „Fragmente“, aus denen „The Plant“ besteht, zu einer Geschichte zu formen, die wie aus einem Guss wirkt. Muss eine interessante Übung für den Meister gewesen sein.
Fazit: Ich habe grundsätzlich wenig bis gar nichts an „The Plant“ auszusetzen. Freilich ist es schwierig, zu bewerten, ob das Gesamtbild stimmig ist, wenn die Geschichte nicht abgeschlossen ist. Daher auch die geringere Punktezahl: Es gibt naturgemäß eine Menge loser Fäden, bei denen völlig offen ist, ob King sie zu einem befriedigen Abschluss bringen kann bzw. gebracht hätte, wenn er weiter geschrieben hätte. Verdammt… ich würde wirklich zu gerne wissen, wie es weitergeht – vielleicht erhört Stephen King seine Fans ja doch noch und weckt die Pflanze aus ihrem Winterschlaf. Was bisher darüber zu lesen ist hätte sich definitiv eine Fortsetzung und einen würdigen Abschluss verdient.
Autor: Stephen King
Originaltitel: The Plant.
Erstveröffentlichung: 1982
Umfang: ca. 300 Seiten
Gelesene Sprache: Englisch
Gelesene Version: E-Book