„Hard West“ sei, so die vielfach zu lesende Meinung, „X-COM“ mit Cowboys. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich jenen Klassiker bis dato nicht gespielt habe. Werde ich nachholen und dann wird in diesem Blog davon zu lesen sein. Einstweilen bringe aber auch ich einen Vergleich (der so sicher auch schon zu lesen war): „Hard West“ ist „Jagged Alliance“ im Wilden Westen.
Gesamteindruck: 4/7
Das Lied vom Tod.
„Jagged Alliance 2“ (1999) ist für mich nach wie vor eines der besten Spiele aller Zeiten. Unzählige Stunden habe ich mit diesem Meisterwerk verbracht und auch heute wage ich mich noch gelegentlich auf das Eiland Arulco um der bösen Deidranna zu zeigen, wo der Hammer hängt. Zugegeben: Mit diesem zu Recht allseits hoch gelobten Veteranen aus dem Genre der rundenbasierten Taktik kann „Hard West“ nicht mithalten. Ein unterhaltsames Spiel ist dem polnischen Studio CreativeForge dennoch gelungen.
Der Inhalt in Kurzfassung
Willkommen im „Weird West“, wo Dorfbewohner nach Meteoriteneinschlägen verrückt werden, ein Inquisitor versucht, dem gottlosen Treiben Einhalt zu gebieten, nach Gold gegraben wird, Kannibalen ihr Unwesen treiben und ermordete Cowboys von den Toten auferstehen um als mit Gewehr und Pistole bewaffneter Zombie Rache an ihren Peinigern zu nehmen.
„Weird West“ ist eine grandiose Bezeichnung, für die es leider keine adäquate Übersetzung gibt. „Unheimlicher Westen“ wäre wohl naheliegend, klingt aber bei weitem nicht so geschmeidig wie die Original-Variante. Jedenfalls ist „weird“ ein Wort, das – zumindest für mich – für eine ganz eigene Art von Geschichten steht, wie sie z. B. von H. P. Lovecraft geschrieben wurden (nicht von ungefähr, hat der Meister doch hauptsächlich im Magazin „Weird Tales“ veröffentlicht). Wieso ich auf Lovecraft komme, ist auch schnell erklärt: „Hard West“ ist zwar grundsätzlich ein klassisches Wild-West-Setting, baut gleichzeitig aber auf surreale und übernatürliche Elemente, die zum Teil so oder so ähnlich aus der Feder des amerikanischen Kult-Autors stammen könnten. Die Folge: Wir haben es hier mit einem extrem düsteren Spiel zu tun, wozu auch und vor allem die Grafiken und Texte in den Zwischensequenzen das ihrige beitragen. Rein atmosphärisch ist das Spiel also tatsächlich top und noch dazu einzigartig, was das Setting betrifft.
Die Spielmechanik entspricht wie angedeutet „Jagged Alliance 2“, ich würde außerdem noch das wesentlich aktuellere „The Banner Saga“ (2014, und damit nur ein Jahr vor „Hard West“, erschienen) in den Raum werfen. Denn „Hard West“ ist zweigeteilt und besteht einerseits aus rundenbasierten Kämpfen, in denen abwechselnd die eigenen Charaktere und die computergesteuerten Gegner ziehen und die sich in etwa anfühlen wie im Sir-Tech-Klassiker von 1999. An die „Banner Saga“ erinnert wiederum der Rollenspiel-artige Part zwischen den Kämpfen. Dort bewegt man sich auf einer Landkarte von Ort zu Ort und bekommt in Textform verschiedene Aufgaben und Herausforderungen gestellt. Je nachdem, für welche Lösung man sich entscheidet, kann man z. B. Boni oder Geld erhalten. Umgekehrt können dadurch beispielsweise aber auch Charaktere verloren gehen oder ganz allgemein Auswirkungen entstehen, die erst später im Spielverlauf schlagend werden. So oder so: Zurückgenommen werden können einmal getroffene Entscheidungen nicht, es sei denn, man startet die gesamte Kampagne neu – manuelles Speichern ist zu keinem Zeitpunkt möglich (auch nicht während der Gefechte, was manchmal frustrierend sein kann, weil man nie weiß, wie viel Zeit man dafür einplanen muss).
Gutes Konzept mit Schwächen.
Das beschriebene Konzept ist grundsätzlich dennoch gelungen: Die zwei Modi von „Hard West“ greifen gut ineinander und lassen das Spiel insgesamt wie aus einem Guss wirken. Dass das Potenzial insgesamt dennoch nicht ganz ausgeschöpft wird, liegt an Schwächen beider Bereiche.
In diesem Zusammenhang hat der Story-Teil, also alles, was sich zwischen den Kämpfen abspielt, zunächst das bessere Ende für sich. Es macht anfangs durchaus Spaß, die Karte zu erkunden und herauszufinden, was an diesem oder jenen Ort lauert. Es gibt überraschende Wendungen und viele der erzählten Geschichten sind herrlich skurril. Allerdings trifft das nicht auf alle zu – immer wieder gibt es Textwüsten, die nicht sonderlich interessant sind und bei denen man dann auch schnell das Interesse verliert, heißt: Einfach weiterklickt, um zum nächsten Kampf zu gelangen. Dadurch wird die Story mit zunehmender Dauer des Spiels leider immer undurchschaubarer – was wiederum zu nachlassendem Interesse führt. Ein Teufelskreis. Außerdem schade: Von einem kommentierenden Erzähler (bei dem es sich übrigens um keinen geringeren als Gevatter Tod handelt) abgesehen, gibt es keinerlei Sprachausgabe, die zur Auflockerung beitragen könnte.
Der kämpferische Part von „Hard West“ ist leidlich gelungen. Ja, es macht schon Laune, seine Figuren über die nicht allzu großen Karten zu bewegen und aus der Deckung heraus auf den Feind schießen zu lassen. Das Waffenarsenal ist nicht übel, es gibt allerlei Pistolen und Gewehre mit unterschiedlichen Effekten, volle und halbe Deckung, die üblichen Bewegungspunkte sowie eine „Glücksleiste“, die die Wahrscheinlichkeit, getroffen zu werden steuert. Ein bisschen zwiespältig sind die Spezialfähigkeiten, die man einzelnen Charakteren mit verschiedenen Pokerkarten (!) zuordnen kann – manche sind geradezu lächerlich mächtig, andere scheinen ziemlich nutzlos zu sein. Grundsätzlich sind sie aber lässig – es macht z. B. diebische Freude, allen Gegnern in Sichtweite mit einem „Schrei“ drei Lebenspunkte zu rauben. Anmerkung am Rande: Steuerung und Interface bieten keinen Grund zu Meckern, was ja keine Selbstverständlichkeit ist.
Nicht viel Tiefgang.
Woran hapert es dann? Nun, es ist die fehlende taktische Tiefe, hier ist „Jagged Alliance 2“ deutlich überlegen. Wenn man es genau nimmt, spielen sich die Kämpfe in „Hard West“ eher wie ein grafisch aufgepepptes „Jagged Alliance 1“ (1995). Ein paar Beispiele: Einzelne Körperregionen der Gegner können nicht anvisiert werden, Charakteren kann nicht befohlen werden, sich hinzuknien oder gar zu legen, es muss zwar nachgeladen werden, die Munition ist aber unendlich und last but not least agieren die Gegner oft ausgesprochen dämlich. Insgesamt führt das dazu, dass die Kämpfe auch auf höheren Schwierigkeitsgraden keine große Herausforderung sind, vor allem dann nicht, wenn man nach einem oder zwei Versuchen bereits weiß, wo sich die Gegner befinden.
Bezeichnenderweise hat man die größten Schwierigkeiten in „Hard West“ nicht durch die Intelligenz der Gegner im Kampf, sondern weil man schlicht nicht weiß, was einen erwartet und welche Ausrüstung man mitbringen soll. Das wäre soweit ja nicht ungewöhnlich, aber „Hard West“ hat eine ausgesprochen frustrierende Art, den Lerneffekt beim Spieler auszubremsen: Wie erwähnt ist freies Speichern zu keinem Zeitpunkt möglich. Das bedeutet, dass man ein Kampfszenario zwar neu beginnen kann, wenn man merkt, dass man keine Chance mehr hat oder wenn ein essenzieller Charakter getötet wurde. Allerdings erfolgt der Neustart direkt zu Beginn der Kampfphase, heißt, es gibt keinerlei Möglichkeit, Ausrüstung und Zuordnung von Fähigkeiten zu ändern, wenn man bemerkt, dass man auf dem Holzweg war. Bei mir führte das einmal sogar soweit, dass ich eine komplette Kampagne inklusive aller Rollenspiel- und Kampfszenarios von vorne beginnen musste, weil ich bei der letzten (!) Mission Waffen und Pokerkarten falsch verteilt und damit nicht den Hauch einer Chance hatte.
Solche Dinge machen dem Spielspaß natürlich einen gehörigen Strich durch die Rechnung und hätten verhindert werden können, indem man den Neustart eines Szenarios vor die entsprechende Vorbereitungsphase verlegt. Dann würde das Ausprobieren verschiedener Taktiken wesentlich mehr Spaß machen. Alternativ hätte man auch die Möglichkeit einbauen können, dass Charaktere ihre Ausrüstung auch im Kampf tauschen können, wenn sie nahe genug beieinander stehen – so wie es eben in „Jagged Alliance“ möglich ist. Geht aber leider nicht… (Sidestep: Man kann in „Hard West“ übrigens keine Gegenstände gefallener Feinde aufnehmen, was ebenfalls schade ist und eigentlich keinen Sinn macht).
Als größter Schwachpunkt erweist sich in punkto Taktik die „Setup Stage“, die es in manchen Kampfszenarios gibt. In dieser Phase sind die Gegner noch nicht „alarmiert“ und man kann seine Streiter schon bevor die Schlacht beginnt, günstige Positionen einnehmen lassen. „Geht in ‚Jagged Alliance‘ doch auch, was ist das Problem?“ wird man mich nun fragen. Nun, Deidrannas Schergen sind nicht so blöd, die feindlichen Söldner direkt vor ihrer Nase herumlaufen zu lassen. In „Hard West“ kann man sich bis auf wenige Schritte sogar direkt von vorne nähern, Hauptsache man betritt das angezeigte Gesichtsfeld des Feindes nicht. Taub scheinen die Gesellen auch zu sein, sodass man sich unbemerkt über fast die komplette Karte bewegen kann, bevor es überhaupt los geht – ein unglaublicher Vorteil, der das Spiel nochmal leichter macht. Schade, für eine ordentliche KI scheint es leider nicht gereicht zu haben…
All das zusammen macht „Hard West“ im Endeffekt eintöniger, als man ob des sehr speziellen Szenarios und der überaus gelungenen Atmosphäre erwarten würde. Schade, weil auch der Wiederspielwert massiv darunter leidet.
Charakterbindung? Naja…
Ein Punkt, den ich noch gar nicht erwähnt habe und an dem sich „Hard West“ ganz extrem von „Jagged Alliance“ unterscheidet: Das Spiel besteht aus mehreren Kampagnen, die mehr oder weniger stark miteinander verknüpft sind und jeweils über eine gewisse Zahl von Kampf- und Rollenspiel-Szenarios verfügen. Soweit nicht ungewöhnlich. Irritierend ist aber, dass einzelne Kampagnen eben nicht mit denselben Charakteren gespielt werden. Eine Möglichkeit, seine Söldner auszuwählen gibt es grundsätzlich nicht, „Hard West“ geht sogar soweit, dass man in aufeinander folgenden Kampagnen zunächst einem Helden zum Sieg verhilft, danach aber plötzlich auf der Gegenseite steht und den liebgewonnen Charakter beseitigen soll. Ich bin mir nicht sicher, ob das jedem gefällt, es kommt wohl stark darauf an, wie schnell es im Rahmen der Kampagnen gelingt, sich mit seinen Figuren zu identifizieren. Bei mir funktionierte das überraschend gut – ein etwas fader Beigeschmack bleibt aber durch diese Zerstückelung des Spiels.
Im Endeffekt ist es meiner Meinung nach so: Die Designer von „Hard West“ haben es ganz wunderbar verstanden, ein tolles Szenario zu entwickeln und auch darzustellen. Damit scheinen sie sich aber ziemlich verausgabt zu haben – denn weder Story noch Spieltiefe können letztlich das halten, was man sich erhofft hätte. Vier von sieben Punkten gibt es dafür, denn einmal unterhält „Hard West“ definitiv. Ein Dauerbrenner auf meiner Festplatte wird es – im Gegensatz zum „Jagged Alliance“ jedoch nie werden. Leider.
Gesamteindruck: 4/7
Genre: Runden-Taktik
Entwickler: CreativeForge Games
Publisher: Gambitious Digital Entertainment
Jahr: 2015
Gespielt auf: PC
Screenshots aus „Hard West“ – Copyright beim Entwickler!