Quest of the Avatar
„Ultima III: Exodus“ (1983) war zeitgenössischen Computer-Rollenspielen (CRPGs) vor allem in Hinblick auf Komplexität und Storytelling teils deutlich überlegen und setzte Standards, die bis heute das Genre prägen. Das hinderte den umtriebigen Richard „Lord British“ Garriott allerdings nicht daran, mit „Ultima IV: Quest of the Avatar“ nur zwei Jahre später die von ihm selbst definierten Grenzen regelrecht niederzureißen und ein Spiel zu schaffen, das auch 35 Jahre später noch revolutionär anmutet.
Gesamteindruck: 6/7
Der Triumph der Tugend.
„Exodus“ war der Schlusspunkt der ersten, als „The Age of Darkness“ bekannten „Ultima“-Trilogie (1981 bis 1983). „Quest of the Avatar“ übernimmt eine Anzahl an Elementen seines Vorgängers, ist inhaltlich aber weit davon entfernt, eine Kopie zu sein. Im Gegenteil, dieses Spiel ist nicht mehr und nicht weniger als ein Wendepunkt – nicht nur für die „Ultima“-Saga, sondern einmal mehr für das gesamte Genre. Klingt übertrieben? Ich finde nicht, wie sich an mehreren Aspekten zeigt, die den vierten Streich von Lord British mal eben über alles stellen, was zum damaligen Zeitpunkt auf dem Markt erhältlich war.
Darum geht es:
Nach dem Sturz der Triade des Bösen ist es ungewohnt friedlich im mittlerweile als Britannia bekannten Reich geworden. Und doch umwölken Sorgen das Haupt von Lord British: Seinem Volk, so fürchtet der Monarch, mangelt es an Zielen und geistiger Führung. Abhilfe schaffen soll ein Held, der allen als strahlendes Vorbild und Muster an Tugendhaftigkeit dienen kann. Um einen Recken zu finden, der sich dieser Rolle als würdig erweist, ruft der Herrscher daher alle, die es sich zutrauen, auf, eine Reihe von Aufgaben zu lösen und dabei stets auf dem Pfad des Guten zu wandeln. Wer das schafft, soll künftig als Avatar, als Personifikation der acht Tugenden, in die Geschichte Britannias eingehen.
Ich möchte gar nicht lange fackeln (das mache ich weiter unten zur Genüge), sondern beginne mit zwei Punkten, die zeigen, welch einschneidendes Erlebnis „Ultima IV“ für die damalige Szene gewesen sein muss. Erstens ist „Quest of the Avatar“ das erste Spiel der Serie, in dem die Aufgabe nicht darin besteht, die Welt zu retten, einen Bösewicht zu besiegen oder eine entführte Prinzessin zu befreien. Ziel ist es vielmehr, durch Entscheidungen, die man laufend trifft, den Status als Avatar, mithin die Verkörperung der acht Tugenden Ehrlichkeit, Mitleid, Tapferkeit, Gerechtigkeit, Aufopferung, Ehre, Spiritualität und Demut, zu erreichen. Die Tugenden bzw. die drei Prinzipien, auf denen sie basieren (Wahrheit, Liebe und Mut) sind der Grundstein für alle späteren Teile der „Ultima“-Serie.
Direkt aus diesem Konzept leitet sich der zweite Aspekt ab, der den herausragenden Status von „Ultima IV“ über die Serie hinaus zeigt: Erstmals überhaupt haben Handlungen, die man als Spieler setzt, spürbare Konsequenzen. Denn irgendwo im Hintergrund protokolliert das Spiel die Taten des Avatar in spe fleißig mit. Was das bedeutet, lässt sich am besten durch einen Vergleich zur ersten „Ultima“-Trilogie ermessen: Dort konnte man noch munter Schatzkammern plündern, in „Ultima I“ (1981) war es sogar notwendig, direkt vor den Augen von Lord British einen unschuldigen Narren ins Jenseits zu befördern, um überhaupt das Finale zu sehen. Ganz folgenlos blieb das zwar nicht, die Konsequenzen waren allerdings sehr kurzfristiger Natur: Entweder man stellte sich den Wachen zum Kampf oder nahm die Beine in die Hand, indem man die Stadt auf schnellstem Wege verließ. Der Clou: Man konnte direkt zurückkehren, die Wachen hatten den Mord/Diebstahl vergessen, der Gemeuchelte erfreute sich bester Gesundheit und sogar das Gold war wieder aufgetaucht und verführte zu einer Wiederholung der Untat; wieso das überhaupt möglich war, erschließt sich mir nicht ganz – ich vermute, es hatte entweder mit technischen Limitierungen der frühen Spiele zu tun oder Richard Garriott hatte ein bisschen zu sehr an das Gute im Menschen geglaubt und schlicht nicht daran gedacht, dass jemand die Spielmechanik dermaßen einfach austricksen würde.
So oder so: In „Ultima IV“ sollte man derartiges Verhalten tunlichst unterlassen. Wer hier stiehlt, betrügt oder Unschuldige erdolcht, zahlt die Zeche spätestens dann, wenn es darum geht, in einer oder gleich mehreren Tugenden zum Avatar aufzusteigen. Klingt kompliziert? Ist es teilweise auch. Ein Beispiel: Alle Kräuterhändler in „Ultima IV“ sind, warum auch immer, blind. Kauft man dort ein, wird der Preis automatisch vom Programm berechnet. Man kann jedoch selbst bestimmen, wie viel man tatsächlich zahlt. Besonders bei teuren Reagenzien ist es durchaus verführerisch, mal nur die Hälfte oder sogar noch weniger auf den Tisch zu legen. Zunächst scheint auch alles in Butter zu sein – bis man dann vorm Schrein der Ehrlichkeit steht – und sich nichts tut. Umgekehrt ist es auch möglich, mehr als den geforderten Preis zu zahlen, was sich spätestens dann lohnt, wenn man vor dem Schrein der Gerechtigkeit steht.
Ungeahnte Komplexität.
Solche und ähnliche Entscheidungen sind in „Ultima IV“ ständig zu treffen. Manche davon sind relativ klar (böse Kreaturen zu besiegen hilft z. B. in punkto Tapferkeit), manche schwerer zu durchschauen (vor nicht-bösen, aber durchaus gefährlichen Kreaturen zu fliehen, erhöht Gerechtigkeit und Mitgefühl). Das kann mitunter zu einem echten Dilemma werden – beispielsweise stellt sich im Kampf fast zwangsläufig die Frage, ob man flüchtende Kreaturen entkommen lässt. Das würde den Wert für Mitgefühl erhöhen, gleichzeitig gehen dadurch aber Erfahrungspunkte, die man gerade anfangs wie einen Bissen Brot braucht, verloren. Eine echte Zwickmühle, von denen „Ultima IV“ bis zum Ende nur so wimmelt.
All das führt dazu, dass „Quest of the Avatar“ eine bis dahin nicht gekannte Komplexität erreicht. Das Heldendasein unterscheidet sich extrem von anderen Spielen und nähert sich einer fast schon realistischen Darstellung an. Im Idealfall – und so ist es von Richard Garriott wohl auch gedacht gewesen – lernt man dadurch nicht nur, das Spiel zu meistern, sondern denkt auch über die Bedeutung der Tugenden per se nach. Das mag, so berichtet es zumindest die eine oder andere Legende, bei einigen Spielern tatsächlich Auswirkungen auf ihr reales Leben gehabt haben. Ob das stimmt oder nicht: Das Konzept der Tugenden und vor allem das daraus resultierende Rufsystem unterstreichen einmal mehr die Pionierarbeit, die der legendäre Designer mit seiner „Ultima“-Saga geleistet hat.
Manches bleibt beim Alten.
Nachdem wir nun so viel über die zwei herausragenden Alleinstellungsmerkmale von „Ultima IV“ gehört haben, möchte ich, bevor wir uns weiteren Inhalten widmen, kurz auf die Technik zu sprechen kommen. Man ahnt es vielleicht schon: Auch in dieser Hinsicht ist das Spiel eine Verbesserung gegenüber seinen Vorgängern. Erstmals erstrahlt die DOS-Portierung („Ultima IV“ wurde wiederum für den Apple II programmiert) bereits ab Werk in EGA-Grafik – „Ultima I“ hatte diesen Vorzug nur in der offiziellen Neuauflage, während die Teile II und III nur per inoffiziellem Patch aus ihrem CGA-Dasein befreit werden konnten. Wer das getan hat, wird keinen großen Unterschied bemerken, allen anderen werden die Augen ob der neuen Pracht übergehen (wobei man nicht verhehlen sollte, dass das Spiel trotz bunterer Bilder nicht von der spartanischen Strichmännchen-Optik abweicht). Was aus meiner Sicht in diesem Zusammenhang aber deutlich mehr ins Gewicht fällt: „Ultima IV“ hat erstmals ein echtes Intro, das zeigt, wie der Spieler überhaupt nach Britannia gerät. Das ist der Stimmung zuträglicher, als ich gedacht hätte.
In Sachen Sound ist zu konstatieren, dass auch „Ultima IV“ unter DOS mit paar Piepsern aus dem PC-Speaker auskommen muss. Schade, denn verschiedene Konvertierungen boten bereits Musik. Wer die auch am PC hören möchte, kann auch dafür einen entsprechenden Fan-Patch installieren, der ansonsten nichts am Spiel ändert. Die Musik, die man dadurch bekommt, besteht aus einigen wenigen, kurzen Melodien für verschiedene Szenarien im Spiel. Die wiederholen sich recht schnell und häufig, waren mir aber nie richtig unangenehm. Lohnt sich meines Erachtens also, muss aber natürlich jeder selbst entscheiden.
In Bezug auf verschiedene Mechaniken ist „Ultima IV“ zum Teil identisch mit seinem Vorgänger: Erkundungen auf der (deutlich größeren) Weltkarte und in den Städten finden aus der Vogelperspektive statt, in Dungeons wird in die Ego-Perspektive gewechselt. In den Verliesen sind einzelne Räume, in denen gekämpft wird und Rätsel zu lösen sind, neu hinzugekommen. Für Gefechte gibt es den bewährten, taktischen Screen, auf dem man die Partymitglieder einzeln steuern darf. Komplett neu ist dafür das Dialogsystem, auf das ich etwas weiter unten noch kurz eingehen möchte – vorab nur so viel: Dabei handelt es sich von der Spielmechanik her wohl um die wichtigste Neuerung, die „Ultima IV“ zu bieten hat.
All das funktioniert für mein Gefühl besser, weil etwas flüssiger als in „Ultima III“ – interessant, weil vorliegendes Spiel wie oben ausgeführt, deutlich komplexer ist. Ich habe mich in meiner Rezension zum Vorgänger ja insofern aus dem Fenster gelehnt, dass mir die Steuerung per Keyboard als nicht mehr praktikabel bezeichnet habe. Nun setzt auch „Ultima IV“ auf die Tastatur als alleiniges Eingabegerät (es sollte bis zu „Ultima VI: The False Prophet“, 1990, dauern, bis man in Britannia auch unter DOS mit der Maus spielen durfte), was mich allein schon wegen der auf maximal acht Charaktere angewachsenen Partygröße Schlimmstes befürchten ließ. Glücklicherweise hat sich Lord British erbarmt und die Bedienung angepasst. Die größte Erleichterung: Es gibt nun ein gemeinsames Inventar für alle Partymitglieder und auch die Goldvorräte stehen allen zur Verfügung. Damit entfällt das nervenaufreibende und zeitintensive Hin- & Hergetausche aus „Ultima III“ komplett. Hilfreich ist auch, dass man nun nicht mehr auswählen muss, welcher Charakter beispielsweise einen NPC anspricht. Insgesamt habe ich das Gefühl, dass die Bedienung deutlich intuitiver geworden ist, aber da mag ich mich täuschen; immerhin wird nach wie vor die komplette Tastatur genutzt.
Handbuch lesen? Ehrensache! (Und notwendig!)
Bevor ich nun endlich (?) zum Schluss komme, möchte ich – abseits oben genannter Alleinstellungsmerkmale noch auf einige spielerische Aspekte eingehen, die mir an „Ultima IV“ aufgefallen sind. Erwähnenswert ist zunächst, dass bereits im Intro mit Nachdruck empfohlen wird, das Handbuch genauestens zu studieren. Ich komme nicht umhin, die Wichtigkeit dieser Aufforderung zu unterstreichen. Nur, wer sich vorab mit der Hintergrundgeschichte, der Geographie des Landes und einigen anderen Dingen auseinandersetzt, kann sich zusammenreimen, was er zu tun hat. Im Spiel sind die Infos dazu zunächst eher spärlich, ganz so, wie man es von Rollenspielen aus jener Zeit gewohnt ist. Wer aber das Handbuch liest, wird ungefähr wissen, wo in Britannia er sich befindet, was die Aufgabe ist und was man wo tun kann.
Nach dem Intro wartet eine weitere, sehr markante Änderung: Die Charaktererstellung wurde völlig überarbeitet. Anstatt sich einen Beruf auszusuchen und ein bisschen mit den Attributen zu jonglieren, tritt man nun einer Wahrsagerin gegenüber. Die stellt eine Reihe von Fragen, die sich auf die acht Tugenden beziehen. Nun kann man durch geschickte Antworten entweder eine Klasse erzwingen (wer das Handbuch liest, weiß, welche Klasse welcher Tugend zugetan ist). Oder man antwortet so, wie man es in Wirklichkeit tun würde und lässt das Spiel entscheiden, ob man als strahlender Paladin oder bescheidener Schäfer nach Britannia geschickt wird. Dem Spielspaß zuträglicher ist freilich die ehrliche Variante.
Nochmal zurück zum Handbuch: Darin finden sich – und das ist mitunter der wichtigste Hinweis – Infos zum oben kurz erwähnten, komplett neu gestalteten Dialogsystem. In „Ultima IV“ sind alle NPCs ansprechbar – und bis auf wenige Ausnahmen, deren Aufgaben klar sind (z. B. Wächter oder Händler) haben praktisch alle etwas Wichtiges zu sagen. Und mit „wichtig“ meine ich: Essenziell, um das Spiel erfolgreich zu beenden. Und das funktioniert so: Man „spricht“ über gewisse Schlüsselwörter, die man über die Taststatur eintippt, mit den Figuren. Dabei gibt es einige Grundbegriffe, die jeder NPC versteht (u. a. Name oder Job), andere Stichwörter erfährt man entweder aus den Antworten auf die Grundbegriffe, vielleicht auch von anderen NPCs oder sonst wo im Spiel. Im ersten Moment mag das verwirrend klingen und vielleicht sogar abschrecken (war bei mir auch so), im Laufe des Spiels hat sich aber gezeigt, dass dieses sehr fordernde Dialogsystem, das ein bisschen an die alten Text-Adventures erinnert, eine ganz große Stärke von „Ultima IV“ ist. Selten hatte ich bisher in einem Spiel das Gefühl, dass Dialoge derart wichtig und, ja, auch tiefgründig waren. Ich vermute das liegt an der Kombination aus selbstständigem Eintippen von Phrasen, was dem tatsächlichen Vorgang des Sprechens näher kommt als jeder Mausklick, und der Notwendigkeit, Notizen zu den Gesprächen anzufertigen. Beides zusammen sorgte für eine unerwartet hohe Immersion, zumindest bei mir. Freilich braucht das eine ganz andere Form von Geduld und Herangehensweise an ein Spiel – ich habe es aber genossen und als sehr lohnend empfunden, mit jedem einzelnen Charakter in Britannia auf diese Weise zu sprechen und den so erhaltenen Hinweisen nachzugehen.
Hokus Pokus – ganz anders?
Eine gravierende Änderung im Spiel betrifft das Magiesystem – und ich bin ehrlich gesagt nach wie vor nicht sicher, ob mir das gefällt. Eigentlich sind es sogar zwei Punkte, in denen sich die Zauberei in „Quest of the Avatar“ von seinen Vorgängern, aber auch von anderen Rollenspielen unterscheidet: Einerseits gibt es keine Differenzierung in Magier- und Priesterzauber mehr. Damit einhergehend wurde auch das Attribut „Weisheit“ aus den Charaktereigenschaften gestrichen, alle Figuren müssen mit Stärke, Geschicklichkeit und Intelligenz auskommen. Interessanterweise gibt es u. a. dennoch Magier und Druiden als Charakterklassen, die unterscheiden sich aber eher in der erlaubten Ausrüstung und ihren Magiepunkten, nicht mehr in den Zaubern, die sie sprechen dürfen. Was eingefleischte Rollenspieler zu dieser Vereinfachung sagen, weiß ich nicht – ich sehe es aber zumindest in Sachen Bedienbarkeit als Pluspunkt, entfällt dadurch doch die Notwendigkeit, sich einzuprägen, wer welche Sprüche verwenden darf. Das war in „Ultima III“ tatsächlich ein Problem; in „Ultima IV“ gibt es hingegen 26 Zaubersprüche, die (zum Glück sehr intuitiv) jeweils eine Taste des Keyboards belegen und keine Rücksicht auf Zauberschulen nehmen. Insofern ist das eine Vereinfachung, die das Spiel beschleunigt, daher zu begrüßen ist, von Puristen aber eventuell abgelehnt wird.
Andererseits ist das Magiesystem paradoxerweise dennoch komplexer geworden. Denn „Ultima IV“ verlangt für jeden Zauberspruch drei Schritte: Das entsprechende Rezept ist zu finden (viele davon stehen glücklicherweise im „Book of Mystic Wisdom“), dann braucht man die entsprechenden Reagenzien (davon gibt es sechs zu kaufen, zwei weitere nur zu finden) und schließlich müssen diese zusammengepanscht werden. Erst dann darf man zaubern, wodurch der Spruch unwiederbringlich verbraucht wird – will man ihn nochmal sprechen, muss man die genannten Schritte erneut durchführen; es sei denn, man hat auf Vorrat produziert, was sich übrigens sehr empfiehlt. Übrigens ist das alles nur ein Vorgeschmack auf die Magie in späteren „Ultima“-Spielen, aber das nur am Rande.
Ein bisschen Kritik muss sein.
Die Notwendigkeit an Reagenzien bzw. deren umständliche Behandlung ist übrigens einer von nur zwei großen Kritikpunkten an „Ultima IV“. Denn das Spiel fragt leider nicht ab, wie viele Sprüche man mixen möchte. 99 sind das Maximum, wer so viele braucht (also jeder, denn man wird laufend irgendwo vergiftet), muss genau so oft die entsprechenden Tasten drücken. Das kann schon bei einem relativ einfachen Spruch wie „Cure Poison“ die Nerven strapazieren, bedeutet es doch 99-mal „C“ (für den Zauberspruch), „B“ (für Zutat 1), „C“ (für Zutat 2) und „Return“ (zur Bestätigung) zu drücken. Bei komplexeren Sprüchen kann sich die Anzahl der Tasten entsprechend steigern und man ist schon mal eine halbe Stunde oder länger nur damit beschäftigt. Für mich völlig unverständlich, wieso das nicht einfacher gehalten wurde – die Technik des Spiels hätte eine „how many“-Abfrage jedenfalls stemmen können, denn die kommt auch anderswo im Spiel immer wieder vor.
Der zweite Punkt, der mit zunehmender Dauer stark zu nerven beginnt: Je größer die eigene Party wird, desto langwieriger werden die Kämpfe. Einerseits, weil sich Anzahl und Stärke der Gegner an die eigene Truppe anpassen, anderseits weil der Kampfscreen in „Ultima IV“ um Hindernisse erweitert wurde. Das ist grundsätzlich sinnvoll, erhöht es doch die taktische Tiefe. Gleichzeitig verlängert es aber die Gefechte, weil man mühsam um Hindernisse navigieren muss. Das gibt einem fast das Gefühl, dass damit die geradezu lächerlich einfachen Kämpfe ein bisschen relativiert werden sollten – und frustriert auch deshalb, weil der Lohn der Plackerei nicht gerade üppig ausfällt.
In diesem Zusammenhang sei noch eine Art Unterpunkt erwähnt, der spätestens dann schlagend wird, wenn man ernsthaft beginnt, die Dungeons zu erforschen. Die Verliese bieten zwei Arten von Kämpfen: Zufallsbegegnungen, wie man sie schon aus den Vorgängern kannte (im Gegensatz zu „Ultima III“ sieht man die Gegner aber wieder von Weitem, sie tauchen nicht mehr aus dem Nichts auf!) und fix definierte Räume. Bei letzteren muss man den Kampfscreen manuell verlassen, heißt: Man muss jedes einzelne Partymitglied um alle möglichen und unmöglichen Hindernisse herum an jenen Rand des Screens bewegen, an dem man den Raum verlassen will. Das kann in einem System, das diagonale Bewegungen nicht erlaubt, geradezu nervtötend sein. Den Sinn dahinter verstehe ich schon – manche Räume können in mehrere Richtungen verlassen werden, oft gibt es auch Schatztruhen und kleinere Rätsel, die auf diese Weise gelöst werden – und nicht zuletzt kann man auch vor Kämpfen davonlaufen. Die Idee ist also eigentlich gut – es scheitert (wobei das ein stark übertriebener Begriff ist) einfach an der Steuerung, die extrem kleinteilig ist, wenn man so will. Mühsam!
Fazit: Wer es wagt, gewinnt mehr als er glaubt.
Ich merke gerade, ich habe schon wieder viel zu viel geschrieben. Dabei gäbe es noch weit mehr zu berichten, aber ich lasse es jetzt gut sein und komme zum Schluss. „Ultima IV: Quest of the Avatar“ ist zwar kein perfektes Spiel, hat mir aber enorm viel Spaß gemacht. Neben den zwei größeren, eher technischen Kritikpunkten, könnte für manche die Aufgabe per se als Schwachpunkt gelten. Denn eines ist ganz klar: Der Avatar muss gut, d. h. in allen Belangen und Bereichen tugendhaft sein. Ein Abweichen davon ist nicht möglich, wenn man das Spiel erfolgreich beenden möchte. Es ist also die Rolle des strahlendsten aller Helden, die man verinnerlichen und spielen muss, um Freude an „Ultima IV“ zu haben. Das Spiel ist weniger geeignet für diejenigen, die Grautöne brauchen, um zufrieden zu sein – oder sogar mal den bösen Weg einschlagen möchten. Das liegt allerdings ohnehin in der Natur der Sache, die „Quest of the Avatar“ ist nun mal so angelegt, dass am Ende ein absolut guter Mensch steht.
Abgesehen von dieser grundsätzlichen Einstellung braucht es für den Genuss von „Ultima IV“ die gleichen Eigenschaften, die man schon bei seinen Vorgängern mitbringen musste: die Geduld sich weite Teile des Spiels regelrecht zu erarbeiten, die Bereitschaft, umfangreiche und gut organisierte Notizen zu führen und – nicht zuletzt – die Fantasie, sich in die Welt von Britannia mit ihrem Konzept der Tugenden zu versetzen. Leicht ist es nicht – dafür aber durchaus lohnend, sobald man sich an die technischen Limits gewöhnt hat, zu denen übrigens einmal mehr gehört, dass man kaum Feedback vom Spiel bekommt.
Aber, wer weiß, vielleicht wird man am Ende durch die intensive Beschäftigung mit den Tugenden aus Britannia auch im wirklichen Leben, wenn schon kein Avatar, dann doch ein etwas besserer Mensch. Zu wünschen wäre es uns allen.
Gesamteindruck: 6/7
Genre: Rollenspiel
Entwickler: Origin
Publisher: Origin
Jahr: 1985
Gespielt auf: PC
Screenshots aus „Ultima IV: Quest of the Avatar“ – Copyright beim Entwickler!