Andy Weir
„The Martian“, zu deutsch „Der Marsianer“, ist eine moderne Robinsonade. Dieses literarische Motiv scheint nie aus der Mode zu kommen – und weil die Prämisse sattsam bekannt ist, geht es in der Regel vorwiegend um die Qualität der literarischen Umsetzung. So auch bei diesem Roman des US-Autors, Software-Entwicklers und Hobby-Astrophysikers Andy Weir, der seinen Robinson Crusoe Mark Whatney nennt und auf dem Mars stranden lässt.
Gesamteindruck: 5/7
Robinson Whatney.
Wie vermutlich viele Andere auch, habe ich zunächst den gleichnamigen Film von Kult-Regisseur Ridley Scott aus dem Jahre 2015 (in der Hauptrolle: Matt Damon) gesehen. Der hat mir sehr gut gefallen, daher habe ich nicht lange gezögert, als ich unlängst zufällig über die englischsprachige Ausgabe des Romans von Andy Weir gestolpert bin…
Worum geht’s?
Der Mars ist gefährliches Terrain, wie Astronaut Mark Whatney schmerzhaft erfahren muss: Durch einen Sandsturm ist seine Crew gezwungen, die Mission auf dem Roten Planeten nach nur sechs Tagen abzubrechen und zur Erde zurückzukehren – ohne Whatney, der von der Gruppe getrennt und für tot gehalten wird. Allerdings hat der findige Ingenieur/Botaniker überlebt und unternimmt alles, damit das auch so bleibt…
„The Martian“ ist der Form und dem Inhalt nach zwar eine ganz traditionelle Robinsonade, mit dem Kampf gegen die Elemente als das alles bestimmende Element. Allerdings ist die Lage, in der sich Mark Whatney befindet, noch verzwickter als die des originalen Robinson: Er ist das einzige Lebewesen (Crusoe hatte wenigstens Tiere) auf einer einsamen Insel, auf der es nicht einmal Luft zum Atmen gibt. Das ist im Wesentlichen aber der einzige Unterschied, denn beide Figuren eint ihr unbedingter Überlebenswille und ihr Improvisationstalent. Und noch eines haben die beiden Bücher, die aus so unterschiedlichen Epochen stammen, gemeinsam: Sie lesen sich fantastisch und sind ähnlich flott geschrieben.
Ein lässiger Held.
In punkto Unterhaltungswert kann man Andy Weir wahrlich wenig vorwerfen: „Der Marsianer“ hat praktisch keine Längen, ist immer spannend und – auch nicht zu unterschätzen – sehr humorvoll geschrieben. Das Buch ist außerdem ein echter Pageturner, was geschickt platzierten Cliffhangern zu verdanken ist. Zum insgesamt locker-flockigen Lesegefühl trägt wohl auch bei, dass das eigentlich bedrückende Gefühl der Isolation, das die Robinsonade ja eigentlich ausmacht, immer wieder durchbrochen wird: Der Großteil des Buches besteht aus Tagebuch-Einträgen der Hauptfigur, die natürlich in der Ich-Form verfasst sind. Demgegenüber wird zwischendurch erzählt, was auf der fernen Erde passiert und auch der eine oder andere Abstecher zu Whatneys Kameraden, die sich auf dem Rückweg dorthin befinden, ist dabei.
Das würde eigentlich überhaupt nicht stören, würde es nicht gleichzeitig offenlegen, dass sowohl die Crew in ihrem Raumschiff als auch das NASA-Personal charakterlich tiefgründiger wirkt, als der einsame Held. Das hat wohl damit zu tun, dass wir von Mark Whatney nur das hören, was er seinem Tagebuch anvertraut, während der Rest der Charaktere von einem allwissenden Erzähler beschrieben wird. Whatney liegt anscheinend nicht viel daran, in seinen Aufzeichnungen emotional rüberzukommen, was zwar logisch ist, im Roman aber recht befremdlich wirkt. Denn Andy Weir lässt Whatney sehr locker und humorvoll mit einer praktisch ausweglosen Situation umgehen. Im Gegensatz zu Robinson Crusoe scheint er kaum unter seiner Isolation zu leiden (zumindest vertraut er es nicht seinem Tagebuch an, wenn es wirklich so ist); gibt es Probleme, schiebt er sie mit einem lockeren Spruch zur Seite. Ich denke, dass aus dieser lässigen Art auch die Leichtigkeit der Lektüre entspringt – an sich kein Fehler, aber ich möchte dennoch festhalten, dass Mark Whatney dadurch nicht ganz so realistisch wirkt, was in Kontrast zur detailliert und ernsthaft beschriebenen, technischen Komponente des Buches steht.
Realismus vs. Super-Intellekt.
Woran man sich außerdem nicht stören darf, wenn man dieses Werk genießen will: Die Technik, die auf dem Mars eingesetzt wird, ist an und für sich wohl nicht weit von dem entfernt, was wir schon jetzt haben. Das scheint tatsächlich alles Hand und Fuß zu haben und dem Autor gebührt großes Lob für die Recherche – und vor allem auch dafür, wie komplizierte Vorgänge dem Laien nähergebracht werden. Ich glaube gelesen zu haben, dass „Der Marsianer“ irgendwo auch als Sachbuch ausgezeichnet wurde – dem kann ich nur zustimmen, das hier ist wirklich ein lehrreiches Werk. Gleichzeitig hat man – ganz im Gegensatz zum originalen Robinson Crusoe – bei Mark Whatney nicht das Gefühl, man könnte eine solche Lage selbst meistern. Whatney ist eine Art Universal-Genie und kommt auf die tollsten Ideen. Schon klar, nur die Besten werden auf den Mars geschickt, aber das, was uns Andy Weir hier auftischt, liest sich – zumindest für mich als Laien – doch sehr übertrieben. Dazu trägt auch bei, dass er, wenn man so will, hinter jeder Ecke eine neue Falle (oder technische Fehlfunktion) für Whatney lauern lässt. Bis das Buch vorbei ist, ist man tatsächlich ein wenig übersättigt, was vermeintlich ausweglose Situationen, Un- und Zwischenfälle betrifft.
Im Endeffekt spielt das alles aber keine große Rolle, denn „Der Marsianer“ hat mich ganz ausgezeichnet unterhalten. Das hier ist verschriftlichtes Popcorn-Kino im besten Sinn: Actionreich, humorvoll und lässig. Gleichzeitig, und das ist der eigentliche Clou, bietet das Buch auf technischer Ebene sehr viel Tiefgang. Eine interessante Kombination in der Tradition von z. B. Michael Crichton, an der ich persönlich wenig auszusetzen finde. Etwas mehr Charakter hätte man Mark Whatney noch spendieren können, dann hätte es locker mit einer noch höheren Wertung geklappt. Aber auch so kann ich dieses Buch jedem, der Interesse an realistischer Science Fiction hat, ohne zu zögern empfehlen.
Gesamteindruck: 5/7
Autor: Andy Weir
Originaltitel: The Martian.
Erstveröffentlichung: 2011
Umfang: ca. 430 Seiten
Gelesene Sprache: Englisch
Gelesene Version: Taschenbuch