Das Portal Moviepilot hat mir „Under the Shadow“ Mitte April 2021 als „den mit Abstand schaurigsten Horrorfilm“ schmackhaft gemacht; man solle sich dabei, so war dort neben einigen anderen Superlativen zu lesen, auf die „ultimative Genre-Perle“ und „84 Minuten Grusel pur“ einstellen. Nun, die Wahrheit sieht etwas anders aus: „Under the Shadow“ hat ein oder zwei unheimliche Momente, ist insgesamt aber bei weitem nicht so gruselig, wie ich nach der euphorischen Empfehlung angenommen hatte. Aber auch wenn man ohne die von genanntem Portal geweckte Erwartungshaltung an den Film herangeht, ist er nicht ganz so stark, wie man es sich aufgrund des eher exotischen Settings gewünscht hätte.
Gesamteindruck: 4/7
Kein bezaubernder Dschinn.
Wer Referenzpunkte benötigt, um „Under the Shadow“ grob einordnen zu können: „Der Babadook“ (2014) ist ein sehr ähnlich gelagerter Film aus Australien. Genau genommen könnte man „Under the Shadow“ fast als schon als Kopie jenes Streifens bezeichnen – natürlich gibt es Unterschiede, die scheinen mir aber vorwiegend kulturell und im Endeffekt eher unwesentlich zu sein. Außerdem würde ich noch „His House“ als ähnlich gearteten Film nennen, der stammt aber bekanntlich aus dem Jahr 2020, wurde also deutlich später als „Under the Shadow“ veröffentlicht.
Worum geht’s?
In der Teheran herrscht in den späten 1980er Jahren bedrückende Stimmung: Seit Jahren tobt der Erste Golfkrieg, immer wieder schlagen Raketen aus dem Nachbarland Irak in der Stadt ein und zwingen die Bevölkerung in die Luftschutzkeller. In diesem Umfeld lebt die ehemalige Medizinstudentin Shideh mit ihrer Tochter Dorsa, die von Alpträumen über einen bösen Dschinn geplagt wird…
Grundsätzlich muss man Regisseur Babak Anvari ein Kompliment für sein Debüt aussprechen: „Under the Shadow“ fängt die Atmosphäre, die zur Zeit der Handlung in Teheran geherrscht haben muss, ausgesprochen glaubwürdig ein. Und das, ohne dass man viele Soldaten zu Gesicht bekommt – vor allem ist es die Soundkulisse des Krieges, die beeindruckt und bedrückt. Dazu kommt die schnörkellose Ausstattung, die das Gefühl einer verstaubten Stadt, in der sich die verbliebenen Einwohner kaum noch auf die Straßen trauen, perfekt wiedergibt.
Positives kann ich auch von den Darstellern berichten: Sowohl Mutter als auch Tochter, die einzigen größeren Rollen im Film, sind stark gespielt und sehr gut charakterisiert. Der Fokus liegt allerdings auf der Mutter, die sehr detailliert herausgearbeitet wurde und deren Frustration mit der allgemeinen und ihrer speziellen Situation sehr greifbar wirkt. Interessant auch der historische Kontext: In „Under the Shadow“ sehen wir Andeutungen eines vor gar nicht allzu langer Zeit noch deutlich freieren Iran, der gerade im Begriff ist, sich zum heutigen, konservativ-islamischen Staat zu wandeln. Als Portrait einer Frau in einem Land, das sich an einem politischen Wendepunkt befindet, weiß „Under the Shadow“ also durchaus zu überzeugen.
Leicht zu deuten.
Weniger gelungen finde ich hingegen den Versuch, die Zerissenheit der kleinen Familie, insbesondere aber der Mutter, durch übernatürliche Ereignisse zu symbolisieren. Das wirkt fast schon aufgesetzt, weil es an Subtilität vermissen lässt; letzteres fällt umso mehr auf, weil der Film an sich relativ statisch und feinsinnig wirkt, was in Kontrast zur fast schon mit dem Holzhammer servierten Symbolik steht. Genau genommen ist die Umsetzung letzterer so halbherzig bzw. flach, dass es besser gewesen wäre, gleich ganz darauf zu verzichten. Oder sie deutlich unheimlicher zu gestalten. So wie es hier gemacht wurde, ist es nicht Fisch und nicht Fleisch, was letztlich voll auf den Gesamteindruck durchschlägt. Auch weil man das Gefühl hat, dass viele Szenen in „Under the Shadow“ letztlich nirgendwohin führen.
Fazit: Wir haben es hier mit einem Film zu tun, der merkwürdig ambivalent ist. Einerseits eine gute Darstellung von historischen Ereignissen, die noch gar nicht so lange zurückliegen – und die in ihrer eher angedeuteten Art ausgesprochen bedrückend wirken. Andererseits gibt es übernatürlich-unheimliche Elemente, die nicht erschreckend genug sind, speziell im Vergleich zur realistisch-düsteren Atmosphäre in der umkämpften Stadt. Das passt für mich einfach nicht so gut zusammen, wie es wohl gedacht war – daher „nur“ 4 von 7 Punkten. Schade, ich hätte gerne eine bessere Wertung abgegeben.
Interessant wäre zu wissen, ob ich den Film besser bewertet hätte, wenn ich den eingangs erwähnten Kommentar auf Moviepilot nie gelesen hätte. Die dort geweckten Erwartungen lauerten über die komplette Distanz von „Under the Shadow“ irgendwo in meinem Hinterkopf. Abschalten konnte ich sie natürlich nicht, ignorieren auch nicht – und dass sie nicht mal ansatzweise erfüllt wurden, liest man – leider? – ebenfalls an der mäßigen Gesamtwertung. Nochmal: Schade!
Gesamteindruck: 4/7
Originaltitel: زیر سایه.
Regie: Babak Anvari
Drehbuch: Babak Anvari
Jahr: 2016
Land: UK, Jordanien, Katar
Laufzeit: ca. 85 Minuten
Besetzung (Auswahl): Narges Rashidi, Avin Manshadi, Bobby Naderi, Aram Ghasemy, Soussan Farrokhnia