FilmWelt: Dunkirk

Ich glaube, ich habe es schon öfter erwähnt: Moderne Kriegsfilme haben häufig eine spezielle Art der Hochglanz-Produktion, die mich stört. Es ist als würden die Regisseure dermaßen viel Wert auf eine möglichst bombastische Inszenierung legen, dass Drehbücher, Charaktere und vor allem die Atmosphäre auf der Strecke bleiben. Glücklicherweise bestätigen gerade was letzteres betrifft zwei relativ aktuelle Ausnahmen die Regel: „1917“ (2019) und „Dunkirk“ (2017).

Gesamteindruck: 5/7


Ein düsterer Strand.

Die Inhaltsangabe und der Trailer zu „Dunkirk“ haben bei mir keine allzu großen Erwartungen geweckt: Ein weiterer Kriegsfilm, der optisch sicher ein Hingucker ist, sich ansonsten aber kaum von seinen Genre-Genossen abhebt – so ungefähr dürfte mein Gedankengang damals gewesen sein. Ich dachte nicht einmal über einen Kinobesuch nach, wollte mir den Film erst im Free TV oder per Streaming-Dienst ansehen. Und so ist es dann auch gekommen, was im Nachhinein betrachtet vielleicht ein Fehler war; ich hätte die spezielle Stimmung dieses Films ganz gerne auf der großen Leinwand erlebt .

Worum geht’s?
Im Frühjahr 1940 stehen die alliierten Truppen in Europa vor einer vernichtenden Niederlage: Der Wehrmacht ist es gelungen, in der Nähe des französischen Dorfes Dünkirchen rund 400.000 Mann mit dem Rücken zum Meer einzukesseln. Die Verzweiflung der Soldaten ist groß – denn die Evakuierung geht quälend langsam voran und wird laufend durch Artilleriefeuer und Luftangriffe gestört…

Ich falle am besten gleich mit der Tür ins Haus: Rein optisch kann „Dunkirk“ nicht ganz mit „1917“ mithalten, dessen Pseudo-Ein-Schnitt-Technik mir ausnehmend gut gefallen hat. Vorliegender Film ist deutlich traditioneller fotografiert, was aber nicht heißen soll, dass die Kameraarbeit schwach ist (im Gegenteil, selten sah ein Strand so düster-bedrohlich aus). Kult-Regisseur Christopher Nolan schafft im Endeffekt eine vergleichbar starke Atmosphäre; letztlich sogar mit ähnlichen Mitteln, wie sie sein Pendant Sam Mendes in „1917“ verwendet hat – allerdings gewichtet er sie anders, wie ich im Folgenden zu erklären versuche.

Unglaubliche Ton-Bild-Kombination.

Die fast schon surreale und unheilvolle Stimmung von „Dunkirk“ speist sich aus zwei Quellen: Einerseits sind das die weitgehend farbarmen, meist bei schlechtem Wetter aufgenommenen Bilder, die den Strand von Dünkirchen zu einem Ort machen, an dem man um keinen Preis der Welt sein möchte. Dass das dermaßen gut funktioniert hat andererseits aber vor allem mit dem exzellenten Ton zu tun. Denn Filmmusik-Legende Hans Zimmer verpasste „Dunkirk“ gemeinsam mit seinen Kollegen Lorne Balfe und Benjamin Wallfisch (die auch keine Unbekannten sind) den wohl intensivsten Klangteppich der jüngeren Filmgeschichte. Auch in dieser Hinsicht würde ich übrigens den zwei Jahre später erschienen „1917“ als ähnlich gelungen nennen, eventuell hat sich Zimmer ja daran orientiert? Eine andere Inspiration könnte der sowjetische Antikriegsfilm „Komm und sieh“ gewesen sein, der in Sachen Bild und Ton bereits 1985 ein ähnlich beklemmendes Ausrufezeichen setzen konnte.

Dabei kann in „Dunkirk“ weniger die verwendete Musik überzeugen, die zwar passt, aber nicht unbedingt außergewöhnlich ist, in den finalen Szenen sogar ein wenig kitschig und nervig aus den Boxen kommt. Was hingegen voll und ganz durchschlägt, ist die allgemeine akustische Untermalung, die „Dunkirk“ nochmals deutlich unheilvoller wirken lässt, als es die ohnehin schon düsteren Bilder suggerieren würden. Das passiert wiederum auf zwei Ebenen: Erstens machen typische Geräusche des Krieges, das Erlebnis nahezu fühlbar – interessanterweise setzt Tonmeister Zimmer hier aber nicht auf die volle Dröhnung, wie man sie z. B. aus der Eröffnungsszene von „Der Soldat James Ryan“ (1998) kennt. Gewehrfeuer und Explosionen bleiben eher im Hintergrund; umso erschreckender hört sich dafür das nervenzerfetzende Heulen der deutschen Flugzeuge im Tiefflug und das metallische Knarren und Ächzen sinkender Schiffe an. Auf der zweiten Ebene arbeitet Zimmer eher subkutan mit Streichern, Synthesizern und Bässen, die stets an der Schwelle der bewussten Wahrnehmung stehen und sich dem Geschehen auf dem Bildschirm anpassen. Beides zusammen ist unglaublich effektiv, entsprechend verdient waren die Oscars und diversen anderen Auszeichnungen für Ton und Tonschnitt meines Erachtens.

Handlung und Charaktere als Nebensache.

Dass „Dunkirk“ trotz höchster optischer und akustischer Standards nicht voll punkten kann, mag im ersten Moment verwundern. Leider – und auch das haben wir in „1917“ ähnlich erlebt – hat der Film jedoch Schwächen im Drehbuch und bei den Charakteren. Für mich wirkt „Dunkirk“ so, als hätte sich der Regisseur so sehr auf die erzählerische Unterstützung durch den Soundtrack verlassen, dass er alles andere hintanstellen konnte. Bis zu einem gewissen Grad funktioniert das sogar recht gut, allerdings hat beispielsweise der weitgehende Verzicht auf Dialoge zur Folge, dass eine Identifikation mit den Charakteren sehr schwer fällt. Es ist ein Problem, das in Kriegsfilmen immer wieder auftritt, weil die Uniformen die Figuren dermaßen gleich machen, dass sie fast vollkommen farb- und gesichtslos wirken. Das ist umso bemerkenswerter, da Regisseur Nolan seinen Hauptdarsteller Fionn Whitehead großteils ohne Helm agieren lässt – dennoch kann man als Zuschauer kaum eine Verbindung zu ihm und seinen Kameraden aufbauen, eben weil es durch fehlende Dialoge keine Hintergrundinfos gibt. Fast schon paradox erscheint, dass, wird im Film doch mal gesprochen, man gut darauf verzichten könnte, weil es kaum gehaltvolle Sätze zu hören gibt. Ich würde sogar behaupten, dass die wenigen Dialoge sehr schwerfällig wirken und damit den ganzen Film ein Stück nach unten ziehen – so zum Beispiel der Funkverkehr der englischen Piloten, der die eigentlich gut gemachten Flugsequenzen regelrecht träge macht.

Was es auch nicht einfacher macht: Christopher Nolan hat es – warum auch immer – für notwendig gehalten, „Dunkirk“ nicht chronologisch zu erzählen. Im Wesentlichen bietet der Film vier Perspektiven: Die des einzelnen Mannes, den Blick auf den Strand mit hunderttausenden wartenden Soldaten, gelegentlich fokussiert auf die wenigen Befehlshaber, dann zwei englische Piloten, die die deutschen Kampfflieger fernhalten wollen und schließlich die aus der Heimat geschickten Boote und Schiffe, die bei der Evakuierung helfen sollen. Jede dieser Sichtweisen hat ein eigenes Erzähltempo, allerdings sind alle miteinander verwoben und laufen teilweise parallel, teilweise ineinander verschachtelt ab. Wozu es diese merkwürdige Erzählform gebraucht hat, erschließt sich mir nicht. Ich empfinde sie auch nicht unbedingt als künstlerisch herausragenden Akt, wie man es beispielsweise aus „Pulp Fiction“ (1994) kennt.

An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass „Dunkirk“ überraschend unblutig ausgefallen ist. Dass dennoch keine Rede von Heldentum und Kriegslust sein kann, ist einmal mehr der düsteren Kombination aus Bild und Ton zu verdanken. Allerdings, und das sollte man auch nicht verhehlen, wirkt die Situation dadurch zwar trostlos und bedrückend, aber das Gefühl realer Gefahr bleibt aus. Die Kampfhandlungen scheinen weit weg, auch wenn ab und an mal ein Geschoß einschlägt oder ein Tiefflieger angreift. Von den Toten und Verletzten bleibt die Kamera meist aber weit weg, sodass das Verständnis für die verzweifelte Lage nicht ganz so tief geht, wie es dem realen Dünkirchen bzw. der dem Film zugrunde liegenden Operation Dynamo gerecht geworden wäre.

Fazit: Ich wollte „Dunkirk“ unbedingt mögen und tue das in weiten Teilen auch – umso ärgerlicher finde ich manche der Kritikpunkte. Letztlich ist Christopher Nolan aber definitiv ein spannender Film gelungen, die Schauspieler sind in Ordnung, optisch und vor allem akustisch ist der Film über jeden Zweifel erhaben. Leider wird das alles durch eine Handlung, die aufgrund der Erzählweise immer wieder ins Stottern gerät, zu wenige Identifikationsmöglichkeiten und einen Mangel an historischem Tiefgang konterkariert. Will sagen: Ich hätte mir einfach mehr von „Dunkirk“ erhofft. Dennoch und trotz allem sind das sehr gute 5 Punkte, einfach, weil der Film tatsächlich einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen hat.

Gesamteindruck: 5/7


Originaltitel: Dunkirk.
Regie:
Christopher Nolan
Drehbuch: Christopher Nolan
Jahr: 2017
Land: UK, USA, Frankreich, Niederlande
Laufzeit: ca. 105 Minuten
Besetzung (Auswahl): Fionn Whitehead, Tom Glynn-Carney, Jack Lowden, Harry Styles, James D’Arcy, Aneurin Barnard



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4 Gedanken zu “FilmWelt: Dunkirk

  1. Pingback: Filme A-Z | Weltending.
  2. In der Einschätzung liegen wir durchaus ähnlich. Auch meinem empfinden nach bleibt der Film hinter den Erwartungen zurück. Schade, denn da hätte man durchaus mehr draus machen können – bei dem Aufwand.

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