Edguy
Eines muss man Tobias Sammet lassen: Er hatte von Beginn an das richtige Händchen für eingängige Melodien und epische Dramatik. Bis er sich irgendwann entschieden hat, Edguy zu einer Spaßtruppe zu degradieren und alle Ernsthaftigkeit in Avantasia zu stecken. Das konnte auf Dauer nicht gut gehen und hat beiden Projekten nachhaltig geschadet – doch das ist eine andere Geschichte für eine andere Rezension. Hier geht es nun um „Vain Glory Opera“, das 1998 auf den Markt kam, also zu einer Zeit, in der der Power Metal dank HammerFall, Nightwish & Co mitten im zweiten Frühling stand. Die Frage lautet also: Können Edguy mit dieser mächtigen Konkurrenz mithalten?
Gesamteindruck: 7/7
Edguy at their best.
Die Kurzfassung: Ja, sie können. Ich halte „Vain Glory Opera“ nicht nur für eines der besten Werke der Hessen, sondern für einen Beitrag, der das Genre zwar nicht revolutioniert, aber durchaus bereichert. Man darf ja nicht vergessen, dass Ende der 1990er Jahre eine gewaltige Anzahl an Veröffentlichungen ähnlicher Natur den Markt überschwemmte – häufig von zweifelhafter Qualität, was man Edguy nun wahrlich nicht attestieren kann. Tatsächlich zeigen sich die Mannen aus Fulda auf ihrem zweiten Studioalbum in allen Belangen gereift gegenüber dem ein Jahr zuvor erschienen „Kingdom of Madness“: Gitarrentechnisch sind die Riffs deutlich stärker, vor allem aber abwechslungsreicher; noch überzeugender fallen die Solos aus, die auf dem Vorgänger nicht über gute Ansätze hinausgekommen sind. Hier entfalten die Axtmänner Jens Ludwig und Dirk Sauer erstmals ihr volles Potenzial, was zum deutlich runderen Gesamterlebnis entscheidend beiträgt.
Vor allem punktet „Vain Glory Opera“ aber in zwei anderen Bereichen voll, die auf „Kingdom of Madness“ noch ausbaufähig waren: Songwriting und Vocals, beides die Domäne von Tobias Sammet (der hier übrigens einmal mehr durchaus gefällig den Bass bedient). Vorliegendes Album läutet meines Erachtens die bis dato beste Phase im Schaffen des rastlosen Multitalents ein (sie sollte bis „Hellfire Club“, 2004, dauern und auch die ersten beiden Avantasia-Veröffentlichungen umfassen). Zunächst zur Stimme: Auf „Kingdom of Madness“ klang Sammet noch ein bisschen unsicher, so als hätte er nicht so recht gewusst, wie er seine Fähigkeiten am besten zur Geltung bringt. Es war zwar auch schon zu hören, über welche Goldkehle er verfügt, seine volle Bandbreite konnte er aber erst mit vorliegendem Album abrufen, indem er sich stimmlich genau in die Lücke zwischen den gottgleichen Bruce Dickinson (Iron Maiden) und Michael Kiske (Helloween) platzierte. Und noch eines möchte ich in dem Zusammenhang erwähnen: Auf „Vain Glory Opera“ setzt Sammet seine Stimme sozusagen „normal“ ein und versucht keine Eskapaden, die ihm nicht liegen, wie es auf dem Vorgänger noch der Fall war – und für unfreiwilliges Schmunzeln sorgte.
Starkes Gesamtpaket.
Noch eine Spur wichtiger ist, dass „Vain Glory Opera“ in Sachen Songwriting überzeugt und damit ein stimmiges Gesamtpaket ist. Das gelingt, weil sich die Band bzw. Tobi Sammet am Riemen reißen und auf überlange, hoch-dramatische Nummern komplett verzichten. Der Titeltrack ist mit knapp über 6 Minuten das längste Stück, der Rest des Materials ist im Großen und Ganzen im 5-Minuten-Bereich angesiedelt. Dieses eher kompakte Komponieren tut der Platte sehr gut und bringt im Endergebnis genau das, was man Ende der 1990er in Sachen Power Metal hören wollte: Eine Mischung aus gut gelaunten, schnellen Nummern und Midtempo-Tracks, alles extrem eingängig und leicht mitsingbar. Einzelne Songs hervorzuheben ist müßig, die Qualitätsunterschiede sind nicht allzu groß. Ich würde aber sagen, dass sich mit „Until We Rise Again“, „How Many Miles“, „Out of Control“ und „Vain Glory Opera“ vier der allerbesten Nummern auf dieser Platte befinden, die Edguy je zustande gebracht haben.
Etwas schwächer wird’s hinten raus – „Walk on Fighting“ und „No More Foolin'“ sind in meinen Ohren eher Stangenware. Der Rest passt aber wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Und auch seiner Leidenschaft zum Covern frönt Meister Sammet, indem er mit „Hymn“ einen Klassiker von Ultravox als Rausschmeißer auf das Album packt; ich muss zugeben, dass mir die Behandlung durch Edguy gut gefällt, eine Art guilty pleasure, glaube ich (wobei: kann man Edguy nicht generell als guilty pleasure bezeichnen?).
Nur ganz wenig auszusetzen.
Zwei Dinge hätten die Höchstwertung fast verhindert – sind aber nicht gravierend genug, um eine Abwertung zu rechtfertigen: Zunächst ist festzuhalten, dass den meisten zeitgenössischen Bands eine Ballade pro Album ausgereicht hat; Tobi, der alte Romantiker, hatte aber immer schon ein Faible für Schmusesongs, weswegen wir hier mit „Scarlet Rose“ und „Tomorrow“ gleich zwei Ohrenschmeichler zu hören bekommen. Mir hätte einer gereicht, und ich ziehe das geringfügig weniger schwülstige „Scarlet Rose“ vor, wobei ich zugeben muss, dass sich die zwei Nummern schon recht stark ähneln. Hätte ich auf diese Weise wirklich nicht gebraucht.
Der zweite Störfaktor: Die Hessen haben schöne Refrains am Start, walzen mir diese aber ein bisschen zu sehr aus. Eine Wiederholung weniger hätte es gegen Ende des einen oder anderen Songs auch getan, so können die Chöre trotz aller Qualität tatsächlich zu nerven beginnen. Oder wollte man damit kaschieren, dass es doch an der einen oder anderen Idee fehlte, die Länge der Nummern spannend zu füllen? Ich weiß es nicht, aber es ist schon auffällig, wie oft einige Chorusse (Chörusse? Chorüsse?) wiederholt werden. So oder so macht dieses Album dermaßen viel Spaß, dass ich trotz dieser Lappalien einfach nur die Höchstwertung vergeben kann – eine echte guilty pleasure eben. 😉
Ein letztes Mal muss ich das große A ganz am Ende übrigens doch noch erwähnen: Schon auf „Kingdom of Madness“ war mit Chris Boltendahl (Grave Digger) ein mehr oder minder bekannter Name als Gast am Start. Auf „Vain Glory Opera“ setzen Edguy diese Tradition fort, denn zwei Nummern („Out of Control“ und der Titeltrack) werden durch den legendären Blind Guardian-Schreihals Hansi Kürsch veredelt, außerdem gibt’s – auch auf „Out of Control“ – ein geschmeidiges Solo des damals noch unumstrittenen Stratovarius-Flitzefingers Timo Tolkki zu hören. Das Konzept der Gastmusiker schien Tobi Sammet also schon damals zuzusagen – später sollte er es mit Avantasia so richtig ausleben.
Gesamteindruck: 7/7
No | Titel | Länge | Note |
1 | Overture | 1:31 | 5/7 |
2 | Until We Rise Again | 4:28 | 7/7 |
3 | How Many Miles | 5:39 | 7/7 |
4 | Scarlet Rose | 5:10 | 5/7 |
5 | Out of Control | 5:04 | 7/7 |
6 | Vain Glory Opera | 6:08 | 7/7 |
7 | Fairytale | 5:11 | 6/7 |
8 | Walk On Fighting | 4:46 | 5/7 |
9 | Tomorrow | 3:53 | 5/7 |
10 | No More Foolin‘ | 4:55 | 4/7 |
11 | Hymn (Ultravox Cover) | 4:53 | 5/7 |
51:38 |
Edguy auf “Vain Glory Opera” (1998):
- Tobias Sammet − Vocals, Bass, Keyboards
- Jens Ludwig − Lead Guitars
- Dirk Sauer − Rhythm Guitars
- Frank Lindenthal [Guest] − Drums
3 Gedanken zu “MusikWelt: Vain Glory Opera”