Zombiefilme sind ein Phänomen, das einfach nicht …ähem.. totzukriegen ist. „#amLeben“ (2020) ist der erste asiatische Genrebeitrag, den ich bis dato gesehen habe – und, um das Fazit gleich vorweg zu nehmen, ich muss sagen, dass ich mich über weite Strecken gut unterhalten gefühlt habe. Ein Meisterwerk ist Regisseur Cho Il-hyeong zwar nicht gelungen, aber der Film weiß sich zumindest von vielen anderen Vertretern seiner Zunft abzuheben. Und das nicht nur aufgrund seiner exotischen Herkunft, wohlgemerkt.
Gesamteindruck: 5/7
Die Apokalypse vor dem Fenster.
Zunächst ein nicht ganz unwesentlicher Hinweis: Ich habe mir „#amleben“ im Oktober 2021 auf Netflix angesehen. Zu diesem Zeitpunkt verfügte der Film über zwei Audio-Optionen: Koreanisch und Englisch, auf Deutsch sind lediglich Untertitel verfügbar. Ich habe mich für die Kombination aus Englisch mit deutschem Text entschieden, was mit Sicherheit etwas vom Charme des Originals nimmt, aber alles andere wäre mir dann doch etwas zu anstrengend gewesen. Und noch eine Randnotiz: Die Synchronisation wirkt nicht so „smooth“, wie man das von westlichen Filmen in der Regel kennt, was wohl damit zu tun hat, dass Koreanisch in keinerlei Hinsicht mit Sprachen unserer Breiten vergleichbar ist.
Worum geht’s?
Vlogger Oh Junu staunt nicht schlecht, als er sich von seinem Bildschirm löst und aus dem Fenster schaut: Auf den Straßen der koreanischen Metropole Seoul herrscht aus heiterem Himmel unbeschreibliches Chaos. Menschen fallen sich gegenseitig an, beißen sich, bringen sich um, die Ordnungskräfte sind machtlos. In seinem winzigen Appartement ist Junu zwar einigermaßen sicher vor den Infizierten, allerdings gehen ihm schon bald Nahrung und Wasser aus. Doch er ist nicht der Einzige, der #amLeben ist. Gemeinsam mit Kim, die sich im gegenüberliegenden Wolkenkratzer verschanzt hat, versucht er einen Ausweg zu finden…
Bevor wir den Inhalt von „#amLeben“ betrachten, möchte ich kurz einen interessanten Aspekt zum Hintergrund erwähnen: Das Drehbuch stammt im Wesentlichen vom US-Amerikaner Matt Naylor, der es für den Film „Alone“ verfasst hat. Der wurde im Oktober 2020, paradoxerweise also einige Monate nach „#amLeben“, veröffentlicht. Dementsprechend ist die Handlung beider Werke im Großen und Ganzen identisch, wobei für „Alone“ Altmeister Donald Sutherland verpflichtet werden konnte – ob „#amLeben“ über Darsteller:innen verfügt, die im asiatischen Raum ähnlichen Status genießen, ist mir nicht bekannt. Bemerkenswert ist ferner, dass die koreanische Variante deutlich besser bei der Kritik abschneidet: Auf Rotten Tomatoes liegt die Approval Rate für „Alone“ bei 25% während „#amLeben“ 88% schafft. Ob das gerechtfertigt ist und wie viel das mit der Vermarktung von „#amLeben“ durch den Branchenriesen Netflix zu tun hat, entzieht sich meiner Kenntnis; eventuell werde ich mir den US-Film aber noch ansehen, wenn er auf einer „meiner“ Streaming-Plattformen in der Flatrate erscheinen sollte.
Wohltuende Abwechslung.
Nun aber in medias res: Auf den ersten Blick ist „#amLeben“ ein klassischer Zombiefilm, in dem wir die Apokalypse aus dem Fenster eines kleinen Appartements in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul beobachten. Wie sich die Krankheit, die normale Menschen in blutrünstige Monster verwandelt, in Stadt und Land ausbreitet, bekommt man vor allem über Schnipsel von TV-Nachrichten mit. Die Wohnung der Hauptfigur Oh Junu verlässt der Film nur in ganz wenigen Momenten, sodass er über weite Strecken einer Art Kammerspiel ähnelt. Diese Herangehensweise, also der Fokus auf einen relativ kleinen Raum und eine, später zwei Hauptfiguren, ist tatsächlich ein Alleinstellungsmerkmal von „#amLeben“; gesellschaftliche Verwerfungen einer solchen Katastrophe werden völlig ausgeklammert und finden, wenn überhaupt, nur im Mikrokosmos der eigenen Wohnung statt.
So gesehen ist „#amLeben“ eine wirklich wohltuende Abwechslung von den Versuchen vieler anderer Beiträge, entweder den Verfall der alten oder den Wiederaufbau einer neuen Welt zu zeigen. Oh Junu ist kein Held und kein Anführer, wie sie in „The Walking Dead“ beschrieben werden, er ist auch kein Auserwählter, der ein Heilmittel besitzt oder weiß, wo eines zu finden ist. Er ist ein ganz normaler junger Mann, der sich so verhält wie es wohl 99% von uns tun würden: Er setzt vor lauter Angst keinen Fuß vor seine Wohnung und hofft, irgendwie gerettet zu werden. Als das nicht passiert, kokettiert er einen Moment mit Selbstmord, bis er sich dann doch – äußerst widerwillig – dazu aufraffen muss, zumindest ein bisschen was dafür zu tun, die Apokalypse zu überstehen.
All das zeigt Regisseur Cho Il-hyeong in grundsätzlich guten Bildern. Wobei ich nicht verhehlen möchte, dass man sich zunächst ein wenig an die recht stark vom Hollywood-Standard abweichenden Kameraführung und Schnitt gewöhnen muss. Das gelingt nach kurzer Zeit recht gut, sodass ich keinen Grund finde, mich über die Optik von „#amLeben“ zu beschweren. Die Zombies, die ja nicht als solche bezeichnet werden, sind in diesem Film nicht die tumben und langsamen Gesellen, die man aus dem Gros ähnlich gelagerter Filme kennt: Sie sind schnell auf den Beinen und scheinen auch einen Rest an Intelligenz zu besitzen, können beispielsweise an einem Kabel hochklettern, um in eine Wohnung einzudringen. Weil der Film die Zombie-Apokalypse in ihrem Anfangsstadium zeigt, sind sie ferner nicht allzu schlimm anzusehen, wobei gerade das doch recht menschlich anmutende Äußere seinen Teil zum Schrecken beiträgt, wie ich finde.
Schwächen in Drehbuch und Schauspiel.
Wieso es trotz dieser fast durchwegs positiven Worte meinerseits nicht zu höheren Weihen reicht: Einerseits hat das Drehbuch seine Schwächen, andererseits bin ich mit der Performance von Hauptdarsteller Yoo Ah-in nicht ganz warm geworden. Letzteres ist nicht so einfach zu erklären: Es mag sein, dass ich zu alt bin, aber ich finde den Charakter nicht sonderlich sympathisch und habe mir mit der Identifikation einigermaßen schwer getan. Dabei finde ich mehr von mir selbst in ihm wieder, als mir lieb ist – denn auch ich sitze wahnsinnig gern allein den ganzen Tag vorm Computer und verschwende meine Zeit mit Streamen, Musikhören, Spielen und ähnlichen Tätigkeiten. Wenn das auf andere so wirkt, wie der Filmcharakter auf mich, muss ich mir wohl überlegen, wie ich weitermache… 😉
Zum Drehbuch ist zu sagen, dass die Situation, in die die Autoren den Charakter bringen und die Art und Weise, wie sie ihn die Apokalypse beobachten lassen, auf einer starken Idee basiert. Allerdings gelingt es nicht ganz, die knapp 100 Minuten mit spannenden und glaubwürdigen Inhalten zu füllen. Zwischendurch gibt es immer mal wieder ein paar Längen – und Oh Junu verhält sich auch nicht immer so, wie man es von einer Figur in einem Film erwarten würde. Vielleicht ist das der Absicht geschuldet, einen „realistischen“ Zombiefilm zu machen, in dem sich die Charaktere so benehmen, wie es wohl jede:r von uns machen würde. Das ist durchaus ehrenwert, nur ist es für einen Film, der in erster Linie unterhalten soll, etwas zu wenig.
Wer damit leben kann, bekommt mit „#amLeben“ jedenfalls einen gutklassigen Film zu sehen, der es tatsächlich schafft, einem altbekannten Thema eine unverbrauchte Sichtweise hinzuzufügen. Wer allerdings pausenlose Zombie-Action braucht, ist hier sicher falsch.
Gesamteindruck: 5/7
Originaltitel: #살아있다.
Regie: Cho Il-hyeong
Drehbuch: Matt Naylor, Cho Il-hyeong
Jahr: 2020
Land: Südkorea
Laufzeit: ca. 98 Minuten
Besetzung (Auswahl): Yoo Ah-in, Park Shin-hye, Jeon Bae-soo, Lee Hyun-wook, Oh Hye-won, Lee Chae-gyeong
Der hängt bei mir noch in der Watchlist.