Ich habe hart mit mir gerungen, ob ich diese Rezension überhaupt verfassen und – noch wichtiger – danach veröffentlichen soll. Der Grund meines Zauderns: „Standschütze Bruggler“ (1936) basiert auf dem gleichnamigen Roman (1934), geschrieben von Anton Bossi-Fedrigotti. Der gebürtige Tiroler lebte zur Zeit der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland und trat bald nach diesem Ereignis erst der NSDAP, dann der SA bei. „Standschütze Bruggler“ war sein Debütroman und dem Vernehmen nach bestens geeignet, dem NS-Regime als Propaganda zum Schüren von Kriegsbegeisterung zu dienen. Gleiches gilt für vorliegenden Film, was mein Unbehagen erklären dürfte, darüber zu schreiben.
Gesamteindruck: 1/7
Kriegspropaganda.
Dass ich überhaupt auf die Idee gekommen bin, mir „Standschütze Bruggler“ anzusehen, ist der sehr liberalen Politik von Amazon zu verdanken. Der Branchenriese hat den Streifen frei für alle verfügbar im Streaming- und DVD-Programm und weist mit keiner Silbe auf eventuell problematische Inhalte hin. Im Gegenteil, die Beschreibung kommt einem fast zeitgenössisch vor, macht sie doch Lust auf ein „beeindruckendes Filmwerk aus dem Jahre 1936“. Es bleibt also komplett den Zuseher:innen überlassen, den Hintergrund zu erkennen – was wiederum nicht so einfach ist, handelt es sich dabei doch um kein sonderlich bekanntes Werk. Ob und in welchem Ausmaß das Publikum in der Lage ist, das Problem, das „Standschütze Bruggler“ umgibt, zu erkennen, wage ich nicht zu beurteilen.
Worum geht’s?
Im Kriegsjahr 1915 sieht sich Österreich-Ungarn einer neuen Bedrohung gegenüber: Das bisher neutrale und lose mit den Achsenmächten verbündete Italien erklärt der Doppelmonarchie den Krieg und eröffnet damit eine neue Front, die sich großteils quer durch den hochalpinen Raum erstreckt. In aller Eile werden Truppen zur Verteidigung zusammengezogen – weil die bisherigen Verluste jedoch gewaltig waren, bleiben nur mehr Junge und Alte übrig, um Tirol gegen den Einmarsch der Italiener zu verteidigen. So gehen die Standschützen auf den Bergen ihrer Heimat in Stellung; unter ihnen der Theologie-Student Toni Bruggler…
Anschließend an das, was ich einleitend geschrieben habe, möchte ich noch kurz was zu meiner Ausgangslage sagen: Selbst als reflektierter und an den Vorgängen jener Epoche interessierter Mensch habe ich bis vor wenigen Tagen noch nie etwas von „Standschütze Bruggler“ und dem Autor der Romanvorlage gehört. Weil Amazon den Film „einfach so“ im Angebot hat, habe ich eine vorherige Recherche gar nicht erst in Erwägung gezogen, sodass ich letzten Endes völlig unvoreingenommen an die Sache herangegangen bin. Und das mit einem – hoffentlich – nachvollziehbaren Grund: Historisches Interesse, das nichts mit der Meta-Ebene der Nutzung als Propaganda zu tun hat (mangels vorheriger Kenntnis dieser Ebene), sondern ausschließlich mit dem Inhalt. Denn der 1. Weltkrieg (1914-1918) wird zwar in zahlreichen Filmen beleuchtet, allerdings beschäftigt sich kaum ein Regisseur mit den Geschehnissen an der österreichisch-italienischen Front. Ich war also überrascht und erfreut, einen Film vorzufinden, der diese blutige Auseinandersetzung thematisiert – so dachte ich jedenfalls.
Technik ok, Inhalt k.o.
Ich versuche, im Folgenden zwei Ebenen des Films anzusprechen: Einerseits die formelle Seite, also die Technik, z. B. Ton, Bild und Ausstattung. Andererseits die inhaltliche Komponente, das ist vor allem die Frage nach dem, was uns „Standschütze Bruggler“ sagen soll. Dazu noch ein wichtiger Hinweis in eigener Sache: Wenn ich im Folgenden Lob ausspreche, soll das in keiner Weise eine Relativierung von NS-Propaganda darstellen, sondern bezieht sich rein auf filmtechnische Merkmale.
Beginnen wir mit der technischen Seite, an der ich – so ungern ich es zugebe – wenig auszusetzen habe. Tatsächlich ist „Standschütze Bruggler“ optisch sogar ein sehr beeindruckender Film, der in dieser Hinsicht dem Referenzwerk „Im Westen nichts Neues“ (1930) wenig nachsteht. Noch einmal zur Sicherheit: Damit ist nicht gemeint, dass „Standschütze Bruggler“ der Remarque-Verfilmung inhaltlich ansatzweise das Wasser reichen kann. Nichtsdestotrotz ist das Werk tadellos fotografiert – man meint förmlich, Kälte und Unwegsamkeit der Gebirgsfront zu spüren. Viel besser kann man das meines Erachtens auch in modernen Produktionen kaum hinbekommen. Der Ton ist, im Gegensatz dazu, aus heutiger Sicht wenig beeindruckend und leidet unter der üblichen Laut-Leise-Problematik. Heißt: Die Dialoge sind deutlich und in angemessener Lautstärke zu hören, alles andere klingt sehr unnatürlich, vor allem Explosionen und Gewehrfeuer sind zu dünn und zu leise, flößen daher kaum Respekt ein (was eventuell auch so beabsichtigt war). Generell ist in diesem Zusammenhang ein großer Qualitätsunterschied zwischen Innen- und Außenszenen festzustellen, was aber ein Problem vieler zeitgenössischer Filme ist und vermutlich mit der noch nicht so ausgereiften Ausstattung an mobilem Tonequipment zu tun hat.
Die Schauspieler:innen machen ihre Sache ambivalent – sie mussten sich natürlich ohne Wenn und Aber am Drehbuch orientieren. Dort war dann wohl auch vorgesehen, dass speziell die Jüngeren ein Draufgängertum und eine Fröhlichkeit ausstrahlen, die überhaupt nicht in einen Kriegsfilm passen will. Dabei fällt vor allem die dauergrinsende Hauptfigur negativ auf; die älteren Darsteller sind im Vergleich dazu realistischer unterwegs, soweit ich das beurteilen kann – ihr Spiel ist meines Erachtens so, wie es auch in einem modernen Anti-Kriegsfilm möglich wäre, wenngleich auch sie zu keinem Zeitpunkt das Geschehen hinterfragen. Die italienischen Truppen lernt man in wenigen Szenen etwas näher kennen – sie sprechen ihre eigene Sprache und werden sehr neutral dargestellt, was eventuell mit der Achse Berlin-Rom zu tun haben könnte. Die entsprechende Absprache zwischen den Diktatoren wurde zwar erst 1936 offiziell besiegelt, ich könnte mir aber vorstellen, dass die Vorbereitungen bereits deutlich früher angelaufen waren, sodass man den künftigen Bündnispartner nicht mit einem Film, in dem die üblichen Feindbilder gepflegt werden, vor den Kopf stoßen wollte.
Kriegsromantik als Propagandamasche.
Neben dem sorglosen Spiel der jungen Darsteller entlarvt das Drehbuch selbst den Film als die Propaganda, die er ohne Zweifel ist. Die Verantwortlichen machen das übrigens durchaus geschickt: Die Geschichte und die Art und Weise wie sie erzählt wird, ist kein durchgängig realitätsfremder Unsinn. Der mühsame Aufstieg ins Hochgebirge und die ständige Gefahr durch feindliche Feuerüberfälle, die oft genug mit dem Tod endet, findet recht prominent im Film Platz. Ich meine sogar, einen kritischen Unterton vernommen zu haben, als die Hauptfigur nach einem Lazarettaufenthalt zu den Kameraden zurückkehrt und feststellt, dass nicht mehr viele von den ursprünglich Eingerückten übrig sind. Das ist aber auch schon alles, denn grundsätzlich hinterfragt wird in „Standschütze Bruggler“ überhaupt nichts. Übrigens gibt es auch faktische Fehler bzw. starke Beschönigungen. So wird z. B. verschwiegen, dass die Standschützen anfangs selbst für ihre Ausrüstung sorgen mussten.
Zwei Dinge sind mir besonders sauer aufgestoßen: Erstens die Wandlung des Hauptcharakters vom Theologie-Studenten zum vermeintlich harten Soldaten, die ganz am Ende mit geradezu ekelhaftem Pathos abgeschlossen wird. Und zweitens die Lockerheit, mit der die Männer die angedeuteten Entbehrungen, vor allem aber den Tod ihrer Kameraden beiseite wischen. Ja, richtig gelesen: In „Standschütze Bruggler“ wird gestorben – und das gar nicht so selten, wie man meinen könnte. Allerdings fallen die Männer fast immer geräuschlos, es gibt kein Geschrei, kaum sichtbare Verletzungen und schon gar keine Verstümmelungen oder Ähnliches zu sehen. Wenn einer fällt, bleibt er kurz im Bild – eine Reaktion seiner Freunde, denn nichts anderes sind die Standschützen, die alle aus demselben Dorf kommen, bleibt völlig aus. Damit hat der gewaltsame Tod in diesem Werk nichts Dreckiges, ihm wohnt kein sichtbarer Schrecken inne, sondern er wird als schneller, sozusagen natürlicher Vorgang beschrieben, der klag- und emotionslos hinzunehmen ist.
Perfide gemacht.
All das macht „Standschütze Bruggler“ zu einem perfiden und raffinierten Propagandastreifen: Technisch ausgezeichnet (man merkt, dass sich das NS-Regime die Manipulation der Massen einiges kosten ließ), mit dem Humor der Zeit versehen, leicht konsumierbar und unterhaltsam, muss dieses Machwerk (anders kann man es heute nicht mehr bezeichnen) damals gut angekommen sein. Nimmt man dann noch das Männer- und Frauenbild, dass der Film zeichnet und seine abenteuerliche Weichzeichnung eines in Wirklichkeit entsetzlichen und überaus grausamen Krieges dazu, kann man sich vorstellen, wie sich die Propagandabeauftragten ins Fäustchen gelacht haben müssen.
Aus heutiger Sicht ist „Standschütze Bruggler“ nur schwer zu ertragen. Er ist technisch immer noch beeindruckend, der Inhalt verrät sich allerdings selbst. Zumindest dann, wenn man einigermaßen in der Lage ist, das Gesehene zu reflektieren. Bleibt zu hoffen, dass Amazon sein Publikum hier nicht überschätzt hat und der Großteil der Zuschauer:innen in der Lage ist, den Film als das zu erkennen, was er letzten Endes ist: manipulative und perfide Kriegspropaganda. Und dafür kann und darf es nicht mehr als 1 Pünktchen geben.
Gesamteindruck: 1/7
Originaltitel: Standschütze Bruggler.
Regie: Werner Klingler
Drehbuch: Joseph Dalman
Jahr: 1936
Land: Deutschland
Laufzeit: ca. 90 Minuten
Besetzung (Auswahl): Ludwig Kerscher, Franziska Kinz, Rolf Pinegger, Friedrich Ulmer, Lola Chlud
2 Gedanken zu “FilmWelt: Standschütze Bruggler”