An diese Stelle hätte ich im Wesentlichen den Text kopieren können, den ich in meiner Rezension zu „TAU“ (2018) als Einleitung geschrieben habe. Denn auch „ARQ“ (2016) ist so ein Werk, das mir beim gelangweilten Durchsehen meiner Netflix-Empfehlungen offenbar stark genug aufgefallen ist, um es meiner Watchlist hinzuzufügen. So etwas passiert bei mir ja recht schnell und hat zur Folge, dass jene Liste (und ihre Pendants bei anderen Diensten) zum Bersten gefüllt und damit alles andere als eine Entscheidungshilfe ist. Noch schlimmer: Trotz chronischen Zeitmangels zwingt mich die Liste sozusagen, Filme anzusehen, bei denen schon zu erahnen ist, dass sie unter „das war wohl nix“ fallen würden. „ARQ“ ist allerdings eine löbliche Ausnahme von dieser Regel.
Gesamteindruck: 5/7
Und täglich grüßt… der Tod.
Die Ähnlichkeit zwischen „TAU“ und „ARQ“ beschränkt sich übrigens nicht nur auf den in Versalien geschriebenen 3-Buchstaben-Titel. Beide Filme sind von Netflix produziert und spielen in einem einzigen Haus und drehen sich um ein klassisches Science Fiction-Phänomen: „TAU“ ist mit der Frage nach dem Wesen künstlicher Intelligenz näher an unserer Zeit, „ARQ“ nimmt sich mit der Zeitreise einem Thema an, das (noch?) keine Entsprechung in der Gegenwart hat. Mehr Gemeinsamkeiten gibt es allerdings nicht – sieht man davon ab, dass beide Filme andeutungsweise in einer dystopischen Zukunft zu spielen scheinen, was aber weder hüben noch drüben erschöpfend behandelt wird.
Worum geht’s?
Nur Sekunden, nachdem Renton aufgewacht ist, stürmen bewaffnete Männer sein Schlafzimmer, reißen ihn aus dem Bett und zerren ihn durch die Tür. Als sich der Überraschte zu wehren beginnt, stürzt er, bricht sich das Genick und… erwacht wieder in seinem Bett. Bevor er der neben ihm liegenden Hannah auseinandersetzen kann, was passiert ist – oder ob es nur ein Traum war – passiert es erneut: Bewaffnete dringen gewaltsam ins Schlafzimmer ein und nehmen ihn mit… wieder kommt Renton ums Leben, wieder erwacht er in seinem Bett und langsam dämmert ihm, dass diese merkwürdigen Ereignisse mit dem ARQ, einer von ihm erfundenen Maschine, zu tun haben könnten…
Die Suche nach möglichen Vorbildern für „ARQ“ fällt leicht: Hier ist z. B. ganz viel von „Und täglich grüßt das Murmeltier“ drin – oder, wenn man es etwas ernsthafter haben möchte, von der „Star Trek – The Next Generation“-Folge „Déjà Vu“. Die kam übrigens 1992, also noch ein Jahr vor der denkwürdigen Komödie mit Bill Murray, was zwar nichts mit „ARQ“ zu tun hat, mir bis vor wenigen Minuten aber überhaupt nicht bewusst war. Interessant. Zu genannten Werken könnte man ferner, um eine etwas neuere Variante zu nennen, „Edge of Tomorrow“ (2014) hinzufügen.
Es geht hier also, wie unschwer zu erkennen sein sollte, um das die Zeitschleife, eine spezielle Form der Zeitreise. Im Wesentlichen dreht sich alles darum, dass die Protagonist:innen in scheinbar endloser Wiederholung die immer gleiche Sequenz von Ereignissen durchleben. Dass sich die Charaktere entweder sofort oder nach und nach an vorangegangene Schleifen erinnern können und dieses Wissen nutzen, um die Ereignisse zu manipulieren, macht einen Teil der Faszination dieser Prämisse aus. Ziel ist es in der Regel, den Teufelskreis zu durchbrechen, was entweder gelingt, indem sich die Protagonist:innen selbst hinterfragen und zu einem besseren Individuum werden („Und täglich grüßt das Murmeltier“), indem sie eine Katastrophe verhindern („Déjà Vu“) oder eine andere, oft technische Lösung finden, indem sie z. B. die Zeitmaschine vernichten und damit die Welt wieder gerade rücken. Letzteres ist meines Erachtens das, was in „ARQ“ versucht wird, wobei der Film in dieser Hinsicht eher vage bleibt – aber dazu weiter unten mehr.
Was vorliegenden Titel von den mir bekannten Beiträgen zur Zeitschleifen-Problematik unterscheidet, hat vor allem mit der Perspektive zu tun, die ich so noch nicht häufig (oder gar nicht) gesehen habe: Regisseur und Drehbuchautor Tony Elliot („ARQ“ ist der erste Langfilm des Serien-Spezialisten) gestaltet den Blickwinkel variabel. Das heißt, dass wir in der einen oder anderen Iteration zu sehen bekommen, was die Antagonisten machen, denen im Laufe der Handlung ebenfalls bewusst wird, sie immer wieder die gleichen Ereignisse erleben. Daraus ergeben sich trotz des naturgemäß repetitiven Charakters von „ARQ“ sehr interessante Differenzen in der gleichen Geschichte, was mir ungemein gut gefallen hat und eine erfrischende Neuerung in einem im Laufe der Jahre recht häufig beackerten Feld darstellt.
Ein starkes Drehbuch.
Aber auch abseits dieses Alleinstellungsmerkmals ist „ARQ“ stark, denn das Drehbuch hält jede Menge Twists parat, die nicht in jedem Fall mit der Zeitschleife zu tun haben, sondern vor allem in den Charakteren liegen. Ohne zu viel zu verraten: Das anfangs simpel wirkende Schema von Gut und Böse verschwimmt im Laufe der Handlung zusehends, was dem Film ein zusätzliches Spannungselement verleiht; man weiß nie so richtig, was einen in der nächsten Schleife erwartet. Das hätte ich so nicht erwartet, weil „ARQ“ ja eigentlich so aufgebaut ist, dass man meint, es ginge „nur“ darum, aus dieser Situation zu entkommen. Das ist aber nur ein Aspekt der Handlung, während sich der Rest in Thriller-Manier mit Täuschung und Verrat beschäftigt, was den Film letztlich doch recht deutlich von seinen Genregenossen abhebt.
Was mir außerdem sehr gut gefällt, ist die Art und Weise, wie der Film seine eigene Story konstruiert bzw. im Laufe der Schleifen re-konstruiert. Das wirkt auf mich sehr durchdacht und so, als hätte der Regisseur ganz genau gewusst, was er da tut. Dafür nimmt er anfangs sogar Frustmomente im Kauf – denn während z. B. „Und täglich grüßt das Murmeltier“ Story und Charaktere von Beginn an klar umreißt, erschließen sich die Gegebenheiten bei „ARQ“ schrittweise und nicht zwingend chronologisch. Heißt: In den ersten zwei, drei Szenen versteht man teilweise überhaupt nicht, worum es geht und wer die Figuren auf dem Schirm eigentlich sind. Eine mutige Entscheidung, die sich im Endeffekt aber lohnt, weil es durchaus befriedigend ist, wie die Puzzleteile nach und nach an ihren Platz fallen.
Was bei den Pluspunkten auch nicht unerwähnt bleiben sollte: „ARQ“ wurde zwar von Netflix produziert, das Budget war aber vergleichsweise gering. Der Großteil des Films spielt in einem einzigen Haus; dort fällt der budgetäre Aspekt nicht allzu sehr ins Gewicht, sieht man von (sehr seltenen) Splatter-Szenen ab, die etwas billig wirken (per se aber ganz gut zum Film passen). Gegen Ende hin geht es auch mal nach draußen, wo man zu Gesicht bekommt, was bis dahin nur in Dialogen angedeutet wurde: „ARQ“ spielt nach einer nicht näher genannten, weltweiten Katastrophe. Klar, dass die Machart des Films die Spannung, wie das Draußen wohl aussehen würde, in schwindelerregende Höhen treibt. Was man dann zu sehen bekommt, ist eher unspektakulär, ich denke aber, dass die Optik für die Mittel, die für diesen Film aufgewendet wurden, vollkommen in in Ordnung ist. Abgesehen davon ist hier die Handlung ohnehin wichtiger.
Ein paar Erklärungen zu wenig.
Ein bis dato unerkanntes Meisterwerk ist „ARQ“ trotz der genannten Vorzüge allerdings nicht. Dass Hauptdarsteller Robbie Amell mehr an einen Action-Helden als an einen genialen Wissenschaftler erinnert, ist zwar kein Beinbruch, stört die Atmosphäre aber tatsächlich ein wenig (seine Ex-Freundin Hannah wird hingegen sehr passend von Rachael Taylor verkörpert). Was mich hingegen wirklich gewurmt hat: „ARQ“ unternimmt nicht einmal den Versuch, zu erklären, wie die Zeitschleife eigentlich funktioniert. Man bekommt zwar ein recht billig aussehendes, merkwürdiges Gerät zu Gesicht, das wohl eine Art Perpetuum mobile sein soll, was es damit aber auf sich hat, muss man sich selbst zusammenreimen.
Ich verstehe schon, dass das nicht der Fokus der Handlung ist – ein wenig mehr „Fleisch“ hätte dem Film an dieser Stelle aber nicht geschadet. Hinzu kommen gewisse logische Ungereimtheiten – so laufen beispielsweise Uhren mit Fortdauer des Films sichtbar schneller, was meines Erachtens aber nicht von den Charakteren bemerkt werden dürfte, wenn die sich weiterhin in normaler Geschwindigkeit durch den Raum bewegen. Kleinlich? Mag sein, aber dadurch, dass es hier – im Gegensatz zu „Und täglich grüßt das Murmeltier“ – eine eindeutige, technische Komponente gibt, die den Zeitsprung auslöst, hätte ich mir dazu auch eine gewisse Pseudo-Wissenschaftlichkeit gewünscht.
Einen Punkt möchte ich noch ansprechen, bevor ich zum Fazit komme: Den Schluss von „ARQ“ fand ich enttäuschend. Um es deutlich zu sagen: Es wirkt, als hätte schlicht und ergreifend niemand eine Idee gehabt, wie man die Story vernünftig zu Ende führen soll. Ein Happy End war angesichts des allgemeinen Tenors wohl zu Recht keine Option, sodass man sich für eine zweitschlechteste Alternative entschieden hat: Das Ende ist offen, es geht also alles wieder von vorne los – ob das nun besser oder schlechter als die auf unterschiedliche Weisen aufgelösten Zeitschleifen anderer Werke ist, sei dahingestellt; meinen Geschmack hat es jedenfalls nicht getroffen, weil es sich merklich nach einer Verlegenheitsoption anfühlt.
Fazit: Sehenswert.
Ich würde „ARQ“ trotz der genannten Schwächen allen empfehlen, die eine Vorliebe für das Konzept der Zeitreise und ihrer Konsequenzen haben. Wie sehr die fehlende Wissenschaftlichkeit fehlt, hängt meines Erachtens stark vom persönlichen Geschmack ab. Ich gebe jedoch zu bedenken, dass mir selbst solche Dinge in der Regel sehr wichtig sind, ich „ARQ“ aber trotz ihrer Abwesenheit als spannend und unterhaltsam empfunden habe. Wer nicht so viel Wert darauf legt, alles möglichst lückenlos erklärt zu bekommen, wird an dieser Stelle ohnehin keine Probleme mit dem Film haben und erlebt einen spannenden Thriller, in dem nichts so ist, wie es anfangs scheint. Das dürfte sogar funktionieren, wenn man mit der Zeitschleifen-Thematik nicht warm wird, weil der Regisseur es meines Erachtens völlig unabhängig davon schafft, eine interessante und überraschende Geschichte zu erzählen.
Größter Wermutstropfen ist das Finale. Das ist eigentlich sogar recht konsequent, dennoch hinterlässt es das Publikum eher ratlos, weil das Gefühl dominiert, alles, was die Charaktere zuvor erlitten haben, wäre sinnlos gewesen. Ob das in diesem Ausmaß gewollt war, wage ich nicht zu beurteilen. So oder so: „ARQ“ ist definitiv sehenswert und hätte mit einem etwas … naja… „besseren“ Finale (was auch immer das heißen mag) mindestens einen Punkt mehr bekommen. Aber auch so sollten Science Fiction-Fans unbedingt einen Blick riskieren – es lohnt sich.
Gesamteindruck: 5/7
Originaltitel: ARQ.
Regie: Tony Elliott
Drehbuch: Tony Elliott
Jahr: 2016
Land: USA, Kanada
Laufzeit: ca. 90 Minuten
Besetzung (Auswahl): Robbie Amell, Rachael Taylor, Shaun Benson, Gray Powell, Adam Butcher
Ein Gedanke zu “FilmWelt: ARQ”