FilmWelt: Alexandra’s Project

Eine Warnung vorweg: Wer sich „Alexandra’s Project“ (2003) ansieht, darf keinen auf Hochglanz polierten Film erwarten. Im Gegenteil, das Wort „Projekt“ im Titel wirkt im Nachhinein fast wie ein Hinweis auf die Indie-Anmutung des Werkes, das dadurch aber gleichzeitig eine ganz eigene, selten gesehene Atmosphäre erhält. Für ein breites Publikum scheint mir die australische Produktion jedoch weder optisch oder akustisch, noch inhaltlich geeignet.

Gesamteindruck: 5/7


„Schluss machen“ per Video.

Die Handlung von „Alexandra’s Project“ ist über weite Strecken sehr geradlinig (erst gegen Ende gibt es einen Twist). Im Verbund mit der sehr reduzierten Technik bedeutet das, dass der Film praktisch komplett von seiner Prämisse und vor allem von überzeugenden und glaubwürdigen Darsteller:innen getragen werden muss. Das gelingt ihm meines Erachtens gut, wobei man klipp und klar sagen muss, dass ein Film kaum weiter von einer massentauglichen Präsentation entfernt sein könnte. Ob das stört oder nicht, liegt letzten Endes am persönlichen Geschmack; wer etwas mit ungewöhnlichem und reduzierten Programmkino anfangen kann, sollte jedenfalls einen Blick riskieren.

Worum geht’s?
Auf den ersten Blick scheinen Steve und Alexandra eine ganz normale Beziehung zu führen: Er geht täglich zur Arbeit in sein Büro, sie schmeißt den Haushalt und kümmert sich um die zwei Kinder. Doch unter der Oberfläche brodelt es. Steve ahnt davon nichts – und ist zunächst hoch erfreut, als er an seinem Geburtstag ins verlassene Zuhause kommt und als Überraschung ein Video vorfindet, auf dem er seine Frau auf eine Weise zu sehen bekommt, wie er sie noch nicht kannte. Doch bald werden die Aufnahmen bedrohlich und immer düsterer…

Regisseur Rolf de Heer hat einen sehr reduzierten Film geschaffen: Im Wesentlichen kommt er mit einem männlichen und einer weiblichen Hauptdarsteller:in aus, die fast die gesamte Laufzeit über in einem einzigen Raum agieren. Übrigens kaum jemals miteinander, zumindest nicht so, wie man sich das gemeinhin vorstellt (etwas mehr dazu weiter unten). Dieser Minimalismus setzt sich in der Technik fort: Die Kameraarbeit beschränkt sich auf relativ wenige Einstellungen, das Bild ist generell weit von High Definition entfernt und erinnert qualitativ und auch in Bezug auf die Perspektiven an Filme aus den 1970ern. Das gilt in verstärktem Maße auch für den Ton, der roh und unbearbeitet klingt, so, als wäre kein professionelles Equipment zum Einsatz gekommen. Anmerkung am Rande: Ich habe „Alexandra’s Project“ in der deutschen Synchronisation gesehen, ob das Werk auch im Original so eigentümlich klingt, kann ich nicht beurteilen.

Unklare Verhältnisse.

Inhaltlich nimmt sich die australische Low-Budget-Produktion dem Problem einer lieb- und freudlosen Ehe an. Gewisse Andeutungen lassen außerdem, wenn auch vage, auf seelische, vielleicht sogar körperliche Gewalt schließen. So scheint es zumindest zu sein – denn eigentlich bekommen wir als Zuseher:innen keine schwierige Ehe zu sehen, zumindest nicht live: In „Alexandra’s Project“ berichtet die Titelfigur ihrem Mann mittels Videobotschaft, wie es ihr in der Ehe geht. Ob das die Wahrheit ist oder nicht, lässt sich für das Publikum nicht abschließend beurteilen, denn es gibt im Film keine Interaktion zwischen den Eheleuten. Heißt: Wie Protagonist Steve ist man dazu verdammt, die Erzählung von Alexandra am Bildschirm zu verfolgen, ohne Möglichkeit, einzugreifen oder nachzufragen. An gewissen Reaktionen des Ehemannes meint man zwar zu erkennen, dass die Vorwürfe seiner Frau nicht gänzlich erfunden sind – einen Beweis dafür bleibt der Film jedoch schuldig. Zumal die Videoaufnahmen mit der Zeit immer verstörender werden und zeigen, dass die Ehefrau auch kein stilles Wässerchen ist – oder zu sein scheint. Klare Position für eine der beiden Figuren wird meines Erachtens bis zum Schluss nicht bezogen.

Doch auch, wenn die Handlung von „Alexandra’s Project“ an sich nicht kompliziert ist, ist es mir letzten Endes nicht gelungen, zu entschlüsseln, was genau der Regisseur mit diesem Film aussagen wollte. Und: Ich bin mir ganz und gar nicht sicher, ob mir diese Herangehensweise an das Thema gefällt oder nicht. Was ich aber ungeachtet dessen zu Protokoll geben kann: „Alexandra’s Project“ hat eine spannende Prämisse und setzt diese höchst unkonventionell um. Das allein reicht mir, um den Film als „sehenswert“ abzuheften und ihn mit 5 von 7 Punkten relativ hoch zu bewerten.

Ich betone allerdings nochmals, dass man schon einiges an Geduld und vor allem die Vorliebe für eine sehr spezielle, fast ein wenig altertümlich anmutende Ästhetik mitbringen muss, damit man überhaupt in die Verlegenheit kommt, sich über den Inhalt Gedanken zu machen. Wer es soweit schafft, kann dann in Ruhe darüber nachdenken, was der Regisseur mit diesem außergewöhnlichen Film erreichen wollte.

Gesamteindruck: 5/7


Originaltitel: Alexandra’s Project.
Regie:
Rolf de Heer
Drehbuch: Rolf de Heer
Jahr: 2003
Land: Australien
Laufzeit: ca. 100 Minuten
Besetzung (Auswahl): Gary Sweet, Helen Buday, Bogdan Koca, Samantha Knigge, Jack Christie



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FilmWelt: Tannöd

„Tannöd“ (2009) ist einer jener Filme, deren Trailer und Beschreibung mir im Vorfeld richtig gut gefallen haben. Doch leider ist es wie so oft in solchen Fällen: Bereits während des Ansehens macht sich Ernüchterung breit, die spätestens beim Abspann in echte Enttäuschung umschlägt. Warum „Tannöd“ dieses Schicksal ereilt, versuche ich in folgender Rezension zu beschreiben.

Gesamteindruck: 2/7


Finsteres Bayern.

Zunächst kurz zum Hintergrund (der mir vorab nicht bekannt war): „Tannöd“ basiert auf dem gleichnamigen Roman der deutschen Autorin Andrea Maria Schenkel, der 2006 erschienen ist. Dieses Buch ist wiederum inspiriert von einem realen, bis heute nicht aufgeklärten Mordfall der 1920er Jahre. Wie der Kriminalroman, der ihm als Vorlage diente, verlegt „Tannöd“ die Geschichte allerdings in die 1950er. Warum das so gemacht wurde, entzieht sich meiner Kenntnis, spielt letztlich aber auch keine große Rolle für die Handlung.

Worum geht’s?
Auf dem abgelegenen Tannöd-Hof trägt sich ein schreckliches Verbrechen zu: Die Bauersleute, ihre Kinder und die gerade erst angestellte Magd werden auf brutale Weise ermordet. Zwei Jahre nach diesen Ereignissen kehrt die auswärts arbeitende Kathrin in ihr Heimatdorf zurück, um sich um die Beerdigung ihrer Mutter zu kümmern. Gegenseitige Anschuldigungen und dunkle Geheimnisse bestimmen das Leben im Ort – und auch Kathrin wird wider Willen immer tiefer in die düstere Stimmung hineingezogen…

In der Theorie bringt „Tannöd“ fast alles mit, das einen guten Krimi oder Thriller auszeichnet: Starke Bilder, einen rätselhaften Mord und – vor allem – ungeahnte psychologische und kriminelle Abgründe. Leider gibt es letzten Endes aber nur einen einzigen Punkt, der voll und ganz überzeugt: Die von Anfang bis Ende großartige Kameraarbeit. Die setzt die ländliche Kulisse, die bei richtigem Licht beschaulich und malerisch wirken mag, düster und nachgerade grotesk in Szene. Subtil ist das freilich nicht, im Gegenteil: „Tannöd“ lässt optisch in keinem Moment Zweifel daran aufkommen, dass in der bayrischen Einöde etwas im Argen liegt. Den Wunsch, auch nur in die Nähe jener Gegend zu kommen, verspürt man auch als Zuseher:in, der/die das Landleben kennt, während der 100 Minuten Laufzeit so gut wie nie. Damit ist auch sofort klar, dass sich das Publikum mit der Rückkehrerin Kathrin identifizieren soll und muss, die jenem tristen Leben entkommen konnte.

Drehbuch als Sorgenkind.

Leider gelingt es Regisseurin Bettina Oberli (die gemeinsam mit Petra Lüschow auch das Drehbuch geschrieben hat) nicht, diese guten bis sehr guten Einzelteile stimmig zusammenzusetzen. Heißt: Bei „Tannöd“ ist das oft bemühte Ganze keineswegs größer als die Summe seiner Teile. Im Gegenteil: Die Grundzutaten lassen einen zumindest soliden, bestenfalls sogar großartigen Thriller erwarten, fügen sich aber zu keinem Zeitpunkt richtig zusammen. Oder, anders ausgedrückt: „Tannöd“ entwickelt nie jenen Sog, den man beispielsweise aus zugegeben leichter Kost wie „Der Bulle von Tölz“ oder „Tatort“ kennt, deren Folgen ja häufig in ähnlichen Milieus angesiedelt sind. An den Schauspieler:innen liegt das übrigens nicht, denn die machen ihre Sache zumeist ordentlich, wobei ich mir von Hauptdarstellerin Julia Jentsch ein etwas beherzteres Auftreten gewünscht hätte. Anmerkung am Rande: Zuseher:innen, die nicht aus Süddeutschland oder Österreich kommen, könnten Schwierigkeiten mit dem Verständnis haben, denn in „Tannöd“ wird fast ausschließlich bayrisch gesprochen.

Ich denke, der Grund für den schwachen Gesamteindruck, den der Film trotz herausragender Optik bei mir hinterlassen hat, ist im Drehbuch zu suchen. Das schafft es einerseits kaum, die notwendige Spannung aufzubauen, weil die einzelnen Szenen wahlweise überhastet oder in die Länge gezogen wirken. Andererseits ist „Tannöd“ stellenweise arg verwirrend; das ansonsten so befriedigende Gefühl, wenn Charaktere ein Mysterium nach und nach aufdecken, bleibt völlig aus. Auch, weil am Schluss ein überzeugendes Gesamtbild fehlt, was den Film in Kombination mit immer wieder eingestreuten Rückblenden, die nur zum Teil aussagekräftig sind, sehr zerfahren wirken lässt.

Dicht am Roman?

Ohne die Romanvorlage zum Zeitpunkt dieser Rezension gelesen zu haben, vermute ich stark, dass sich „Tannöd“ relativ werkstreu gibt – und dass genau das das Problem ist: Das Buch besteht aus 39 relativ kurzen Kapiteln, die auf verschiedene Weise miteinander verbunden sind und nach und nach ein Gesamtbild ergeben. Man sieht dem Film meiner Meinung nach deutlich an, dass er versucht, seine Geschichte auf ähnliche Weise zu erzählen, dabei aber Schwierigkeiten hat, die ursprünglichen Einzelepisoden „smooth“ ineinandergreifen zu lassen. Eigentlich ist sogar das Gegenteil der Fall und es wirkt von Anfang an befremdlich, dass zwei Jahre nach der Tat pausenlos über den Mord gesprochen wird, wenn die Hauptprotagonistin anwesend ist.

Ich bin jedenfalls auf den Roman gespannt – denn dass ich den jetzt unbedingt lesen möchte, ist der positivste Aspekt, den ich aus dem Ansehen des Films mitgenommen habe. Immerhin etwas – wenngleich ich es sehr schade fand und finde, dass die Verfilmung von „Tannöd“ so gar nicht reüssieren kann. Übrigens gilt das – wenn man den Rezensionen glauben darf – auch für den ebenfalls 2009 erschienen Film „Hinter Kaifeck“, der sich derselben Thematik annimmt. Aber das ist ein Fall für eine andere Rezension…

Für das ziemlich holprige „Tannöd“ gibt es 2 von 7 Punkten, mehr ist leider nicht drin, so sehr ich den Film auch mögen wollte.

Gesamteindruck: 2/7


Originaltitel: Tannöd.
Regie:
Bettina Oberli
Drehbuch: Bettina Oberli, Petra Lüschow
Jahr: 2009
Land: Deutschland
Laufzeit: ca. 100 Minuten
Besetzung (Auswahl): Julia Jentsch, Monica Bleibtreu, Volker Bruch, Brigitte Hobmeier, Vitus Zeplichal



SpielWelt: The Savage Empire

Worlds of Ultima


Als ich vor einigen Monaten mit „Ultima VI: The False Prophet“ (1990) durch war, hatte ich auf meinem Weg, alle Teile der legendären Serie von Richard „Lord British“ Garriott durchzuspielen, eine Entscheidung zu treffen: Sollte ich mit „Ultima VII: The Black Gate“ (1992) weitermachen – oder mich doch auch an den Titeln abseits der Hauptreihe, deren erster „The Savage Empire“ (1990) ist, versuchen? Wie an der Existenz dieser Rezension unschwer zu erkennen ist, habe ich mich zu Letzterem durchgerungen.

Gesamteindruck: 4/7


Dschungelprüfungen.

Richard Garriott hatte einst versprochen, dass kein neues Spiel der „Ultima“-Reihe die Engine eines seiner Vorgänger nutzen würde – was anfangs noch kein Problem war, schließlich schrieb der Meister seine Epen praktisch im Alleingang. Doch dann kam „Ultima VI: The False Prophet“, das in Sachen Produktionsaufwand alle Projekte in den Schatten stellte, die Origin Systems bis dahin veröffentlicht hatten. Freilich änderte das nichts an der Meinung des Firmenchefs; jedoch konnte Warren Spector, der erst 1989 zu Origin gekommen war, Richard Garriott dennoch überzeugen, dass es ein Sakrileg wäre, die aufwändig programmierte „Ultima VI“-Engine nach nur einem Spiel ad acta zu legen. Und so kam es, dass Spector die Erlaubnis erhielt, mit einem kleinen Team (die A-Mannschaft von Origin arbeitete zu jener Zeit bereits an den Mammut-Aufgaben „Ultima VII“ und „Wing Commander II“) weitere Rollenspiele auf Basis dieser bis heute beeindruckenden Technologie zu produzieren.

Darum geht’s:
Während sich der Avatar in seinem irdischen Domizil erholt, plagen ihn merkwürdige Träume, in denen auch Lord British zu ihm spricht. Das Geheimnis um die zerstörten Mondsteine gelte es zu lösen, so des Helden väterlicher Freund. Ehrensache, dass man in einem solchen Fall nicht lange fackelt, sich ins Safari-Outfit wirft und im nahegelegenen Museum den etwas schrulligen Professor Rafkin aufsucht. In dessen Labor experimentiert man ein wenig mit einem Mondstein herum – und prompt öffnet sich eine Art Tor und saugt alle Anwesenden in eine andere Welt. Dabei handelt es sich jedoch nicht um das liebgewonnene Britannia, sondern um das unentdeckte Dschungeltal Eodon, in dem primitive Menschen Seite an Seite mit Dinosauriern und anderen urtümlichen Kreaturen leben. Freilich gibt es dort diverse Konflikte, die nur ein Avatar beilegen kann – und auch die Frage nach der Rückkehr in die Heimat gilt es zu lösen…

Falls es aus der Inhaltsangabe nicht deutlich geworden ist: Die Story von „The Savage Empire“ orientiert sich an „Die verlorene Welt“ (1912) von Sir Arthur Conan Doyle. Davon abgesehen entsprechen Handlung, Setting, Aufmachung und Charaktere jenen Abenteuer- und Science Fiction-Geschichten, die häufig in den „Pulp“-Heften der 1930er bis 50er Jahre zu finden waren. Wie bei Origin üblich, zeigt sich das nicht nur im Spiel selbst, sondern auch im gesamten Drumherum. Besonders hervorzuheben ist die Anleitung, die damals in Form eines 40 Seiten starken Pulp-Magazins namens „Ultimate Adventures“ in der Packung zu finden war – komplett mit buntem Cover, Editorial, Reportagen (geschrieben von In-Game Charakteren) und fiktiven Inseraten. Zu dieser Arbeit musste und muss man Origin einmal mehr gratulieren, denn die Liebe zum Detail und die schriftstellerische Qualität, die in dieses Beiwerk geflossen sind, sind bemerkenswert; auch und vor allem weil „The Savage Empire“ klar abseits der Premium-Titel des texanischen Studios steht.

Technisch entspricht das Spiel im Wesentlichen dem, was man aus „The False Prophet“ kennt. Hervorzuheben sind allerdings zwei Features, die ausgerechnet in „The Savage Empire“ ihre „Ultima“-Premiere feiern: Einerseits nutzt das Spiel die eigens für „Wing Commander“ (1990) entwickelte Origin FX Engine, um Dialoge und Zwischensequenzen im Hauptfenster des Spiels ablaufen zu lassen, was völliges Neuland in Rollenspielen gewesen sein dürfte. Andererseits gibt es endlich (!) ein Questlog, das noch dazu auf höchst kreative Weise ins Spiel integriert wurde: Findet man den NPC Jimmy Malone und nimmt ihn in die Party auf, stenografiert er die wichtigsten Aufgaben in seinem Notizblock mit. Darauf kann man ihn jederzeit ansprechen und erfährt so, welche Quests offen sind und was schon erledigt wurde. Das ist eine dermaßen großartige Idee, dass ich Malone trotz seiner körperlichen Defizite das gesamte Spiel über in meiner Party behalten habe. 🙂

Davon abgesehen sind die Unterschiede zum großen Bruder auf den ersten Blick vorwiegend optischer Natur (so wurde z. B. das Interface an das Setting angepasst, es gibt andere Gegner, Gegenstände usw.). Der erfahrene „Ultima“-Recke findet sich also sofort zurecht, denn Funktionen wie Tastaturkommandos, Kampfsteuerung, Inventar usw. wurden vollständig übernommen. Sogar die vielfältigen Möglichkeiten, die Welt zu manipulieren, stehen zur Verfügung – beispielsweise kann man Fackeln herstellen, indem man Äste von Bäumen abbricht, Stoff (der ebenfalls selbst erzeugt werden kann) in Streifen schneidet, diese in Teer tränkt und dann um die Äste wickelt. Das ist tatsächlich eine Form von Sandkasten-System, das man bis heute selten in dieser Konsequenz in einem Rollenspiel findet. Beeindruckend, was Origin in dieser Hinsicht auf die Beine gestellt hat – ob es in solchem Umfang zwingend notwendig war, ist freilich eine andere Frage. Spielt aber auch keine Rolle, denn man kann, wie schon in „Ultima VI“, weitgehend auf derartige Tätigkeiten verzichten, wenn man kein Interesse daran hat.

Reduzierte Variante.

Spielerisch ist „The Savage Empire“ letzten Endes deutlich abgespeckt. Zwar erkundet man auch hier die von Anfang an frei begehbare Welt, spricht mit allen NPCs, die man trifft, erhält auf diese Weise verschiedene Quests und erarbeitet sich so nach und nach die Handlung. In welcher Reihenfolge man die Aufgaben löst, ist dabei jedem/jeder Spieler:in weitgehend selbst überlassen. Unterschiedliche Lösungswege gibt es so gut wie nie, was ich dem Spiel aber angesichts seines Alters nicht zum Vorwurf machen würde. Allerdings – und darum schrieb ich „abgespeckt“ – nutzt das Spin-off zwar die Engine von „Ultima VI“, nutzt aber bei weitem nicht alle Möglichkeiten, die es im Hauptspiel gab und ist deutlich weniger immersiv.

Beispielsweise kann man ruhigen Gewissens die Einheimischen ausplündern – auch deren Schatzkammern. Weder wird man nach einer solchen Tat angegriffen, noch gibt es als Strafe das für „Ultima“ bis dahin so wichtige Minus bei den Karma-Punkten. Oder: Die Ausrüstungsslots für Stiefel, Kopfbedeckungen und Ringe sind auch in „The Savage Empire“ vorhanden – allerdings findet man nichts, das man dort verwenden könnte. Besonders absurd: Ringe gibt es sogar im Spiel, sie können aber nicht angelegt werden. Und, ein abschließendes Beispiel: Es gibt kein nennenswertes Wirtschaftssystem. Man kann, wie oben beschrieben, problemlos auf Beutezug gehen und das Inventar vollpacken – nur nutzt das in der Regel nicht viel, weil man praktisch nichts davon verkaufen kann (und auch so gut wie nichts kaufen, die gesamte Ausrüstung wird gefunden oder selbst hergestellt). Ausgerechnet eines der irritierendsten Features von „Ultima VI“ wurde übrigens beibehalten: Die häufigen Tag-Nacht-Wechsel. Gefühlt ist es sogar noch kürzer hell, sodass man in „The Savage Empire“ sehr viel Zeit mit Rasten verbringt, weil die Sichtweite in der Nacht empfindlich eingeschränkt ist (und die Dorfbewohner in ihren Hütten schlafen, also nicht angesprochen werden können). All das empfinde ich als sehr befremdlich in einem Rollenspiel aus einer Serie, die derartige Probleme eigentlich längst hinter sich gelassen hatte. Wäre interessant zu wissen, ob das ursprünglich tatsächlich so gedacht war.

Ähnliches gilt für die Kämpfe, die schon in „The False Prophet“ nicht der Bringer waren und die ich hier sogar als größten Schwachpunkt identifizieren würde. Grundsätzlich laufen die Gefechte in Runden ab, in denen man die Gegner (meistens übrigens wilde Tiere) mit Nah- und Fernkampfwaffen beharkt. Zaubern kann nur ein einziger NPC (dem Avatar bleibt diese Kunst verwehrt), was ich aber letztlich nur zum gelegentlichen Heilen verwendet habe. Wie im Hauptspiel kann man ferner seinen Partymitgliedern rudimentäre Befehle erteilen (z. B. nur auf Fernkampf setzen, vor Kämpfen flüchten usw.). Im Gegensatz zu „Ultima VI“, in dem das noch einigermaßen funktionierte, scheint die KI in „The Savage Empire“ allerdings dem Rotstift zum Opfer gefallen zu sein. Will sagen: Egal, welchen Befehl man seiner Truppe erteilt, sie tut – gar nichts. Außer direkt in den Feind zu laufen oder ähnliche Sperenzchen. Fazit: Am besten vergisst man die Automatik sofort wieder und steuert jeden Charakter einzeln, auch wenn das durchaus Geduld erfordert. Angemerkt sei außerdem, dass die Kämpfe von Anfang an wenig herausfordernd sind, sodass ich mich frage, ob dieser Aspekt des Spiels überhaupt ordentlich getestet wurde. Oder wurde er es und es gab gröbere Probleme, sodass man sich entschieden hat, einfach den Schwierigkeitsgrad zu minimieren? Man weiß es nicht…

Ein Avatar auf Irrwegen.

Was die Handlung betrifft, würde ich behaupten, dass auch „The Savage Empire“ gut und recht spannend geschrieben ist (sieht man von der Einbettung in den Kanon ab, mehr dazu etwas weiter unten). Man kommt relativ selten in die Verlegenheit, nicht zu wissen wie es weitergeht; allerdings sind die Rätsel ab und an sehr knackig, auch, weil das Spiel – wie damals üblich – viele seiner Funktionen nicht sonderlich klar erklärt. Ein Beispiel: Um eine deutlich sichtbare Höhle hinter einem Wasserfall zu erreichen, muss eben jener durch den Wurf einer Granate auf einen darüber liegenden Felsen blockiert werden – und der muss auch im richtigen Winkel getroffen werden. Das alles natürlich ohne Hotspot-Anzeige oder sonstige Hilfestellungen, man muss also irgendwie auf den Trichter kommen, dass man Handgranaten basteln und genau an dieser Stelle einsetzen muss. Eigentlich macht das aufgrund der exzessiv manipulierbaren Welt durchaus Sinn – dennoch habe ich die Lösung für dieses und ähnliche Probleme als relativ weit hergeholt empfunden und musste, nach einigem Probieren, hier und da zu einer Komplettlösung greifen.

Nun wie angekündigt ein Wort zum Hintergrund: Die Idee, die „The Savage Empire“ zugrunde liegt, ist grundsätzlich nett und hebt das Spiel deutlich vom damals (und auch heute noch) üblichen Fantasy-Standard ab. Freilich wäre es wohl schwierig gewesen, allein damit eine erkleckliche Anzahl an Spielen zu verkaufen. Ich nehme an, aus diesem Gedanken heraus wurde bei Origin der Entschluss gefasst, „The Savage Empire“ nicht für sich stehen zu lassen, sondern in den „Ultima“-Kanon zu integrieren. Mit dem ist das Setting allerdings überhaupt nicht kompatibel, sodass man sich mehr oder weniger holpriger Kniffe bedienen musste, um überhaupt einen Zusammenhang herstellen zu können. Auch wenn ich die Hintergründe nachvollziehen kann, hätte ich persönlich das nicht gebraucht – zumindest nicht aus heutiger Sicht.

Zur Verdeutlichung, was ich damit meine: Einerseits soll der Avatar – so wurde es in „Ultima IV: Quest of the Avatar“ (1985) ja definiert – der Spieler/die Spielerin selbst sein. Man steuert also keinen fix vorgegebenen Helden, sondern ist sozusagen selbst die Spielfigur. In „The Savage Empire“ bedeutet das demnach, dass ich ein blonder Typ mit ziemlich eckigem Gesicht bin, der einen Freund hat, der Professor in einem Museum ist. Das ist so weit von meiner Realität entfernt, wie es nur geht – und zerstört damit endgültig die ohnehin schon löchrige Avatar-Legende. Andererseits musste man auch noch einen Weg finden, den Helden in ein Szenario zu versetzen, das einer Erzählung entspricht, die irgendwann zwischen 1930 und 1950 spielt. Für einige sich daraus ergebende Anachronismen hat man zumindest eine halbwegs plausible Erklärung gefunden: Im Labor des Professors, das sich ja in einem Museum befindet, gibt es gewisse altmodische Exponate, die gemeinsam mit den Charakteren in die prähistorische Dschungelwelt versetzt werden. Dass der ursprüngliche Gedanke hinter „The Savage Empire“ wenig mit „Ultima“ zu tun hatte, merkt man freilich dennoch auf Schritt und Tritt. Bestes Beispiel: Der oben genannte Jimmy Malone arbeitet für das fiktive „Ultimate Adventures“-Magazin. Diese Vorstellung ist für die 1990er, in denen es solche Zeitschriften seit Jahrzehnten nicht mehr gab, per se schon abstrus. Dass er dann auch noch aussieht und spricht, wie es Reporter ein halbes Jahrhundert vor der Rahmenhandlung getan haben mögen, setzt den Merkwürdigkeiten die Krone auf. Und warum die altgedienten Gefährten Iolo, Shamino und Dupre mit leicht veränderten Namen in „The Savage Empire“ vorkommen, fragt man sich auch – aufgelöst wird dieses Geheimnis übrigens nicht.

Interessanterweise hat all das in der zeitgenössischen Presse relativ wenig Beachtung gefunden. Ich glaube fast, dass solche Zusammenhänge damals noch keine derart große Rolle gespielt haben, wie sie es heute tun, was eventuell auch mit der Verbreitung des Internets zu tun haben mag – aber das zu erörtern, würde hier bei weitem den Rahmen sprengen. Daher möchte ich diesen Exkurs nun beenden, ich wollte die angesprochene Problematik aber nicht unter den Tisch fallen lassen, weil ich das für einen bemerkenswerten Aspekt von „The Savage Empire“ halte, der in unterschiedlicher Ausprägung auch bei „Martian Dreams“ und den beiden „Ultima Underworld“-Teilen ein Problem ist.

Kann man mal machen.

Ich muss gestehen, dass ich ursprünglich wenig Interesse hatte, mich anno 2022 an „The Savage Empire“ zu versuchen. Zwar war ich von „Ultima VI“ sehr angetan, die Aussicht, mich erneut auf ein eventuell spannendes, gleichzeitig aber höchst umständlich zu bedienendes Spiel einzulassen, hat mich dennoch abgeschreckt. Zumal ich mir überhaupt nicht sicher war, ob mir Handlung und Spielwelt, beides weit weg vom üblichen „Ultima“-Programm, zusagen würden. Umgekehrt war ich aber auch neugierig, ob und wie sich die zweite Riege von Origin Systems schlagen würde. Das gab den Ausschlag – und ich habe es im Endeffekt nicht bereut, rund 16 Stunden mit diesem Spiel verbracht zu haben (um das ins Verhältnis zu setzen: für „Ultima VI“ habe ich über 55 Stunden gebraucht).

Klar ist aber auch, dass „The Savage Empire“ nicht für jede:n Spieler:in geeignet ist. Wer „Ultima“ komplett ernst nimmt, sollte die Finger davon lassen, denn das Spiel bricht nicht nur mit diversen Standards der Hauptserie, sondern ist stellenweise hochgradig albern. Damit muss man ebenso klarkommen wie mit dem doch recht stark reduzierten Rollenspielfeeling. Im Endeffekt könnte man sogar mit einiger Berechtigung behaupten, dass „The Savage Empire“ mehr Adventure als Rollenspiel ist (ad hoc kann ich mich z. B. nur an ganz wenige Levelaufstiege meiner Charaktere erinnern). Dem steht wiederum das häufige und kaum zu umgehende Kämpfen entgegen, das leider alles andere als ein Ruhmesblatt ist.

Doch auch, wenn das nun alles sehr negativ geklungen hat, möchte ich abschließend festhalten, dass „The Savage Empire“ kein mieses Spiel ist, speziell auch im Angesicht der übermächtigen Konkurrenz aus dem eigenen Haus. Es geht auch heute noch erstaunlich gut von der Hand, es erzählt eine schöne Geschichte – und es hat einen nicht zu unterschätzenden Trash-Charme, der nicht (nur) seinem Alter, sondern auch seinem Inhalt geschuldet ist. Ich denke, das konnte man damals als Origin mal so machen – und als Spieler:in kann man sich ebenso getrost daran versuchen, wenn man auch nur einen Funken Interesse (entweder an „Ultima“ im Allgemeinen oder am Pulp-Setting im Besonderen) aufbringt.

PS: „Ultima“-Rechteinhaber Electronic Arts hat das Spiel bereits 2012 freigegeben. Bei GOG.com erhält man es, genau wie den Nachfolger „Martian Dreams“, gratis. Einem Testlauf steht also wirklich nichts im Wege.

Gesamteindruck: 4/7


Genre: Rollenspiel
Entwickler:
Origin Systems
Publisher: Origin Systems
Jahr:
1990
Gespielt auf: PC


Screenshots aus „Worlds of Ultima: The Savage Empire“ – Copyright beim Entwickler!

FilmWelt: Jadotville

„Jadotville“ behandelt eine Episode, die aus heutiger Sicht eher eine Fußnote ist. Das ist freilich relativ: Jenes Scharmützel der Kongo-Krise hätte vor dem Hintergrund des Kalten Krieges gut und gern katastrophale Auswirkungen bis hin zum Weltkrieg haben können. Diese großen Zusammenhänge sind allerdings nicht das primäre Thema von „Jadotville“. Der Film konzentriert sich vielmehr auf eine kleine Einheit irischer Soldaten, die 1961 zum Spielball im Konzert der Mächtigen geworden sind.

Gesamteindruck: 4/7


Eine vergessene Schlacht.

„Jadotville“ basiert auf wahren Ereignissen, die im Buch „The Siege of Jadotville: The Irish Army’s Forgotten Battle“ (Declan Power, 2005) beschrieben werden. An dessen Titel ist schon zu erkennen, dass jene Ereignisse, die sich im September 1961 abspielten, kaum internationale Beachtung fanden. Aber auch und speziell in Irland war der Einsatz im fernen Südafrika lange ein Thema, über das maximal hinter vorgehaltener Hand gesprochen wurde. Über die Gründe gibt es verschiedene Spekulationen – vor allem dürften Politiker und Armeeführer jedoch wenig begeistert darüber gewesen sein, dass sich die irischen Soldaten nach tapferer Gegenwehr schließlich doch ergeben mussten und in Gefangenschaft gerieten. Diese im Sinne seiner Männer durchaus vernünftige Entscheidung des Kompaniekommandanten mag auch ein willkommener Anlass gewesen sein, von Fehlern auf höherer Ebene abzulenken.

Worum geht’s?
Im Rahmen der Kongo-Krise entsendet die UNO Anfang der 1960er Jahre ein Kontingent Blauhelme nach Afrika. Darunter auch eine Kompanie irischer Soldaten, die, weit entfernt von der UN-Basis, nahe der Stadt Jadotville (heute: Likasi), in Stellung gehen. Eine Reihe von Missverständnissen und schlechte Planung führen bald zu Kampfhandlungen, bei denen die unerfahrenen Iren einer vielfach überlegenen Streitmacht aus kriegserprobten Söldnern gegenüberstehen. Hilfe ist aus politischen Gründen nicht zu erwarten, daher stellen sich Kommandant Pat Quinlan und seine 150 Mann dem Gegner mit dem Mut der Verzweiflung entgegen…

Das Thema, das „Jadotville“ behandelt, ist ausgesprochen komplex. Zumindest in Wirklichkeit – das Geschehen auf der Leinwand spiegelt die diffizilen politischen Ursachen und Zusammenhänge nur sehr bedingt wider. Das ist durchaus nachvollziehbar, weil es den Rahmen gesprengt hätte, die Hintergründe genauer und dennoch spannend herauszuarbeiten. Wer sich dafür interessiert, muss also selbst recherchieren; mich persönlich hat „Jadotville“ jedenfalls tatsächlich dazu gebracht, mich mit einem Konflikt auseinanderzusetzen, von dem ich bis dahin noch nie etwas gehört hatte; ob und wieviel man hier investieren möchte, ist freilich jedem selbst überlassen. Anmerkung: Der Film funktioniert zwar auch ohne Kenntnis der historischen Ereignisse einigermaßen, aus meiner Sicht ist es jedoch von Vorteil, wenn man sich zumindest einen groben Überblick verschafft (um die Handlungsweise einzelner Figuren halbwegs nachvollziehen zu können).

Wie schwierig es gewesen sein muss, einen Kompromiss zwischen umfassender, historisch belegter Authentizität und gleichzeitiger Zugänglichkeit für ein größeres Publikum zu finden, zeigt sich meines Erachtens an den Charakteren: „Jadotville“ trennt relativ strikt zwischen sympathischen Identifikationsfiguren und planlosen Bürokraten, die ganz klar als Antagonisten gezeichnet sind. Heißt: Die Trennlinie zwischen Helden und Schurken verläuft nicht – wie man es erwarten würde – zwischen den irischen Soldaten und ihren Gegnern auf dem Schlachtfeld (im Gegenteil, vor allem der französische Söldnerführer Rene Faulques wird durchaus respektvoll dargestellt). Zum quasi-Bösewicht wird stattdessen speziell die mit der Situation völlig überfordert wirkende UNO, repräsentiert durch den Iren Conor Cruise O’Brien und den schwedischen Generalsekretär Dag Hammarskjöld, stilisiert. Dazu sei am Rande erwähnt, dass der Film die komplexen Hintergründe, denen die handelnden Personen unterworfen sind, immerhin andeutet, gerecht wird er ihnen meines Erachtens jedoch nicht.

Temporeich inszeniert.

Im Endeffekt lebt „Jadotville“ von seiner gut inszenierten und temporeichen Action. Die Kampfszenen, in der sich die irische Kompanie ihrer überlegenen Gegner erwehrt, sind meines Erachtens tatsächlich die größte Stärke des Films, wobei man monieren könnte, dass sie sich auf Dauer stark ähneln und daher ein gewisser Abnutzungseffekt eintritt. Ob das dem Wunsch nach Authentizität geschuldet ist, wage ich nicht zu beurteilen, bei mir als Zuseher ist die Wirkung mit Fortdauer des Films jedoch zusehends verpufft. Wahrscheinlich wäre das anders gewesen, wenn die Zwischensequenzen, die zeigen, was sich auf politischer Ebene abspielt, ein Quäntchen besser gewesen wären. Nicht falsch verstehen: Sie sind alles andere als schlecht – aber ich glaube, an dieser Stelle hätte „Jadotville“ etwas mehr Tiefgang gut getan.

Was man auch ganz klar festhalten muss: „Jadotville“ hinterfragt seine durchaus brutalen Kampfhandlungen, bei denen es zahlreiche Tote gibt, nicht unmittelbar. Kritik äußert der Film letzten Endes „nur“ gegenüber jenen Mächten, die zunächst mit Menschenleben spielen und danach ihren Dilettantismus nicht zugeben wollen. Leider muss man aber sagen, dass auch diese Ansätze bei weitem nicht so deutlich sind, wie ich es mir gewünscht hätten. Das liegt wiederum am Drehbuch, das seinen Fokus woanders hat – aber auch an den Dialogen, bei denen es viel Luft nach oben gibt.

Dass der Zwiespalt zwischen den Entscheidungsträgern und der Truppe vor Ort relativ prominent thematisiert wird, zieht letzten Endes sogar die Frage nach sich, ob es Sinn der Sache ist, dass man als Zuschauer:in am Ende der UNO skeptischer gegenüber steht, als den Söldnern, die ja wahrlich keine Engel waren. So oder so erfüllt „Jadotville“ den wichtigen Zweck, eine breitere Öffentlichkeit über die damaligen Geschehnisse aufzuklären. Inwiefern er sich dabei an die Tatsachen hält und was im Sinne der Dramaturgie zurechtgebogen wurde, weiß ich nicht – das würde hier aber auch zu weit führen. Sehenswert ist die irisch-südafrikanische Produktion allemal, ich würde aber durchaus weiterführende Lektüre empfehlen, um einen umfassenderen Eindruck zu dieser komplexen Materie zu erhalten.

Gesamteindruck: 4/7


Originaltitel: The Siege of Jadotville.
Regie:
Richie Smyth
Drehbuch: Kevin Brodbin
Jahr: 2016
Land: Irland, Südafrika
Laufzeit: ca. 110 Minuten
Besetzung (Auswahl): Jamie Dornan, Mark Strong, Mikael Persbrandt, Jason O’Mara, Danny Sapani



FilmWelt: The Midnight Sky

Dass George Clooney einer der größten Stars ist, die Hollywood in den vergangenen 30 Jahren hervorgebracht hat, belegen u. a. zahlreiche Auszeichnungen, darunter bisher zwei Oscars und vier Golden Globes. Und auch, wenn man über deren Bedeutung trefflich streiten kann, finde ich, dass unser Mann die Anerkennung durchaus verdient hat. In „The Midnight Sky“ (2020) versucht sich Clooney als Regisseur – nicht zum ersten Mal, wohlgemerkt; dass er zugleich auch die Hauptrolle übernimmt, ist hingegen eine Premiere. Ob der „Sexiest Man Alive“ von 1997 und 2006 die Doppelbelastung meistert (oder woran es hapert), versuche ich im Folgenden herauszuarbeiten.

Gesamteindruck: 3/7


Wenn die Endzeit zur Geduldsprobe wird.

Ich mag Endzeit- und Katastrophenfilme, ich mag Raumschiffe – und ich mag George Clooney, sieht man von seinen Auftritten als Testimonial für einen bekannten Hersteller von Kapselkaffee ab. Perfekte Voraussetzungen also für „The Midnight Sky“? Theoretisch ja, in der Praxis sieht es leider etwas anders aus. Dabei wollte ich diesen Film, der auf dem Roman „Good Morning, Midnight“ (2016, Lily Brooks-Dalton) wirklich mögen. Leider haben es mir sowohl Hauptdarsteller als auch Regisseur ausgesprochen schwer gemacht.

Worum geht’s?
Nach einer globalen Katastrophe musste sich die Menschheit im Jahr 2049 in unterirdische Bunker zurückziehen. Einer der wenigen, die an der tödlich verseuchten Oberfläche geblieben sind, ist der unheilbar kranke Astronom Augustine Lofthouse. Von einer arktischen Wetterstation aus versucht er, mit dem Raumschiff „Aether“ Kontakt aufzunehmen, das gerade von einer zweijährigen Forschungsmission zum lebensfreundlichen Jupiter-Mond „K 23“ zurückkehrt. Lofthouse möchte die Crew vor der Situation auf der Erde warnen und zur Umkehr bewegen – und das nicht ganz uneigennützig, denn an Bord ist die Astronautin Sullivan, zu der er eine ganz besondere Verbindung hat…

Ich sage es entgegen meiner Gewohnheit ganz ohne Umschweife: „The Midnight Sky“ ist kein Film, den man unbedingt gesehen haben muss. Für dieses harsche Urteil gibt es meiner Ansicht nach mehrere Gründe. Der offensichtlichste davon: George Clooney räumt seiner eigenen Rolle mehr Platz ein, als gut für beide (also den Film und Clooney selbst) ist. Dieses Gefühl hat mich bereits während der ersten halben Stunde von „The Midnight Sky“ beschlichen: Zunächst macht der gesamte Aufbau des Films einen langwierigen und umständlichen Eindruck, was die Lust, die Hauptfigur kennenzulernen, von Anfang an bremst. Mag auch sein, dass man im Prinzip ohnehin sofort erkennt, mit welcher Art von Charakter man es zu tun hat – so oder so startet „The Midnight Sky“ meiner Meinung nach mit mit einem Malus. Mit zunehmender Dauer zeigt sich jedoch immer deutlicher, dass das Problem tatsächlich der gesamte Handlungsstrang ist, in dem Clooney die Hauptrolle spielt.

Einerseits liegt das wohl am Drehbuch, das mit schwer dechiffrierbaren Rückblenden arbeitet, was dem Publikum mehr Konzentration abverlangt, als man anhand der Story erwarten sollte. Andererseits ist es tatsächlich der Hauptdarsteller selbst, aber auch der von ihm verkörperte Charakter, der „The Midnight Sky“ ein Bein stellt. Das soll nun nicht heißen, dass Clooney die Rolle des alternden, kranken Forschers, der sich Einsamkeit und Naturgewalten stellen muss, per se schlecht spielt. Nur lässt er sich selbst geradezu inflationär in Posen auftreten, die vermutlich nachdenklich und tiefgründig wirken sollen, in Wirklichkeit jedoch schreien: „Seht her, wie tragisch das alles ist! Der arme Kerl ist krank und hatte außerdem eine schwierige Beziehung und versucht nun, wenigstens die letzten Reste der Menschheit zu retten!“. Und so schleppt sich ein schwer gezeichneter Clooney durch die – übrigens nahezu perfekt fotografierte – Szenerie, ohne dass man jemals das Gefühl hat, sein Leiden würde zu irgendetwas führen, das über den reinen Selbstzweck hinausgeht.

Dem Altstar steht in der Arktis (gefilmt wurde vorwiegend auf Island) ein junges Mädchen zur Seite. Ansatzweise lässt der Film die übliche Dynamik aus dieser Situation (nach einigem Hin & Her raufen sich der brummige, nörgelnde Einzelgänger und sein ungleiches Gegenüber doch noch zusammen) zwar erkennen, fraglich ist jedoch, ob das Publikum diese wenig überraschende Konstellation überhaupt noch sehen will. In „The Midnight Sky“ ist aber selbst diese eigentlich klassische Beziehung viel zu schwerfällig, weil das Mädchen über weite Strecken völlig stumm ist. Damit kann sich über den Dialog natürlich keine interessante Dynamik entwickeln, im Gegenteil, ich fand es als Zuseher höchst frustrierend, wie Lofthouse ständig erfolglos versucht, die Kleine aus der Reserve zu locken. Auch hier hat der Film somit ordentlich Sand im Getriebe, und macht die Identifikation mit beiden Figuren unnötig schwer.

Im Weltraum ist alles besser.

Dass „The Midnight Sky“ nicht komplett abstinkt, ist meiner Meinung nach dem zweiten Handlungsstrang zu verdanken. Dafür gibt es – wieder einmal – vor allem zwei Gründe: Erstens besteht die Besatzung aus fünf Personen, was eine entsprechende Dynamik erzeugt. Ich will nun nicht sagen, dass das Beziehungsgeflecht an Bord der „Aether“ ein Ausbund an Kreativität ist – ehrlich gesagt ist das Gegenteil der Fall, auch diese Charaktere und ihr Wechselsspiel miteinander sind ziemlich vorhersehbar. Es ist im Vergleich zum Rest des Films aber schlicht und einfach ein Genuss, Figuren zu beobachten, die miteinander sprechen und gemeinsam an Problemlösungen arbeiten.

Der zweite Grund hat mit dem Umfeld an sich zu tun: Die Schwierigkeiten, die sich aus einem Raumflug ohne Kontakt zur Missionskontrolle ergeben, die Entscheidungen, die zu treffen sind, die Gefahren, wenn etwas schiefgeht (und das tut es natürlich!) – all das macht diesen Teil des Films jeder Szene mit George Clooney überlegen. Anmerkung am Rande: Weltraum und Schiff sehen sehr gut aus und bestätigen die hervorragende Optik, die der Film in den Szenen auf der Erde angedeutet hat.

Logikfehler, Unwahrscheinlichkeiten, schwaches Drehbuch.

Meine übrigen Kritikpunkte in Kurzfassung: „The Midnight Sky“ hat Logikfehler, beispielsweise heißt es irgendwann klar, dass man keinesfalls ohne Maske an die frische Luft darf – weite Teile des Films verbringen beide Charaktere aber dennoch ohne Maske im arktischen Schnee. Dazu kommen Unwahrscheinlichkeiten wie eine von Krankheit geschwächte Hauptfigur, die es aber problemlos überlebt, mehrere Minuten im eiskalten Wasser zu treiben. Überhaupt ist es fast schon unfreiwillig komisch, wie eine Katastrophe die nächste jagt, fast, als hätte Clooney selbst gemerkt, dass der Film ansonsten viel zu statisch ist. Nur ist diese Auflockerung ohne Sinn und Verstand auch nicht dazu angetan, die Qualität zu heben. Und, last but not least: Das Finale ist unwahrscheinlich langatmig geraten und zieht sich gefühlte Ewigkeiten hin. Überhaupt hätte „The Midnight Sky“ eine 90-minütige Laufzeit besser zu Gesicht gestanden, aber das führt jetzt wohl zu weit.

Im Endeffekt muss ich konstatieren, dass mir abseits der schönen Bilder relativ wenig an vorliegendem Werk gefallen hat. Am ehesten konnte mich noch die technische Seite der Story überzeugen, darunter vor allem die Frage, nach den Möglichkeiten der Kursumkehr des Raumschiffs. Leider bleibt der Film in dieser Hinsicht eher vage, was für mich eine der größten Enttäuschungen war. Überhaupt dominierte bei mir im Nachgang das Gefühl, „The Midnight Sky“ hätte sich aus verschiedenen Themen, die er hätte erzählen können, die Uninteressantesten herausgepickt: Die Frage nach der Art der Katastrophe bleibt ungeklärt, was mit einer möglichen Kolonie auf dem Jupitermond passiert, erfahren wir nicht, wie es den Besatzungsmitgliedern ergeht, die sich trotz allem für eine Rückkehr zur Erde entscheiden, bleibt offen.

Meine Vermutung ist allerdings, dass der Film qualitativ auch nicht besser gewesen wäre, wenn er einen dieser Aspekte beleuchtet hätte (zumal ich ohnehin vermute, dass die Buchvorlage das auch gar nicht hergibt). Denn: Das Problem ist augenscheinlich nicht die Geschichte selbst, sondern deren Umsetzung. Schade – aber mehr als sehr großzügige 3 Punkte sind für „The Midnight Sky“ damit nicht drin.

Gesamteindruck: 3/7


Originaltitel: The Midnight Sky.
Regie:
George Clooney
Drehbuch: Mark L. Smith
Jahr: 2020
Land: USA
Laufzeit: ca. 120 Minuten
Besetzung (Auswahl): George Clooney, Felicity Jones, Caoilinn Springall, David Oyelowo, Kyle Chandler



FilmWelt: Zwei

Man fragt sich immer mal wieder, welche Gedanken Schauspieler:innen durch den Kopf gehen, wenn sie ein Drehbuch wie jenes von „Zwei“ (2021) in die Hände bekommen. Zu vorliegendem Fall ist hier etwas zu lesen – geht es danach, dürfte Marina Gatell deutlich geringere Probleme mit dem Plot gehabt haben, als ich vermutet hätte. In einer einzigartigen Situation waren sie und ihr Filmpartner Pablo Derqui aber mit Sicherheit.

Gesamteindruck: 3/7


Yin und Yang.

Die spanische Produktion „Zwei“ ist eines jener minimalistischen Kammerspiele, die von „Cube“ (1997) inspiriert sind: Menschen, die sich nicht kennen, werden in eine vermeintlich ausweglose Situation gebracht, vorzugsweise ohne zu wissen, aus welchen Gründen. Dazu kommt – ebenfalls ganz klassisch – eine Prise Body-Horror und die Beschränkung auf einen möglichst minimalistischen Handlungsort. In vorliegendem Fall ist das durchaus wörtlich zu nehmen: Gefühlte 99 Prozent der Handlung spielen in einem einzigen Raum.

Worum geht’s?
Ein Mann und eine Frau, die sich nicht kennen, erwachen in einem kleinen Zimmer. Sie liegen nackt im Bett, wissen nicht, wie sie dorthin gekommen sind – und stellen schnell fest, dass das gar nicht ihr größtes Problem ist. Sie wurden am Bauch zusammengenäht und sind nicht in der Lage, sich voneinander zu trennen. So bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich auf der Suche nach Hinweisen eng aneinander geschmiegt durch den Raum zu tasten (und unter schmerzhaften Verrenkungen auf die Toilette zu gehen)

Ich muss gestehen, dass ich von „Zwei“ anfangs ziemlich angeekelt war. Nicht, dass ich etwas gegen nackte Körper hätte – aber die Vorstellung, mir würde das passieren, was den Protagonisten widerfährt, sorgte während der ersten 15, 20 Minuten des Films für echtes Unbehagen. Durchaus überraschend, denn eigentlich ist „Zwei“ ein Streifen, der weitgehend auf plakative Effekthascherei verzichtet. Die Körperregion, an der die Protagonisten zusammengenäht sind, sieht man nur angedeutet und auch sonst gibt es wenig von dem, was man normalerweise als „eklig“ bezeichnen würde (abgesehen von einem sich ablösenden Fingernagel). Es muss also der Gedanke an die Situation als solche sein, der das Unwohlsein bei mir ausgelöst hat.

Zur Handlung von „Zwei“ gibt es im Endeffekt nicht viel zu sagen, unterscheidet sie sich doch kaum von dem, was ähnliche Filme zur Disposition stellen: Die Protagonisten versuchen, anhand verschiedener Hinweise und durch das Gespräch miteinander zu ergründen, wie sie in ihre verzwickte Lage geraten sind. Mittelfristig ist das Ziel, zu entkommen – auch das ist nichts, was in irgendeiner Weise überrascht. Dennoch: „Zwei“ kann, zumindest über einen Teil der Laufzeit, in Sachen Intensität und Atmosphäre punkten. Das liegt vor allem an den Charakteren, die sehr unterschiedlich sind, was naturgemäß zu Spannungen führt. Dass man sich nach einem Streit nicht einfach umdrehen und in eine andere Ecke gehen kann, macht dabei einen Gutteil des Reizes aus.

An dieser Stelle kann und sollte man das in zweierlei Hinsicht beeindruckende Schauspiel von Marina Gatell und Pablo Derqui erwähnen: Erstens muss es rein physisch schwierig gewesen sein, den Zustand, in dem sich ihre Rollen befinden, darzustellen – allein der Gang zur Toilette ist eine akrobatische Leistung. Dass die beiden in dieser intimen Nähe praktisch durchgehend völlig nackt sind, wird die Sache auch nicht einfacher gemacht haben. Zweitens gelingt es beiden, die Emotionen ihrer Charaktere in diesem beengten Szenario glaubhaft rüberzubringen – seien es gelegentliche Panikattacken, Wutanfälle oder sich vom Gegenüber abgestoßen zu fühlen. Die Chemie zwischen Gatell und Derqui scheint jedenfalls gestimmt zu haben, was wohl der Grund ist, wieso mich ihr Zusammenspiel in „Zwei“ nachhaltig beeindruckt hat.

Stupides Finale.

Leider gibt es nicht viel mehr Positives über den Film zu sagen. Schade eigentlich, denn neben der schauspielerischen Leistung wissen auch der Aufbau bzw. die Prämisse durchaus zu überzeugen. Mich stört auch die in manchen Rezensionen vorgebrachte Kritik, der Film würde zu wenig erklären, kaum – auch in „Cube“ erfuhr man nie, wie die Protagonisten überhaupt in ihre Situation gekommen waren.

Genau an dieser Stelle scheitert „Zwei“ letzten Endes jedoch: Solange man als Zuseher:in so gut wie nichts weiß, ist noch alles in Ordnung. Man ist positiv neugierig, rätselt und leidet mit – bis sich dann, im letzten Drittel, tatsächlich herausstellt, was hinter alledem steckt. Und das ist, gelinde gesagt, hanebüchen. Oder, nicht ganz so gelinde: Kompletter Schwachsinn. Wer der Täter ist, macht für sich genommen schon relativ wenig Sinn, zumal gerade durch seine Enttarnung plötzlich doch fraglich wird, wie er seine Tat überhaupt durchführen konnte. Noch schlimmer ist aber die Begründung für den ganzen Zirkus – die ist dermaßen grotesk und sinnlos, dass spätestens an dieser Stelle auch duldsame Zuschauer:innen abwechselnd ihre Haare raufen und ungläubig das Haupt schütteln dürften.

Mit einer Laufzeit von etwas über 70 Minuten ist „Zwei“ ungewöhnlich kurz. Kein Fehler – ich vermute fast, dass sich die Regisseurin der eher dünnen Handlung bewusst war und ihr Werk daher nicht künstlich in die Länge ziehen wollte. Respekt vor dieser Entscheidung (so sie denn aus diesem Grund gefällt wurde), das ist etwas, das anderen Filmemacher:innen gelegentlich auch gut zu Gesicht stehen würde. Leider rettet diese schöne Kompaktheit „Zwei“ ob seines Finales nicht – sie sorgt aber letztlich zumindest für versöhnliche 3 Punkte. Hätte der Film länger gedauert, wären es wohl maximal 2 gewesen.

Gesamteindruck: 3/7


Originaltitel: Dos.
Regie:
Mar Targarona
Drehbuch: Cuca Canals, Christian Molina, Mike Hostench
Jahr: 2021
Land: Spanien
Laufzeit: ca. 70 Minuten
Besetzung (Auswahl): Marina Gatell, Pablo Derqui, Kandido Uranga



FilmWelt: Cargo

Der Zombiefilm ist ein Genre, das sich seit Jahrzehnten nicht versiegen wollenden Nachschubs an Material erfreuen darf. Neben der Güte von Effekten und Drehbüchern stellt sich ob der unüberschaubaren Auswahl allerdings vor allem eine zentrale Frage: Fügt ein Film diesem klassischen Thema einen neuer Aspekt hinzu? Davon hängt der Unterhaltungswert der (Post)-Apokalypse zwar nicht zwangsläufig ab – dennoch freut sich der geneigte Fan, gleich einer/einem sabbernden Untoten, über jedes bisschen Frischfleisch, das von findigen Regisseur:innen in die Arena geworfen wird.

Gesamteindruck: 4/7


Ein Mann und ein Baby.

„Cargo“ (2017) ist ein eher ruhiger Vertreter seines Genres. Vom sonst so gern gezeigten Chaos, von Plünderungen und Gewalt, die den Anfang vom Ende der Zivilisation einleiten, ist hier nichts zu sehen. Im Gegenteil, das postapokalyptische Australien ist zunächst vergleichsweise friedlich: Man fährt mit dem Hausboot den Fluss hinunter, wirft die Angel aus, winkt einer Familie zu oder holt sich Vorräte von einem gestrandeten Kahn. Dass das nicht lange gut gehen kann, liegt auf der Hand – doch auch wenn „Cargo“ zu gelegentlichen Ausbrüchen neigt, bleibt der Film primär nahe an den persönlichen Emotionen seiner Charaktere und nimmt sich Zeit für eine Erzählung, die mehr Drama als Action beinhaltet.

Worum geht’s?
48 Stunden – so lange dauert es, bis man sich nach dem Biss einer infizierten Person in eine willenlose Kreatur verwandelt, die sich vom Fleisch anderer Menschen ernährt. Es sind also denkbar ungünstige Umstände, unter denen Andy und seine Frau Kay nach Ausbruch einer mysteriösen Seuche versuchen, ihre kleine Tochter Josie zu beschützen. Als Kay sich ansteckt, muss Andy eine Entscheidung treffen – und beschließt wider besseres Wissen, sich nicht von ihr zu trennen. Kurz darauf bereut er diesen Schritt, aber es ist zu spät: Er wurde gebissen, eine Heilung gibt es nicht; Andy hat nun 48 Stunden Zeit, die hilflose Josie in einem Australien, in dem nur das Recht des Stärkeren gilt, in gute Hände zu geben…

Ich weiß nicht, wie oft der Begriff „Zombies“ im Allgemeinen in Genrebeiträgen genannt wird. Heute scheint es mir geradezu verpönt zu sein, ihn zu benutzen – und „Cargo“ bildet in dieser Hinsicht keine Ausnahme, indem vor allem von Infizierten gesprochen wird. Es gibt jedoch ein anderes Alleinstellungsmerkmal (oder zumindest einen Aspekt, der bisher noch nicht bis zum Umfallen ausgereizt wurde): Der Film konzentriert sich überhaupt nicht auf die Infizierten, die man auch relativ selten deutlich zu Gesicht bekommt. Das Finden eines Heilmittels, der Kampf um die knappen Ressourcen oder große, gesellschaftliche Umwälzungen sind ebenfalls kein Thema. Es geht in „Cargo“ vielmehr darum, wie eine Familie mit einer tödlichen Krankheit, vor der es kein Entrinnen gibt, umgeht. Was nicht heißen soll, dass es überhaupt keine Zombie- oder sonstige Action gibt; sie steht allerdings nicht im Mittelpunkt der Handlung. Wir haben es hier also mit einem etwas „anderen“ Film zu tun haben, der Liebhaber geradliniger und blutiger Action vermutlich enttäuschen wird.

Normalos als Protagonist:innen.

Die Figuren in Zombiefilmen sind meist Actionheld:innen oder charismatische Anführer:innen, gerne auch beides in Personalunion. Anders in „Cargo“: Hier stellt sich das unwahrscheinlichste Wesen, das man sich vorstellen kann… Naja, schlechter Gag. Jedenfalls spielt Martin Freeman die Hauptrolle in dieser australischen Produktion – und er ist hier natürlich nicht der Hobbit. Wer die umstrittene Trilogie von Peter Jackson kennt, mag sich allerdings schwer tun, den ernsthaften Schauspieler Freeman komplett von seiner Rolle als Bilbo Beutlin zu trennen. Ich gebe zu, dass ich abseits jener Mammut-Produktion und der Serie „Sherlock“ (2010-2017) wenig von unserem Mann gesehen habe – es ist aber nicht zu übersehen, dass er sich in „Cargo“ häufig seiner Auenland-Mimik bedient, was zwar sympathisch ist, es aber gelegentlich schwer macht, ihm vorliegendes Drama abzunehmen. Wer darüber hinwegsehen kann, bekommt in „Cargo“ aber einen über weite Strecken glaubhaften und stark aufspielenden Martin Freeman zu sehen. An ihm liegt es meines Erachtens jedenfalls nicht, dass vorliegender Film international nicht allzu viel Beachtung gefunden hat.

Am restlichen Cast auch nicht, wobei man im Wesentlichen nur zwei Figuren hervorzuheben braucht (der Rest hat relativ wenig Screentime, sieht man vom Baby ab): Anthony Hayes gibt eine Art australischen Redneck, einen echten Kotzbrocken, der vor keiner Grausamkeit zurückschreckt, um auch in der Postapokalypse seinen Willen zu bekommen. Höchst unsympathisch – also auch gut gespielt, würde ich sagen. Und dann gibt es da noch die von Simone Landers dargestellt Thoomi, die der Hauptfigur im Laufe des Films als Führerin zu einem Stamm von australischen Ureinwohner:innen dient. Auch sie macht ihre Sache gut, sodass in Hinblick auf die Besetzung wenig an „Cargo“ zu kritisieren ist. Es sei denn, man hätte grundsätzlich ein Problem mit einer Kinderrolle, die auch mal ein wenig nerven kann. Ich persönlich fand diesen Charakter allerdings sehr passend umgesetzt.

Anders.

Der Rahmen von „Cargo“ unterscheidet sich auf den ersten Blick gar nicht so sehr von anderen Filmen dieser Art: Ein Mann versucht, einen sicheren Ort für sich und seine Tochter zu erreichen und trifft dabei auf verschiedenen Charaktere, die ihm mal mehr, mal weniger freundlich gesinnt sind. Soweit so klassisch, wozu auch passt, dass die Hauptfigur ihre moralische Überlegenheit voll und ganz ausspielen darf. Und doch: Trotz Verwendung bekannter Versatzstücke fühlt sich „Cargo“ insgesamt anders an. Es ist wohl die Konzentration auf Einzelschicksale, die den Titel von der Konkurrenz abheben. Jeder der wenigen Charaktere im Film ist individuell ausgestaltet (freilich nicht alle gleichermaßen ausführlich), was schon einen Unterschied zu jenen Beiträgen macht, die auf Masse statt Klasse setzen, was ich im Übrigen nicht zwangsweise negativ finde.

Was außerdem positiv auffällt: „Cargo“ endet für die Hauptfigur nicht gut, was ein durchaus überraschender Effekt ist (das Finale ist übrigens eine interessante Mischung aus witzig und traurig). Ich könnte mich ad hoc nicht erinnern, das schon mal in diesem Ausmaß gesehen zu haben (ausgenommen „The Walking Dead“, das als Serie aber ganz anders mit den Figuren umgehen kann). Und: Es wird ein Bezug zu den australischen Ureinwohnern hergestellt, die es offenbar als eine von ganz wenigen Gruppen schaffen, den Infizierten zu trotzen, indem sie sich ihrer eigenen, von den Weißen unverstandenen Traditionen bedienen. Auch, wenn das nicht ganz schlüssig erklärt wird, hat mir dieser Aspekt ebenfalls gut gefallen.

Woran hapert es dann eigentlich? Ehrlich gesagt fällt es mir schwer, das zu benennen. „Cargo“ sieht gut aus, hört sich gut an, ist eigenständig genug und hat einen sympathischen Hauptdarsteller. Leider hat mich der Film dennoch nicht sonderlich gut unterhalten; er hat seine Längen und leidet stellenweise unter faden Dialogen. Dass er wenig Hintergrund zur Katastrophe selbst bietet, ist ebenfalls ein Problem – kein grundsätzliches, weil ein solcher Film das eigentlich auch gar nicht machen muss. Nur müsste dann seine individuelle Erzählung voll und ganz überzeugen, was sie aber nicht tut: Der rote Faden kommt mir ganz dünn vor, wie Butter auf zu viel Brot verstrichen (noch ein blöder Gag, ich weiß). Vielleicht ist das auch einmal mehr ein Beweis dafür, dass es nur in den seltensten Fällen gelingt, ein Konzept für einen Kurzfilm (denn auf einem solchen basiert vorliegender Titel) auf abendfüllende Länge aufzublasen. Die Folge: Trotz guter Ansätze gibt es leider nur eine durchschnittliche Wertung für „Cargo“.

Gesamteindruck: 4/7


Originaltitel: Cargo.
Regie:
Ben Howling, Yolanda Ramke
Drehbuch: Yolanda Ramke
Jahr: 2017
Land: Australien
Laufzeit: ca. 100 Minuten
Besetzung (Auswahl): Martin Freeman, Anthony Hayes, Simone Landers, Susie Porter



FilmWelt: Der Untergang

Ich glaube, eine Bewertung von „Der Untergang“ (2004) sollte in zwei Aspekte zerfallen: Auf der einen Seite steht die Beurteilung von Inszenierung, schauspielerischer Leistung und Atmosphäre. Gleichzeitig ist zu überlegen, ob Regisseur Oliver Hirschbiegel und Drehbuchautor Bernd Eichinger († 2011) es geschafft haben, ihren eigenen und immer wieder betonten Anspruch an Authentizität gerecht zu werden. All das auch – und gerade weil – der Film im Unterricht gern als Anschauungsmaterial herangezogen wird.

Gesamteindruck: 6/7


Das Ende eines dunklen Kapitels.

Dass „Der Untergang“ den Nimbus hat, die bis dato exakteste Annäherung an die letzten Tage des NS-Regimes zu sein, die einem Spielfilm gelungen ist, kommt nicht von ungefähr. Weite Teile des Films basieren primär auf der Schilderung von Zeitzeug:innen, die die jeweiligen Szenen im Frühling 1945 tatsächlich miterlebt haben. Daraus erklären sich auch die unterschiedlichen Perspektiven – und warum die Kamera beispielsweise keiner Einzelperson hinter verschlossene Türen folgt. Heißt: Wenn sich beispielsweise Hitler allein in seine Privatgemächer zurückzieht, weiß man als Zuseher:in nicht, was der Diktator dort tut – eben weil niemand dabei war, der einen Augenzeug:innenbericht hätte liefern können. Eine interessante Herangehensweise (die leider nicht komplett durchgezogen wurde), die im ersten Moment gewöhnungsbedürftig klingt. Im Endeffekt ist es Regisseur Oliver Hirschbiegel jedoch gelungen, den Film weitgehend wie aus einem Guss wirken zu lassen.

Worum geht’s?
Im April 1945 liegen weite Teile Deutschlands in Trümmern. Die Alliierten rücken auf Berlin vor und ziehen den Kreis um die nationalsozialistische Führung immer enger. Trotz völlig aussichtsloser Lage weigert sich Diktator Adolf Hitler jedoch, den Kampf aufzugeben und schickt immer neue Truppen in den sicheren Tod. Auch von einer Flucht aus der Hauptstadt will der „Führer“ nichts wissen – stattdessen verschanzt er sich gemeinsam mit hohen Militärs und anderen Vertrauten in seinem Bunker. Mittendrin auch seine Privatsekretärin Traudl Junge, die die letzten Tage des Dritten Reiches und seiner Führung aus nächster Nähe miterlebt…

Zum ersten der eingangs genannten Aspekte kann ich mich kurz fassen – und ich denke, dass sich die Kritik zumindest in dieser Hinsicht auch einig ist: Oliver Hirschbiegel schafft in „Der Untergang“ scheinbar mühelos eine trostlose und von Wahnsinn durchsetzte Atmosphäre, die ihresgleichen sucht. Tatsächlich empfinde ich vorliegendes Werk, knapp hinter dem völlig anders gelagerten „Das Boot“ (1981), als einen der am stärksten inszenierten deutschsprachigen Titel zum 2. Weltkrieg. Sowohl Innen- als auch Außenaufnahmen hätte man meines Erachtens auch in Hollywood nicht besser hinbekommen können. „Der Untergang“ sieht einfach großartig aus: Die Enge des Bunkers, die zerstörten Straßenzüge, das Chaos des Häuserkampfes, die einschlagenden Granaten, die die Schutzräume erzittern lassen – all das wurde sehr passend und weitgehend ohne überbordende Effekthascherei umgesetzt. Auch Uniformen, Möbelstücke, Waffen usw. wirken authentisch, dazu kommen die grandiose Ausstattung, die gute Qualität der (seltenen) Szenen von der Front und ein Ton, der stärker zur Gesamtstimmung beiträgt, als man sich im ersten Moment bewusst ist. Chapeau dafür an alle Verantwortlichen!

Ein starker Hauptdarsteller.

Zur Verkörperung von Adolf Hitler durch den 2019 verstorbenen Bruno Ganz möchte ich folgendes festhalten: Ich erinnere mich ganz genau, wie ich 2004 aus dem Kino kam und plötzlich nicht mehr wusste, wie der reale Hitler ausgesehen hat – ich hatte nur mehr den Schauspieler aus der Schweiz (!) in dieser wohl herausforderndsten Rolle seines Lebens vor Augen. Ein merkwürdiges Kompliment, fürwahr – man muss aber sagen, dass Bruno Ganz hier auf geradezu unheimliche Art und Weise auftrumpft (wie sein Auftritt aus Sicht der Geschichtswissenschaft zu bewerten ist, ist freilich eine andere Frage). Er zeigt uns hier zwei Seiten des Diktators: Einerseits den wild gestikulierenden, schreienden und die Realität völlig verkennenden Führer, andererseits einen alten, kranken und ab und an sogar verletzlich wirkenden Mann. Einen Menschen – und kein Monster, was seine Taten aus meiner Sicht nur noch unbegreiflicher und schlimmer macht, auch wenn diese Darstellung ab und an Anlass zur Kritik am Film bietet. Das ändert aber meines Erachtens nichts an der herausragenden Leistung von Bruno Ganz.

Dass die anderen Darsteller:innen im Vergleich dazu eher ein Schattendasein führen, ist wenig überraschend. Hervorzuheben ist die Leistung von Corinna Harfouch und Ulrich Matthes, die die nicht minder schwierige Aufgabe haben, das Ehepaar Goebbels zu spielen. Für mich als interessierten Laien ist an dieser Stelle übrigens bemerkenswert, dass der Propagandaminister und seine Frau den zu dieser Zeit schon sehr gezeichneten Hitler in Sachen Brutalität und Kälte deutlich übertreffen – Magda Goebbels ist in dieser Hinsicht die wohl härteste Figur im ganzen Film, weil sich ihr Verbrechen, im Gegensatz zu denen ihres Mannes und der hohen Militärs, nicht gegen eine quasi-anonyme Masse, sondern gegen ihre eigenen Kinder richtet.

Der Rest des Casts ist gut, wenngleich nicht herausragend. Am besten hat mir Juliane Köhler gefallen, die eine völlig irrationale Eva Braun gibt, die ständig bemüht ist, eine Fassade aufrecht zu erhalten – sowohl nach außen hin als auch in ihrem eigenen Inneren. Und Alexandra Maria Lara als Traudl Junge? Ich denke, sie spielt das junge und naive Mädchen sehr passabel. Von der echten Traudl Junge stammen übrigens auch die ersten und letzten Sätze im Film, eingespielt per Interview, das im Jahr 2000 für die Doku „Im toten Winkel – Hitlers Sekretärin“ aufgenommen wurde. Vor allem der finale Einspieler ist durchaus versöhnlich, weil sich Junge dort eine Art Teilschuld zugesteht (ich glaube übrigens nicht, dass man ihr allzu große Vorwürfe machen kann und sollte, aber das führt hier zu weit).

An der Auswahl der Nebendarsteller:innen gibt es allgemein wenig zu beanstanden, eines muss ich aber kritisieren: Auch wenn es nur eine kleine Rolle ist, wurde Alfred Jodl, eine doch sehr bekannte historische Persönlichkeit, mit Christian Redl nicht sonderlich passend besetzt. Der, mit Verlaub, relativ grobschlächtige und auch zu junge Schauspieler hat, im Gegensatz zu den meisten anderen Darsteller:innen, optisch so gar nichts mit dem realen Vorbild zu tun. Kleinlich? Mag sein, aber in dem Fall hat es mich wirklich gestört.

Anspruch und Wirklichkeit.

Nach den Äußerlichkeiten wird es nun aber Zeit, sich dem zweiten wichtigen Aspekt eines Films zu widmen: Seiner Authentizität. Klar ist: „Der Untergang“ ist ein Drama und keine Dokumentation und darf sich allein schon deshalb die eine oder andere künstlerische Freiheiten herausnehmen. Andererseits werden historische Ereignisse dargestellt, was der Kreativität gleichzeitig recht enge Grenzen setzt. Ich denke, dass „Der Untergang“ diesen Balanceakt, über weite Strecken angemessen meistert – zumindest was die Darstellung der politischen „Großwetterlage“ in der Endphase des Nazi-Regimes betrifft. In manchen Details sieht das freilich etwas anders aus, was zwar per se kein Beinbruch ist. Allerdings hatte man nicht mit Superlativen gespart, was die allumfassende Authentizität betrifft – und muss sich daran letztlich auch messen lassen. Manches mag den Notwendigkeit der filmischen Dramaturgie geschuldet sein (Zeitzeugen haben beispielsweise angegeben, dass im Bunker praktisch immer leise und ruhig gesprochen wurde), dennoch glaube ich, dass es besser für den Film besser gewesen wäre, nicht ganz so stark auf die Wahrhaftigkeit jeder Szene zu beharren.

Im Vergleich zu einem anderen Punkt sind das aber ohnehin nur Kleinigkeiten, die zwar die Authentizität in Frage stellen, ansonsten aber keinerlei Auswirkung haben: Es geht um die Art und Weise, wie einige Personen gezeichnet wurden – und dabei spreche ich nicht von Hitler selbst, dessen Darstellung ich weiter oben bereits kommentiert habe. Auch die Entscheidung, ihn nicht als Alleinschuldigen zu präsentieren, halte ich für gerechtfertigt. Problematisch ist aber, dass zwar eine erkleckliche Anzahl weiterer NS-Verbrecher:innen zu sehen ist, die allerdings bei weitem nicht so umfassend charakterisiert sind. Und genau dadurch entsteht die Gefahr, dass der Diktator sympathischer erscheint, als er sollte – beispielsweise in Diskrepanz zu den Goebbels, die abseits ihrer unmenschlichen Kälte überhaupt keine Eigenschaften haben. Eine schwierige Angelegenheit, aber ich schätze, das ist der Preis, der gezahlt werden muss, wenn man einen der größten Schurken der Geschichte aus intimer Nähe darstellen möchte.

Vielleicht haben die Verantwortlichen diese Problematik, die unreflektierten Zuschauerinnen und Zuschauern eventuell Anlass zur Relativierung eines Verbrechers geben könnte, selbst erkannt. Und vielleicht ist das die Antwort auf die Frage, wieso „Der Untergang“, ein Film, der pädagogisch wertvoll sein soll, Schlüsselfiguren des Dritten Reiches regelrecht sympathisch darstellt. Allen voran SS-Arzt Ernst Günther Schenck (gespielt von Christian Berkel), der im Angesicht der Niederlage als rational und menschlich dargestellt wird – was auch so gewesen sein mag. Was Schenck als Arzt im KZ verbrochen hat, kommt im Film hingegen nicht zur Sprache. Muss es auch nicht, weil es mit seiner Rolle während der Endphase nichts zu tun hat – umso wichtiger wäre es aber gewesen, zumindest im Abspann darauf hinzuweisen, dass dieser Mann keineswegs eine weiße Weste hatte. Ähnliches gilt für Albert Speer (Heino Ferch), der hier als mahnende Stimme der Vernunft auftritt, während er in Wirklichkeit mit seinen Industrieprogrammen entscheidend zur Verlängerung des Krieges und damit verbundenen Leides beigetragen hat, auch und gerade in der Endphase, als der Kampf längst völlig sinnlos geworden war.

Der Punkt ist: Ähnlich wie bei der Darstellung von Hitler kann man auch bei Persönlichkeiten wie Schenck, Speer, Fegelein oder Jodl Aspekte herausgreifen, die zeitgenössisch vermutlich genau so wahrgenommen wurden, wie es der Film suggeriert. Allein: Jeder auch nur halbwegs gebildete Mensch weiß, dass es an Adolf Hitler nichts, aber auch gar nichts zu beschönigen gibt, egal, ob er in „Der Untergang“ ein Kompliment für das gute Essen ausspricht oder tollpatschig mit seiner Sekretärin schäkert. Bei den anderen Genannten ist das meines Erachtens jedoch weit weniger klar – sie und ihre Taten sind im kollektiven Bewusstsein nicht dermaßen prominent verankert. Dadurch erzeugt „Der Untergang“ bei ihnen eventuell einen zu günstigen Eindruck, indem ihre Vorgeschichte komplett ausblendet wird. Die einzig wirklich bösen und hassenswerten Figuren sind hier die Goebbels, für alle anderen empfindet man eher Mitleid angesichts ihres völligen Realitätsverlustes.

Fazit: Nicht unreflektiert ansehen.

Meiner Meinung nach gibt es zwei Anwendungsfälle (ein besseres Wort fällt mir nicht ein) für „Der Untergang“: Als Drama, das mit einem hohen Maß an historischer Genauigkeit auf das Ende einer dunklen Epoche zurückblickt und dabei hervorragend inszeniert und gestaltet ist. So habe ich mir den Film 2004 im Kino angesehen und später im TV – und jedes Mal hat er mich aufs Neue beeindruckt. Der zweite Fall ist die Nutzung als historisches Anschauungsmaterial, was grundsätzlich auch funktionieren kann, weil „Der Untergang“ im Vergleich zu mancher Dokumentation deutlich leichter konsumierbar ist. Ob eine solche Art des Geschichtsunterrichts nun pädagogisch wertvoll ist, sollen andere beurteilen.

Für beide Fälle gilt jedenfalls, dass man sich immer bewusst sein muss, dass „Der Untergang“ nur einen kleinen Ausschnitt der Realität abbildet. Durch seine Nähe zu den Protagonisten ist der Blickwinkel ungewohnt nahe, die großen Zusammenhänge bleiben weitgehend außen vor. Die sind aber wichtig, um ein vollständiges und einigermaßen akkurates Bild zu erhalten. Ich selbst habe nach dem ersten Ansehen tatsächlich Einiges nachgelesen (ich gebe zu, dass ich beispielsweise vor 2004 noch nie etwas von Hermann Fegelein gehört habe), was ich durchaus als Erfolg des Films verbuchen würde. Durch diese Reflexion wurde mir gleichzeitig bewusst, dass das Bild, das „Der Untergang“ von einigen Personen zeichnet, nicht ansatzweise komplett ist und nur kleine, sehr persönliche Aspekte abbildet.

Fazit: Nur, wenn „Der Untergang“ von einer solchen oder ähnlichen Reflexion begleitet wird, würde ich ihn uneingeschränkt empfehlen. Ja, er ist inhaltlich auch ohne zusätzliche Lektüre spannend und kann als starker Film bezeichnet werden, ich halte es aber sehr wohl für wichtig, ein fundiertes Gesamtbild zu haben und sich nicht mit den Häppchen zufrieden zu geben, die man hier serviert bekommt. Darum kann und darf es nicht die volle Punktzahl geben. Unter den genannten Voraussetzungen sollte aber jeder und jede historisch einigermaßen Interessierte diesen Film gesehen haben.

Gesamteindruck: 6/7


Originaltitel: Der Untergang.
Regie:
Oliver Hirschbiegel
Drehbuch: Bernd Eichinger
Jahr: 2004
Land: Deutschland
Laufzeit: ca. 155 Minuten (Kino-Fassung)
Besetzung (Auswahl): Bruno Ganz, Alexandra Maria Lara, Corinna Harfouch, Ulrich Matthes, Juliane Köhler