Worlds of Ultima
Als ich vor einigen Monaten mit „Ultima VI: The False Prophet“ (1990) durch war, hatte ich auf meinem Weg, alle Teile der legendären Serie von Richard „Lord British“ Garriott durchzuspielen, eine Entscheidung zu treffen: Sollte ich mit „Ultima VII: The Black Gate“ (1992) weitermachen – oder mich doch auch an den Titeln abseits der Hauptreihe, deren erster „The Savage Empire“ (1990) ist, versuchen? Wie an der Existenz dieser Rezension unschwer zu erkennen ist, habe ich mich zu Letzterem durchgerungen.
Gesamteindruck: 4/7
Dschungelprüfungen.
Richard Garriott hatte einst versprochen, dass kein neues Spiel der „Ultima“-Reihe die Engine eines seiner Vorgänger nutzen würde – was anfangs noch kein Problem war, schließlich schrieb der Meister seine Epen praktisch im Alleingang. Doch dann kam „Ultima VI: The False Prophet“, das in Sachen Produktionsaufwand alle Projekte in den Schatten stellte, die Origin Systems bis dahin veröffentlicht hatten. Freilich änderte das nichts an der Meinung des Firmenchefs; jedoch konnte Warren Spector, der erst 1989 zu Origin gekommen war, Richard Garriott dennoch überzeugen, dass es ein Sakrileg wäre, die aufwändig programmierte „Ultima VI“-Engine nach nur einem Spiel ad acta zu legen. Und so kam es, dass Spector die Erlaubnis erhielt, mit einem kleinen Team (die A-Mannschaft von Origin arbeitete zu jener Zeit bereits an den Mammut-Aufgaben „Ultima VII“ und „Wing Commander II“) weitere Rollenspiele auf Basis dieser bis heute beeindruckenden Technologie zu produzieren.
Darum geht’s:
Während sich der Avatar in seinem irdischen Domizil erholt, plagen ihn merkwürdige Träume, in denen auch Lord British zu ihm spricht. Das Geheimnis um die zerstörten Mondsteine gelte es zu lösen, so des Helden väterlicher Freund. Ehrensache, dass man in einem solchen Fall nicht lange fackelt, sich ins Safari-Outfit wirft und im nahegelegenen Museum den etwas schrulligen Professor Rafkin aufsucht. In dessen Labor experimentiert man ein wenig mit einem Mondstein herum – und prompt öffnet sich eine Art Tor und saugt alle Anwesenden in eine andere Welt. Dabei handelt es sich jedoch nicht um das liebgewonnene Britannia, sondern um das unentdeckte Dschungeltal Eodon, in dem primitive Menschen Seite an Seite mit Dinosauriern und anderen urtümlichen Kreaturen leben. Freilich gibt es dort diverse Konflikte, die nur ein Avatar beilegen kann – und auch die Frage nach der Rückkehr in die Heimat gilt es zu lösen…
Falls es aus der Inhaltsangabe nicht deutlich geworden ist: Die Story von „The Savage Empire“ orientiert sich an „Die verlorene Welt“ (1912) von Sir Arthur Conan Doyle. Davon abgesehen entsprechen Handlung, Setting, Aufmachung und Charaktere jenen Abenteuer- und Science Fiction-Geschichten, die häufig in den „Pulp“-Heften der 1930er bis 50er Jahre zu finden waren. Wie bei Origin üblich, zeigt sich das nicht nur im Spiel selbst, sondern auch im gesamten Drumherum. Besonders hervorzuheben ist die Anleitung, die damals in Form eines 40 Seiten starken Pulp-Magazins namens „Ultimate Adventures“ in der Packung zu finden war – komplett mit buntem Cover, Editorial, Reportagen (geschrieben von In-Game Charakteren) und fiktiven Inseraten. Zu dieser Arbeit musste und muss man Origin einmal mehr gratulieren, denn die Liebe zum Detail und die schriftstellerische Qualität, die in dieses Beiwerk geflossen sind, sind bemerkenswert; auch und vor allem weil „The Savage Empire“ klar abseits der Premium-Titel des texanischen Studios steht.
Technisch entspricht das Spiel im Wesentlichen dem, was man aus „The False Prophet“ kennt. Hervorzuheben sind allerdings zwei Features, die ausgerechnet in „The Savage Empire“ ihre „Ultima“-Premiere feiern: Einerseits nutzt das Spiel die eigens für „Wing Commander“ (1990) entwickelte Origin FX Engine, um Dialoge und Zwischensequenzen im Hauptfenster des Spiels ablaufen zu lassen, was völliges Neuland in Rollenspielen gewesen sein dürfte. Andererseits gibt es endlich (!) ein Questlog, das noch dazu auf höchst kreative Weise ins Spiel integriert wurde: Findet man den NPC Jimmy Malone und nimmt ihn in die Party auf, stenografiert er die wichtigsten Aufgaben in seinem Notizblock mit. Darauf kann man ihn jederzeit ansprechen und erfährt so, welche Quests offen sind und was schon erledigt wurde. Das ist eine dermaßen großartige Idee, dass ich Malone trotz seiner körperlichen Defizite das gesamte Spiel über in meiner Party behalten habe. 🙂
Davon abgesehen sind die Unterschiede zum großen Bruder auf den ersten Blick vorwiegend optischer Natur (so wurde z. B. das Interface an das Setting angepasst, es gibt andere Gegner, Gegenstände usw.). Der erfahrene „Ultima“-Recke findet sich also sofort zurecht, denn Funktionen wie Tastaturkommandos, Kampfsteuerung, Inventar usw. wurden vollständig übernommen. Sogar die vielfältigen Möglichkeiten, die Welt zu manipulieren, stehen zur Verfügung – beispielsweise kann man Fackeln herstellen, indem man Äste von Bäumen abbricht, Stoff (der ebenfalls selbst erzeugt werden kann) in Streifen schneidet, diese in Teer tränkt und dann um die Äste wickelt. Das ist tatsächlich eine Form von Sandkasten-System, das man bis heute selten in dieser Konsequenz in einem Rollenspiel findet. Beeindruckend, was Origin in dieser Hinsicht auf die Beine gestellt hat – ob es in solchem Umfang zwingend notwendig war, ist freilich eine andere Frage. Spielt aber auch keine Rolle, denn man kann, wie schon in „Ultima VI“, weitgehend auf derartige Tätigkeiten verzichten, wenn man kein Interesse daran hat.
Reduzierte Variante.
Spielerisch ist „The Savage Empire“ letzten Endes deutlich abgespeckt. Zwar erkundet man auch hier die von Anfang an frei begehbare Welt, spricht mit allen NPCs, die man trifft, erhält auf diese Weise verschiedene Quests und erarbeitet sich so nach und nach die Handlung. In welcher Reihenfolge man die Aufgaben löst, ist dabei jedem/jeder Spieler:in weitgehend selbst überlassen. Unterschiedliche Lösungswege gibt es so gut wie nie, was ich dem Spiel aber angesichts seines Alters nicht zum Vorwurf machen würde. Allerdings – und darum schrieb ich „abgespeckt“ – nutzt das Spin-off zwar die Engine von „Ultima VI“, nutzt aber bei weitem nicht alle Möglichkeiten, die es im Hauptspiel gab und ist deutlich weniger immersiv.
Beispielsweise kann man ruhigen Gewissens die Einheimischen ausplündern – auch deren Schatzkammern. Weder wird man nach einer solchen Tat angegriffen, noch gibt es als Strafe das für „Ultima“ bis dahin so wichtige Minus bei den Karma-Punkten. Oder: Die Ausrüstungsslots für Stiefel, Kopfbedeckungen und Ringe sind auch in „The Savage Empire“ vorhanden – allerdings findet man nichts, das man dort verwenden könnte. Besonders absurd: Ringe gibt es sogar im Spiel, sie können aber nicht angelegt werden. Und, ein abschließendes Beispiel: Es gibt kein nennenswertes Wirtschaftssystem. Man kann, wie oben beschrieben, problemlos auf Beutezug gehen und das Inventar vollpacken – nur nutzt das in der Regel nicht viel, weil man praktisch nichts davon verkaufen kann (und auch so gut wie nichts kaufen, die gesamte Ausrüstung wird gefunden oder selbst hergestellt). Ausgerechnet eines der irritierendsten Features von „Ultima VI“ wurde übrigens beibehalten: Die häufigen Tag-Nacht-Wechsel. Gefühlt ist es sogar noch kürzer hell, sodass man in „The Savage Empire“ sehr viel Zeit mit Rasten verbringt, weil die Sichtweite in der Nacht empfindlich eingeschränkt ist (und die Dorfbewohner in ihren Hütten schlafen, also nicht angesprochen werden können). All das empfinde ich als sehr befremdlich in einem Rollenspiel aus einer Serie, die derartige Probleme eigentlich längst hinter sich gelassen hatte. Wäre interessant zu wissen, ob das ursprünglich tatsächlich so gedacht war.
Ähnliches gilt für die Kämpfe, die schon in „The False Prophet“ nicht der Bringer waren und die ich hier sogar als größten Schwachpunkt identifizieren würde. Grundsätzlich laufen die Gefechte in Runden ab, in denen man die Gegner (meistens übrigens wilde Tiere) mit Nah- und Fernkampfwaffen beharkt. Zaubern kann nur ein einziger NPC (dem Avatar bleibt diese Kunst verwehrt), was ich aber letztlich nur zum gelegentlichen Heilen verwendet habe. Wie im Hauptspiel kann man ferner seinen Partymitgliedern rudimentäre Befehle erteilen (z. B. nur auf Fernkampf setzen, vor Kämpfen flüchten usw.). Im Gegensatz zu „Ultima VI“, in dem das noch einigermaßen funktionierte, scheint die KI in „The Savage Empire“ allerdings dem Rotstift zum Opfer gefallen zu sein. Will sagen: Egal, welchen Befehl man seiner Truppe erteilt, sie tut – gar nichts. Außer direkt in den Feind zu laufen oder ähnliche Sperenzchen. Fazit: Am besten vergisst man die Automatik sofort wieder und steuert jeden Charakter einzeln, auch wenn das durchaus Geduld erfordert. Angemerkt sei außerdem, dass die Kämpfe von Anfang an wenig herausfordernd sind, sodass ich mich frage, ob dieser Aspekt des Spiels überhaupt ordentlich getestet wurde. Oder wurde er es und es gab gröbere Probleme, sodass man sich entschieden hat, einfach den Schwierigkeitsgrad zu minimieren? Man weiß es nicht…
Ein Avatar auf Irrwegen.
Was die Handlung betrifft, würde ich behaupten, dass auch „The Savage Empire“ gut und recht spannend geschrieben ist (sieht man von der Einbettung in den Kanon ab, mehr dazu etwas weiter unten). Man kommt relativ selten in die Verlegenheit, nicht zu wissen wie es weitergeht; allerdings sind die Rätsel ab und an sehr knackig, auch, weil das Spiel – wie damals üblich – viele seiner Funktionen nicht sonderlich klar erklärt. Ein Beispiel: Um eine deutlich sichtbare Höhle hinter einem Wasserfall zu erreichen, muss eben jener durch den Wurf einer Granate auf einen darüber liegenden Felsen blockiert werden – und der muss auch im richtigen Winkel getroffen werden. Das alles natürlich ohne Hotspot-Anzeige oder sonstige Hilfestellungen, man muss also irgendwie auf den Trichter kommen, dass man Handgranaten basteln und genau an dieser Stelle einsetzen muss. Eigentlich macht das aufgrund der exzessiv manipulierbaren Welt durchaus Sinn – dennoch habe ich die Lösung für dieses und ähnliche Probleme als relativ weit hergeholt empfunden und musste, nach einigem Probieren, hier und da zu einer Komplettlösung greifen.
Nun wie angekündigt ein Wort zum Hintergrund: Die Idee, die „The Savage Empire“ zugrunde liegt, ist grundsätzlich nett und hebt das Spiel deutlich vom damals (und auch heute noch) üblichen Fantasy-Standard ab. Freilich wäre es wohl schwierig gewesen, allein damit eine erkleckliche Anzahl an Spielen zu verkaufen. Ich nehme an, aus diesem Gedanken heraus wurde bei Origin der Entschluss gefasst, „The Savage Empire“ nicht für sich stehen zu lassen, sondern in den „Ultima“-Kanon zu integrieren. Mit dem ist das Setting allerdings überhaupt nicht kompatibel, sodass man sich mehr oder weniger holpriger Kniffe bedienen musste, um überhaupt einen Zusammenhang herstellen zu können. Auch wenn ich die Hintergründe nachvollziehen kann, hätte ich persönlich das nicht gebraucht – zumindest nicht aus heutiger Sicht.
Zur Verdeutlichung, was ich damit meine: Einerseits soll der Avatar – so wurde es in „Ultima IV: Quest of the Avatar“ (1985) ja definiert – der Spieler/die Spielerin selbst sein. Man steuert also keinen fix vorgegebenen Helden, sondern ist sozusagen selbst die Spielfigur. In „The Savage Empire“ bedeutet das demnach, dass ich ein blonder Typ mit ziemlich eckigem Gesicht bin, der einen Freund hat, der Professor in einem Museum ist. Das ist so weit von meiner Realität entfernt, wie es nur geht – und zerstört damit endgültig die ohnehin schon löchrige Avatar-Legende. Andererseits musste man auch noch einen Weg finden, den Helden in ein Szenario zu versetzen, das einer Erzählung entspricht, die irgendwann zwischen 1930 und 1950 spielt. Für einige sich daraus ergebende Anachronismen hat man zumindest eine halbwegs plausible Erklärung gefunden: Im Labor des Professors, das sich ja in einem Museum befindet, gibt es gewisse altmodische Exponate, die gemeinsam mit den Charakteren in die prähistorische Dschungelwelt versetzt werden. Dass der ursprüngliche Gedanke hinter „The Savage Empire“ wenig mit „Ultima“ zu tun hatte, merkt man freilich dennoch auf Schritt und Tritt. Bestes Beispiel: Der oben genannte Jimmy Malone arbeitet für das fiktive „Ultimate Adventures“-Magazin. Diese Vorstellung ist für die 1990er, in denen es solche Zeitschriften seit Jahrzehnten nicht mehr gab, per se schon abstrus. Dass er dann auch noch aussieht und spricht, wie es Reporter ein halbes Jahrhundert vor der Rahmenhandlung getan haben mögen, setzt den Merkwürdigkeiten die Krone auf. Und warum die altgedienten Gefährten Iolo, Shamino und Dupre mit leicht veränderten Namen in „The Savage Empire“ vorkommen, fragt man sich auch – aufgelöst wird dieses Geheimnis übrigens nicht.
Interessanterweise hat all das in der zeitgenössischen Presse relativ wenig Beachtung gefunden. Ich glaube fast, dass solche Zusammenhänge damals noch keine derart große Rolle gespielt haben, wie sie es heute tun, was eventuell auch mit der Verbreitung des Internets zu tun haben mag – aber das zu erörtern, würde hier bei weitem den Rahmen sprengen. Daher möchte ich diesen Exkurs nun beenden, ich wollte die angesprochene Problematik aber nicht unter den Tisch fallen lassen, weil ich das für einen bemerkenswerten Aspekt von „The Savage Empire“ halte, der in unterschiedlicher Ausprägung auch bei „Martian Dreams“ und den beiden „Ultima Underworld“-Teilen ein Problem ist.
Kann man mal machen.
Ich muss gestehen, dass ich ursprünglich wenig Interesse hatte, mich anno 2022 an „The Savage Empire“ zu versuchen. Zwar war ich von „Ultima VI“ sehr angetan, die Aussicht, mich erneut auf ein eventuell spannendes, gleichzeitig aber höchst umständlich zu bedienendes Spiel einzulassen, hat mich dennoch abgeschreckt. Zumal ich mir überhaupt nicht sicher war, ob mir Handlung und Spielwelt, beides weit weg vom üblichen „Ultima“-Programm, zusagen würden. Umgekehrt war ich aber auch neugierig, ob und wie sich die zweite Riege von Origin Systems schlagen würde. Das gab den Ausschlag – und ich habe es im Endeffekt nicht bereut, rund 16 Stunden mit diesem Spiel verbracht zu haben (um das ins Verhältnis zu setzen: für „Ultima VI“ habe ich über 55 Stunden gebraucht).
Klar ist aber auch, dass „The Savage Empire“ nicht für jede:n Spieler:in geeignet ist. Wer „Ultima“ komplett ernst nimmt, sollte die Finger davon lassen, denn das Spiel bricht nicht nur mit diversen Standards der Hauptserie, sondern ist stellenweise hochgradig albern. Damit muss man ebenso klarkommen wie mit dem doch recht stark reduzierten Rollenspielfeeling. Im Endeffekt könnte man sogar mit einiger Berechtigung behaupten, dass „The Savage Empire“ mehr Adventure als Rollenspiel ist (ad hoc kann ich mich z. B. nur an ganz wenige Levelaufstiege meiner Charaktere erinnern). Dem steht wiederum das häufige und kaum zu umgehende Kämpfen entgegen, das leider alles andere als ein Ruhmesblatt ist.
Doch auch, wenn das nun alles sehr negativ geklungen hat, möchte ich abschließend festhalten, dass „The Savage Empire“ kein mieses Spiel ist, speziell auch im Angesicht der übermächtigen Konkurrenz aus dem eigenen Haus. Es geht auch heute noch erstaunlich gut von der Hand, es erzählt eine schöne Geschichte – und es hat einen nicht zu unterschätzenden Trash-Charme, der nicht (nur) seinem Alter, sondern auch seinem Inhalt geschuldet ist. Ich denke, das konnte man damals als Origin mal so machen – und als Spieler:in kann man sich ebenso getrost daran versuchen, wenn man auch nur einen Funken Interesse (entweder an „Ultima“ im Allgemeinen oder am Pulp-Setting im Besonderen) aufbringt.
PS: „Ultima“-Rechteinhaber Electronic Arts hat das Spiel bereits 2012 freigegeben. Bei GOG.com erhält man es, genau wie den Nachfolger „Martian Dreams“, gratis. Einem Testlauf steht also wirklich nichts im Wege.
Gesamteindruck: 4/7
Genre: Rollenspiel
Entwickler: Origin Systems
Publisher: Origin Systems
Jahr: 1990
Gespielt auf: PC
Screenshots aus „Worlds of Ultima: The Savage Empire“ – Copyright beim Entwickler!