FilmWelt: Der Untergang

Ich glaube, eine Bewertung von „Der Untergang“ (2004) sollte in zwei Aspekte zerfallen: Auf der einen Seite steht die Beurteilung von Inszenierung, schauspielerischer Leistung und Atmosphäre. Gleichzeitig ist zu überlegen, ob Regisseur Oliver Hirschbiegel und Drehbuchautor Bernd Eichinger († 2011) es geschafft haben, ihren eigenen und immer wieder betonten Anspruch an Authentizität gerecht zu werden. All das auch – und gerade weil – der Film im Unterricht gern als Anschauungsmaterial herangezogen wird.

Gesamteindruck: 6/7


Das Ende eines dunklen Kapitels.

Dass „Der Untergang“ den Nimbus hat, die bis dato exakteste Annäherung an die letzten Tage des NS-Regimes zu sein, die einem Spielfilm gelungen ist, kommt nicht von ungefähr. Weite Teile des Films basieren primär auf der Schilderung von Zeitzeug:innen, die die jeweiligen Szenen im Frühling 1945 tatsächlich miterlebt haben. Daraus erklären sich auch die unterschiedlichen Perspektiven – und warum die Kamera beispielsweise keiner Einzelperson hinter verschlossene Türen folgt. Heißt: Wenn sich beispielsweise Hitler allein in seine Privatgemächer zurückzieht, weiß man als Zuseher:in nicht, was der Diktator dort tut – eben weil niemand dabei war, der einen Augenzeug:innenbericht hätte liefern können. Eine interessante Herangehensweise (die leider nicht komplett durchgezogen wurde), die im ersten Moment gewöhnungsbedürftig klingt. Im Endeffekt ist es Regisseur Oliver Hirschbiegel jedoch gelungen, den Film weitgehend wie aus einem Guss wirken zu lassen.

Worum geht’s?
Im April 1945 liegen weite Teile Deutschlands in Trümmern. Die Alliierten rücken auf Berlin vor und ziehen den Kreis um die nationalsozialistische Führung immer enger. Trotz völlig aussichtsloser Lage weigert sich Diktator Adolf Hitler jedoch, den Kampf aufzugeben und schickt immer neue Truppen in den sicheren Tod. Auch von einer Flucht aus der Hauptstadt will der „Führer“ nichts wissen – stattdessen verschanzt er sich gemeinsam mit hohen Militärs und anderen Vertrauten in seinem Bunker. Mittendrin auch seine Privatsekretärin Traudl Junge, die die letzten Tage des Dritten Reiches und seiner Führung aus nächster Nähe miterlebt…

Zum ersten der eingangs genannten Aspekte kann ich mich kurz fassen – und ich denke, dass sich die Kritik zumindest in dieser Hinsicht auch einig ist: Oliver Hirschbiegel schafft in „Der Untergang“ scheinbar mühelos eine trostlose und von Wahnsinn durchsetzte Atmosphäre, die ihresgleichen sucht. Tatsächlich empfinde ich vorliegendes Werk, knapp hinter dem völlig anders gelagerten „Das Boot“ (1981), als einen der am stärksten inszenierten deutschsprachigen Titel zum 2. Weltkrieg. Sowohl Innen- als auch Außenaufnahmen hätte man meines Erachtens auch in Hollywood nicht besser hinbekommen können. „Der Untergang“ sieht einfach großartig aus: Die Enge des Bunkers, die zerstörten Straßenzüge, das Chaos des Häuserkampfes, die einschlagenden Granaten, die die Schutzräume erzittern lassen – all das wurde sehr passend und weitgehend ohne überbordende Effekthascherei umgesetzt. Auch Uniformen, Möbelstücke, Waffen usw. wirken authentisch, dazu kommen die grandiose Ausstattung, die gute Qualität der (seltenen) Szenen von der Front und ein Ton, der stärker zur Gesamtstimmung beiträgt, als man sich im ersten Moment bewusst ist. Chapeau dafür an alle Verantwortlichen!

Ein starker Hauptdarsteller.

Zur Verkörperung von Adolf Hitler durch den 2019 verstorbenen Bruno Ganz möchte ich folgendes festhalten: Ich erinnere mich ganz genau, wie ich 2004 aus dem Kino kam und plötzlich nicht mehr wusste, wie der reale Hitler ausgesehen hat – ich hatte nur mehr den Schauspieler aus der Schweiz (!) in dieser wohl herausforderndsten Rolle seines Lebens vor Augen. Ein merkwürdiges Kompliment, fürwahr – man muss aber sagen, dass Bruno Ganz hier auf geradezu unheimliche Art und Weise auftrumpft (wie sein Auftritt aus Sicht der Geschichtswissenschaft zu bewerten ist, ist freilich eine andere Frage). Er zeigt uns hier zwei Seiten des Diktators: Einerseits den wild gestikulierenden, schreienden und die Realität völlig verkennenden Führer, andererseits einen alten, kranken und ab und an sogar verletzlich wirkenden Mann. Einen Menschen – und kein Monster, was seine Taten aus meiner Sicht nur noch unbegreiflicher und schlimmer macht, auch wenn diese Darstellung ab und an Anlass zur Kritik am Film bietet. Das ändert aber meines Erachtens nichts an der herausragenden Leistung von Bruno Ganz.

Dass die anderen Darsteller:innen im Vergleich dazu eher ein Schattendasein führen, ist wenig überraschend. Hervorzuheben ist die Leistung von Corinna Harfouch und Ulrich Matthes, die die nicht minder schwierige Aufgabe haben, das Ehepaar Goebbels zu spielen. Für mich als interessierten Laien ist an dieser Stelle übrigens bemerkenswert, dass der Propagandaminister und seine Frau den zu dieser Zeit schon sehr gezeichneten Hitler in Sachen Brutalität und Kälte deutlich übertreffen – Magda Goebbels ist in dieser Hinsicht die wohl härteste Figur im ganzen Film, weil sich ihr Verbrechen, im Gegensatz zu denen ihres Mannes und der hohen Militärs, nicht gegen eine quasi-anonyme Masse, sondern gegen ihre eigenen Kinder richtet.

Der Rest des Casts ist gut, wenngleich nicht herausragend. Am besten hat mir Juliane Köhler gefallen, die eine völlig irrationale Eva Braun gibt, die ständig bemüht ist, eine Fassade aufrecht zu erhalten – sowohl nach außen hin als auch in ihrem eigenen Inneren. Und Alexandra Maria Lara als Traudl Junge? Ich denke, sie spielt das junge und naive Mädchen sehr passabel. Von der echten Traudl Junge stammen übrigens auch die ersten und letzten Sätze im Film, eingespielt per Interview, das im Jahr 2000 für die Doku „Im toten Winkel – Hitlers Sekretärin“ aufgenommen wurde. Vor allem der finale Einspieler ist durchaus versöhnlich, weil sich Junge dort eine Art Teilschuld zugesteht (ich glaube übrigens nicht, dass man ihr allzu große Vorwürfe machen kann und sollte, aber das führt hier zu weit).

An der Auswahl der Nebendarsteller:innen gibt es allgemein wenig zu beanstanden, eines muss ich aber kritisieren: Auch wenn es nur eine kleine Rolle ist, wurde Alfred Jodl, eine doch sehr bekannte historische Persönlichkeit, mit Christian Redl nicht sonderlich passend besetzt. Der, mit Verlaub, relativ grobschlächtige und auch zu junge Schauspieler hat, im Gegensatz zu den meisten anderen Darsteller:innen, optisch so gar nichts mit dem realen Vorbild zu tun. Kleinlich? Mag sein, aber in dem Fall hat es mich wirklich gestört.

Anspruch und Wirklichkeit.

Nach den Äußerlichkeiten wird es nun aber Zeit, sich dem zweiten wichtigen Aspekt eines Films zu widmen: Seiner Authentizität. Klar ist: „Der Untergang“ ist ein Drama und keine Dokumentation und darf sich allein schon deshalb die eine oder andere künstlerische Freiheiten herausnehmen. Andererseits werden historische Ereignisse dargestellt, was der Kreativität gleichzeitig recht enge Grenzen setzt. Ich denke, dass „Der Untergang“ diesen Balanceakt, über weite Strecken angemessen meistert – zumindest was die Darstellung der politischen „Großwetterlage“ in der Endphase des Nazi-Regimes betrifft. In manchen Details sieht das freilich etwas anders aus, was zwar per se kein Beinbruch ist. Allerdings hatte man nicht mit Superlativen gespart, was die allumfassende Authentizität betrifft – und muss sich daran letztlich auch messen lassen. Manches mag den Notwendigkeit der filmischen Dramaturgie geschuldet sein (Zeitzeugen haben beispielsweise angegeben, dass im Bunker praktisch immer leise und ruhig gesprochen wurde), dennoch glaube ich, dass es besser für den Film besser gewesen wäre, nicht ganz so stark auf die Wahrhaftigkeit jeder Szene zu beharren.

Im Vergleich zu einem anderen Punkt sind das aber ohnehin nur Kleinigkeiten, die zwar die Authentizität in Frage stellen, ansonsten aber keinerlei Auswirkung haben: Es geht um die Art und Weise, wie einige Personen gezeichnet wurden – und dabei spreche ich nicht von Hitler selbst, dessen Darstellung ich weiter oben bereits kommentiert habe. Auch die Entscheidung, ihn nicht als Alleinschuldigen zu präsentieren, halte ich für gerechtfertigt. Problematisch ist aber, dass zwar eine erkleckliche Anzahl weiterer NS-Verbrecher:innen zu sehen ist, die allerdings bei weitem nicht so umfassend charakterisiert sind. Und genau dadurch entsteht die Gefahr, dass der Diktator sympathischer erscheint, als er sollte – beispielsweise in Diskrepanz zu den Goebbels, die abseits ihrer unmenschlichen Kälte überhaupt keine Eigenschaften haben. Eine schwierige Angelegenheit, aber ich schätze, das ist der Preis, der gezahlt werden muss, wenn man einen der größten Schurken der Geschichte aus intimer Nähe darstellen möchte.

Vielleicht haben die Verantwortlichen diese Problematik, die unreflektierten Zuschauerinnen und Zuschauern eventuell Anlass zur Relativierung eines Verbrechers geben könnte, selbst erkannt. Und vielleicht ist das die Antwort auf die Frage, wieso „Der Untergang“, ein Film, der pädagogisch wertvoll sein soll, Schlüsselfiguren des Dritten Reiches regelrecht sympathisch darstellt. Allen voran SS-Arzt Ernst Günther Schenck (gespielt von Christian Berkel), der im Angesicht der Niederlage als rational und menschlich dargestellt wird – was auch so gewesen sein mag. Was Schenck als Arzt im KZ verbrochen hat, kommt im Film hingegen nicht zur Sprache. Muss es auch nicht, weil es mit seiner Rolle während der Endphase nichts zu tun hat – umso wichtiger wäre es aber gewesen, zumindest im Abspann darauf hinzuweisen, dass dieser Mann keineswegs eine weiße Weste hatte. Ähnliches gilt für Albert Speer (Heino Ferch), der hier als mahnende Stimme der Vernunft auftritt, während er in Wirklichkeit mit seinen Industrieprogrammen entscheidend zur Verlängerung des Krieges und damit verbundenen Leides beigetragen hat, auch und gerade in der Endphase, als der Kampf längst völlig sinnlos geworden war.

Der Punkt ist: Ähnlich wie bei der Darstellung von Hitler kann man auch bei Persönlichkeiten wie Schenck, Speer, Fegelein oder Jodl Aspekte herausgreifen, die zeitgenössisch vermutlich genau so wahrgenommen wurden, wie es der Film suggeriert. Allein: Jeder auch nur halbwegs gebildete Mensch weiß, dass es an Adolf Hitler nichts, aber auch gar nichts zu beschönigen gibt, egal, ob er in „Der Untergang“ ein Kompliment für das gute Essen ausspricht oder tollpatschig mit seiner Sekretärin schäkert. Bei den anderen Genannten ist das meines Erachtens jedoch weit weniger klar – sie und ihre Taten sind im kollektiven Bewusstsein nicht dermaßen prominent verankert. Dadurch erzeugt „Der Untergang“ bei ihnen eventuell einen zu günstigen Eindruck, indem ihre Vorgeschichte komplett ausblendet wird. Die einzig wirklich bösen und hassenswerten Figuren sind hier die Goebbels, für alle anderen empfindet man eher Mitleid angesichts ihres völligen Realitätsverlustes.

Fazit: Nicht unreflektiert ansehen.

Meiner Meinung nach gibt es zwei Anwendungsfälle (ein besseres Wort fällt mir nicht ein) für „Der Untergang“: Als Drama, das mit einem hohen Maß an historischer Genauigkeit auf das Ende einer dunklen Epoche zurückblickt und dabei hervorragend inszeniert und gestaltet ist. So habe ich mir den Film 2004 im Kino angesehen und später im TV – und jedes Mal hat er mich aufs Neue beeindruckt. Der zweite Fall ist die Nutzung als historisches Anschauungsmaterial, was grundsätzlich auch funktionieren kann, weil „Der Untergang“ im Vergleich zu mancher Dokumentation deutlich leichter konsumierbar ist. Ob eine solche Art des Geschichtsunterrichts nun pädagogisch wertvoll ist, sollen andere beurteilen.

Für beide Fälle gilt jedenfalls, dass man sich immer bewusst sein muss, dass „Der Untergang“ nur einen kleinen Ausschnitt der Realität abbildet. Durch seine Nähe zu den Protagonisten ist der Blickwinkel ungewohnt nahe, die großen Zusammenhänge bleiben weitgehend außen vor. Die sind aber wichtig, um ein vollständiges und einigermaßen akkurates Bild zu erhalten. Ich selbst habe nach dem ersten Ansehen tatsächlich Einiges nachgelesen (ich gebe zu, dass ich beispielsweise vor 2004 noch nie etwas von Hermann Fegelein gehört habe), was ich durchaus als Erfolg des Films verbuchen würde. Durch diese Reflexion wurde mir gleichzeitig bewusst, dass das Bild, das „Der Untergang“ von einigen Personen zeichnet, nicht ansatzweise komplett ist und nur kleine, sehr persönliche Aspekte abbildet.

Fazit: Nur, wenn „Der Untergang“ von einer solchen oder ähnlichen Reflexion begleitet wird, würde ich ihn uneingeschränkt empfehlen. Ja, er ist inhaltlich auch ohne zusätzliche Lektüre spannend und kann als starker Film bezeichnet werden, ich halte es aber sehr wohl für wichtig, ein fundiertes Gesamtbild zu haben und sich nicht mit den Häppchen zufrieden zu geben, die man hier serviert bekommt. Darum kann und darf es nicht die volle Punktzahl geben. Unter den genannten Voraussetzungen sollte aber jeder und jede historisch einigermaßen Interessierte diesen Film gesehen haben.

Gesamteindruck: 6/7


Originaltitel: Der Untergang.
Regie:
Oliver Hirschbiegel
Drehbuch: Bernd Eichinger
Jahr: 2004
Land: Deutschland
Laufzeit: ca. 155 Minuten (Kino-Fassung)
Besetzung (Auswahl): Bruno Ganz, Alexandra Maria Lara, Corinna Harfouch, Ulrich Matthes, Juliane Köhler



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2 Gedanken zu “FilmWelt: Der Untergang

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