„Snowpiercer“ (2013) habe ich bis in den April 2022 schlichtweg ignoriert. Weil es aber mittlerweile eine Serie gleichen Namens gibt, die überall gelobt wird, wollte ich den Film sehen, bevor ich dort einsteige. Und, was soll ich sagen: „Snowpiercer“ hat mich, der ich ohne Vorkenntnisse herangegangen bin, ziemlich überrascht. Das ist heutzutage schon mal ein großer Pluspunkt – aber auch unabhängig davon kann das Werk des späteren Oscar-Preisträgers Bong Joon-ho durchaus überzeugen.
Gesamteindruck: 5/7
Comichafte Züge.
Im Zusammenhang mit „Snowpiercer“ kann ich mich an die eine oder andere Vorschau im Kino oder Fernsehen erinnern. Die dürften zeitlich ungefähr mit den ersten Trailern zur Serie „The Last Ship“ (2014-2018) zusammengefallen sein – und es kam, wie es kommen musste: Ich heftete beide Franchises unter „das ist doch das Gleiche, nur mit verschiedenen Transportmitteln“ ab, ohne dass ich das eine oder das andere jemals gesehen hätte. Ziemlich kurzsichtig? Mag sein, jedenfalls war genau das der Grund, wieso ich keine großen Erwartungen an „Snowpiercer“ hatte, obwohl ich eigentlich ein Fan endzeitlicher Science Fiction bin.
Worum geht’s?
Um der Erderwärmung endlich Herr zu werden, wird im Jahr 2014 damit begonnen, chemische Kältemittel in die obere Atmosphäre einzubringen. Das Experiment gelingt grundsätzlich, allerdings sind die Folgen dramatisch: Eine neue Eiszeit vernichtet fast alles Leben auf dem Planeten. Nur rund 1.000 Menschen haben die Katastrophe überstanden und sind seitdem im Zug „Snowpiercer“ zusammengepfercht, der auf einem globalen Schienennetz seine Runden zieht. An Bord herrscht ein striktes Klassensystem: Je weiter hinten im Zug man sich befindet, desto weniger Rechte hat man. Das will sich eine Gruppe von Menschen nach Jahren des Elends in den hintersten Waggons nicht mehr bieten lassen…
Was ich vorab nicht wusste: „Snowpiercer“ basiert auf einer französischen Graphic Novel namens „Le Transperceneige“ (deutsch: „Schneekreuzer“), die 1982 erstmals erschienen ist. Das ist auch der Hauptgrund für meine Verblüffung, denn anhand der Trailer hatte ich vermutet, dass der Film zwar eine etwas merkwürdige Prämisse hätte, an sich aber durchaus realistisch oder zumindest glaubwürdig wäre. Relativ schnell merkt man allerdings, dass „Snowpiercer“ eine ganze Reihe von Konzepten verarbeitet, die eher an Fantasy als an die Standard-Post-Apokalypse erinnern. Dieser Aspekt des Films wurde, zumindest meiner Erinnerung nach, in den Trailern geschickt verborgen. Ob das Absicht war oder nicht – oder ob ich einfach nicht genau hingesehen habe, kann ich heute freilich nicht mehr nachvollziehen. Fakt ist jedenfalls, dass ich eine andere Art von Film erwartet habe.
In seinen Mitteln unterscheidet sich „Snowpiercer“ folgerichtig recht stark von herkömmlichen Dystopien: Ein kilometerlanger Zug, angetrieben durch „die Maschine“, eine Art Perpetuum mobile, rast über ein Schienennetz, das die ganze Erde umspannt. Anhalten kann und darf er nicht; braucht er auch nicht, denn er ist ein in sich geschlossenes, sich selbst erhaltendes und versorgendes System (beispielsweise gibt es einen Waggon, der aus einem riesigen Aquarium zur Fischzucht besteht). Das allein ist schon ein sehr fantasievolles Gedankenspiel – dazu kommen dann noch die unterschiedlichen Zwecken dienenden und entsprechend eingerichteten Wagen (z. B. die Schule, in der die Kinder Loblieder auf die Maschine und Zugführer Wilford singen) und die nicht minder skurrile Bevölkerung.
Ein Comic ohne Komik.
Nun darf man „Snowpiercer“ trotz teilweise grotesker Szenen nicht als seichten Action-Reißer oder gar Klamauk abtun. Im Gegenteil, Regisseur Joon-ho setzt die Überzeichnung, die Comics und Graphic Novels seit jeher auszeichnet, so ein, dass sein Film fast noch düsterer wirkt, als es bei einer realitätsnäheren Produktion eventuell der Fall gewesen wäre. „Snowpiercer“ ist übrigens nicht unbedingt humorvoll: Man lacht gelegentlich aufgrund übertriebener, karikaturhafter Darstellungen; Thema und Dialoge bieten hingegen kaum Gelegenheit zum Schmunzeln, wobei man schon auch allenthalben auf Zynismus und Ironie trifft.
Wo sich der Film hingegen wenig von quasi-realistischen Dystopien unterscheidet, ist seine Kritik an autoritären Systemen und Zweiklassengesellschaften. Ob es zur Äußerung derselben nun besser ist, sie realistisch zu verpacken oder nachgerade absurder Überzeichnung zu arbeiten, wage ich nicht zu entscheiden. „Snowpiercer“ macht jedenfalls letzteres, was dem Film einen ganz eigenen Charme verleiht, den man in dieser Art selten zu sehen bekommt. Und: Bong Joon-ho nutzt zusätzlich Elemente sowohl der westlichen als auch der fernöstlichen Filmkunst, was den Eindruck, hier etwas völlig Neuartiges zu sehen, noch verstärkt. Da vergisst man dann schon mal, dass die Story per se nicht so richtig originell scheint, wobei der Twist am Ende durchaus gelungen ist. Generell besteht der Film aber aus einer Aneinanderreihung von Szenen, die davon handeln, wie sich die Protagonisten langsam aber sicher durch einen Waggon nach dem anderen in Richtung Lokomotive vorarbeiten.
Abschließend noch ein Wort zu den Darsteller:innen: „Snowpiercer“ ist stark besetzt, wobei einmal mehr die Antagonist:innen hervorstechen: Tilda Swinton und Ed Harris spielen ganz ausgezeichnet – erstere als eine Art Innenministerin, die zynisch und arrogant versucht, die Ordnung im Zug aufrecht zu erhalten. Harris taucht hingegen erst gegen Ende des Films auf, macht seine Sache als charismatischer Zugchef aber sehr gut, sodass man als Zuseher:in letzten Endes nicht so richtig sicher ist, ob man ihm nun böse sein muss oder nicht. Den Helden des Films gibt Chris Evans, dem ich persönlich hier das Prädikat „solide“ verleihen würde.
Fazit: „Snowpiercer“ ist eine bedrückende, aber durchaus unterhaltsame Endzeit-Vision, deren Stärken vor allem im unkonventionellen Szenario und in den schön gestylten und choreografierten Action-Szenen liegen. Die Story ist – wenngleich mit einer durchaus wichtigen Botschaft versehen – eher Mittelmaß, das Ende empfand ich gar als überhastet und nicht ganz stimmig. Ansonsten kann ich den Film aber allen empfehlen, die ansatzweise etwas mit der leicht schrägen Prämisse anfangen können. Sie machen mit „Snowpiercer“ definitiv nichts falsch – und jetzt bin ich gespannt auf die Serie.
Gesamteindruck: 5/7
Originaltitel: Snowpiercer.
Regie: Bong Joon-ho
Drehbuch: Bong Joon-ho, Kelly Masterson
Jahr: 2013
Land: Südkorea, USA, Frankreich, Tschechien
Laufzeit: ca. 130 Minuten
Besetzung (Auswahl): Chris Evans, Song Kang-ho, Ed Harris, John Hurt, Tilda Swinton, Jamie Bell
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