SpielWelt: The Vanishing of Ethan Carter


„The Vanishing of Ethan Carter“ erschien 2014 und ist das erste und bis dato (Juni 2022) einzige Spiel, des polnischen Studios The Astronauts. Inhaltlich haben wir es mit einem Detektiv-Abenteuer mit übernatürlichen und Horror-Elementen zu tun. Diese Beschreibung ist allerdings nur eine grobe Orientierung – weder gibt es im Spiel sonderlich viele oder schwere Rätsel zu lösen, noch läuft man Gefahr, sich zu Tode zu erschrecken. „Walking Simulator“ nennt man so etwas heutzutage wohl…

Gesamteindruck: 3/7


Wo sind denn alle?

Der Star von „The Vanishing of Ethan Carter“ ist eindeutig die Grafik: Das Spiel läuft in der 3. Iteration der Unreal-Engine und sieht auch heute noch großartig aus, mutet nach wie vor fast fotorealistisch an. Zu verdanken ist das der in Spielen relativ selten verwendeten Technik der Photogrammetrie, die Red Creek Valley wie einen tatsächlich existenten Ort wirken lässt. Leider hat der Aufwand, der in die beeindruckende Optik gesteckt wurde, einen gewaltigen Pferdefuß: Die Spielwelt ist leer und kaum interaktiv, heißt: „The Vanishing of Ethan Carter“ ist mehr Grafikdemo als Spiel, was man auch an der kurzen Spielzeit und der recht vagen und wenig mitreißenden Story festmachen kann.

Darum geht’s:
In Red Creek Valley geht es nicht mit rechten Dingen zu – das merkt auch Detektiv Paul Prospero schnell. Dabei ist der Ermittler einiges gewohnt, hat er doch selbst übernatürliche Fähigkeiten, die er nutzt, um seine Aufträge zu erfüllen. Die braucht er auch, denn immerhin scheint nicht nur sein Auftraggeber, ein Junge namens Ethan Carter, verschwunden zu sein, sondern auch von allen anderen Einwohner:innen des abgelegenen Örtchens fehlt jede Spur…

Ich habe nachgesehen: Genau 3:45 Stunden habe ich für einen Durchlauf von „The Vanishing of Ethan Carter“ gebraucht. Nun muss freilich nicht jedes Spiel hunderte Stunden an Content bieten, dennoch überwiegt in vorliegendem Fall die Enttäuschung, wenn der Abspann über den Bildschirm flimmert. Schuld daran ist meines Erachtens vor allem der fehlende Tiefgang: Sobald man sich an der großartigen Grafik sattgesehen hat, stellt man fest, dass es in Red Creek Valley nicht sonderlich viel zu tun gibt. Schade, denn die Welt lädt grundsätlich durchaus ein, nach versteckten Abenteuern und Hinweisen zu suchen. Das kann man auch machen, schließlich ist die Gegend frei erkundbar – umso ärgerlicher, dass es abseits der vorgegebenen Aufgaben absolut nichts zu erleben gibt. Übrigens tendiert der Wiederspielwert mangels alternativer Lösungswege gegen Null, was man ebenfalls bedenken sollte, bevor man sich das Spiel zulegt. Daher an dieser Stelle gleich der Hinweis: Ich würde das Werk nur kaufen, wenn es bei einem der üblichen Anbieter in Aktion ist (ab und an findet man es dort sogar gratis).

Viel Grafik, wenig Inhalt.

Im Folgenden möchte ich auf die wesentlichsten Punkte, die „The Vanishing of Ethan Carter“ für mich zu einem eher mittelprächtigen Vergnügen gemacht haben, eingehen. Beginnen wir zunächst mit der allgemeinen Spielerfahrung: Man bewegt sich in der Ego-Perspektive flott, völlig ruckelfrei und praktisch nahtlos durch die In- und Outdoor-Bereiche einer gar nicht so kleinen Welt. Das funktioniert nach dem klassischen Standards, also per Maus und WASD-Tasten. Schön ist, dass die Grafik trotz ihrer verschwenderischen Pracht problemlos und fehlerfrei scrollt; allein die Lichteffekte gehören bis heute zu den sehenswertesten optischen Spielereien, die ich am PC jemals gesehen habe. Generell erzeugt die Grafik in Verbindung mit dem Sound (großartiges Voice-Acting übrigens!) eine tolle Atmosphäre, die mich sofort hineingezogen hat. Anmerkung am Rande: Freies Speichern ist nicht möglich, Autosave gibt es nur nach Abschluss einzelner „Kapitel“. Ärgerlich, denn damit wird ein kurzes Spielchen zwischendurch unmöglich gemacht.

Unabhängig davon hält die ganz große Begeisterung leider nicht so lange vor, wie man sich das wünschen würde. Zunächst muss man sich vergegenwärtigen, dass „The Vanishing of Ethan Carter“ zwar wie ein modernes 3D-Rollenspiel aussieht, letztlich aber ein Adventure ist. Das äußert sich – neben der Abwesenheit von Charakteren, Kämpfen und Rollenspiel-typischen Werten – vor allem im Design der Rätsel, die allerdings deutlich einfacher als in den alten Point & Click-Adventures sind: Es gibt kein Inventar, man muss meist nicht lange nach notwendigen Gegenständen suchen und auch der Einsatz der übernatürlichen Fähigkeiten ist nicht sonderlich innovativ oder herausfordernd. Wobei ich letzteres ein wenig korrigieren muss: Das Spiel warnt gleich am Anfang, dass es nicht die Hand des Spielers/der Spielerin hält. Das ist wohl wahr, denn mehr als einmal erschließt sich kaum, was als nächstes zu tun ist und wieso es einfach nicht weitergeht. Nur empfand ich das bei meinem Durchlauf nicht als geistige Herausforderung, sondern als schlechtes Design. Klar, trial & error gab es auch früher schon – von einem modernen Spiel würde ich mir dann aber doch etwas mehr erhoffen. Beispielsweise ein Rätsel, die eher Kombinationsgabe als schiere Geduld erfordern…

Kein Story-Highlight.

Wer nun denkt, dass all das keine große Rolle spielen würde, weil „The Vanishing of Ethan Carter“ ohnehin „nur“ auf das Erleben der Geschichte ausgelegt ist, hat einen validen Punkt. Das ist ohnehin symptomatisch für heutige Adventures, siehe zum Beispiel „The Wolf Among Us“ (2013) oder das kürzlich von mir besprochene „Brothers: A Tale of Two Sons“ (2013). Wie in jenen Titeln ist man als Spieler:in auch hier kaum noch gefordert, die eigene Problemlösungskompetenz unter Beweis zu stellen; es geht vielmehr darum, die Story mit einem kleinen Maß an Interaktivität voranzutreiben. Damit habe ich kein prinzipielles Problem, muss aber gleichzeitig konstatieren, dass „The Vanishing of Ethan Carter“ bei weitem nicht so packend erzählt ist, dass die oberflächliche Mechanik dadurch ausgeglichen würde. An dieser Stelle nehmen die Entwickler:innen ihr Publikum dann leider doch etwas zu wenig an die Hand – man muss sich alles selber zusammensetzen, was mehr schlecht als recht gelingt.

Die Handlung als Ganzes ist zwar einigermaßen schlüssig (wenn sie auch nicht vom Hocker reißt), aber alles, was dazwischen passiert ist abwechselnd vage oder wirr. Mir scheint, dass das Spiel tatsächlich auf zumindest einen zweiten Durchgang, bei dem sich alles besser erschließen sollte, ausgelegt ist. Und hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Die Mechaniken machen zu wenig Spaß, man wird immer wieder aus der Immersion gerissen und die Laufwege sind oft quälend lang, sodass man eigentlich froh ist, wenn man durch ist (eine kleine Relativierung der kurzen Spielzeit, wenn man so will). Und das, obwohl man genau weiß, dass ein weiterer Durchlauf zum besseren Verständnis der Spielinhalte beitragen würde – was nichts nutzt, wenn die Kosten-Nutzen-Rechnung dagegen spricht. Daraus schließe ich, dass das Konzept des Spiels nicht richtig ausbalanciert wurde – oder dem Studio hat einfach jemand gefehlt hat, der/die eine richtig gute Geschichte zu erzählen vermag.

Weil man trotzdem lange mit staunenden Augen durch die Welt von Red Creek Valley streifen kann, gibt es dennoch drei wohlwollende Punkte. Wer nicht gerade in einer Großstadt wohnt, kann das Gleiche aber im Endeffekt auch ohne Computer erleben, sodass unterm Strich nicht mehr als die beeindruckende Technik stehen bleibt. Der Inhalt von „The Vanishing of Ethan Carter“ verblasst hingegen deutlich in einem der schönsten und beeindruckendsten Sonnenuntergänge in der Geschichte der Computerspiele.

Gesamteindruck: 3/7


Genre: Adventure
Entwickler:
The Astronauts
Publisher: Nordic Games
Jahr:
2014
Gespielt auf: PC


Screenshots aus „The Vanishing of Ethan Carter“ – Copyright beim Entwickler!

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