„Prey“ (2017) ist ein Reboot des gleichnamigen Spiels von 2006. Wobei es wohl so ist, dass die zwei Titel bis auf den Namen und das grobe Setting einer außerirdischen Bedrohung nichts miteinander zu tun haben – noch nicht einmal des Genre dürfte das selbe sein. Beurteilen kann ich das allerdings nicht, denn bis dato habe ich das alte „Prey“ nicht gespielt. Die 2017er-Version habe ich mir hingegen Ende Juli 2022 zu Gemüte geführt. Wie sie mir gefallen hat, werde ich im Folgenden herausarbeiten.
Gesamteindruck: 4/7
Wer ist hier das Opfer?
Am Anfang stellt sich meist die Frage nach dem Genre. Im Falle von „Prey“ mögen Screenshots einen klassischen Ego-Shooter vermuten lassen, wie es die 2006er-Variante einer war. Wer mit dieser Erwartungshaltung herangeht, könnte enttäuscht werden: „Prey“ hat zwar Shooter-Element, steht letztlich aber in der Tradition von Reihen wie „System Shock“, „BioShock“, „Half-Life“ und „Dead Space“. Heißt: Das Tempo ist nicht übermäßig hoch, viel wichtiger als die Action ist einerseits die Geschichte, andererseits die Erforschung der Spielwelt und ihrer Möglichkeiten. Oder, anders ausgedrückt: Mit stumpfem Geballer wird man in „Prey“ nicht weit kommen und auch relativ wenig Spaß haben.
Darum geht’s:
In einer alternativen Zeitlinie kreist im Jahr 2032 die riesige Raumstation Talos I um den Mond. Kontrolliert wird sie von der mächtigen TranStar Cooperation. Der Multikonzern hat es sich zur Aufgabe gemacht, Möglichkeiten zur Nutzung der als Typhon bekannten, außerirdischen Spezies zu erforschen. Morgan Yu, Wissenschaftler:in und Teil der Familie, die Konzern und Station leitet, stellt sich in diesem Zusammenhang gern als Versuchskaninchen zur Verfügung. Als ein Experiment völlig außer Kontrolle gerät, sieht sich Yu einer außerirdischen Übermacht konfrontiert – und merkt bald, dass auch seine Familie und ihre Firma von dunklen Geheimnisse umgeben sind…
Beim Versuch, Spielgefühl und Genre zu charakterisieren, habe ich ja schon ordentlich namedropping betrieben. Das kommt nicht von ungefähr: „Prey“ spielt sich nicht nur wie eine Melange der genannten Titel, vielmehr speisen sich aus ihnen auch diverse Spiel- und Story-Elemente. So erinnert die beschädigte, mit Leichen übersäte und von bösartigen Aliens überrannte Raumstation stark an „System Shock“ und „Dead Space“, aber auch an die gefallene Unterwasserstadt Rapture aus „BioShock“. Der eigene Charakter ist Wissenschaftler mit starken Anleihen von Gordon Freeman aus „Half-Life“, daran gemahnen auch das schief gegangene Experiment und die Auslegung des Handlungsortes als Forschungsstation. Von „System Shock„, speziell aber von „BioShock“ übernimmt „Prey“ ferner die Art und Weise, wie die Geschehnisse rückblickend in Form von Text- und Audionachrichten erzählt werden, die geheimnisvolle Stimme, die den/die Spieler:in immer wieder per Funk erreicht sowie die Verbesserung der Fähigkeiten der eigenen Spielfigur.
Wenig Eigenständigkeit.
Nun stellt sich natürlich die Frage, ob „Prey“ überhaupt eigene Ideen beinhaltet. Ich würde sagen: Nein, die Arkane Studios haben meines Erachtens tatsächlich einen ordentlichen Griff in die Computerspiel-Historie getan und sich bei einigen der Besten ihres Faches bedient. Klar, es gibt ein paar Eigenheiten wie die lässige Gloo Gun, die ein schnell härtendes Material verschießt, das eigentlich zum Abdichten von Lecks dient, hier aber auf vielfältige Weise taktisch eingesetzt werden kann (z. B. um Rampen zu bauen oder Gegner einzu“frieren“). Oder der Sicherheitscomputer, in dem alle (!) Besatzungsmitglieder der Station aufgelistet und mit einem Status (lebendig/tot/unbekannt) versehen sind, sodass man, wenn man denn möchte, jede Person ausfindig machen kann, was für die Story nicht notwendig, aber immerhin ein eigenes Achievement darstellt.
Insgesamt gibt es aber trotz kleiner Innovationen wenig Neues: Gedächtnisverlust der Hauptfigur? Check! Außerirdische Übermacht? Check! Nur Morgan Yu kann den Tag retten? Check! Waffenarsenal mit Nahkampfwaffe, Schrotflinte, Pistole und Granate? Check! Jump Scares? Check! Und so weiter… Die Frage ist also: Macht mir das etwas aus? Die Antwort ist ein klares „Nein!“, denn „Prey“ nimmt diese bekannten Elemente und setzt sie zu einem über weite Strecken sehr unterhaltsamen, oft durchaus intelligenten Spielerlebnis zusammen.
Starke Atmosphäre.
Es gibt ein paar Gründe, die aus meiner Sicht stark dafür sprechen, einen Versuch mit „Prey“ zu wagen, wenn man einem solchen Szenario grundsätzlich zugetan ist: Erstens stimmt die Atmosphäre auf der Talos I ohne Wenn und Aber. Die Station wirkt weitläufig, ihre einzelnen Sektoren unterscheiden sich teils stark voneinander, bleiben dabei aber stets glaubwürdig: Ganz unten ist beispielsweise das Kraftwerk, ein funktionaler, von schweren und großen Maschinen dominierter Bereich, zwischendrin gibt es Labore, Freizeit- und Crewbereiche, ganz oben die Kommandobrücke und ein Aboretum nebst Gewächshaus für Sauerstoffversorgung und Nahrungsmittelanbau. Verbunden ist das alles über einen zentralen Aufzug, der, sobald im Rahmen der Hauptquest repariert, den jederzeitigen und freien Wechsel zwischen den Ebenen ermöglicht (dafür gibt es übrigens im Verlauf des Spiels auch andere Möglichkeiten, darunter die Abkürzung per Weltraumspaziergang, ein echter Augenöffner!). So gesehen ist „Prey“ also eine Art Open World-Spiel, wobei man nicht von Anfang an überall hin kann. Dennoch: Die Raumstation ist sehr schön gestaltet, man weiß stets, wo man ist und welchem Zweck die Räume dienen. Rein optisch erinnert Talos I übrigens recht stark an Rapture („BioShock“), weil auch hier in vielen Bereichen mit Holz- und diversen Art Deco-Elementen gearbeitet wird.
Der zweite Grund, wieso ich „Prey“ trotz der durchaus vorhandenen Schwächen, auf die ich noch eingehen werde, gern gespielt habe, ist das Erlebnis an sich: Die Hauptstory ist zwar insgesamt nicht ganz zwingend, die Erzählweise gefällt mir jedoch sehr gut. Einerseits findet man immer wieder Hinweise darauf, was passiert ist, bevor alles den Bach runterging, andererseits gibt es eine erkleckliche Anzahl an netten Nebengeschichten und kleineren Missionen. Nichts Aufregendes – aber es unterstützt die Lebendigkeit und Atmosphäre (s. o.) der Welt nachgerade perfekt, wenn man z. B. Hinweise darauf findet, dass einige Crewmitglieder Pen & Paper-Rollenspiele mögen und die Spielleiterin irgendwo auf der Station einen „Schatz“ für die Mitspieler:innen versteckt hat, den man auch tatsächlich finden kann. Solche Details gefallen mir in einem Spiel – vor allem dann, wenn sie wie in „Prey“ vollkommen optional sind.
Was ebenfalls im Haben zu verbuchen ist: Das Spiel ist so gebaut, dass sich für fast jede Aufgabe unterschiedliche Lösungswege finden lassen; das Ergebnis ist zwar meist das Gleiche, der Weg dorthin kann sich aber unterscheiden. Ein Beispiel sind durch irgendwelche Container blockierte Türen: Entweder baut man sich mit der Gloo Gun eine Rampe, um einen Lüftungsschacht zu erreichen. Oder man verwandelt sich per Alien-Fähigkeit in eine Tasse und rollt durch eine enge Spalte. Oder man schiebt das Hindernis per „Hebelkraft“ (ebenfalls eine erweiterbare Fähigkeit) zur Seite. Oder man schmeißt eine Recycling-Granate rein, die alles in ihrer Umgebung aufsaugt und in Crafting-Material verwandelt. Es wäre zwar übertrieben, zu sagen, dass der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind – dennoch ist es bemerkenswert, was in „Prey“ in verschiedenen Situationen alles möglich ist. Dazu passt im Übrigen auch der nicht-lineare Aufbau: Abseits der Hauptstory kann man Nebenquests nach Lust und Laune absolvieren, die Reihenfolge spielt dabei kaum eine Rolle, was ebenfalls sehr schön ist.
Eine Sache, die ich noch positiv hervorheben möchte, wenngleich sie natürlich nicht entscheidend ist: Ein Crafting-System muss schon sehr gut sein, um mich überhaupt zu interessieren. Im Falle von „Prey“ ist es so – zum Glück, denn der notorische Mangel an Ressourcen, vor allem Munition, zwingt dazu, Gegenstände selbst herzustellen, wenn man sich das Leben nicht noch schwerer machen möchte. Und das funktioniert so: Man kann auf der Talos I eine stattliche Anzahl an Items aufsammeln, die eigentlich nur Müll sind, darunter durchgeschmorte Kabel, zerknülltes Papier, angerauchte Zigarren (!) und Zitronenschalen (!!). Dieses Zeugs (und auch alle anderen Gegenstände im Inventar) wirft man dann in einen der in praktisch jedem Bereich vorhandenen Recycler, der es in Crafting-Materialen verwandelt. Das klingt nicht sonderlich aufregend, ist aber ein sehr befriedigender Vorgang (auch aufgrund der begleitenden Soundeffekte). Ein wenig erinnert das Ganze an eine Slot-Maschine im Casino, auch, wie das so gewonnene Material dann am anderen Ende herausprasselt. Mit diesen Wertstoffen geht man dann an den Replikator, eine Art 3-D-Drucker, der daraus – vorausgesetzt man hat die Baupläne und benötigten „Zutaten“ – alles herstellen kann, von Schrotpatronen über Medkits bis hin zu den NeuroMods, die zur Steigerung der eigenen Fähigkeiten dienen. Dieser Vorgang ist ebenfalls nett umgesetzt, aber nicht ganz so bedienfreundlich, weil man die Anzahl der gewünschten Gegenstände nicht einstellen kann (für viel Munition braucht man also gleichzeitig viel Geduld).
Kritikpunkte.
Alles, was ich bisher geschrieben habe, liest sich nach einem grandiosen Spielerlebnis. Das wäre „Prey“ vielleicht auch – wenn es nicht unter einigen Schwächen leiden würde, die wohl auch verhindert haben, dass der Titel zum Megaseller wurde und auch unter Genreliebhaber:innen eher ein Schattendesign fristet. Die aus meiner Sicht größten Problemfelder möchte ich exemplarisch herausgreifen, der Übersichtlichkeit halber in Aufzählungsform:
- Kampfsystem: Ich habe ja erwähnt, dass „Prey“ zwar kein Shooter ist, Waffengewalt aber in vielen Fällen durchaus eine valide Option wäre. Leider raubt einem das unausgegoren wirkende Kampfsystem jede Lust auf die Ballerei. In Verbindung mit der ständigen Ressourcenknappheit sorgt das dafür, dass man oft lieber an den Gegnern vorbeisprintet und sich durch die nächste Tür rettet, anstatt sie zu bekämpfen. Woran es liegt, weiß ich nicht genau – aber mal scheint man zu viel Unterstützung beim Zielen zu bekommen, d. h. auch Projektile, die daneben gehen müssten, strecken einen Feind nieder. Umgekehrt trifft man oft eindeutig ins Schwarze, aber mal braucht der gleiche Gegner nur einen Treffer um das Zeitliche zu segnen, mal lässt er sich auch von fünf Schrotladungen nicht aufhalten. Ich weiß nicht, ob das Absicht sein soll – oder ob es einfach nur schlampiges Design ist. So oder so sieht ein gutes, unterhaltsames Kampfsystem anders aus.
- Gegner: Ja, die Mimics sind mit ihrer Verwandlungsfähigkeit ganz nette Gegner, die für Paranoia sorgen – wer weiß, ob eine Rolle Klopapier einem nicht plötzlich ins Gesicht springt. Der Rest der Aliens ist hingegen ziemlich fad: Es gibt eine Vielzahl an Phantoms, die sich nur in der Art der Attacke unterscheiden (Feuer, Strom usw.) und mit ihrer Teleport-Fähigkeit nerven, einen unsichtbaren Poltergeist (extrem anstrengend und lästig) und eine Art Nest, aus dem bei Kontakt mehrere „Eier“ quellen, die man möglichst aus der Ferne erledigen sollte, was angesichts der Munitionsknappheit ebenfalls ein Ärgernis ist. Achja, Telepathen und Technopaten, die Menschen bwz. Maschinen kontrollieren können, sind auch noch da – und fallen ebenfalls unter die Kategorie „nervtötend“. Fazit: Die Kämpfe machen als Kombination aus System und Gegnern so gut wie keinen Spaß und haben zu allem Überfluss auch noch echte Frustmomente. Schade, weil dadurch auch der Entdeckungsdrang, den das Spiel durchaus belohnt, stark geschmälert wird.
- Backtracking: Wohl dem-/derjenigen der/die in die Reparatur-Fähigkeit investiert hat. Das Inventar ist zwar ausbaubar, bleibt aber stets zu klein, sodass man öfter als einem lieb ist, gezwungen wird, weite Strecken zurück zu gehen, um einen Recycler zu erreichen. Wer reparieren kann, kann das zumindest zum Teil umgehen, weil man immer mal wieder auf defekte Geräte dieser Art trifft. Unabhängig davon führen viele Missionen über relativ weite Strecken „hin und zurück“, was gerade noch verschmerzbar ist, sich zum Ende hin (dann muss man gefühlt noch einmal durch jeden Bereich der Station) aber sehr nach Streckung der Spielzeit anfühlt. Verschlimmert wird das durch Respawnen von Gegnern in vermeintlich bereits gesäuberten Bereichen, was wiederum zurück zu den beiden genannten Frust-Faktoren führt.
- Story: Bethesda ist zwar „nur“ der Publisher, dennoch leidet „Prey“ ein wenig unter einem Phänomen, das man von den Hauptreihen („Fallout“ und „The Elder Scrolls“) des US-Studios kennt. Die Hauptstory ist anfangs gar nicht übel erzählt, wirkt insgesamt aber arg generisch und wenig inspiriert. Vor allem in der Mitte gibt es einige Längen – und was den Schluss bzw. den letzten Twist (der eigentlich erst nach den Credits kommt) betrifft, muss man schon in der richtigen Stimmung sein, um zu goutieren, was dort offenbart wird. Festzuhalten ist also, dass „Prey“ meines Erachtens vor allem von seinem Worldbuilding und der daraus entstehenden Atmosphäre lebt – und nicht von seiner tollen Geschichte.
„Prey“ hat also einige Macken, macht aber auch sehr viel richtig (siehe oben). Und genau so spielt es sich letzten Endes auch: Ich war grundsätzlich gern auf der Talos I, die Atmosphäre hat mich sofort gefangen genommen und auch das Spielgefühl konnte mich über weite Strecken überzeugen. Die merkwürdigen und oft genug frustrierenden Kämpfe haben aber gleichzeitig verhindert, dass mich das Spiel tatsächlich vorbehaltlos begeistern konnte. Vielleicht kann man es so zusammenfassen: „Prey“ will zu viel auf einmal sein, dadurch verschiedene, schwer zu vereinende Spieler:innentypen ansprechen – und macht es damit niemandem so richtig recht: Für einen Shooter ist es zu langsam und in den Kämpfen zu ungelenk, für Survival-Horror ist es nicht furchteinflößend genug und das Schleichsystem wenig praktikabel, für ein Rollenspiel ist es zu wenig komplex, für ein Adventure ist es zu kampflastig und bietet zu wenige, spannende Rätsel. Spaß bringt es, das sollte inzwischen ja auch klar geworden sein, trotzdem; es wäre meines Erachtens halt einfach mehr möglich gewesen, hätten sich die Arkane Studios auf ein Genre konzentriert und das dafür richtig gut umgesetzt.
Freilich klingt der letzte Absatz negativer, als er eigentlich ist, denn eines ist auch klar: Ich habe etwas mehr als 50 Stunden mit „Prey“ verbracht. Vom Umfang her war das für mich gerade richtig, viel länger hätte ich tatsächlich nicht auf Talos I bleiben mögen. Bis dahin hat mich das Spiel aber sehr gut unterhalten, wäre es nicht so gewesen, hätte ich nie bis zum Schluss durchgehalten.
Ja, ich winde mich ganz schön, ich weiß es selbst… Eine Empfehlung gebe ich aber dennoch ab: Jede:r, der:die etwas mit einem oder mehreren der genannten Titel anfangen kann, sollte auch „Prey“ unbedingt eine Chance geben. Es ist ein durch und durch solides, unterhaltsames Spiel, dem leider ein wenig der Fokus fehlt. Darum werden wohl auch die Verkaufszahlen nicht sonderlich berauschend gewesen sein, sodass es über ein „Prey 2“ (oder, je nach Zählweise, „Prey 3“) zum Zeitpunkt dieser Rezension nicht mal gerüchteweise zu hören ist. Aber das ist eine andere Geschichte…
Gesamteindruck: 4/7
Genre: Action-Adventure / Ego-Shooter
Entwickler: Arkane Studios
Publisher: Bethesda Softworks
Jahr: 2017
Gespielt auf: PC
Screenshots aus „Prey“ (2017) – Copyright beim Entwickler!