Die Schrecken der nationalsozialistischen Diktatur adäquat darzustellen, erfordert viel Fingerspitzengefühl, speziell, wenn man sich außerhalb des (Anti-)Kriegsfilms bewegt. Häufig konzentriert man sich dabei auf die Opfer oder Gegner des Regimes, was dem Publikum zumindest eine eindeutige Identifikationsfläche bietet – und damit ein vergleichsweise sicherer Weg ist. Und doch gibt es auch Filme, die die Täter in den Fokus stellen und wenig bis gar nichts vom Leid, das sie anrichten, zeigen. „Der Untergang“ (2004) ist ein Beispiel dafür, „Die Wannseekonferenz“ (2001) ein anderes.
Gesamteindruck: 6/7
Unvorstellbar.
Diese Rezension soll freilich kein Vergleich zwischen „Der Untergang“ und „Die Wannseekonferenz“ werden – auf einen wichtigen Unterschied möchte ich aber dennoch hinweisen: Weil „Der Untergang“ die letzten Tage des Dritten Reichs zeigt und Wahnsinn und Verzweiflung der Protagonisten sichtbar macht, ermöglicht er es dem Publikum, so etwas wie Genugtuung über das Ende dieser menschengemachten Hölle zu empfinden. Anders „Die Wannseekonferenz“: Hier sehen wir, wie die Proponenten des Regimes völlig unbefangen und fast schon beiläufig über das wohl größte Verbrechen sprechen, das die Welt bisher gesehen hat. Und nein, nicht einmal Reinhard Heydrich, unbestritten eine der schlimmsten Figuren, die das Regime hervorgebracht hat, wirkt hier wie ein Monster. Und das ist es, was „Die Wannseekonferenz“ so unbehaglich und bedrückend macht: Diese Leute waren überzeugt davon, das – aus ihrer Sicht – Richtige zu tun und hielten sich nicht für Böse.
Worum geht’s?
Berlin, 20. Januar 1942: 15 hochrangige Vertreter des nationalsozialistischen Regimes und der SS treffen sich in einer Villa am Wannsee zu einer streng geheimen Konferenz. Unter Vorsitz und auf Einladung von Reinhard Heydrich wird in knapp 90 Minuten erörtert, wie der bereits begonnene Holocaust an den Juden möglichst effizient fortzusetzen und zu koordinieren ist, um die angestrebte „Endlösung“ zu erreichen…
Zunächst ein paar Worte zur Einordnung: „Die Wannseekonferenz“ ist der zweite Fernsehfilm, der sich mit dieser Thematik befasst. Der Erste trug den gleichen Namen, war eine deutsche Produktion und stammt aus dem Jahr 1984. Eine weitere Variante, ebenfalls aus Deutschland, erschien Anfang 2022. Vorliegendes Werk ist demnach die bis dato einzige nicht-deutschsprachige Bearbeitung des Stoffes. Macht das einen Unterschied? Nun, ich würde sagen, dass es zumindest ein bisschen merkwürdig wirkt, wenn Schauspieler, die Deutsche spielen, synchronisiert werden – denn das hört sich nie völlig natürlich an. Dazu kommt, dass man die Hauptdarsteller aus ganz anderen Rollen kennt, was das Gefühl, dass etwas nicht zu 100% zu stimmen scheint, noch verstärkt. Großen Einfluss auf meine Bewertung Films hat das alles zwar nicht, erwähnt wollte ich es aber dennoch haben. Anmerkung am Rande: Oft bevorzugt man ja, sich Filme im Originalton anzusehen. Davon würde ich hier strikt abraten, denn Nazis, die schönstes british english sprechen, machen einfach überhaupt keinen Sinn.
Keine Dokoumentation.
Dass „Die Wannseekonferenz“ auf einer realen Begebenheit beruht, sollte bekannt sein. Was ich persönlich nicht wusste: Die historische Konferenz dauerte knapp 90 Minuten, was künstlerische Bearbeitungen, so auch vorliegendes Werk, häufig nutzen, um die Ereignisse in Echtzeit wiederzugeben. Daraus sollte man aber nicht schließen, dass solche Umsetzungen dokumentarischen Charakter hätten, obwohl das immer wieder zu lesen ist. Das Problem: Alles, was man heute über die Wannseekonferenz weiß, ist einem offiziellen Besprechungsprotokoll zu verdanken, das zufällig der Vernichtung entgangen war. Darin sind zwar die Inhalte der Konferenz notiert, nicht jedoch die direkte Rede der Teilnehmer. Von daher muss sich jede künstlerische Auseinandersetzung eine Vielzahl an Freiheiten nehmen, die zum Teil freilich auch der Dramaturgie des Mediums Film geschuldet sind.
Solange nun nicht der Anschein erweckt wird, die Aussagen wären historisch verbrieft oder es handele sich um eine Dokumentation, ist das durchaus in Ordnung. Dennoch möchte ich an dieser Stelle einen Kritikpunkt anbringen, der vor allem für das an historischen Tatsachen interessierte Publikum interessant sein mag: Regisseur Frank Pierson ist meiner Ansicht nach der Versuchung erlegen, eine Identifikationsfigur für das Publikum anzudeuten. Das soll nicht heißen, dass er einen echten Helden oder einen fiktiven Teilnehmer an der Konferenz erfunden hat; vielmehr schrieb er (oder war es der Drehbuchautor?) dem Staatssekretär der Reichskanzlei, Friedrich Kritzinger, die Rolle eines Zweiflers zu. Das lässt ihn – zumindest im Vergleich zu seinen Komplizen – fast sympathisch erscheinen, entspricht Historiker:innen zufolge jedoch nicht den Tatsachen und wirft ein viel zu günstiges Licht auf den Mann. Dass ausgerechnet er dafür gewählt wurde, mag im Übrigen damit zu tun haben, dass Kritzinger später als einziger Teilnehmer der Konferenz deren verbrecherischen Charakter zugegeben hatte.
Klar ist: Durch diese Charakterzeichnung wird „Die Wannseekonferenz“ etwas erträglicher (nicht im Sinne der allgemeinen Qualität des Films, sondern was das Wohlbefinden des Publikums betrifft). Nur kann das meines Erachtens schwerlich Sinn der Sache sein. Übrigens erliegt Oliver Hirschbiegel in „Der Untergang“ für mein Dafürhalten mit seiner Darstellung des SS-Arztes Ernst Günther Schenck einer ähnlichen Versuchung.
Bedrückendes Kammerspiel.
Unabhängig von der Kritik an historischen Ungenauigkeiten und dramaturgischen Anpassungen ist Frank Pierson ein sehr starkes Werk gelungen. Der Regisseur lässt die Charaktere auf eine Weise agieren, die sehr natürlich wirkt: Wir haben es hier vordergründig nicht mit Monstern, sondern schlicht und einfach mit Bürokraten zu tun, mit allen Implikationen, die das nach sich zieht. Zuständigkeiten werden diskutiert, Maßnahmen vorgeschlagen und verworfen, Kosten und Nutzen abgewogen – und all das in weitgehend ruhigen, gemessenen Worten. Dadurch ist der Film auch so glaubwürdig: Niemand der Anwesenden muss seine Gesinnung vor sich hertragen (auch wenn sie immer mal wieder angedeutet wird), man kennt sich und weiß, was man voneinander zu halten hat. Dadurch wirkt „Die Wannseekonferenz“ als würde man tatsächlich eine reale Besprechung beobachten, wie sie (freilich mit anderen Inhalten) auch heute noch in zig Firmen und Organisationen vorkommen mag.
Die Stärke des Films liegt im Gegensatz: Einerseits sehen wir das zahlengetriebene, fast schon überkorrekte Bürokratentum, das sich um Zuteilung von Mitteln und juristische Spitzfindigkeiten streitet. Andererseits ist stets sichtbar, worüber hier eigentlich diskutiert wird: Die möglichst effiziente Organisation der Ermordung von elf Millionen (!) Menschen. Letzteres wird aber über weite Strecken so beiläufig in die Besprechung eingebaut, dass die Konferenz den Eindruck einer Diskussion über ein völlig anderes, vielleicht sogar harmloses Thema erweckt.
Meiner Ansicht nach ist das die wahre Leistung des Films: Er streicht sehr plausibel heraus, dass allen Teilnehmern an der Konferenz völlig klar war, was in Deutschland bereits seit einiger Zeit passierte (der Holocaust hatte ja zu jenem Zeitpunkt längst begonnen). Mehr als das: Sie nahmen den Auftrag, dieses Verbrechen so effizient wie möglich zu machen, als völlig selbstverständlich wahr und äußerten maximal organisatorische Bedenken. Was an dieser Stelle noch festzuhalten ist: „Die Wannseekonferenz“ verurteilt und kommentiert nicht, sondern überlässt dem Publikum die Interpretation. Und jede:r, die:der diesen Film sieht, kann nur zu einem Schluss kommen: Was 1942 am Wannsee passiert ist, auf welche Art und Weise Menschen (!) dort millionenfachen Mord an anderen Menschen geplant haben, ist unvorstellbar. Wäre die Rolle von Friedrich Kritzinger etwas weniger versöhnlich (merkwürdiges Wort in diesem Zusammenhang) angelegt gewesen, hätte es die volle Punktzahl geben können. Aber auch so ist „Die Wannseekonferenz“ ein Film, der bis ins Mark erschüttert. Nicht trotz, sondern gerade wegen seiner ruhigen und unaufgeregten Erzählweise.
Gesamteindruck: 6/7
Originaltitel: Conspiracy.
Regie: Frank Pierson
Produktion: Nick Gillott
Drehbuch: Loring Mandel
Jahr: 2001
Land: USA, UK
Laufzeit: ca. 95 Minuten
Besetzung (Auswahl): Stanley Tucci, Kenneth Branagh, Ben Daniels, David Threlfall, Owen Teale