Der Film „Blair Witch Project“ hat 1999 ein ganzes Genre zu weltweiter Popularität geführt, die bis heute anhält. Innerhalb des eigenen Franchise handelte es sich jedoch um ein singuläres Ereignis: Weder die nachfolgenden Filme, noch Versuche, in anderen Medien Fuß zu fassen, waren von nachhaltigem Erfolg gekrönt. Vermutlich dauerte es nach „Book of Shadows: Blair Witch 2“ (2000) deshalb auch geschlagene 14 Jahre, bis ein weiterer Film folgte. Im Spiele-Bereich war die Wartezeit sogar noch länger: Nach einer kaum bekannten Trilogie aus dem Jahr 2000 herrschte bis 2019 Flaute.
Gesamteindruck: 3/7
Trauma-Bewältigung im Hexenwald.
Die Rechte an der „Blair Witch“-Marke liegen seit 2003 beim kanadischen Medienunternehmen Lionsgate (das hier auch als Publisher auftritt). Mit der Umsetzung vorliegenden Spiels, dessen Veröffentlichung sicher nicht zufällig in den Zeitraum des 20-jährigen Jubiläums des Franchise fällt, wurde das polnische Studio Bloober Team betraut. Diese Firma hatte speziell mit „Layers of Fear“ (2016) bereits ein Händchen für Grusel-Software bewiesen, war also eine durchaus sinnvolle Wahl. Und dennoch kann und muss man sich fragen, ob mit der prestigeträchtigen Lizenz nicht deutlich mehr möglich gewesen wäre.
Darum geht’s:
Burkittsville im US-Bundesstaat Maryland, 1996: Der neunjährige Peter Shannon ist spurlos verschwunden. Angeführt vom örtlichen Sheriff durchkämmen Suchtrupps den berüchtigten Black Hills Forest. Als Freiwilliger mit dabei: Ellis Lynch mit seinem Hund Bullet. Für den Ex-Soldaten und Ex-Polizisten gerät die Suche in den düsteren Wäldern jedoch zunehmend zu einer Reise in seine eigene, traumatische Vergangenheit…
In technischer Hinsicht gibt es wenig an „Blair Witch„, das auf der Unreal Engine 4 basiert, zu auszusetzen: Die Grafik ist gelungen und zaubert ein stets glaubwürdiges und realistisches Bild des ikonischen Black Hills Forest auf den Bildschirm. Ein kleiner Wermutstropfen: Die wenigen NPCs, vor allem aber der ständige Begleiter Bullet, fügen sich nicht ganz so gut und nahtlos in die teils recht dichte Vegetation ein. Das ist allerdings Jammern auf hohem Niveau, denn abgesehen von dieser Kleinigkeit sieht das Spiel nach wie vor sehr gut aus. Dabei helfen diverse Effekte, beispielsweise verwackelte oder verschwommene Bilder, die die jeweilige Gemütslage des Protagonisten sehr gut illustrieren.
Verdichtet wird die Atmosphäre durch das grandiose Sounddesign: Hört sich tagsüber noch alles nach einem gemütlichen Ausflug in den Wald an, ertönt nachts die unheimliche und nervenaufreibende Kulisse, die man aus dem Film kennt. Mal knackt es unheilvoll im Unterholz, mal ertönt fernes Gelächter, dann flüstern wieder geisterhafte Stimmen und versuchen, den Protagonisten (und den:die Spieler:in) in den Wahnsinn zu treiben; all das kommt unter den Kopfhörern am besten zur Geltung, vor allem auch, weil deren Stereoeffekt genutzt wird, um das Gefühl von Räumlichkeit zu verstärken. Zusätzlich gibt es Musik – und die passt sich selbstredend situativ an, ist also ein weiterer Faktor, der die Anspannung vor dem Bildschirm in lichte Höhen treibt.
Erwähnt sei aber auch, dass „Blair Witch“ mit Sicherheit nicht das unheimlichste Spiel aller Zeiten ist (in Sachen Terror zieht es beispielsweise gegenüber „Outlast“, 2013, klar den kürzeren). Bedrohlich ist die Stimmung jedoch allemal, was letzten Endes sogar dazu führt, dass man eine echte Bindung zu seinem tierischen Gefährten Bullet aufbaut. Der Schäferhund lässt sich z. B. füttern und streicheln, was – so absurd es klingt – nicht nur dem Protagonisten, sondern auch dem:der Spieler:in emotional gut tut. Leider funktioniert die KI des Begleiters nicht so, wie ich mir das gewünscht hätte – eine nette Idee zur Erhöhung der Immersion ist Bullet aber allemal. Eines möchte ich in Sachen Technik im Übrigen nicht verhehlen: Das Spiel ist bei mir ein paar Mal öfter abgestürzt, als man es von modernen Programmen eigentlich kennt. Mitunter ist das ziemlich lästig, wenn es kurz vor einem der automatischen Speicherpunkte passiert.
Ein unheimlicher Waldspaziergang.
Was die Mechanik betrifft, würde ich „Blair Witch“ in die Riege der Walking Simulator einordnen – „The Vanishing of Ethan Carter“ (2014) ist ein Beispiel für eine naheliegende Referenz, was Aussehen und Feeling betrifft. Es gibt zwar gelegentlich Action-Sequenzen, in denen man versuchen muss, namenlosen und kaum sichtbaren Monstern entweder zu entkommen oder sie mit der Taschenlampe zu vertreiben, allzu oft kommt das aber nicht vor. Das eine oder andere Rätsel ist ebenfalls zu lösen, die dafür notwendige Hirnkapazität hält sich freilich in Grenzen. Das originellste Hilfsmittel ist übrigens ein „magischer“ Camcorder, mit dessen Hilfe sich z. B. gewisse Situationen durch Zurückspulen einer Kassette auflösen lassen.
Außerdem im Inventar: Ein für die 1990er typisches Handy, komplett mit dem damaligen Spiele-Hit „Snake“ und ein Walkie-Talkie. Diese Gegenstände dienen aber vorwiegend der Atmosphäre bzw. dem Erzählen der Hintergrundgeschichte und haben wenig Relevanz für die Lösung des Spiels. Sterben kann man ab und an, eine Katastrophe ist das allerdings nicht, weil man beliebig oft am letzten der großzügig verteilten Speicherpunkte neu starten kann. Und so bahnt man sich den Weg immer tiefer in einen gefühlt sehr großen Wald, merkt aber recht bald, dass es mit der Bewegungsfreiheit nicht so weit her ist. Immer wieder stößt man an unsichtbare Grenzen und fast in jedem Areal ist schnell klar, wohin das Spiel den Protagonisten lotsen möchte. Unterbrochen wird das Geschehen immer wieder durch merkwürdige Ereignisse und unheimliche Begegnungen, die die Handlung zusätzlich zur Lösung der Rätsel vorantreiben und so nach und nach die Geschichte des Protagonisten selbst enthüllen.
Thema verfehlt?
Alles, was ich bisher geschrieben habe, würde ich durchaus im Haben vermerken. Warum „Blair Witch“ dennoch nicht höher punkten kann, ist schnell erklärt: Das Spiel nimmt schlicht und einfach viel zu wenig Bezug auf den Mythos, der ihm seinen Namen gibt. Heißt: Es befasst sich vorwiegend mit den Traumata, die sich Ellis Lynch im Krieg zugezogen hat. Darauf wird immer wieder Bezug genommen, während die Hexen-Thematik fast völlig außen vor bleibt und hauptsächlich als Auslöser für die Halluzinationen (?) des Helden dient.
So kommt es dann auch, dass eindeutige Referenzen – darunter die typischen Strohmännchen oder gefundene Fotos, die an die Endsequenz des Films erinnern – regelrecht aufgesetzt wirken. Es ist, als hätte der Entwickler seit längerer Zeit an einem Spiel rund um einen traumatisierten Kriegsveteranen gebastelt. Und dann, als Lionsgate ein „Blair Witch“-Abenteuer in Auftrag gab, nicht von vorne begonnen, sondern alles, was da war, notdürftig in das gewünschte Korsett gezwängt. Kann man freilich machen; wer aber langjähriger Fan des Franchise ist, wird ziemlich sicher enttäuscht sein. Oder, ganz einfach ausgedrückt: Es ist zu wenig Blair Witch in „Blair Witch“. Das Spiel ist übrigens nach knapp 6 Stunden vorbei, was einerseits nicht gerade üppig ist, andererseits hätte ein größerer Umfang wohl für ordentliche Längen gesorgt und die Bewertung weiter gedrückt. Zwei verschiedene Endsequenzen sollen möglich sein, aus dem Spiel heraus wird aber nicht so ganz klar, welche Entscheidungen dafür verantwortlich sind.
Fazit: Technisch gut, inhaltlich durchwachsen.
Mit „Blair Witch“ legen Bloober Team ein technisch, optisch und akustisch nahezu einwandfreies Werk vor. Ob dennoch ein schaler Nachgeschmack bleibt, hängt wohl vor allem vom persönlichen Werdegang ab: Wer das Franchise nicht seit den 1990ern verfolgt hat, wird sich kaum daran stören, dass das Spiel nicht so viel mit der Legende um die Hexe von Blair zu tun hat, wie man sich erhofft hätte. Ich persönlich hatte hingegen genau aus diesem Grund das ständige Gefühl von „hier fehlt eindeutig etwas“. Kompensiert hätte das vielleicht durch einen spannenderen Nebenplot werden können – leider gibt es aber auch hier nichts zu beschönigen: Was das Trauma des Protagonisten ist, bekommt man recht schnell mit; in weiterer Folge kann man auch ganz gut antizipieren, wohin sich die Handlung entwickelt und was die Flashbacks zu bedeuten haben.
Wenn ich ein Wort finden müsste, das „Blair Witch“ beschreibt, würde ich zu „seicht“ tendieren. Aufgrund der passenden und fast durchgängig starken Atmosphäre gibt es dennoch 3 Punkte; wer es schafft, das „Blair Witch“-Label auszublenden, kann gerne einen oder sogar zwei Zähler addieren.
Gesamteindruck: 3/7
Genre: Adventure / Walking Simulator
Entwickler: Bloober Team
Publisher: Lionsgate Games
Jahr: 2019
Gespielt auf: PC
Screenshots aus „Blair Witch“ – Copyright beim Entwickler!
Ein Gedanke zu “SpielWelt: Blair Witch”