FilmWelt: Im Westen nichts Neues (2022)

„Im Westen nichts Neues“ (2022) ist die dritte Verfilmung des 1929 veröffentlichten, gleichnamigen Romans von Erich Maria Remarque. Nach zwei US-Produktionen (1930 und 1979) ist vorliegendes Werk die erste deutsche Verfilmung des Stoffes und ist zum Zeitpunkt dieser Rezension im Jänner 2023 für zahlreiche internationale Preise nominiert. Wieso meine eigene Bewertung weit weniger euphorisch ausfällt, versuche ich im Folgenden herauszuarbeiten.

Gesamteindruck: 4/7


Adaption mit Makeln.

Zu „Im Westen nichts Neues“ habe ich grundsätzlich eine besondere Beziehung: Das Buch habe ich zum ersten Mal – ausgerechnet! – während meines Wehrdienstes gelesen, wo eine sehr zerlesene Ausgabe auf der Wachstube lag. Die Lektüre hat mich so beeindruckt, dass ich es in zwei aufeinanderfolgenden Wachdiensten gleich zwei Mal gelesen habe – und bis heute alle ein, zwei Jahre wieder hervorkrame. Langweilig ist es mir bisher noch nie geworden und ich habe auch nicht das Gefühl, dass ich mich in den nächsten Jahren damit „überlesen“ könnte. Entsprechend hoch waren meine Erwartungen an vorliegenden Film, zusätzlich angestachelt durch sehr starke Bilder im Trailer.

Worum geht’s?
Nordfrankreich im 1. Weltkrieg: Als der 19-jährige Paul Bäumer an der Front ankommt, sind die Konfliktparteien längst in einen blutigen Stellungskrieg verstrickt. Schnell merkt Paul, der sich gemeinsam mit seinen Schulkameraden freiwillig gemeldet hat, dass es im Schützengraben ganz anders zugeht, als in den patriotischen Reden der Lehrerschaft. Zum Glück steht ihnen mit Stanislaus Katczinsky ein erfahrener Soldat zur Seite, mit dessen Hilfe die jungen Rekruten eine Chance haben, zumindest eine Zeitlang zu überleben. Und doch fällt einer nach dem anderen dem mörderischen Feuer zum Opfer…

Noch früher als der großartige Roman von Remarque hat mich die Verfilmung seines Werkes begeistert. Dabei spreche ich aber nicht vom Klassiker von 1930 (den habe ich erst viel später gesehen und war nicht so überwältigt, wie ich anhand der ihm zugeschriebenen Superlative eigentlich hätte sein müssen), sondern vom Fernsehfilm von 1979, u. a. mit Richard Thomas als Paul Bäumer und Ernest Borgnine als Stanislaus Katczinsky. Diese Arbeit von Regisseur Delbert Mann war prägend für mein erstes, konkretes Bild vom 1. Weltkrieg – und sie hat mein historisches Interesse an diesem Thema überhaupt erst geweckt. Und auch nach Ansicht des 2022er-Films bleibe ich dabei: Die Mann’sche Adaption ist die bis dato beste filmische Bearbeitung des Stoffes.

Technisch fein gemacht.

Was vorliegende Verfilmung betrifft, möchte ich zunächst die positiven Aspekte hervorheben: „Im Westen nichts Neues“ verfügt über fantastische production values, d. h. alles sieht großartig und sehr authentisch aus. Für den Dreh, der Großteils in Tschechien absolviert wurde (wie übrigens auch schon 1979), hat man augenscheinlich keine Kosten und Mühen gescheut, sodass man als Zuseher:in die erbärmlichen Zustände, unter denen hunderttausende Soldaten an der Westfront lebten und starben, fast am eigenen Leibe zu spüren meint: Dreck, Blut, das ständige Geschützfeuer, Hunger, Angst, Verzweiflung, Verwundung und der allgegenwärtige Tod – all das wurde meines Erachtens glaubwürdig und ohne Rücksicht auf das Wohlbefinden des Publikums inszeniert. Inklusive passender und überaus bedrückender Soundkulisse, unheilvoller Musik und starker Spezialeffekte.

Woran es ebenfalls wenig auszusetzen gibt, ist das Casting: Für die Hauptrolle hat man mit Felix Kammerer einen jungen Mann gefunden, dessen Gesicht perfekt in die Zeit passt, in der der Film spielt. In Hinblick auf die Nebenrollen hätte ich mir allerdings zumindest für den wichtigen Charakter Katczinsky einen etwas spezielleren Typen gewünscht – mag aber auch sein, dass ich hier zu sehr von der 1979er-Performance von Ernest Borgnine geprägt bin, der einen deutlich gereifteren und älteren „Kat“ gab. Welche Variante die „richtigere“ ist, kann ich nicht beurteilen, Fakt ist aber, dass sich Borgnine im Gegensatz zu Albrecht Schuch, der die Rolle 2022 spielt, deutlich stärker von seinen jungen Kollegen abhob. Man kann es auch so formulieren: Während Borgnine den „Kat“ eher als Vaterfigur anlegte, ist die Schuch’sche Version so etwas wie ein großer Bruder. Vom Rest der Darsteller bzw. Figuren ist mir eigentlich nur Daniel Brühl als Matthias Erzberger in Erinnerung geblieben (dazu etwas weiter unten mehr); mir ist insgesamt aber zumindest niemand negativ aufgefallen.

Eines möchte ich außerdem noch positiv hervorheben, bevor ich zur Kritik schreite: „Im Westen nichts Neues“ ist durchaus spannend inszeniert, was fast schon verwundert, sieht man sich die doch recht dünne Handlung – des Films, nicht des Romans! – an. Das liegt mitunter auch an der gefühlvollen und geradezu verschwenderisch schönen Bildkomposition, die auch in relativ langen Kamerafahrten kaum Längen aufkommen lässt. Ferner kann bzw. muss man – so seltsam und ungut es sich lesen mag – noch eines zugeben: Die häufig dargestellten, überaus brutalen Kampfhandlungen sind hervorragend choreografiert und von atemloser Spannung und Action geprägt. Mein Kompliment auch dafür an Regisseur Edward Berger und das Kamera-Team rund um den Briten James Friend: Eigentlich sind solche Sequenzen ja immer recht ähnlich, dennoch kommt hier zu keinem Zeitpunkt ein Gefühl von Übersättigung auf.

Meist weit weg von der Vorlage.

Die Frage, ob „Im Westen nichts Neues“ objektiv ein guter, vielleicht gar ein preiswürdiger Film ist, ist so leicht nicht zu beantworten. Ich habe die aus meiner subjektiven Sicht positiven Aspekte aufgezählt und glaube durchaus, dass z. B. Hauptdarsteller, Kamera, Schnitt, Ton oder andere technische Aspekte mit zum Besten gehören, das man aktuell im Genre sehen kann. Aber: Das Werk muss sich an seinem Titel messen lassen – und stellt mich als Verfilmung eines der wichtigsten (Anti-)Kriegsromane überhaupt nicht richtig zufrieden. So, jetzt ist es raus… und ich will natürlich versuchen, diese Einschätzung zu begründen.

Eines ist klar: Vorliegender Stoff wurde vorher zweimal sehr werkstreu verfilmt, was den Regisseur dazu bewogen haben mag, einige Dinge anders zu machen. Diesen Zugang verstehe ich einerseits, andererseits gibt es dennoch eine Vorlage, die aus bestimmten Gründen zu einem Klassiker geworden ist. Ich sage es ohne Umschweife: „Im Westen nichts Neues“ hat meines Erachtens über weite Strecken sehr wenig mit dem Roman zu tun und hat mich in dieser Hinsicht tatsächlich schwer enttäuscht. Dem Film fehlen – bis auf wenige Ausnahmen – praktisch ALLE Schlüsselszenen, die man mit der Geschichte von Remarque verbindet. Im Gegenzug stellt der Film einiges völlig anders dar, vor allem aber fügt er Sequenzen ein, die im Buch nicht vorkommen und die für mein Dafürhalten sogar dem Geist der Vorlage widersprechen.

Beginnen wir mit letzterem, also dem „Zusatzmaterial“: Ein wichtiger Aspekt bei Remarque ist die Konzentration auf die Perspektive des einfachen, unbekannten Soldaten. Die macht auch bei der Adaption von Edward Berger weite Teile der Handlung aus – als umso störender habe ich in der Folge jedoch jenen Ausflug in die hohe Politik empfunden, von dem Paul Bäumer abseits von Latrinengerüchten überhaupt nichts wissen konnte. So begleiten wir Matthias Erzberger in den Wald von Compiègne zu den Waffenstillstandsverhandlungen mit der französisch-englischen Delegation. Das mag grundsätzlich nicht unspannend sein, verwässert meiner Meinung nach aber einen essenziellen Aspekt des Romans: Die Soldaten als anonymer, bedenkenlos eingesetzter Spielball der Mächte, Menschenmaterial, das mal hier, mal dort eingesetzt wird, ohne über irgendwelche Hintergründe und Zusammenhänge informiert zu werden. Gerade diese Unwissenheit und der Verzicht darauf, sie im aufzuklären und einen Blick auf die politische Großwetterlage zu werfen, ist zu einem Gutteil dafür verantwortlich, dass der Roman dermaßen erschütternd wirkt. Darum finde ich diesen Exkurs des Films auch so entbehrlich; abgesehen davon, dass hier ein historisch verbrieftes Ereignis und reale Personen gezeigt werden, was nicht zum Rest der Handlung passt. Und auch, wenn der Versuch, zu zeigen, wie die Saat für den 2. Weltkrieg bereits 1918 gesät wurde, durchaus erwähnenswert ist, hat das alles schlicht und einfach nichts mit der Vorlage zu tun.

Der Film nimmt sich aber noch weitere Freiheiten heraus, die mitunter stark vom Roman abweichen. In den meisten Fällen passt das zwar besser, weil wir dabei – anders als beim Blick auf die Friedensverhandlungen – nicht die unmittelbare Umgebung der Hauptfigur verlassen. Was aber sehr merkwürdig anmutet: Die Handlung des Films scheint innerhalb weniger Monate (zwischen 1917 und dem Waffenstillstand im November 1918) stattzufinden. Nun wäre das an sich schon in Ordnung, im Buch finden sich ja ohnehin kaum Zeitangaben. Allerdings wirkt der Film dadurch – ganz im Gegensatz zu früheren Adaptionen, die auch in dieser Hinsicht stärker das Gefühl des Romans wiedergeben – übermäßig gerafft: Er konzentriert alles, was den Figuren widerfährt, ohne Not auf einen gefühlt viel zu engen Zeitrahmen, was reichlich unrealistisch anmutet; fast, als wäre das nur gemacht worden, um das Drama noch mehr zu steigern. Wer Remarques Vorlage kennt, hat dadurch eventuell sogar ein ernsthaftes Problem: Man weiß, wie viel eigentlich noch passieren „muss“, während man schon die Verhandlungen zum Waffenstillstand sieht – das hat zumindest mich auf gewisse Art nervös gemacht und mich bereits beim Ansehen befürchten lassen, dass im Endeffekt sehr viele wichtige Szenen fehlen werden. Das mag anderen Remarque-Kenner:innen ähnlich gegangen sein – oder ich bin zu streng, ich weiß es ehrlich gesagt nicht.

Der Regisseur scheint jedenfalls speziell die finale Tragödie, die sich rund um Paul Bäumer abspielt, in wenige Tage, ja Stunden Filmhandlung gepresst zu haben. Meines Erachtens keine gute Idee, weil eine solche Zuspitzung nicht so richtig zu Remarques Beschreibung des Krieges passen will. Was den Film bei mir mindestens einen Punkt kostet ist übrigens das Finale: Abgesehen davon, dass es im Roman ganz anders abläuft, hatte ich an dieser Stelle wohl das stärkste Gefühl von Effekthascherei. Ein letzter Großangriff, der kurz vor Inkrafttreten des Waffenstillstandes (11. November 1918) beginnt und die deutschen Truppen tief in die französischen Gräben eindringen lässt? Was hat das noch mit dem Schluss des Romans zu tun, auf den sich ja auch dessen Titel und damit auch der Name des Films beziehen, zu tun? Ich zitiere: „Er fiel im Oktober 1918, an einem Tage, der so ruhig und still war an der ganzen Front, daß der Heeresbericht sich nur auf den Satz beschränkte, im Westen sei nichts Neues zu melden.“ (Quelle: Remarque, Erich Maria: „Im Westen Nichts Neues“, Kiepenheuer & Witsch, 18. Auflage 2002, S. 197). Das, was im Film zum Schluss passiert, ist meines Erachtens das genaue Gegenteil eines Tages, an dem es im Westen nichts Neues zu vermelden gibt…

Es fehlt zu viel.

Neben dem, was „Im Westen nichts Neues“ der Romanhandlung hinzufügt, habe ich auch ein Problem mit dem, was weggelassen wurde. Von den zwölf Kapiteln, die das Buch umfasst, wird kaum eines vollständig (oder wenigstens über weite Teile) im Film thematisiert. Sogar eine der längeren Filmszenen, die Episode, in der Paul Bäumer gemeinsam mit einem französischen Soldaten im Granattrichter liegt, wird deutlich schneller abgehandelt, als man es sich erwarten würde, ist es doch gerade die Ausweglosigkeit und sich für den Protagonisten ewig hinziehende Länge der Situation, die man im Buch und auch in der 1979er-Verfilmung ständig zu spüren meint. Hier hat man hingegen den Eindruck, dass die Szene zwar für wichtig gehalten und deswegen aufgenommen wurde, man sie dann aber möglichst schnell abhandeln wollte. Ich mag mich freilich täuschen, mein Eindruck war jedenfalls so.

Davon abgesehen gibt es natürlich auch andere Szenen, Dialoge und Anspielungen, die man einordnen kann, wenn man das Buch kennt. Das ist zwar schön und gut, hilft aber nicht viel, wenn fast alle Schlüsselszenen fehlen, darunter die Ausbildung unter dem sadistischen Unteroffizier, die zeigen soll, was passiert, wenn man einfachen Menschen plötzlich Macht über andere gibt (und was der Unterschied zwischen Fronteinsatz und Exerzierdienst in der Kaserne ist), die Episoden, die das Elend der Feld- und Heimat-Lazarette zeigen, der Heimaturlaub bei den Eltern, in dem die immer breiter werdende Kluft zwischen Soldaten und Hinterland thematisiert wird usw. usf.

Ich verstehe schon, dass nicht jedes Kapitel des Buches erschöpfend behandelt werden konnte, das haben die alten Filme ja auch nicht gemacht – aber wie wenig „Im Westen nichts Neues“ in diesem Film letzten Endes steckt, hat mich schon ein wenig erschreckt, wenn ich ehrlich bin. Spannend wäre übrigens gewesen, im Film das Kapitel zu verarbeiten, in dem Paul Bäumer russische Kriegsgefangene bewachen muss. Denn das kam auch im 1979er-Film nicht vor (ob es in der 1930er-Adaption enthalten war, weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr), wäre also eine Möglichkeit gewesen, etwas Neues zu machen und dabei werkstreu zu bleiben. Interessante Randnotiz: Die Eröffnungssequenz des Romans, der Streit mit dem Koch, der für 150 Mann gekocht hat, von denen nur noch 80 leben, kommt im Film erst als eine der letzten Szenen, was ich aber nicht negativ beurteilen würde.

Fazit: „Im Westen nichts Neues“ ist ein guter Antikriegsfilm. Ja, wirklich! Er verfügt über einen starken Cast und Bilder, die den Horror des Stellungskrieges in selten gekannter Intensität zeigen. Leider wird er jedoch seiner Vorlage nicht ansatzweise gerecht, was für mich Grund genug für eine deutliche Abwertung ist. Unter einem anderen Titel – und mit leicht adaptierter Handlung – hätte ich hier mindestens einen Punkt mehr springen lassen. So muss es für magere 4 reichen – sehr, sehr schade und enttäuschend, aber es hilft nichts: Wer sich einen großen Namen aussucht, muss sich auch daran messen lassen.

Gesamteindruck: 4/7


Originaltitel: Im Westen nichts Neues.
Regie:
Edward Berger
Produktion: Malte Grunert, Daniel Marc Dreifuss
Drehbuch: Lesley Paterson, Edward Berger, Ian Stokell
Jahr: 2022
Land: Deutschland, USA, Großbritannien
Laufzeit: ca. 150 Minuten
Besetzung (Auswahl): Felix Kammerer, Albrecht Schuch, Aaron Hilmer, Daniel Brühl, Moritz Klaus, Edin Hasanović



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FilmWelt: Die Wannseekonferenz

Die Schrecken der nationalsozialistischen Diktatur adäquat darzustellen, erfordert viel Fingerspitzengefühl, speziell, wenn man sich außerhalb des (Anti-)Kriegsfilms bewegt. Häufig konzentriert man sich dabei auf die Opfer oder Gegner des Regimes, was dem Publikum zumindest eine eindeutige Identifikationsfläche bietet – und damit ein vergleichsweise sicherer Weg ist. Und doch gibt es auch Filme, die die Täter in den Fokus stellen und wenig bis gar nichts vom Leid, das sie anrichten, zeigen. „Der Untergang“ (2004) ist ein Beispiel dafür, „Die Wannseekonferenz“ (2001) ein anderes.

Gesamteindruck: 6/7


Unvorstellbar.

Diese Rezension soll freilich kein Vergleich zwischen „Der Untergang“ und „Die Wannseekonferenz“ werden – auf einen wichtigen Unterschied möchte ich aber dennoch hinweisen: Weil „Der Untergang“ die letzten Tage des Dritten Reichs zeigt und Wahnsinn und Verzweiflung der Protagonisten sichtbar macht, ermöglicht er es dem Publikum, so etwas wie Genugtuung über das Ende dieser menschengemachten Hölle zu empfinden. Anders „Die Wannseekonferenz“: Hier sehen wir, wie die Proponenten des Regimes völlig unbefangen und fast schon beiläufig über das wohl größte Verbrechen sprechen, das die Welt bisher gesehen hat. Und nein, nicht einmal Reinhard Heydrich, unbestritten eine der schlimmsten Figuren, die das Regime hervorgebracht hat, wirkt hier wie ein Monster. Und das ist es, was „Die Wannseekonferenz“ so unbehaglich und bedrückend macht: Diese Leute waren überzeugt davon, das – aus ihrer Sicht – Richtige zu tun und hielten sich nicht für Böse.

Worum geht’s?
Berlin, 20. Januar 1942: 15 hochrangige Vertreter des nationalsozialistischen Regimes und der SS treffen sich in einer Villa am Wannsee zu einer streng geheimen Konferenz. Unter Vorsitz und auf Einladung von Reinhard Heydrich wird in knapp 90 Minuten erörtert, wie der bereits begonnene Holocaust an den Juden möglichst effizient fortzusetzen und zu koordinieren ist, um die angestrebte „Endlösung“ zu erreichen…

Zunächst ein paar Worte zur Einordnung: „Die Wannseekonferenz“ ist der zweite Fernsehfilm, der sich mit dieser Thematik befasst. Der Erste trug den gleichen Namen, war eine deutsche Produktion und stammt aus dem Jahr 1984. Eine weitere Variante, ebenfalls aus Deutschland, erschien Anfang 2022. Vorliegendes Werk ist demnach die bis dato einzige nicht-deutschsprachige Bearbeitung des Stoffes. Macht das einen Unterschied? Nun, ich würde sagen, dass es zumindest ein bisschen merkwürdig wirkt, wenn Schauspieler, die Deutsche spielen, synchronisiert werden – denn das hört sich nie völlig natürlich an. Dazu kommt, dass man die Hauptdarsteller aus ganz anderen Rollen kennt, was das Gefühl, dass etwas nicht zu 100% zu stimmen scheint, noch verstärkt. Großen Einfluss auf meine Bewertung Films hat das alles zwar nicht, erwähnt wollte ich es aber dennoch haben. Anmerkung am Rande: Oft bevorzugt man ja, sich Filme im Originalton anzusehen. Davon würde ich hier strikt abraten, denn Nazis, die schönstes british english sprechen, machen einfach überhaupt keinen Sinn.

Keine Dokoumentation.

Dass „Die Wannseekonferenz“ auf einer realen Begebenheit beruht, sollte bekannt sein. Was ich persönlich nicht wusste: Die historische Konferenz dauerte knapp 90 Minuten, was künstlerische Bearbeitungen, so auch vorliegendes Werk, häufig nutzen, um die Ereignisse in Echtzeit wiederzugeben. Daraus sollte man aber nicht schließen, dass solche Umsetzungen dokumentarischen Charakter hätten, obwohl das immer wieder zu lesen ist. Das Problem: Alles, was man heute über die Wannseekonferenz weiß, ist einem offiziellen Besprechungsprotokoll zu verdanken, das zufällig der Vernichtung entgangen war. Darin sind zwar die Inhalte der Konferenz notiert, nicht jedoch die direkte Rede der Teilnehmer. Von daher muss sich jede künstlerische Auseinandersetzung eine Vielzahl an Freiheiten nehmen, die zum Teil freilich auch der Dramaturgie des Mediums Film geschuldet sind.

Solange nun nicht der Anschein erweckt wird, die Aussagen wären historisch verbrieft oder es handele sich um eine Dokumentation, ist das durchaus in Ordnung. Dennoch möchte ich an dieser Stelle einen Kritikpunkt anbringen, der vor allem für das an historischen Tatsachen interessierte Publikum interessant sein mag: Regisseur Frank Pierson ist meiner Ansicht nach der Versuchung erlegen, eine Identifikationsfigur für das Publikum anzudeuten. Das soll nicht heißen, dass er einen echten Helden oder einen fiktiven Teilnehmer an der Konferenz erfunden hat; vielmehr schrieb er (oder war es der Drehbuchautor?) dem Staatssekretär der Reichskanzlei, Friedrich Kritzinger, die Rolle eines Zweiflers zu. Das lässt ihn – zumindest im Vergleich zu seinen Komplizen – fast sympathisch erscheinen, entspricht Historiker:innen zufolge jedoch nicht den Tatsachen und wirft ein viel zu günstiges Licht auf den Mann. Dass ausgerechnet er dafür gewählt wurde, mag im Übrigen damit zu tun haben, dass Kritzinger später als einziger Teilnehmer der Konferenz deren verbrecherischen Charakter zugegeben hatte.

Klar ist: Durch diese Charakterzeichnung wird „Die Wannseekonferenz“ etwas erträglicher (nicht im Sinne der allgemeinen Qualität des Films, sondern was das Wohlbefinden des Publikums betrifft). Nur kann das meines Erachtens schwerlich Sinn der Sache sein. Übrigens erliegt Oliver Hirschbiegel in „Der Untergang“ für mein Dafürhalten mit seiner Darstellung des SS-Arztes Ernst Günther Schenck einer ähnlichen Versuchung.

Bedrückendes Kammerspiel.

Unabhängig von der Kritik an historischen Ungenauigkeiten und dramaturgischen Anpassungen ist Frank Pierson ein sehr starkes Werk gelungen. Der Regisseur lässt die Charaktere auf eine Weise agieren, die sehr natürlich wirkt: Wir haben es hier vordergründig nicht mit Monstern, sondern schlicht und einfach mit Bürokraten zu tun, mit allen Implikationen, die das nach sich zieht. Zuständigkeiten werden diskutiert, Maßnahmen vorgeschlagen und verworfen, Kosten und Nutzen abgewogen – und all das in weitgehend ruhigen, gemessenen Worten. Dadurch ist der Film auch so glaubwürdig: Niemand der Anwesenden muss seine Gesinnung vor sich hertragen (auch wenn sie immer mal wieder angedeutet wird), man kennt sich und weiß, was man voneinander zu halten hat. Dadurch wirkt „Die Wannseekonferenz“ als würde man tatsächlich eine reale Besprechung beobachten, wie sie (freilich mit anderen Inhalten) auch heute noch in zig Firmen und Organisationen vorkommen mag.

Die Stärke des Films liegt im Gegensatz: Einerseits sehen wir das zahlengetriebene, fast schon überkorrekte Bürokratentum, das sich um Zuteilung von Mitteln und juristische Spitzfindigkeiten streitet. Andererseits ist stets sichtbar, worüber hier eigentlich diskutiert wird: Die möglichst effiziente Organisation der Ermordung von elf Millionen (!) Menschen. Letzteres wird aber über weite Strecken so beiläufig in die Besprechung eingebaut, dass die Konferenz den Eindruck einer Diskussion über ein völlig anderes, vielleicht sogar harmloses Thema erweckt.

Meiner Ansicht nach ist das die wahre Leistung des Films: Er streicht sehr plausibel heraus, dass allen Teilnehmern an der Konferenz völlig klar war, was in Deutschland bereits seit einiger Zeit passierte (der Holocaust hatte ja zu jenem Zeitpunkt längst begonnen). Mehr als das: Sie nahmen den Auftrag, dieses Verbrechen so effizient wie möglich zu machen, als völlig selbstverständlich wahr und äußerten maximal organisatorische Bedenken. Was an dieser Stelle noch festzuhalten ist: „Die Wannseekonferenz“ verurteilt und kommentiert nicht, sondern überlässt dem Publikum die Interpretation. Und jede:r, die:der diesen Film sieht, kann nur zu einem Schluss kommen: Was 1942 am Wannsee passiert ist, auf welche Art und Weise Menschen (!) dort millionenfachen Mord an anderen Menschen geplant haben, ist unvorstellbar. Wäre die Rolle von Friedrich Kritzinger etwas weniger versöhnlich (merkwürdiges Wort in diesem Zusammenhang) angelegt gewesen, hätte es die volle Punktzahl geben können. Aber auch so ist „Die Wannseekonferenz“ ein Film, der bis ins Mark erschüttert. Nicht trotz, sondern gerade wegen seiner ruhigen und unaufgeregten Erzählweise.

Gesamteindruck: 6/7


Originaltitel: Conspiracy.
Regie:
Frank Pierson
Produktion: Nick Gillott
Drehbuch: Loring Mandel
Jahr: 2001
Land: USA, UK
Laufzeit: ca. 95 Minuten
Besetzung (Auswahl): Stanley Tucci, Kenneth Branagh, Ben Daniels, David Threlfall, Owen Teale


FilmWelt: Die Farbe

Wie sein großes Vorbild Edgar Allen Poe (1809-1849) war Howard Philips Lovecraft (1890-1937) ein großartiger Erzähler von Schauergeschichten. Seine Stories lesen sich auch heute noch fantastisch, weitgehend entziehen sie sich allerdings – wie jene von Poe – einer filmischen Adaption. Probiert wird es freilich dennoch immer wieder – so ist vorliegendes Werk beispielsweise die bereits vierte Verfilmung von Lovecrafts Kurzgeschichte „Die Farbe aus dem All“ (1927). Zwei weitere Versuche, den Stoff auf Zelluloid zu bannen, folgten 2017 und 2019; so richtig erfolgreich war allerdings keines dieser Projekte.

Gesamteindruck: 6/7


Die Darstellung des Unvorstellbaren.

Warum Poe und Lovecraft als nahezu unverfilmbar gelten, ist schnell erklärt: Einerseits verzichten beide in ihren Geschichten auf explizite Gewalt, strahlende Helden und atemlose Action, was die mögliche Zielgruppe für einen Horrorfilm empfindlich reduziert. Andererseits – und das wiegt deutlich schwerer – liegt der Fokus beider Autoren auf einer sich langsam aufbauenden Atmosphäre des Wahnsinns. Der manifestiert sich vorwiegend im Inneren der Protagonist:innen, was an sich schon schwer darstellbar ist (oder zumindest überdurchschnittlich begabte Schauspieler:innen braucht). Hinzu kommt, dass es kaum detaillierte Beschreibungen der schrecklichen Wesenheiten gibt, denen die Charaktere begegnen.

Worum geht’s?
Der junge US-Amerikaner Jonathan Davis reist Mitte der 1970er Jahre nach Deutschland. Dort, irgendwo in der Nähe eines einsamen Dorfes mitten in den fränkischen Wäldern, ist sein Vater verschwunden. Vor Ort stößt Davis auf eine merkwürdige Geschichte, die mit dem Aufschlag eines Meteoriten viele Jahre zuvor ihren Ausgang nahm. Gemeinsam mit dem Bauer Armin Pierske, der Davis‘ Vater kurz nach dem 2. Weltkrieg kennengelernt hatte, versucht der Amerikaner, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen…

H. P. Lovecraft schafft es in seinen Geschichten, die Lesenden durch vage Andeutungen in Schrecken zu versetzen. Will sagen: Gerade das, was er nicht schreibt, regt die Fantasie auf unheimliche Weise an. Daraus folgt, dass der Versuch, das, was die Lovecraft’schen Figuren in den Wahnsinn treibt, im Detail darzustellen, scheitern muss. Denn diese absolut unbegreifliche Fremdartigkeit wird eine Kamera niemals in dem Maße einfangen können, wie es die Fantasie des:der Leser:in tut. Und so ist es auch mit der namensgebenden Farbe, die letztlich keine Ähnlichkeit zu irgend etwas, das wir kennen aufweisen darf, wenn wir der Geschichte folgen, die als Vorbild für diesen Film dient.

Dieses grundlegende Problem war sicher auch Regisseur Huan Vu klar. Ich nehme jedenfalls an, dass das der Hauptgrund gewesen sein dürfte, wieso er sich für einen schwarz-weiß-Film entschieden hat. Klar, das passt zunächst schön zum Setting in den 1970er Jahren, in denen das Farbfernsehen noch in den Kinderschuhen steckte. Vor allem ermöglicht es diese Idee jedoch, die Farbe angemessen darzustellen: An das monochrome Bild hat man sich nach ein paar Minuten gewöhnt; wenn dann plötzlich ein Farbkleks (übrigens irgendwo zwischen violett und rosa) auftaucht, wirkt das tatsächlich völlig fremdartig und unheimlich.

Schauwerte wie die Großen.

Dass „Die Farbe“ meines Erachtens eine der besten Lovecraft-Adaptionen überhaupt ist, hat aber nicht nur mit der Idee, den Film überwiegend in schwarz-weiß darzustellen, zu tun. Hervorzuheben ist auch, dass das Werk trotz seines Indie-Status über Schauwerte verfügt, die sich nicht hinter weit größeren Produktionen zu verstecken brauchen: „Die Farbe“ ist technisch auf sehr hohem Niveau, wobei ich vermute, dass monochrome Bild geeignet ist, vieles zu kaschieren – auch, weil es nicht nur schwarz-weiß, sondern generell auf „alt“ getrimmt ist, was z. B. die Kameraführung betrifft. Dennoch muss man das erst einmal so hinbekommen, denn Bild, Ton und Schnitt sind völlig stimmig und wirken zu keinem Zeitpunkt so, als hätten sich die Verantwortlichen damit übernommen.

Was auch nicht unterschätzt werden sollte: „Die Farbe“ ist – speziell in den Hauptrollen – gut besetzt und stark gespielt. Die mir persönlich völlig unbekannte Riege agiert überaus glaubwürdig; nur an einer Stelle gibt es einen Effekt, den man auch von anderen deutschen Produktionen (z. B. „Tribes of Europa“) kennt: Wenn der Held in einem Wirtshaus mit zwei anderen Gästen spricht, spielen diese beiden so, als wären sie auf einer Theaterbühne. Das lässt diesen Trilog wie einen Fremdkörper wirken. Schade – Beinbruch ist es allerdings auch keiner, denn davon abgesehen findet man kaum etwas an der Leistung der Damen und Herren auszusetzen.

Das alles wäre freilich wenig wert, wenn es dem Regisseur nicht gelungen wäre, die doch recht kurze Story so zu inszenieren, dass sie eine Laufzeit von 90 Minuten füllt. Auch an dieser Front finde ich wenig zu meckern: Der Film ist insgesamt so ruhig, wie man es von einer Lovecraft-Adaption erwarten muss. An den richtigen Stellen gibt es mal mehr, mal weniger dosierten Horror. Alles ist stark auf die Charaktere – speziell auf den Dorfbewohner Armin Pierske (hervorragend gespielt von Michael Kausch) – fokussiert. Das Grauen, das das isolierte Örtchen befallen hat, manifestiert sich eher unterschwellig: Auch wenn es den einen oder andern durchaus schockierenden Ekel-Effekt gibt, sieht man eher, wie z. B. eine Bäuerin ein wenig durch die Gegend torkelt, was erst einmal nach nichts klingt, hier aber eine unheimlichere Wirkung entfaltet, als man meinen mag.

Nicht für jedes Publikum.

Ob das alles für jemanden, der:die das Werk des umstrittenen US-Autors nicht kennt, spannend ist, kann ich nicht beurteilen. Lovecraft-Puristen mögen hingegen enttäuscht sein, weil „Die Farbe“ nicht ganz werkstreu ist – und ich muss zugeben, dass auch ich zunächst Probleme damit hatte, dass die Handlung in die 1970er Jahre versetzt wurde. Umgekehrt ist es aber verständlich, denn so (und durch weitere Anpassungen) war es möglich, die Handlung nach Deutschland zu versetzen, was letzten Endes glaubwürdiger ist, als so zu tun, als befände man sich in den USA, wo Lovecrafts Geschichte ja eigentlich spielt. Das allein schon wegen der Schauspieler:innen, denen man ihre deutsche Herkunft jederzeit anmerkt.

Fazit: Mir hat „Die Farbe“ sehr gut gefallen und ich würde den Film allen, die etwas mit der Literatur von H. P. Lovecraft anfangen können, empfehlen. Für diejenigen, die eine Vorliebe für Indie- und Arthouse-Produktionen mitbringen, mag der Film auch ohne Kenntnis der literarischen Vorlage von Interesse sein. Für ein Massenpublikum ist er vermutlich nichts, was wiederum ganz gut zum Werk des Autors passt, das sich sicher auch nicht für jeden Geschmack eignet. Wer es dennoch – oder gerade deshalb – versuchen möchte, sieht hier meiner Meinung nach eine der bis dato besten Lovecraft-Adaptionen überhaupt, vom typischen Anfang bis hin zu einem Ende, das jede Menge Interpretationsspielraum lässt und wenig bis nichts erklärt.

Gesamteindruck: 6/7


Originaltitel: Die Farbe.
Regie:
Huan Vu
Drehbuch: Huan Vu
Jahr: 2010
Land: Deutschland
Laufzeit: ca. 90 Minuten
Besetzung (Auswahl): Michael Kausch, Ingo Heise, Erik Rastetter, Jonas von Lingen, Marco Leibnitz



MusikWelt: Space Police – Defenders of the Crown

Edguy


Das 10. Album der hessischen Formation Edguy ist im April 2014 erschienen. Ich schreibe diese Rezension im Sommer 2022 einen Nachfolger gibt es bis dato jedoch nicht, obwohl die Band nicht aufgelöst, sondern „on hold“ ist. Im Folgenden versuche ich zu klären, ob „Space Police – Defenders of the Crown“ ein würdiger Abschluss ist, egal, ob „nur“ vor einer langen Pause oder doch dem endgültigen Aus für die einst so gefeierten Wunderkinder des (deutschen) Melodic Metal…

Gesamteindruck: 5/7


Rückbesinnung.

Der Blick auf die Tracklist verheißt zunächst nichts Gutes: Nur bei einer von zehn Nummern des regulären Albums konnte ich ad hoc sagen, wie sie klingt. Das ist auch keine große Kunst, handelt es sich dabei mit „Rock Me Amadeus“ von Falco doch um ein Cover (hier das Original). Die restlichen Titel waren mir nicht einmal vom Namen her ein Begriff (was auf dem mauen Vorgänger „Age of the Joker“ von 2011 noch anders war). Daraus schließe ich, dass „Space Police“ für mich anno 2014 entweder keinen einzigen, halbwegs memorablen Moment enthalten hat oder ich hatte Edguy damals schon längst ad acta gelegt und mir die Platte kein einziges Mal bewusst angehört.

Die nunmehrige, intensivere Auseinandersetzung legt jedenfalls Möglichkeit Nummer zwei nahe, denn nach mehreren Durchläufen kam mir kein einziger Song auch nur ansatzweise bekannt vor. Und zwar weder im Positiven noch im Negativen, sodass ich davon ausgehe, dass ich das Album vor 2022 tatsächlich so gut wie nie gehört haben dürfte. Überraschend ist das eigentlich nicht, mein musikalischer Fokus war damals ja bereits ein völlig anderer. Vor allem aber hat die teils unterirdische Qualität, die Edguy in den Jahren zuvor abgeliefert hatten, jegliches Interesse am weiteren Output der Hessen im Keim erstickt.

An dieser Stelle vielleicht ein Wort zum angesprochenen Falco-Cover: Kann man machen, muss man aber nicht. Die Original-Version lebt ja von dem arroganten Superstar-Gehabe eines Falco, der im Wiener Dialekt vor sich hin rappt und damit eine eigentümliche Atmosphäre erschafft, die schlicht nicht reproduzierbar ist. Auch und vor allem von einer Band wie Edguy nicht, zumindest nicht so, wie sie es hier machen (keine Ahnung, ob es als Metalband überhaupt möglich ist). Musikalisch ist es ja noch in Ordnung, gesanglich bekleckert sich der gute Tobi hier aber nicht mit Ruhm. Ist nicht seine Art zu singen, ist nicht seine Stimmlage, ist nicht seine Sprache – so einfach kann das manchmal sein. Ich denke, den Song kann man vielleicht auf der einen oder anderen Metal-Party um Mitternacht auflegen (Ohrwurm-Charakter hat er ja), aber eigentlich würde ich es sogar dort eher mit dem Original versuchen, denn dem fügen Edguy nichts Essenzielles hinzu.

Überraschend gut.

Von dieser Irritation abgesehen mundet die Suppe, die uns die Mannen um Bandleader und Chef-Kaspar Tobias Sammet kredenzen, aber bei weitem nicht so schlecht, wie ich befürchtet hatte. Bereits der Opener „Sabre & Torch“ ist metallischer als alles, was man von Edguy in den zehn (!) Jahren zuvor gehört hat, zusammengerechnet. Ganz ehrlich: Ich hätte nicht erwartet, jemals wieder dermaßen prominent in den Vordergrund gemischte Riffs von dieser Band zu hören. Klar, die vielen „woh-oh-oh“-Teile sind cheesy und die Nummer ist ein bisschen zu lang – aber das ändert nichts daran, dass wir es hier mit dem besten Einstieg in ein Edguy-Album seit „Mysteria“ (auf „Hellfire Club“, 2004) zu tun haben.

Nun wäre das allein freilich zu wenig für eine passable Gesamtwertung. Allerdings geht das Album ähnlich gut weiter, die quasi-Titeltracks „Space Police“ und – eh klar – „Defenders of the Crown“ wissen ebenfalls vorbehaltlos zu gefallen. Wobei erstere Nummer etwas schwächer ist und ich den bemüht-witzigen Text nicht sonderlich mag, obwohl ich die Intention durchaus verstehe. „Defenders of the Crown“ ist hingegen großartig und greift tief in die ganz alte Power Metal-Kiste, eben genau so, wie es ein solcher Titel verspricht.

Der Rest des Albums ist – zu „Rock Me Amadeus“ habe ich ja alles gesagt – ebenfalls gelungen und zeigt, dass es Edguy 2014 doch noch konnten. Dabei stört nicht einmal, dass die Hessen eine Art Werkschau unternehmen, es sich also auch nicht nehmen lassen, Seiten ihres Schaffens auszuleben, die ich eigentlich nicht goutiere. So reiht sich rockiges („Love Tyger“, „Do Me Like A Caveman“) an schwermetallisches („The Realms of Baba Yaga“, „Shadow Eaters“) Liedgut. Das ist nicht ganz neu für Edguy, aber so frisch und spielfreudig klangen sie, ich wiederhole mich, in den zehn Jahren vor „Space Police“ nie, vor allem nicht auf Albumlänge. Der Vollständigkeit halber sei noch angemerkt, dass es mit „The Eternal Wayfarer“ ganz klassisch einen längeren Rausschmeißer gibt, dessen Refrain ich sehr gern mag, der insgesamt aber nicht ganz so geil ist, wie ich mir nach dem, was ich zuvor gehört habe, erhofft hätte. Egal, trotzdem eine gutklassige Nummer.

Es geht nicht ohne Wermutstropfen.

Zwei Wermutstropfen muss ich aber auch benennen: Einerseits ist die Pflichtballade, „Alone in Myself“, komplett für die Tonne. Schade drum, denn das war eine Disziplin, in der mir Edguy zumindest auf den frühen Alben immer sehr gut gefallen haben. In vorliegendem Fall können sie hingegen nicht ansatzweise an alte Großtaten anschließen. Andererseits habe ich teilweise ein echtes Problem mit der Stimme von Tobias Sammet. Speziell bei Songs wie „Sabre & Torch“ oder „Space Police“ bekommt man eine Ahnung davon, was der Grund für den musikalischen Kurswechsel gewesen sein mag, den Edguy kurz nach der Jahrtausendwende vollzogen haben: Man meint regelrecht zu hören, wie sehr sich der Frontmann abmühen muss, halbwegs aggressiv zu klingen. Ganz gelingt ihm das nicht, zumindest in meinen Ohren wirkt er vor allem angestrengt, was den Gesamteindruck dann leider doch etwas nach unten zieht.

Fazit: Wer Edguy nach „Hellfire Club“ komplett abgeschrieben hat, hat mein vollstes Verständnis. Alles was danach kam, hat auch mich enttäuscht – umso erstaunliche  ist es, wie stark „Space Police – Defenders of the Crown“ aus den Boxen kommt. Eine schöne Überraschung, die man, wie ich finde, trotz aller Anwandlungen von Meister Sammet keineswegs kleinreden sollte. Mir hat es gefallen, auch wenn der ganz große, unsterbliche Hit nicht dabei ist

Gesamteindruck: 5/7 


NoTitelLängeNote
1Sabre & Torch5:006/7
2Space Police6:005/7
3Defenders of the Crown5:397/7
4Love Tyger4:265/7
5The Realms of Baba Yaga6:075/7
6Rock Me Amadeus [Falco-Cover]3:203/7
7Do Me Like a Caveman4:094/7
8Shadow Eaters6:086/7
9Alone in Myself 4:362/7
10The Eternal Wayfarer8:505/7
54:15

Edguy auf Space Police (Defenders of the Crown” (2014, Nuclear Blast):

  • Tobias Sammet − Vocals, Keyboards
  • Jens Ludwig − Lead Guitars
  • Dirk Sauer − Rhythm Guitars
  • Tobias Exxel − Bass
  • Felix Bohnke − Drums
Bild von: metal-archives.com

Anspieltipp 1: Defenders of the Crown
Anspieltipp 2: Sabre & Torch

MusikWelt: Age of the Joker

Edguy


Als „Age of the Joker“ drei Jahre nach dem schwachen „Tinnitus Sanctus“ (2008) auf den Markt geworfen wurde, hatte ich keine Erwartungen, hatte ich mit Edguy doch spätestens seit „Rocket Ride“ (2006) abgeschlossen. Entsprechend kann man meine damaligen Hördurchgänge von „Age of the Joker“ locker an einer Hand abzählen und ich musste mich für diese Rezension erstmals überhaupt intensiv damit beschäftigen. Und, soviel sei vorweggenommen: In voller Länge werde ich dieses Album wohl nie wieder hören…

Gesamteindruck: 2/7


Negativbestätigung.

Das 9. Studioalbum von Edguy ist die logische Fortsetzung des Kurses, den die Hessen bereits auf den unmittelbar vorangegangenen „Rocket Ride“ und „Tinnitus Sanctus“ eingeschlagen hatten. Leider. Heißt: Auch auf „Age of the Joker“ gibt es über weite Strecken eine Art AOR in Anlehnung an Acts wie Deep Purple (die ja zu den ganz großen Favoriten von Edguy-Chef Tobias Sammet gehören) auf die Ohren. Soll von mir aus so sein, hat aber mit der Musik, mit der man Ende der 1990er auch international zu einer echten Größe aufgestiegen ist, nichts mehr zu tun. Ob man das als Hörer:in goutiert ist freilich jedem/jeder selbst überlassen – ich persönlich kann damit leider überhaupt nichts anfangen und unter diesem Gesichtspunkt ist das Folgende auch zu lesen.

Unabhängig vom Genre sei außerdem angemerkt, dass man dem einen oder anderen Song deutlich anzuhören meint, dass Meister Sammet eigentlich viel lieber ein Avantasia-Album gemacht hätte (speziell die Schlussnummern „Behind the Gates of the Midnight World“ und „Every Night Without You“ sowie der Stampfer „Faces in the Darkness“ sprechen eine eindeutige Sprache). Blöd nur, dass jenes Projekt damals seinerseits bereits am absteigenden Ast war. Zu allem Überfluss vermute ich, dass genau diese Doppelbelastung Tobias Sammet die Kreativität (und zum Teil auch die Stimme) geraubt und sich damit negativ auf beide seiner Betätigungsfelder ausgewirkt hat. Spekulation? Mag sein, dennoch muss ich es so drastisch sagen: Aus meiner Sicht war bei Edguy bereits 2004 (mit „Hellfire Club“) und bei Avantasia 2008 (mit „The Scarecrow“) die Luft raus. Erholt hat sich bis dato (August 2022) keine der beiden Formationen (Edguy sind derzeit ohnehin seit geraumer Zeit „on hold“, was auch immer das heißen mag).

Glänzt zu keiner Zeit.

Nun aber zu „Age of the Joker“, das mit „Robin Hood“ ungünstig in seine mehr als einstündige Laufzeit startet: Der Opener ist mit über 8 Minuten deutlich zu lang (speziell der Spoken Word-Teil ist verzichtbar), hat zwar einen okayen Refrain, ist unterm Strich aber vor allem höchst unspektakulär. Was gleich hier auffällt und sich durchzieht: Die Gitarren sind viel zu leise, dafür gibt es bei den Keyboards einen heftigen Deep Purple-Einschlag. Dagegen wäre grundsätzlich nichts einzuwenden, nur sind Edguy in Sachen Songwriting halt mitnichten Deep Purple, was in Kombination mit der Erwartungshaltung an ehemalige Melodic Metal-Heroen zur bescheidenen Gesamtwertung führt.

Ich würde nun gern schreiben, dass es nach diesem klassischen Fehlstart besser wird – und ja, im ersten Moment hat man dieses Gefühl tatsächlich. Nur liegt das eher an der mangelhaften Qualität von „Robin Hood“ und weniger daran, dass Edguy sich songwriterisch steigern. So oder so: Der zweite Track, „Nobody’s Hero“, wäre definitiv der bessere Einstieg gewesen, wobei man auch hier nicht mal dann Metal findet, wenn man ihn mit der Lupe sucht. Und so geht es weiter und reiht sich eine nichtssagende Nummer an die nächste. Aufgehorcht habe ich an wenigen Stellen: „Rock of Cashel“ hat einen schönen Instrumentalteil mit geiler, irgendwie mittelalterlich anmutender Melodie und Maiden-Gitarren (wäre aber auf alten Edguy-Scheiben auch nur B-Ware gewesen). Am besten geht mir „The Arcane Guild“ ins Ohr, das tatsächlich wie eine klassische Melodic Metal-Nummer klingt. Wobei auch hier gilt: Was auf „Age of the Joker“ positiv hervorsticht wäre früher höchstens Durchschnitt gewesen…

Auf den Rest möchte ich eigentlich gar nicht mehr eingehen. Kein einziger (!) Track ist mir trotz einer Vielzahl an Versuchen nachhaltig im Gedächtnis geblieben, was man fast schon als katastrophales Fazit bezeichnen muss (vor der World of Shame bewahrt das Album nur, dass Edguy technisch niemand ans Bein pinkeln kann). Aber was soll man machen? Dass „Pandora’s Box“ ein bisschen mit Western und Country experimentiert, kann eventuell am Titel festmachen, dass „Every Night Without You“ eine Ballade sein muss, ist auch klar. Aber der Rest? Wie klingt „Breathe“? Wie „Two Out of Seven“? Ich weiß einfach nicht, wie diese Songs klingen. Und das ist im Endeffekt auch schon alles, was man über „Age of the Joker“ wissen muss. Schade – neben „Rocket Ride“ ist das damit der bislang schwächste Versuch der Hessen.

Gesamteindruck: 2/7 


NoTitelLängeNote
1Robin Hood8:262/7
2Nobody’s Hero4:334/7
3Rock of Cashel6:204/7
4Pandora’s Box6:473/7
5Breathe5:052/7
6Two Out of Seven4:293/7
7Faces in the Darkness5:244/7
8The Arcane Guild5:005/7
9Fire on the Downline5:483/7
10Behind the Gates to Midnight World8:584/7
11Every Night Without You4:521/7
1:05:42

Edguy auf „Age of the Joker” (2011, Nuclear Blast):

  • Tobias Sammet − Vocals
  • Jens Ludwig − Lead Guitars, Dobro
  • Dirk Sauer − Rhythm Guitars
  • Tobias Exxel − Bass
  • Felix Bohnke − Drums
Bild von: metal-archives.com

Anspieltipp 1: Nobody’s Hero
Anspieltipp 2: The Arcane Guild

MusikWelt: Hellfire Club

Edguy


Die Worte „Ladies and Gentlemen, welcome to the Freak Show!“ waren für mich immer ein Synonym für den beginnenden Niedergang der einst so großartigen Band Edguy. In der Rückschau umso mehr, anno 2004, als „Hellfire Club“ erschien, dachte ich zunächst noch an einen Ausrutscher. Dass es leider nicht mehr besser werden sollte, war damals natürlich niemandem bewusst – und schon gar nicht, dass man sich nur wenige Jahre später über ein Album, das wenigstens die Güte vorliegender Platte erreicht, freuen würde

Gesamteindruck: 4/7


Abwärtstrend.

Es ist schon merkwürdig: Als ich „Hellfire Club“ unlängst zum ersten Mal nach langer Zeit aufgelegt habe und eingangs zitierte Worte vernahm, hatte ich kein sonderlich gutes Gefühl. Dann ging die Musik los und schnell fragte ich mich, was ich damals eigentlich für ein Problem mit dem Album gehabt habe – nur, um wiederum wenige Minuten später feststellen zu müssen, dass der 7. Edguy-Longplayer mir als Ganzes tatsächlich nicht sonderlich schmeckt. Eine echte Achterbahnfahrt also? Naja, nicht wirklich – die Qualitäten von „Hellfire Club“ hat man nach den ersten zwei, drei Songs eigentlich gehört; der Rest der Platte fällt wahlweise unter „nett“ oder „generisch“ (a. k. a. „hab ich das nicht schon mal gehört?“).

Dennoch gibt es auch Positives zu berichten, denn die Jungs um Sänger, Kreativkopf und Ober-Spaßvogel Tobias Sammet steigen mit einem fulminanten Doppelschlag in das Album ein: „Mysteria“ ist exakt einer jener Klasse Songs, die die Hessen für eine gewisse Zeit zu einem der bekanntesten und erfolgreichsten Acts in ihrem Bereich gemacht haben. Stampfende Riffs treffen auf einen super-eingängigen Refrain, die Geschwindigkeit ist hoch, der Text leicht zu merken, der Gesang melodisch, kurz: Alles bewegt sich genau im von der Fanbase erwarteten und gewünschten Bereich. Gut, der beste derartige Song, den Edguy in ihrer Karriere geschrieben haben, mag „Mysteria“ vielleicht nicht sein, auszusetzen gibt es daran im Endeffekt aber dennoch wenig. Direkt darauf folgt der stärkste Track der Platte, der musikalisch im Kontrast zu seinem Vorgänger steht und wohl auch auf einer Avantasia-LP eine gute Figur gemacht hätte: „The Piper Never Dies“ ist eine wunderbar geschriebene Nummer, eine Halb-Ballade mit den schönsten Gesangslinien, die man sich vorstellen kann. Speziell dem Prä-Chorus („Come and fly away with me…“) kann man eigentlich nur das Prädikat „grandios“ verleihen. 10 Minuten dauert dieser Ritt, was für meinen Geschmack genau die richtige Länge ist.

Keine Glanztat.

Bis hierhin (und den nächsten Song, „We Don’t Need A Hero“ nehme ich auch noch mit) frage ich mich bei jedem neuerlichen Durchlauf, ob ich in Hinblick auf oben- bzw. untenstehende Gesamtwertung nicht zu streng zu den Mannen aus Fulda bin. Leider rückt das Gros der restlichen Tracks die Welt wieder gerade und führt Edguy geradewegs in jene Gefilde, aus denen sie sich bis heute nicht befreien konnten: In die absolute Belanglosigkeit. Es ist auch fast egal, welchen der weiteren Songs ich mir anhöre, denn keiner will mich auch nur annähernd begeistern. Im Endeffekt gib es mit „King of Fools“ und „Lavatory Love Machine“ überhaupt nur zwei Nummern, von denen man nicht nach 10 Minuten vergessen hat, wie sie klingen, was aber nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass auch diese Track nur ein Abklatsch alter Edguy-Herrlichkeit sind.

Als Beispiel für die Probleme, die ich mit dem Album habe, seien die Refrains von „Under the Moon“ und „Rise of the Morning Glory“ genannt: Beide kann man schnell mitsummen oder -singen, beide gehen gut ins Ohr – und beide sind dermaßen generisch, dass man das Gefühl hat, man würde eine Pop-Scheibe hören. Wobei sie eigentlich auch dazu nicht taugen, denn richtigen Ohrwurm-Charakter haben sie letzten Endes auch nicht. Ähnliches gilt übrigens auch für die beiden Balladen (die Vorliebe von Tobias Sammet für die Ohrenschmeichler kennt man mittlerweile ja, weshalb die Tatsache, dass zwei davon auf einem Album stehen, per se kein Aufreger mehr ist): Sowohl „Forever“ als auch „The Spirit Will Remain“ kann man getrost vergessen. Edguy haben auch in dieser Hinsicht in den Jahren vor „Hellfire Club“ deutlich besseres, interessanteres und – vor allem – emotionaleres Material veröffentlicht.

Fazit: Eine Empfehlung für „Hellfire Club“ kann ich maximal für die aussprechen, denen auch die folgenden Alben gefallen haben. Wobei auch das so eine Sache ist, denn letztendlich ist vorliegende Platte ein Zwischenschritt, der weder den einen noch den anderen Teil der Hörer:innenschaft so richtig zufriedenstellen dürfte. Für mich persönlich markiert das 7. Album der Fuldaer jenen Kurswechsel, der sie in einen Bereich geführt hat, in den ich nicht mitkommen mag. Vier Punkte gibt es dennoch, das aber vor allem aus heutiger Sicht und im Wissen um das, was später folgen sollte. Ich denke, anno 2004 habe ich „Hellfire Club“ als schlimmen Ausrutscher empfunden und wäre nicht so gnädig mit der Bewertung gewesen.

Gesamteindruck: 4/7 


NoTitelLängeNote
1Mysteria5:456/7
2The Piper Never Dies10:077/7
3We Don’t Need A Hero5:315/7
4Down to the Devil5:283/7
5King of Fools4:224/7
6Forever5:413/7
7Under the Moon5:052/7
8Lavatory Love Machine4:264/7
9Rise of the Morning Glory4:403/7
10Lucifer in Love0:322/7
11Navigator5:234/7
12The Spirit Will Remain4:132/7
1:01:13

Edguy auf “Hellfire Club” (2004, AFM Records):

  • Tobias Sammet − Vocals, Keyboards, Organ
  • Jens Ludwig − Lead Guitars, Backing Vocals
  • Dirk Sauer − Rhythm Guitars, Backing Vocals
  • Tobias Exxel − Bass, Backing Vocals
  • Felix Bohnke − Drums
Bild von: metal-archives.com

Anspieltipp 1: The Piper Never Dies
Anspieltipp 2: Mysteria

MusikWelt: Mandrake

Edguy


Für mein Dafürhalten befand sich Tobias Sammet anno 2001 auf dem Höhepunkt seines Schaffens: Kurz nach dem hervorragenden Debüt von Avantasia kam in jenem Jahr mit „Mandrake“ das fünfte – und für mich bis dato letzte unumstritten gute – Album von Edguy in die Läden. Beides konnte man damals Allen, die auch nur ansatzweise etwas mit Power Metal anfangen konnten, bedenkenlos empfehlen. Danach ging es – speziell für Edguy – zuerst langsam, dann leider immer schneller bergab.

Gesamteindruck: 6/7


Rundum gelungen.

Ein bisschen muss ich meine recht harsche Einleitung revidieren: „Mandrake“ und der Avantasia-Erstling „The Metal Opera“ stellen zwar für mich den Zenit in der Karriere von Tobias Sammet dar. Er selbst – und auch jener Teil des Publikums, der es gern etwas rockiger mag – werden das freilich anders sehen. Gerade bei Avantasia wurden die Kompositionen in der Folge deutlich komplexer und anspruchsvoller, was für die stetige Weiterentwicklung des Künstlers sprechen mag. Nur nutzt das alles nichts: Ich wollte Edguy immer so hören, wie sie bis inklusive „Mandrake“ geklungen haben. Dessen Nachfolger „Hellfire Club“ (2004) empfand ich damals übrigens als Ausrutscher, nicht wissend, wie sehr ich mich über den Folgejahren über ein Album jener Güte gefreut hätte. Aber ich schweife ab…

„Mandrake“ zeigt Edguy in einer Phase, in der der zweifelhafte Humor, der später einen immer größeren Anteil im Schaffen der Band ausmachen sollte, fast völlig außen vor bleibt. Einziger Hinweis auf die zukünftige Ausrichtung als Kasper-Truppe ist das unverdächtig betitelte „Save Us Now“. Das soll wohl eine Hommage an die Künste von Schlagzeuger Felix „Bum Bum“ Bohnke darstellen, zumindest interpretiere ich den Text über das „Highspeed Alien Drum Bunny“ so. Über die Lyrics kann man getrost geteilter Meinung sein, sie gar peinlich finden (was ich für übertrieben halte, so schlimm sind sie nicht), Fakt ist aber, dass der Song musikalisch über jeden Zweifel erhaben ist. Zumindest dann, wenn man sich nicht grundsätzlich an einer schnellen, super-eingängigen Nummer stört, deren Refrain man nach zweimal hören problemlos mitschmettern kann.

Große Hymnen allenthalben.

Musikalisch ist „Save Us Now“ nicht der einzige Song, der für den klassischen Edguy-Fan eine Kaufempfehlung in Reinkultur ist. Es wäre meiner Ansicht nach müßig, hier Track für Track durchzugehen, es reiht sich tatsächlich ein Highlight an das nächste; meine persönlichen Favoriten möchte ich dennoch kurz erwähnen: „Tears of a Mandrake“ als großartiger Opener mit unwiderstehlichem Refrain, das lange und titelgemäß leicht orientalisch angehauchte „The Pharao“ (ich liebe den Zwischenteil, der so oder so ähnlich auch von Avantasia sein könnte), der Vintage-Edguy-Track „Painting on the Wall“ sowie einer meiner Alltime-Faves der Fuldaer, „Fallen Angels“ mit einer teilweise sehr aggressiven Gesangsleistung von Meister Sammet. Im Haben sind aber auch fast alle anderen Songs zu verbuchen – übrigens glaube ich, dass das Gekreische im lässig riffenden „Nailed to the Wheel“ eine Ursache für die späteren Stimmprobleme des Sangeswunders gewesen sein könnte.

Eigentlich gibt es nur zwei Nummern, die ich nicht so richtig goutiere: Das finale „The Devil and the Savant“ scheint mir rückblickend einer der ersten Songs in der Edguy-Chronologie zu sein, die zeigen, dass die typische Formel der Hessen vielleicht doch nicht so unverwüstlich ist und mit Abnutzungserscheinungen zu rechnen ist. Prädikat: „Eh ganz nett aber gefühlt schon x-mal gehört“. Noch weniger warm werde ich aber mit der Pflichtballade, die auf den Namen „Wash Away the Poison“ hört und mir vor allem eines zeigt: Edguy haben auch in Sachen Herzschmerz den Bogen überspannt und längst alles gesagt, was es dazu zu sagen gibt. Ein klassischer Fall für die Skip-Taste also – dabei technisch aber durchaus passabel und gewohnt fehlerfrei umgesetzt. Uninspiriert und langweilig ist die Nummer halt dennoch; bei mir erweckt sie den Eindruck, nur auf dem Album zu sein, weil es keine Power Metal-Platte ohne einen derartigen Track geben kann und darf.

Von diesen Kleinigkeiten abgesehen: Volle Kaufempfehlung, wer Power Metal mag, macht mit „Mandrake“ definitiv nichts falsch und erhält einen bunten Strauß an eingängigen, schnellen und stellenweise richtiggehend epischen Hymnen. Zwar sind „Vain Glory Opera“ (1998) und „Theater of Salvation“ (1999) noch ein klitzekleines Bisschen besser, aber einer der stärksten Versuche von Edguy ist vorliegende Platte allemal.

Gesamteindruck: 6/7 


NoTitelLängeNote
1Tears of a Mandrake7:117/7
2Golden Dawn6:085/7
3Jerusalem5:276/7
4All the Clowns4:496/7
5Nailed to the Wheel5:415/7
6The Pharao10:377/7
7Wash Away the Poison4:403/7
8Fallen Angels5:157/7
9Painting on the Wall5:157/7
10Save Us Now4:376/7
11The Devil and the Savant5:264/7
1:04:29

Edguy auf “Mandrake” (2001, AFM Records):

  • Tobias Sammet − Vocals, Keyboards, Organ
  • Jens Ludwig − Lead Guitars, Backing Vocals
  • Dirk Sauer − Rhythm Guitars, Backing Vocals
  • Tobias Exxel − Bass, Backing Vocals
  • Felix Bohnke − Drums
Bild von: metal-archives.com

Anspieltipp 1: Fallen Angels
Anspieltipp 2: Painting on the Wall

FilmWelt: Go Trabi Go

Es kann durchaus lohnend sein, sich als Erwachsene:r mit Werken zu beschäftigen, die man zuletzt in der Kindheit genossen hat. Mindestens genauso oft ist der Film, das Buch oder das Spiel in der Erinnerung jedoch deutlich besser aufgehoben. So ist es mir leider auch mit „Go Trabi Go“ (1991) ergangen.

Gesamteindruck: 3/7


Gen Italien.

Vorausschicken möchte ich, dass ich nie eine emotionale Bindung zu diesem Streifen gehabt habe – ganz im Gegensatz zu „Ein toller Käfer“ (1968), um eine andere Komödie rund um des Menschen liebstes Fortbewegungsmittel zu nennen. Ich meine sogar, dass ich „Go Trabi Go“ nur ein einziges Mal vollständig gesehen habe, vermutlich irgendwann zwischen 1991 und 1994. Entsprechend lückenhaft war mein Gedächtnis in dieser Hinsicht – übrigens ebenfalls konträr zu „Herbie“, bei dessen jüngster Sichtung ich auch nach zig Jahren einen Großteil der Dialoge mitsprechen konnte.

Inhalt in Kurzfassung
Kurz nach der Wiedervereinigung Deutschlands macht sich Familie Struutz von Bitterfeld in Sachsen-Anhalt auf den Weg in ihren ersten Italienurlaub. Standesgemäß soll Trabant „Schorsch“ Vater Udo, Mutter Rita und Tochter Jacqueline nach Neapel bringen – immer auf den Spuren von Goethe, dessen „Italienische Reise“ Deutschlehrer Udo als Fremdenführer auserkoren hat. Klar, dass die Fahrt zu einem echten Abenteuer wird und eine Panne die nächste jagt… 

Ich will gar nicht lange drumherum reden: „Go Trabi Go“ hat mich anno 2022 ein- oder zweimal laut auflachen lassen, ein paar Mal habe ich geschmunzelt – mehr war es dann aber nicht. Die Geschichte ist denkbar flach, was bedeutet, dass der Film nur von seiner Situationskomik und ein wenig Lokalkolorit (wenn man das so nennen mag) lebt. Leider ist beides relativ dürftig, wobei ich zumindest den beteiligten Schauspieler:innen, die die sächsische Familie auf durchaus charmante Weise geben, keinen Vorwurf machen möchte.

Ein Kind seiner Zeit.

Im wesentlichen dürften zwei Faktoren ausschlaggebend dafür sein, dass „Go Trabi Go“ mich nicht (mehr) abgeholt hat. Erstens ist der Film schlichtweg ein Kind seiner Zeit: Als er erschienen ist, war nicht nur der Westen etwas völlig Neues für die Menschen, die bis dahin hinter dem eisernen Vorhang gelebt hatten; umgekehrt hatte man – speziell auch hier in Österreich – kaum jemals einen „Ossi“ gesehen. Der fahrbare Untersatz, das Urlaubsoutfit und, vor allem, der merkwürdig anmutende Dialekt waren damals völlig ungewohnt. Und, so albern das aus heutiger Sicht klingen mag: Es war unterhaltsam anzusehen, wie sich die Sachsen mit Staunen durch „unsere“ Welt bewegt haben. Wobei ich gleich einschränken möchte, dass das eine sehr subjektive Sichtweise auf den Film ist, denn in Wirklichkeit werden die Unterschiede zwischen Ost und West kaum behandelt; mehr als dass die Familie über ihr Auto und ihre Sprache als ostdeutsch zu identifizieren ist, ist es im Endeffekt nicht, der Rest spielt sich eher im Kopf des Publikums ab. Und genau das hat für die westlichen Zuschauer:innen des Jahres 1991 noch funktioniert – heute fällt es ungleich schwerer, weil die Charaktere praktisch keine Tiefe haben und rein über ihre Herkunft aus dem Osten definiert sind.

Der zweite Kritikpunkt, der mir heute sofort ins Auge springt, während ich ihn Anfang der 1990er ignoriert (oder nicht erkannt) habe, hat mit Inszenierung und Drehbuch zu tun: „Go Trabi Go“ scheint auf den ersten Blick eine Art Roadmovie zu sein – das wäre aber viel zu hoch gegriffen, dafür fehlt es dem Film an Charakteren, es fehlt ihm aber auch an einem Drehbuch, das über eine bloße Aneinanderreihung von Sketches hinausgeht. Was in diesen Einzelszenen passiert, ist ab und an recht witzig, insgesamt aber arg vorhersehbar – und vor allem auch sehr brav. Bezeichnend, dass die einzige ernste Aufnahme eine Ohrfeige für die Tochter beinhaltet, etwas, das man heute in einem solchen Film wohl nicht mehr zeigen würde, zumindest nicht auf diese Art. Ich weiß übrigens nicht mehr, wie ich besagte Szene in den 1990ern empfunden habe – heute hat sie ein sehr mulmiges Gefühl erzeugt, weil sie so leichthin in einer bis dahin klamaukig, flach und harmlos dahinplätschernden Komödie platziert wurde.

Immerhin: Gute Musik.

Zum Abschluss möchte ich noch zwei positive Punkte hervorheben (dass die Darsteller:innen ihre Sache sehr gut machen, habe ich ja schon geschrieben): „Go Trabi Go“ wurde an diversen Originalschauplätzen gedreht, was durchaus für schöne Bilder sorgt, die den Film zu einem gewissen Teil sogar tragen. Noch besser gelungen – und mir überhaupt nicht mehr präsent gewesen – ist jedoch die Musik. Speziell den Titelsong, „Westward Ho“ von John Parr und das von Claudia Schmutzler alias Jacqueline Struutz gesungene „Gates of Eden“ (im Original von Eena) verpassen dem Film einen Teil des genannten Roadmovie-Feelings, das sein Inhalt eigentlich gar nicht hergibt.

Mittlerweile weiß ich, dass Hauptdarsteller Wolfgang Stumph damals Kabarettist war und „Go Trabi Go“ auf einem seiner Programme basiert – daher kommt wohl auch die szenenhafte Inszenierung des Films. Letztlich glaube ich, dass die Story auf der Bühne, vorgetragen von Stumph selbst, deutlich besser wirken dürfte, als vorliegender Realfilm. Der, so mein Fazit, ist jedoch bestenfalls mittelprächtig gelungen. Wer ihn damals gesehen hat, kann seine Erinnerung auffrischen – essenziell ist „Go Trabi Go“ aber weder als Komödie, noch als historisches Anschauungsmaterial zur Wiedervereinigung.

Gesamteindruck: 3/7


Originaltitel: Go Trabi Go.
Regie: Peter Timm
Jahr: 1991
Land: Deutschland
Laufzeit: ca. 90 Minuten
Besetzung (Auswahl): Wolfgang Stumph, Marie Gruber, Claudia Schmutzler, Dieter Hildebrandt



FilmWelt: Tannöd

„Tannöd“ (2009) ist einer jener Filme, deren Trailer und Beschreibung mir im Vorfeld richtig gut gefallen haben. Doch leider ist es wie so oft in solchen Fällen: Bereits während des Ansehens macht sich Ernüchterung breit, die spätestens beim Abspann in echte Enttäuschung umschlägt. Warum „Tannöd“ dieses Schicksal ereilt, versuche ich in folgender Rezension zu beschreiben.

Gesamteindruck: 2/7


Finsteres Bayern.

Zunächst kurz zum Hintergrund (der mir vorab nicht bekannt war): „Tannöd“ basiert auf dem gleichnamigen Roman der deutschen Autorin Andrea Maria Schenkel, der 2006 erschienen ist. Dieses Buch ist wiederum inspiriert von einem realen, bis heute nicht aufgeklärten Mordfall der 1920er Jahre. Wie der Kriminalroman, der ihm als Vorlage diente, verlegt „Tannöd“ die Geschichte allerdings in die 1950er. Warum das so gemacht wurde, entzieht sich meiner Kenntnis, spielt letztlich aber auch keine große Rolle für die Handlung.

Worum geht’s?
Auf dem abgelegenen Tannöd-Hof trägt sich ein schreckliches Verbrechen zu: Die Bauersleute, ihre Kinder und die gerade erst angestellte Magd werden auf brutale Weise ermordet. Zwei Jahre nach diesen Ereignissen kehrt die auswärts arbeitende Kathrin in ihr Heimatdorf zurück, um sich um die Beerdigung ihrer Mutter zu kümmern. Gegenseitige Anschuldigungen und dunkle Geheimnisse bestimmen das Leben im Ort – und auch Kathrin wird wider Willen immer tiefer in die düstere Stimmung hineingezogen…

In der Theorie bringt „Tannöd“ fast alles mit, das einen guten Krimi oder Thriller auszeichnet: Starke Bilder, einen rätselhaften Mord und – vor allem – ungeahnte psychologische und kriminelle Abgründe. Leider gibt es letzten Endes aber nur einen einzigen Punkt, der voll und ganz überzeugt: Die von Anfang bis Ende großartige Kameraarbeit. Die setzt die ländliche Kulisse, die bei richtigem Licht beschaulich und malerisch wirken mag, düster und nachgerade grotesk in Szene. Subtil ist das freilich nicht, im Gegenteil: „Tannöd“ lässt optisch in keinem Moment Zweifel daran aufkommen, dass in der bayrischen Einöde etwas im Argen liegt. Den Wunsch, auch nur in die Nähe jener Gegend zu kommen, verspürt man auch als Zuseher:in, der/die das Landleben kennt, während der 100 Minuten Laufzeit so gut wie nie. Damit ist auch sofort klar, dass sich das Publikum mit der Rückkehrerin Kathrin identifizieren soll und muss, die jenem tristen Leben entkommen konnte.

Drehbuch als Sorgenkind.

Leider gelingt es Regisseurin Bettina Oberli (die gemeinsam mit Petra Lüschow auch das Drehbuch geschrieben hat) nicht, diese guten bis sehr guten Einzelteile stimmig zusammenzusetzen. Heißt: Bei „Tannöd“ ist das oft bemühte Ganze keineswegs größer als die Summe seiner Teile. Im Gegenteil: Die Grundzutaten lassen einen zumindest soliden, bestenfalls sogar großartigen Thriller erwarten, fügen sich aber zu keinem Zeitpunkt richtig zusammen. Oder, anders ausgedrückt: „Tannöd“ entwickelt nie jenen Sog, den man beispielsweise aus zugegeben leichter Kost wie „Der Bulle von Tölz“ oder „Tatort“ kennt, deren Folgen ja häufig in ähnlichen Milieus angesiedelt sind. An den Schauspieler:innen liegt das übrigens nicht, denn die machen ihre Sache zumeist ordentlich, wobei ich mir von Hauptdarstellerin Julia Jentsch ein etwas beherzteres Auftreten gewünscht hätte. Anmerkung am Rande: Zuseher:innen, die nicht aus Süddeutschland oder Österreich kommen, könnten Schwierigkeiten mit dem Verständnis haben, denn in „Tannöd“ wird fast ausschließlich bayrisch gesprochen.

Ich denke, der Grund für den schwachen Gesamteindruck, den der Film trotz herausragender Optik bei mir hinterlassen hat, ist im Drehbuch zu suchen. Das schafft es einerseits kaum, die notwendige Spannung aufzubauen, weil die einzelnen Szenen wahlweise überhastet oder in die Länge gezogen wirken. Andererseits ist „Tannöd“ stellenweise arg verwirrend; das ansonsten so befriedigende Gefühl, wenn Charaktere ein Mysterium nach und nach aufdecken, bleibt völlig aus. Auch, weil am Schluss ein überzeugendes Gesamtbild fehlt, was den Film in Kombination mit immer wieder eingestreuten Rückblenden, die nur zum Teil aussagekräftig sind, sehr zerfahren wirken lässt.

Dicht am Roman?

Ohne die Romanvorlage zum Zeitpunkt dieser Rezension gelesen zu haben, vermute ich stark, dass sich „Tannöd“ relativ werkstreu gibt – und dass genau das das Problem ist: Das Buch besteht aus 39 relativ kurzen Kapiteln, die auf verschiedene Weise miteinander verbunden sind und nach und nach ein Gesamtbild ergeben. Man sieht dem Film meiner Meinung nach deutlich an, dass er versucht, seine Geschichte auf ähnliche Weise zu erzählen, dabei aber Schwierigkeiten hat, die ursprünglichen Einzelepisoden „smooth“ ineinandergreifen zu lassen. Eigentlich ist sogar das Gegenteil der Fall und es wirkt von Anfang an befremdlich, dass zwei Jahre nach der Tat pausenlos über den Mord gesprochen wird, wenn die Hauptprotagonistin anwesend ist.

Ich bin jedenfalls auf den Roman gespannt – denn dass ich den jetzt unbedingt lesen möchte, ist der positivste Aspekt, den ich aus dem Ansehen des Films mitgenommen habe. Immerhin etwas – wenngleich ich es sehr schade fand und finde, dass die Verfilmung von „Tannöd“ so gar nicht reüssieren kann. Übrigens gilt das – wenn man den Rezensionen glauben darf – auch für den ebenfalls 2009 erschienen Film „Hinter Kaifeck“, der sich derselben Thematik annimmt. Aber das ist ein Fall für eine andere Rezension…

Für das ziemlich holprige „Tannöd“ gibt es 2 von 7 Punkten, mehr ist leider nicht drin, so sehr ich den Film auch mögen wollte.

Gesamteindruck: 2/7


Originaltitel: Tannöd.
Regie:
Bettina Oberli
Drehbuch: Bettina Oberli, Petra Lüschow
Jahr: 2009
Land: Deutschland
Laufzeit: ca. 100 Minuten
Besetzung (Auswahl): Julia Jentsch, Monica Bleibtreu, Volker Bruch, Brigitte Hobmeier, Vitus Zeplichal



FilmWelt: Der Untergang

Ich glaube, eine Bewertung von „Der Untergang“ (2004) sollte in zwei Aspekte zerfallen: Auf der einen Seite steht die Beurteilung von Inszenierung, schauspielerischer Leistung und Atmosphäre. Gleichzeitig ist zu überlegen, ob Regisseur Oliver Hirschbiegel und Drehbuchautor Bernd Eichinger († 2011) es geschafft haben, ihren eigenen und immer wieder betonten Anspruch an Authentizität gerecht zu werden. All das auch – und gerade weil – der Film im Unterricht gern als Anschauungsmaterial herangezogen wird.

Gesamteindruck: 6/7


Das Ende eines dunklen Kapitels.

Dass „Der Untergang“ den Nimbus hat, die bis dato exakteste Annäherung an die letzten Tage des NS-Regimes zu sein, die einem Spielfilm gelungen ist, kommt nicht von ungefähr. Weite Teile des Films basieren primär auf der Schilderung von Zeitzeug:innen, die die jeweiligen Szenen im Frühling 1945 tatsächlich miterlebt haben. Daraus erklären sich auch die unterschiedlichen Perspektiven – und warum die Kamera beispielsweise keiner Einzelperson hinter verschlossene Türen folgt. Heißt: Wenn sich beispielsweise Hitler allein in seine Privatgemächer zurückzieht, weiß man als Zuseher:in nicht, was der Diktator dort tut – eben weil niemand dabei war, der einen Augenzeug:innenbericht hätte liefern können. Eine interessante Herangehensweise (die leider nicht komplett durchgezogen wurde), die im ersten Moment gewöhnungsbedürftig klingt. Im Endeffekt ist es Regisseur Oliver Hirschbiegel jedoch gelungen, den Film weitgehend wie aus einem Guss wirken zu lassen.

Worum geht’s?
Im April 1945 liegen weite Teile Deutschlands in Trümmern. Die Alliierten rücken auf Berlin vor und ziehen den Kreis um die nationalsozialistische Führung immer enger. Trotz völlig aussichtsloser Lage weigert sich Diktator Adolf Hitler jedoch, den Kampf aufzugeben und schickt immer neue Truppen in den sicheren Tod. Auch von einer Flucht aus der Hauptstadt will der „Führer“ nichts wissen – stattdessen verschanzt er sich gemeinsam mit hohen Militärs und anderen Vertrauten in seinem Bunker. Mittendrin auch seine Privatsekretärin Traudl Junge, die die letzten Tage des Dritten Reiches und seiner Führung aus nächster Nähe miterlebt…

Zum ersten der eingangs genannten Aspekte kann ich mich kurz fassen – und ich denke, dass sich die Kritik zumindest in dieser Hinsicht auch einig ist: Oliver Hirschbiegel schafft in „Der Untergang“ scheinbar mühelos eine trostlose und von Wahnsinn durchsetzte Atmosphäre, die ihresgleichen sucht. Tatsächlich empfinde ich vorliegendes Werk, knapp hinter dem völlig anders gelagerten „Das Boot“ (1981), als einen der am stärksten inszenierten deutschsprachigen Titel zum 2. Weltkrieg. Sowohl Innen- als auch Außenaufnahmen hätte man meines Erachtens auch in Hollywood nicht besser hinbekommen können. „Der Untergang“ sieht einfach großartig aus: Die Enge des Bunkers, die zerstörten Straßenzüge, das Chaos des Häuserkampfes, die einschlagenden Granaten, die die Schutzräume erzittern lassen – all das wurde sehr passend und weitgehend ohne überbordende Effekthascherei umgesetzt. Auch Uniformen, Möbelstücke, Waffen usw. wirken authentisch, dazu kommen die grandiose Ausstattung, die gute Qualität der (seltenen) Szenen von der Front und ein Ton, der stärker zur Gesamtstimmung beiträgt, als man sich im ersten Moment bewusst ist. Chapeau dafür an alle Verantwortlichen!

Ein starker Hauptdarsteller.

Zur Verkörperung von Adolf Hitler durch den 2019 verstorbenen Bruno Ganz möchte ich folgendes festhalten: Ich erinnere mich ganz genau, wie ich 2004 aus dem Kino kam und plötzlich nicht mehr wusste, wie der reale Hitler ausgesehen hat – ich hatte nur mehr den Schauspieler aus der Schweiz (!) in dieser wohl herausforderndsten Rolle seines Lebens vor Augen. Ein merkwürdiges Kompliment, fürwahr – man muss aber sagen, dass Bruno Ganz hier auf geradezu unheimliche Art und Weise auftrumpft (wie sein Auftritt aus Sicht der Geschichtswissenschaft zu bewerten ist, ist freilich eine andere Frage). Er zeigt uns hier zwei Seiten des Diktators: Einerseits den wild gestikulierenden, schreienden und die Realität völlig verkennenden Führer, andererseits einen alten, kranken und ab und an sogar verletzlich wirkenden Mann. Einen Menschen – und kein Monster, was seine Taten aus meiner Sicht nur noch unbegreiflicher und schlimmer macht, auch wenn diese Darstellung ab und an Anlass zur Kritik am Film bietet. Das ändert aber meines Erachtens nichts an der herausragenden Leistung von Bruno Ganz.

Dass die anderen Darsteller:innen im Vergleich dazu eher ein Schattendasein führen, ist wenig überraschend. Hervorzuheben ist die Leistung von Corinna Harfouch und Ulrich Matthes, die die nicht minder schwierige Aufgabe haben, das Ehepaar Goebbels zu spielen. Für mich als interessierten Laien ist an dieser Stelle übrigens bemerkenswert, dass der Propagandaminister und seine Frau den zu dieser Zeit schon sehr gezeichneten Hitler in Sachen Brutalität und Kälte deutlich übertreffen – Magda Goebbels ist in dieser Hinsicht die wohl härteste Figur im ganzen Film, weil sich ihr Verbrechen, im Gegensatz zu denen ihres Mannes und der hohen Militärs, nicht gegen eine quasi-anonyme Masse, sondern gegen ihre eigenen Kinder richtet.

Der Rest des Casts ist gut, wenngleich nicht herausragend. Am besten hat mir Juliane Köhler gefallen, die eine völlig irrationale Eva Braun gibt, die ständig bemüht ist, eine Fassade aufrecht zu erhalten – sowohl nach außen hin als auch in ihrem eigenen Inneren. Und Alexandra Maria Lara als Traudl Junge? Ich denke, sie spielt das junge und naive Mädchen sehr passabel. Von der echten Traudl Junge stammen übrigens auch die ersten und letzten Sätze im Film, eingespielt per Interview, das im Jahr 2000 für die Doku „Im toten Winkel – Hitlers Sekretärin“ aufgenommen wurde. Vor allem der finale Einspieler ist durchaus versöhnlich, weil sich Junge dort eine Art Teilschuld zugesteht (ich glaube übrigens nicht, dass man ihr allzu große Vorwürfe machen kann und sollte, aber das führt hier zu weit).

An der Auswahl der Nebendarsteller:innen gibt es allgemein wenig zu beanstanden, eines muss ich aber kritisieren: Auch wenn es nur eine kleine Rolle ist, wurde Alfred Jodl, eine doch sehr bekannte historische Persönlichkeit, mit Christian Redl nicht sonderlich passend besetzt. Der, mit Verlaub, relativ grobschlächtige und auch zu junge Schauspieler hat, im Gegensatz zu den meisten anderen Darsteller:innen, optisch so gar nichts mit dem realen Vorbild zu tun. Kleinlich? Mag sein, aber in dem Fall hat es mich wirklich gestört.

Anspruch und Wirklichkeit.

Nach den Äußerlichkeiten wird es nun aber Zeit, sich dem zweiten wichtigen Aspekt eines Films zu widmen: Seiner Authentizität. Klar ist: „Der Untergang“ ist ein Drama und keine Dokumentation und darf sich allein schon deshalb die eine oder andere künstlerische Freiheiten herausnehmen. Andererseits werden historische Ereignisse dargestellt, was der Kreativität gleichzeitig recht enge Grenzen setzt. Ich denke, dass „Der Untergang“ diesen Balanceakt, über weite Strecken angemessen meistert – zumindest was die Darstellung der politischen „Großwetterlage“ in der Endphase des Nazi-Regimes betrifft. In manchen Details sieht das freilich etwas anders aus, was zwar per se kein Beinbruch ist. Allerdings hatte man nicht mit Superlativen gespart, was die allumfassende Authentizität betrifft – und muss sich daran letztlich auch messen lassen. Manches mag den Notwendigkeit der filmischen Dramaturgie geschuldet sein (Zeitzeugen haben beispielsweise angegeben, dass im Bunker praktisch immer leise und ruhig gesprochen wurde), dennoch glaube ich, dass es besser für den Film besser gewesen wäre, nicht ganz so stark auf die Wahrhaftigkeit jeder Szene zu beharren.

Im Vergleich zu einem anderen Punkt sind das aber ohnehin nur Kleinigkeiten, die zwar die Authentizität in Frage stellen, ansonsten aber keinerlei Auswirkung haben: Es geht um die Art und Weise, wie einige Personen gezeichnet wurden – und dabei spreche ich nicht von Hitler selbst, dessen Darstellung ich weiter oben bereits kommentiert habe. Auch die Entscheidung, ihn nicht als Alleinschuldigen zu präsentieren, halte ich für gerechtfertigt. Problematisch ist aber, dass zwar eine erkleckliche Anzahl weiterer NS-Verbrecher:innen zu sehen ist, die allerdings bei weitem nicht so umfassend charakterisiert sind. Und genau dadurch entsteht die Gefahr, dass der Diktator sympathischer erscheint, als er sollte – beispielsweise in Diskrepanz zu den Goebbels, die abseits ihrer unmenschlichen Kälte überhaupt keine Eigenschaften haben. Eine schwierige Angelegenheit, aber ich schätze, das ist der Preis, der gezahlt werden muss, wenn man einen der größten Schurken der Geschichte aus intimer Nähe darstellen möchte.

Vielleicht haben die Verantwortlichen diese Problematik, die unreflektierten Zuschauerinnen und Zuschauern eventuell Anlass zur Relativierung eines Verbrechers geben könnte, selbst erkannt. Und vielleicht ist das die Antwort auf die Frage, wieso „Der Untergang“, ein Film, der pädagogisch wertvoll sein soll, Schlüsselfiguren des Dritten Reiches regelrecht sympathisch darstellt. Allen voran SS-Arzt Ernst Günther Schenck (gespielt von Christian Berkel), der im Angesicht der Niederlage als rational und menschlich dargestellt wird – was auch so gewesen sein mag. Was Schenck als Arzt im KZ verbrochen hat, kommt im Film hingegen nicht zur Sprache. Muss es auch nicht, weil es mit seiner Rolle während der Endphase nichts zu tun hat – umso wichtiger wäre es aber gewesen, zumindest im Abspann darauf hinzuweisen, dass dieser Mann keineswegs eine weiße Weste hatte. Ähnliches gilt für Albert Speer (Heino Ferch), der hier als mahnende Stimme der Vernunft auftritt, während er in Wirklichkeit mit seinen Industrieprogrammen entscheidend zur Verlängerung des Krieges und damit verbundenen Leides beigetragen hat, auch und gerade in der Endphase, als der Kampf längst völlig sinnlos geworden war.

Der Punkt ist: Ähnlich wie bei der Darstellung von Hitler kann man auch bei Persönlichkeiten wie Schenck, Speer, Fegelein oder Jodl Aspekte herausgreifen, die zeitgenössisch vermutlich genau so wahrgenommen wurden, wie es der Film suggeriert. Allein: Jeder auch nur halbwegs gebildete Mensch weiß, dass es an Adolf Hitler nichts, aber auch gar nichts zu beschönigen gibt, egal, ob er in „Der Untergang“ ein Kompliment für das gute Essen ausspricht oder tollpatschig mit seiner Sekretärin schäkert. Bei den anderen Genannten ist das meines Erachtens jedoch weit weniger klar – sie und ihre Taten sind im kollektiven Bewusstsein nicht dermaßen prominent verankert. Dadurch erzeugt „Der Untergang“ bei ihnen eventuell einen zu günstigen Eindruck, indem ihre Vorgeschichte komplett ausblendet wird. Die einzig wirklich bösen und hassenswerten Figuren sind hier die Goebbels, für alle anderen empfindet man eher Mitleid angesichts ihres völligen Realitätsverlustes.

Fazit: Nicht unreflektiert ansehen.

Meiner Meinung nach gibt es zwei Anwendungsfälle (ein besseres Wort fällt mir nicht ein) für „Der Untergang“: Als Drama, das mit einem hohen Maß an historischer Genauigkeit auf das Ende einer dunklen Epoche zurückblickt und dabei hervorragend inszeniert und gestaltet ist. So habe ich mir den Film 2004 im Kino angesehen und später im TV – und jedes Mal hat er mich aufs Neue beeindruckt. Der zweite Fall ist die Nutzung als historisches Anschauungsmaterial, was grundsätzlich auch funktionieren kann, weil „Der Untergang“ im Vergleich zu mancher Dokumentation deutlich leichter konsumierbar ist. Ob eine solche Art des Geschichtsunterrichts nun pädagogisch wertvoll ist, sollen andere beurteilen.

Für beide Fälle gilt jedenfalls, dass man sich immer bewusst sein muss, dass „Der Untergang“ nur einen kleinen Ausschnitt der Realität abbildet. Durch seine Nähe zu den Protagonisten ist der Blickwinkel ungewohnt nahe, die großen Zusammenhänge bleiben weitgehend außen vor. Die sind aber wichtig, um ein vollständiges und einigermaßen akkurates Bild zu erhalten. Ich selbst habe nach dem ersten Ansehen tatsächlich Einiges nachgelesen (ich gebe zu, dass ich beispielsweise vor 2004 noch nie etwas von Hermann Fegelein gehört habe), was ich durchaus als Erfolg des Films verbuchen würde. Durch diese Reflexion wurde mir gleichzeitig bewusst, dass das Bild, das „Der Untergang“ von einigen Personen zeichnet, nicht ansatzweise komplett ist und nur kleine, sehr persönliche Aspekte abbildet.

Fazit: Nur, wenn „Der Untergang“ von einer solchen oder ähnlichen Reflexion begleitet wird, würde ich ihn uneingeschränkt empfehlen. Ja, er ist inhaltlich auch ohne zusätzliche Lektüre spannend und kann als starker Film bezeichnet werden, ich halte es aber sehr wohl für wichtig, ein fundiertes Gesamtbild zu haben und sich nicht mit den Häppchen zufrieden zu geben, die man hier serviert bekommt. Darum kann und darf es nicht die volle Punktzahl geben. Unter den genannten Voraussetzungen sollte aber jeder und jede historisch einigermaßen Interessierte diesen Film gesehen haben.

Gesamteindruck: 6/7


Originaltitel: Der Untergang.
Regie:
Oliver Hirschbiegel
Drehbuch: Bernd Eichinger
Jahr: 2004
Land: Deutschland
Laufzeit: ca. 155 Minuten (Kino-Fassung)
Besetzung (Auswahl): Bruno Ganz, Alexandra Maria Lara, Corinna Harfouch, Ulrich Matthes, Juliane Köhler