Ist es eigentlich eine Bildungslücke, wenn man anno 2020 zum ersten Mal überhaupt ein Adventure von Telltale Games gespielt hat? Wenn ja: Schande über mich, denn „The Wolf Among Us“ war tatsächlich meine erste Bekanntschaft mit dem 2018 geschlossenen Studio. Und, soviel vorweg, es hat sich durchaus gelohnt!
Gesamteindruck: 5/7
Einmal möcht‘ ich ein Böser sein.
Der Name Telltale war mir als gelegentlicher Leser von Spielezeitschriften zwar ein Begriff. Mir war allerdings nicht bewusst, dass dort beispielsweise das ursprünglich bei LucasArts gestartete Adventure „Sam & Max“ fortgeführt wurde. Von Telltale stammen auch Serien wie „The Walking Dead“ und „Batman“, die ich allerdings ebenfalls nie gespielt habe. Telltale waren demnach auf Episoden-Veröffentlichungen spezialisiert – und ich kann mir vorstellen, dass mir das nicht sonderlich gefallen hätte, wenn ich die Spiele direkt nach Veröffentlichung hätte spielen wollen. Das aber nur am Rande, mittlerweile kann man Episoden-Spiele wie „The Wolf Among Us“ ohnehin bequem und recht günstig in Bausch und Bogen kaufen.
Der Inhalt in Kurzfassung
Im Manhattan der 1980er Jahre leben, von der Menschheit unerkannt, die „Fables“, Figuren aus verschiedensten Märchen, Fabeln und Legenden. Mittendrin: Der ehemalige große, böse Wolf, der mittlerweile als Sherriff Bigby Wolf in Menschengestalt für Recht und Ordnung in der Fable-Community sorgt.
Man sollte sich von oben geschildertem Rahmen nicht täuschen lassen: „The Wolf Among Us“ ist nichts für Kinder. Und auch zartbesaitete Erwachsene mögen sich einen Besuch in Fabletown gut überlegen. Denn „The Wolf Among Us“ ist alles andere als zimperlich – und das auf allen Ebenen und ausgesprochen plakativ: Körperlich geht es mit Schusswaffen und Messern, aber auch mit Klauen und Zähnen zur Sache, was praktisch immer entsprechend blutig endet. Aber auch die Story nicht geeignet, düstere Gedanken zu vertreiben – ganz im Gegenteil, ein „… und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage“ gibt es hier nicht. Um die Sache komplett zu machen, wird all das außerdem von Dialogen begleitet, die alles andere als zartfühlend sind. Das böse F-Wort kommt praktisch in jedem zweiten Satz vor und auch sonst bedienen sich die Charaktere einer recht derben Ausdrucksweise.
Vorlage dafür ist die 150 Ausgaben starke Graphic Novel „Fables“. Die kenne ich persönlich zwar nicht, aber ich vermute, dass auch dort dieser ausgesprochen düstere Grundton vorherrscht. Eine andere Assoziation, die das Setting bei mir geweckt hat, ist die Amazon-Serie „Carnival Row“, die ein auf einer ähnlichen Prämisse beruht.
Nicht ganz klassisches Adventure.
Nach diesen warnenden Worten, die eh niemand beherzigen wird, ist es nun Zeit, zum Spiel selbst zu kommen. „The Wolf Among Us“ ist im Wesentlichen ein Point & Click-Adventure. Wobei man gleich an dieser Stelle festhalten muss, dass man sich hier keine fantasievollen Rätsel im Sinne der alten LucasArts- oder Sierra-Abenteuer erwarten darf. Denn eines ist „The Wolf Among Us“ im Gegensatz zu „Monkey Island“ & Co. definitiv nicht: Schwierig. Im Gegenteil, man hat kaum Möglichkeiten, überhaupt etwas zu tun. Klickbare Gegenstände werden angezeigt, sind aber eher dünn gesät. Es gibt ein (umständliches) Inventar, das kaum jemals gebraucht wird. Dazu kommt eine Reihe von QuickTime-Events, die zu absolvieren sind – manche davon können immerhin tödlich ausgehen, was aber nicht weiter tragisch ist, weil das Spiel dann automatisch den letzten Checkpoint lädt, der in dem Fall nie weit zurück liegt.
Viel Hirnschmalz und Reaktionsschnelligkeit verlangt das Spiel also nicht. Gelegentlich hat man – und das ist ein Vorteil gegenüber den alten Adventures – allerdings harte Entscheidungen zu treffen, die den Spielverlauf zumindest ein wenig beeinflussen. So muss man an einer Stelle beispielsweise diesen oder jenen Ganoven verfolgen, was bedeutet, dass der jeweils andere unweigerlich entkommt und wer weiß was anstellt. Derartige Situationen erhöhen nicht nur den Wiederspielwert, sondern sind tatsächlich eine Frage der Moral und sorgen dafür, dass der Spieler emotional fast schon Rollenspiel-artig tief in das Programm gezogen wird.
Die Atmosphäre stimmt.
Dass die Identifikation mit den Anti-Helden, die uns „The Wolf Among Us“ präsentiert, so gut gelingt, liegt vor allem an zwei Punkten: Einerseits macht Entwickler Telltale seinem Namen alle Ehre und setzt eine packende Story gut für den Computer um – etwas, das man beileibe nicht von allen Lizenzspielen sagen kann. Das würde allerdings nicht viel nutzen, wenn dem andererseits die Charakterzeichnung nachstehen würde – die ist aber ebenfalls hervorragend gelungen. Vor allem der grummelige, kettenrauchende und wie ein Rohrspatz fluchende Hauptdarsteller Bigby Wolf ist einfach grandios – zumindest dann, wenn man auf solche Raubeine (mit gutem Kern) steht. Wer das nicht tut, wird das Spiel ohnehin recht schnell wieder beiseitelegen.
An dieser Stelle muss man im Übrigen ein weiteres Lob aussprechen: Die Sprecher sind großartig, es gibt keinen, der irgendwie abfällt. Zumindest nicht in der von mir gespielten englischen Variante, wie es in der deutschen Synchronisation aussieht, weiß ich nicht. Die Krux sind wie so oft die Emotionen – an denen bzw. am Fehlen derselben kann die komplette Atmosphäre eines Spieles zerschellen. In „The Wolf Among Us“ ist dem nicht so, sondern – ich wiederhole mich – jeder einzelne Sprecher schafft es, seine Rolle und seine Dialoge unglaublich passend rüber zu bringen. Auch hier ist besonders der Hauptcharakter (im Original gesprochen von Computer-Synchro-Profi Adam Harrington) hervorzuheben, das aber vor allem deshalb, weil man nur diesen Charakter aktiv spielt.
Interessanterweise unterstützt auch die Grafik, die ja im Stile einer Graphic Novel gehalten, also nicht sonderlich realistisch ist, die Atmosphäre perfekt. Man glaubt kaum, wie gut die Dramatik rüberkommt, die Mimik der Figuren ist ja eher rudimentär. Aber die Pausen und die Zooms genau im richtigen Moment unterstützen hier schon sehr gut. Ich weiß übrigens nicht, ob der spezielle Grafikstil, den „The Wolf Among Us“ nutzt, eine Eigenheit von Telltale ist und auch die anderen Adventures dieses Studios wie vorliegendes Programm aussehen.
Wo es hapert.
Nach so viel Lob bleibt natürlich die Frage, warum das Spiel dennoch „nur“ 5 Punkte einheimsen kann. Bereits erwähnt habe ich, dass „The Wolf Among Us“ wenig herausfordernd ist. Das wird zum Teil zwar durch das gute Storytelling ausgeglichen – aber ein bisschen mehr hätte ich dann doch gern zu tun gehabt. Manchmal hat man gar das Gefühl, eine Art interaktiven Film zu sehen, bei dem man ab und an in die Handlung eingreifen kann. Der Anspruch und die Tiefe des Spiels leben entsprechend allein von der Story, nicht von dem, was man selbst als Spieler dazu beitragen muss. Abgesehen davon ist das Spiel, das in fünf Episoden unterteilt ist, für meinen Geschmack zu kurz: Ich habe ziemlich genau 8 Stunden für meinen ersten, kompletten Durchgang gebraucht. Darin sind mehrere verhaute QuickTime-Events enthalten, ansonsten wäre es sich wohl in unter 7 Stunden ausgegangen, nehme ich an.
Unabhängig davon möchte ich noch ein paar technische Aspekte ansprechen: Die Grafik gefällt per se zwar, aber es gibt ab und an grobe Probleme mit der Geschwindigkeit. Kennt man von heutigen Spielen eigentlich kaum noch – aber hier ruckelt es teilweise gewaltig, und das auf einem Rechner, der erst gebaut wurde, als das Spiel schon mehrere Jahre auf dem Markt war. Dazu kommt, dass sich die Charaktere teilweise bewegen, als hätten sie einen Besenstil verschluckt, eine reichlich verhunzte Tastatursteuerung (die man zum Glück eh kaum braucht), hakelige QuickTime-Events und – last but not least – ein extrem knapp bemessenes Zeitlimit, in dem man sich für eine Dialogoption entscheiden muss. Teils ist es sogar so, dass die Zeit abläuft, bevor das Gegenüber die Frage überhaupt zu Ende gestellt hat, man sich also quasi blind für eine Antwort entscheiden soll. Keine Ahnung, was die Designer da geritten hat – ein bisschen Stress ist ja nicht verkehrt, aber das hier ist einfach nur Murks. Erinnert mich ungut an das, was ich vor gar nicht langer Zeit über „Alpha Protocol“ geschrieben habe. A pro pos: Auch dass man nicht frei speichern darf, wird einigen sauer aufstoßen – ich fand’s gerade noch ok, auch wenn die automatischen Speicherpunkte ziemlich unregelmäßig platziert sind (mal spielt man nur 5 Minuten, bis das Spiel speichert, es kann aber auch bis zu 15 Minuten dauern).
Alles in allem reichen mir diese kleinen und größeren Probleme für eine Abwertung auf 5 Punkte. Ein gutes und fesselndes Spiel ist „The Wolf Among Us“ allemal – zumindest für jene, die auf Adventures stehen, bei denen es gerne mal deutlich deftiger zur Sache geht. Ich gehöre dazu und habe tatsächlich ein – Achtung, Wortspiel – Faible für die „Fables“ entwickelt. Wer weiß, vielleicht wage ich mich wirklich nochmal in deren Welt und mache diesmal alles ganz anders. Ein bisschen werde ich allerdings warten, denn gleich nochmal spielen – dafür reicht es dann doch nicht.
Gesamteindruck: 5/7
Genre: Adventure
Entwickler: Telltale Games
Publisher: Telltale Games
Jahr: 2013 – 2014
Gespielt auf: PC
Screenshots aus „The Wolf Among Us“ – Copyright beim Entwickler!