FilmWelt: Cargo

Der Zombiefilm ist ein Genre, das sich seit Jahrzehnten nicht versiegen wollenden Nachschubs an Material erfreuen darf. Neben der Güte von Effekten und Drehbüchern stellt sich ob der unüberschaubaren Auswahl allerdings vor allem eine zentrale Frage: Fügt ein Film diesem klassischen Thema einen neuer Aspekt hinzu? Davon hängt der Unterhaltungswert der (Post)-Apokalypse zwar nicht zwangsläufig ab – dennoch freut sich der geneigte Fan, gleich einer/einem sabbernden Untoten, über jedes bisschen Frischfleisch, das von findigen Regisseur:innen in die Arena geworfen wird.

Gesamteindruck: 4/7


Ein Mann und ein Baby.

„Cargo“ (2017) ist ein eher ruhiger Vertreter seines Genres. Vom sonst so gern gezeigten Chaos, von Plünderungen und Gewalt, die den Anfang vom Ende der Zivilisation einleiten, ist hier nichts zu sehen. Im Gegenteil, das postapokalyptische Australien ist zunächst vergleichsweise friedlich: Man fährt mit dem Hausboot den Fluss hinunter, wirft die Angel aus, winkt einer Familie zu oder holt sich Vorräte von einem gestrandeten Kahn. Dass das nicht lange gut gehen kann, liegt auf der Hand – doch auch wenn „Cargo“ zu gelegentlichen Ausbrüchen neigt, bleibt der Film primär nahe an den persönlichen Emotionen seiner Charaktere und nimmt sich Zeit für eine Erzählung, die mehr Drama als Action beinhaltet.

Worum geht’s?
48 Stunden – so lange dauert es, bis man sich nach dem Biss einer infizierten Person in eine willenlose Kreatur verwandelt, die sich vom Fleisch anderer Menschen ernährt. Es sind also denkbar ungünstige Umstände, unter denen Andy und seine Frau Kay nach Ausbruch einer mysteriösen Seuche versuchen, ihre kleine Tochter Josie zu beschützen. Als Kay sich ansteckt, muss Andy eine Entscheidung treffen – und beschließt wider besseres Wissen, sich nicht von ihr zu trennen. Kurz darauf bereut er diesen Schritt, aber es ist zu spät: Er wurde gebissen, eine Heilung gibt es nicht; Andy hat nun 48 Stunden Zeit, die hilflose Josie in einem Australien, in dem nur das Recht des Stärkeren gilt, in gute Hände zu geben…

Ich weiß nicht, wie oft der Begriff „Zombies“ im Allgemeinen in Genrebeiträgen genannt wird. Heute scheint es mir geradezu verpönt zu sein, ihn zu benutzen – und „Cargo“ bildet in dieser Hinsicht keine Ausnahme, indem vor allem von Infizierten gesprochen wird. Es gibt jedoch ein anderes Alleinstellungsmerkmal (oder zumindest einen Aspekt, der bisher noch nicht bis zum Umfallen ausgereizt wurde): Der Film konzentriert sich überhaupt nicht auf die Infizierten, die man auch relativ selten deutlich zu Gesicht bekommt. Das Finden eines Heilmittels, der Kampf um die knappen Ressourcen oder große, gesellschaftliche Umwälzungen sind ebenfalls kein Thema. Es geht in „Cargo“ vielmehr darum, wie eine Familie mit einer tödlichen Krankheit, vor der es kein Entrinnen gibt, umgeht. Was nicht heißen soll, dass es überhaupt keine Zombie- oder sonstige Action gibt; sie steht allerdings nicht im Mittelpunkt der Handlung. Wir haben es hier also mit einem etwas „anderen“ Film zu tun haben, der Liebhaber geradliniger und blutiger Action vermutlich enttäuschen wird.

Normalos als Protagonist:innen.

Die Figuren in Zombiefilmen sind meist Actionheld:innen oder charismatische Anführer:innen, gerne auch beides in Personalunion. Anders in „Cargo“: Hier stellt sich das unwahrscheinlichste Wesen, das man sich vorstellen kann… Naja, schlechter Gag. Jedenfalls spielt Martin Freeman die Hauptrolle in dieser australischen Produktion – und er ist hier natürlich nicht der Hobbit. Wer die umstrittene Trilogie von Peter Jackson kennt, mag sich allerdings schwer tun, den ernsthaften Schauspieler Freeman komplett von seiner Rolle als Bilbo Beutlin zu trennen. Ich gebe zu, dass ich abseits jener Mammut-Produktion und der Serie „Sherlock“ (2010-2017) wenig von unserem Mann gesehen habe – es ist aber nicht zu übersehen, dass er sich in „Cargo“ häufig seiner Auenland-Mimik bedient, was zwar sympathisch ist, es aber gelegentlich schwer macht, ihm vorliegendes Drama abzunehmen. Wer darüber hinwegsehen kann, bekommt in „Cargo“ aber einen über weite Strecken glaubhaften und stark aufspielenden Martin Freeman zu sehen. An ihm liegt es meines Erachtens jedenfalls nicht, dass vorliegender Film international nicht allzu viel Beachtung gefunden hat.

Am restlichen Cast auch nicht, wobei man im Wesentlichen nur zwei Figuren hervorzuheben braucht (der Rest hat relativ wenig Screentime, sieht man vom Baby ab): Anthony Hayes gibt eine Art australischen Redneck, einen echten Kotzbrocken, der vor keiner Grausamkeit zurückschreckt, um auch in der Postapokalypse seinen Willen zu bekommen. Höchst unsympathisch – also auch gut gespielt, würde ich sagen. Und dann gibt es da noch die von Simone Landers dargestellt Thoomi, die der Hauptfigur im Laufe des Films als Führerin zu einem Stamm von australischen Ureinwohner:innen dient. Auch sie macht ihre Sache gut, sodass in Hinblick auf die Besetzung wenig an „Cargo“ zu kritisieren ist. Es sei denn, man hätte grundsätzlich ein Problem mit einer Kinderrolle, die auch mal ein wenig nerven kann. Ich persönlich fand diesen Charakter allerdings sehr passend umgesetzt.

Anders.

Der Rahmen von „Cargo“ unterscheidet sich auf den ersten Blick gar nicht so sehr von anderen Filmen dieser Art: Ein Mann versucht, einen sicheren Ort für sich und seine Tochter zu erreichen und trifft dabei auf verschiedenen Charaktere, die ihm mal mehr, mal weniger freundlich gesinnt sind. Soweit so klassisch, wozu auch passt, dass die Hauptfigur ihre moralische Überlegenheit voll und ganz ausspielen darf. Und doch: Trotz Verwendung bekannter Versatzstücke fühlt sich „Cargo“ insgesamt anders an. Es ist wohl die Konzentration auf Einzelschicksale, die den Titel von der Konkurrenz abheben. Jeder der wenigen Charaktere im Film ist individuell ausgestaltet (freilich nicht alle gleichermaßen ausführlich), was schon einen Unterschied zu jenen Beiträgen macht, die auf Masse statt Klasse setzen, was ich im Übrigen nicht zwangsweise negativ finde.

Was außerdem positiv auffällt: „Cargo“ endet für die Hauptfigur nicht gut, was ein durchaus überraschender Effekt ist (das Finale ist übrigens eine interessante Mischung aus witzig und traurig). Ich könnte mich ad hoc nicht erinnern, das schon mal in diesem Ausmaß gesehen zu haben (ausgenommen „The Walking Dead“, das als Serie aber ganz anders mit den Figuren umgehen kann). Und: Es wird ein Bezug zu den australischen Ureinwohnern hergestellt, die es offenbar als eine von ganz wenigen Gruppen schaffen, den Infizierten zu trotzen, indem sie sich ihrer eigenen, von den Weißen unverstandenen Traditionen bedienen. Auch, wenn das nicht ganz schlüssig erklärt wird, hat mir dieser Aspekt ebenfalls gut gefallen.

Woran hapert es dann eigentlich? Ehrlich gesagt fällt es mir schwer, das zu benennen. „Cargo“ sieht gut aus, hört sich gut an, ist eigenständig genug und hat einen sympathischen Hauptdarsteller. Leider hat mich der Film dennoch nicht sonderlich gut unterhalten; er hat seine Längen und leidet stellenweise unter faden Dialogen. Dass er wenig Hintergrund zur Katastrophe selbst bietet, ist ebenfalls ein Problem – kein grundsätzliches, weil ein solcher Film das eigentlich auch gar nicht machen muss. Nur müsste dann seine individuelle Erzählung voll und ganz überzeugen, was sie aber nicht tut: Der rote Faden kommt mir ganz dünn vor, wie Butter auf zu viel Brot verstrichen (noch ein blöder Gag, ich weiß). Vielleicht ist das auch einmal mehr ein Beweis dafür, dass es nur in den seltensten Fällen gelingt, ein Konzept für einen Kurzfilm (denn auf einem solchen basiert vorliegender Titel) auf abendfüllende Länge aufzublasen. Die Folge: Trotz guter Ansätze gibt es leider nur eine durchschnittliche Wertung für „Cargo“.

Gesamteindruck: 4/7


Originaltitel: Cargo.
Regie:
Ben Howling, Yolanda Ramke
Drehbuch: Yolanda Ramke
Jahr: 2017
Land: Australien
Laufzeit: ca. 100 Minuten
Besetzung (Auswahl): Martin Freeman, Anthony Hayes, Simone Landers, Susie Porter



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FilmWelt: Lucky # Slevin

Manchmal hat man auch … naja… Glück: Von „Lucky # Slevin“ (2006) hatte ich bis Kurzem trotz beachtlichen Star-Aufgebots noch nie etwas gehört. Dass ich mir diesen sehr unterhaltsamen Film dennoch angesehen habe, war dem eigentlich ärgerlichen Phänomen geschuldet, dass Streaming-Dienste ihr Angebot laufend ändern.

Gesamteindruck: 6/7


Temporeich, unterhaltsam, überraschend.

Amazon Prime Video hat eine eigene Kategorie für Filme und Serien, die „nur noch kurze Zeit“ in der Flatrate enthalten sind. Dass der Streaming-Dienst seine Abonnent:innen darauf hinweist, ist eine gute Sache (dass stetig Filme aus dem Angebot fliegen und dann, wenn überhaupt, nur noch gegen Aufpreis erhältlich sind, ist hingegen ein echtes Ärgernis), nimmt sie einem doch die oft unmögliche Entscheidung ab, was man sich als Nächstes ansehen soll. Oder man entdeckt überhaupt erst dadurch Perlen, die man bis dahin gar nicht auf dem Schirm hatte. Genau so erging es mir mit vorliegendem Werk von Regisseur Paul McGuigan, das ich mir kurz vor seinem (zwischenzeitlichem?) Verschwinden aus der Amazon’schen Flatrate angesehen habe.

Worum geht’s?
Slevin Kelevra hat nicht nur einen unmöglichen Namen, sondern ist scheinbar auch ein außerordentlicher Pechvogel: Eigentlich will er nur einen Kumpel in New York besuchen, doch kaum im Big Apple angekommen, wird ihm bei einem Überfall die Nase eingeschlagen. Und das ist nur der Anfang, denn sein Freund Nick ist verschwunden. Bald stellt sich heraus, dass das wohl mit undurchsichtigen Geschäften zu tun hat, in die er verwickelt war. Und dass Nick ausgesprochen unangenehmen Leuten eine Menge Geld schuldet, muss Slevin am eigenen Leib erfahren, als er von deren Handlangern in die Mangel genommen wird. Doch zum Glück gibt es noch Nachbarin Lindsey, die sich in den Kopf gesetzt hat, gemeinsam mit Slevin das Verschwinden von Nick aufzuklären…

Nominell hätte „Lucky # Slevin“ eigentlich ein großer Hit sein müssen, schließlich kommt es nicht jeden Tag vor, dass sich Morgan Freeman, Sir Ben Kingsley, Bruce Willis und Lucy Liu am Set die Klinke in die Hand geben treffen. Umso erstaunlicher, dass kein Verleih den Film anno 2006 in die deutschsprachigen Kinos bringen wollte. Warum das so war, erschließt sich mir nicht – vielleicht war die anfängliche Sperrigkeit (der Aufbau erinnert ja ein wenig an „Pulp Fiction“ (1994) von Kult-Regisseur Quentin Tarantino, abschreckend)? Wie dem auch sei, Paul McGuigan musste hinnehmen, dass „Lucky # Slevin“ in unseren Breiten 2007 direkt auf DVD erschienen ist.

Ein nicht ganz so bekannter Hauptdarsteller.

Führt man sich die Starparade von „Lucky # Slevin“ vor Augen, stellt sich zwangsläufig die Frage, welche dieser Legenden denn nun die Hauptrolle spielt. Die etwas überraschende Antwort: Niemand, denn die Titelfigur wird von Josh Hartnett verkörpert. Der US-Amerikaner war damals zwar gut gebucht und hatte mit „40 Tage und 40 Nächte“ 2001 seinen Durchbruch gehabt – seine Karriere war insgesamt aber ein ständiges Auf und Ab (was sich bis heute nicht geändert hat). Interessant also, dass der Regisseur ausgerechnet ihm die tragende Rolle zugetraut hat – andererseits hatte McGuigan einige Jahre zuvor bereits in „Sehnsüchtig“ (2004) auf Hartnett gesetzt.

Wie auch immer: Josh Hartnett macht seine Sache in „Lucky # Slevin“ für mein Dafürhalten mehr als ordentlich. Tatsächlich verkörpert er den vermeintlich naiven und vom Pech verfolgten Slevin Kelevra auf höchst sympathische und authentische Weise. Überhaupt muss man allen Darsteller:innen einen großartigen Job attestieren: Bruce Willis orientiert sich in seiner Rolle als kaltblütiger Killer stark an seiner eigenen Performance in „Der Schakal“ (1997), Morgan Freeman und Ben Kingsley erinnern an eine brutale Version von Walter Matthau und Jack Lemmon („Ein verrücktes Paar“, 1993), wobei ihnen das Kunststück gelingt, das ohne viel gemeinsame Spielzeit hinzubekommen. Und Lucy Liu gibt als neugierige Nachbarin, die zunächst Detektivin spielen will und mit der es dann auch romantische Verstrickungen gibt, ebenfalls keinen Grund zur Beschwerde (sieht man davon ab, dass die einzige größere Frauenrolle vergleichsweise blass geschrieben wurde).

Überzeugt auf (fast) allen Ebenen.

Damit Schauspieler:innen überhaupt glänzen können, braucht es aber auch ein gutes Drehbuch, passende Dialoge – und natürlich die entsprechende Regie. Zu ersterem ist zu sagen, dass „Lucky # Slevin“ sehr interessant geschrieben ist: Der Film beginnt sozusagen mittendrin, stellt seine Protagonist:innen kaum vor, wechselt immer wieder die Zeitebene. Anfangs ist das noch ziemlich verwirrend – im Laufe der knapp 2 Stunden fallen die Puzzleteile aber nach und nach an ihren Platz. Im ersten Moment mag das wirklich ein wenig nach „Pulp Fiction“ klingen, das scheint mir aber eher ein vages Gefühl zu sein, das beim Publikum entsteht; tatsächlich ist „Lucky # Slevin“ bei weitem nicht so episodenhaft und auf den ersten Blick unstrukturiert, wie der Tarantino’sche Meilenstein es war.

Dass man dennoch immer wieder an jenes Werk denkt, hat auch mit der Story zu tun, die ebenfalls von konkurrierenden Gangstern und Auftragsmördern handelt. Schwierig ist übrigens die Einordnung in ein Genre: „Lucky # Slevin“ ist gleichzeitig Gangsterfilm und Thriller, hat Action, ein wenig Romantik – und Humor, der aber wenig mit Slapstick-Comedy zu tun hat. Wahrscheinlich ist es genau diese wilde Kombination, die den Film so erfrischend macht – anders kann ich mir kaum erklären, wieso ich mich dermaßen gut unterhalten gefühlt habe. Eine starke Leistung des Regisseurs übrigens, der diese Teile so stimmig und vor allem auch intelligent zu einem Ganzen verquickt hat.

Dialoge nicht immer Top.

Einen Kritikpunkt möchte ich abschließend aber doch äußern: Weite Teile der Dialoge sind treffsicher und/oder witzig – man hört den Charakteren meist einfach gerne zu. Allerdings will „Lucky # Sleven“ gelegentlich klüger sein, als es in Wirklichkeit ist. Vor allem die gelegentlich ziemlich langen Monologe von Morgan Freeman und Ben Kingsley klingen zum Teil, als hätte man mit aller Gewalt philosophisch klingendes, pseudo-intellektuelles und bedeutungsvolles Geschwätz einbauen müssen. Oder sind das irgendwelche pop-kulturellen Referenzen, die ich nicht verstanden habe bzw. die in der Synchronisation verloren gegangen sind? Ich weiß es nicht – aber im Endeffekt ist das ohnehin nur ein kleiner Wermutstropfen für einen ansonsten rundum gelungenen Film.

Übrigens: Der Twist, mit dem man gegen Ende endlich erfährt, was es mit Slevin Kelevra auf sich hat und wieso die Dinge so geschehen sind, wie sie eben geschehen sind, ist für mein Dafürhalten einer der besten der jüngeren Filmgeschichte. Also unbedingt ungespoilert anschauen!

Gesamteindruck: 6/7


Originaltitel: Lucky Number Slevin.
Regie:
Paul McGuigan
Drehbuch: Jason Smilovic
Jahr: 2006
Land: Deutschland, USA, Kanada, UK
Laufzeit: ca. 110 Minuten
Besetzung (Auswahl): Josh Hartnett, Bruce Willis, Lucy Liu, Morgan Freeman, Ben Kingsley, Stanley Tucci



FilmWelt: Outbreak – Lautlose Killer

Irgendwie merkwürdig, „Outbreak“ mitten in der globalen Corona-Pandemie zum ersten Mal nach mindestens 20 Jahren wieder anzusehen. In den 1990ern war dieser Film mitunter auch deshalb so interessant, weil er mit der Ausbreitung und Eindämmung einer Seuche ein Thema beschrieb, zu dem man als Normalsterblicher so gut wie keinen Bezug hatte.

Gesamteindruck: 5/7


Von der Fiktion zur Realität.

Es ist wohl keine große Überraschung, wenn ich sage, dass „Outbreak“ anno 2021 völlig anders wirkt als vor 25 Jahren. Sicher, es war immer schon ein spannender Film, damals allerdings eher abstrakt und weit weg von unserem Alltagsleben. Heute kennen wir Vokabeln wie „exponentielles Wachstum“, wissen, was „Inzidenz“ bedeutet und hören täglich von der Isolation ansteckender Patienten, von Ausgangssperren und der Abriegelung ganzer Ortschaften. Selbst das einsame Sterben in den Krankenhäusern und das rasche Verscharren der Leichen in Massengräbern sind Dinge, die uns leider nicht mehr fremd sind. Solche Themen behandelt „Outbreak“ – doch wer hätte 1995 ahnen können, dass uns noch zu unseren Lebzeiten das im Film Gesehene näher sein könnte als uns lieb ist?

Worum geht’s?
1967 wird ein kleines Dorf in Zaire (Afrika) von der US-Armee dem Erdboden gleich gemacht – ein tödliches, hoch infektiöses Virus hatte sich dort verbreitet. Jahre später stellt sich heraus, dass die Versuche, die Krankheit einzudämmen, nicht erfolgreich waren. Das „Motaba-Virus“ hat überlebt und gelangt über Umwege in die Vereinigten Staaten, wo es bald zu einem katastrophalen Ausbruch mit schrecklichen Folgen kommt…

Für „Outbreak“ wurde ordentlich Starpower versammelt: Die Regie übernahm Wolfgang Petersen (u. a. „Das Boot“, Air Force One“), in den Hauptrollen sehen wir Dustin Hoffman und Rene Russo. Und auch die Nebenrollen sind hochkarätig besetzt – Morgan Freeman, Donald Sutherland und die damals noch relativ unbekannten Cuba Gooding Jr. und Patrick Dempsey (!) geben sich die Ehre. Alle Genannten machen ihre Sache sehr gut, besonders hervorheben möchte ich das Duo Freeman und Sutherland, die den guten (naja…) und bösen Vertreter der Armee sehr glaubwürdig rüberbringen. Dustin Hoffman kann als Wissenschaftler, dem wie üblich niemand glauben möchte, glänzen und ergänzt sich bestens mit Rene Russo, wobei die dyfunktionale Beziehung der beiden für meinen Geschmack einen Tick zu routiniert abgehandelt wird.

Ausgestattet ist „Outbreak“ in typischer 90er-Jahre-Manier. Digitale Special Effects steckten damals noch in den Kinderschuhen, was man an deren mittelprächtiger Qualität (z. B. die „Aerosol-Bombe“) deutlich sieht – allerdings gibt es nur wenige Szenen, in denen Derartiges zum Einsatz kommt. Ansonsten ist alles relativ schnörkellos, angefangen bei der Kulisse der amerikanischen Kleinstadt bis hin zum mittelgroßen Armee-Aufgebot. Sieht einfach gut und realistisch aus, eben so, wie man es aus Filmen jener Epoche gewohnt ist; der Hochglanz heutiger Produktionen fehlt natürlich, aber ich finde gerade bei Katastrophen- und Kriegsfilmen die „analoge“ Herangehensweise deutlich stärker. Mag sein, dass das an meinem eigenen Alter liegt und die jungen Leute über Dinosaurier wie mich lachen – aber was soll’s, so bin ich nun mal gestrickt.

Gut geschrieben, gut gespielt.

Inhaltlich ist „Outbreak“ ein Katastrophenfilm der altmodischen Art. Heißt: Im Gegensatz zu modernen Vertretern des Genres verzichtet Regisseur Petersen auf allzu weitschweifige Ausflüge ins Privatleben seiner Figuren. Was beispielsweise das Problem zwischen den von Hoffman und Russo gespielten Charakteren ist, wird maximal angedeutet. Aus heutiger Sicht ist das höchst ungewohnt, mir gefällt es aber gut, weil es kaum etwas gibt, das vom Thema des Films ablenkt. Das ist freilich nur möglich, weil das Drehbuch so stark ist, dass man ohne weiteres auf derartige Kniffe verzichten kann. Die Rollen wurden so angelegt, dass die bloße Andeutung ihrer persönlichen Geschichte reicht, um ihnen Profil zu verleihen. Das scheint eine Kunst zu sein, die heutigen Produktionen oft abgeht – zumindest könnte ich mir vorstellen, dass wir deshalb in ähnlich gelagerten, späteren Filmen immer auch eine Liebesgeschichte serviert bekommen. Die soll wohl Tiefe verleihen, was aber in sehr wenigen Fällen wirklich gelingt. „Outbreak“ lässt sich auf diese Grätsche hingegen gar nicht erst ein, was ihm gut zu Gesicht steht.

Generell ist der Film sehr wissenschaftlich angelegt und erinnert – wenn ich einen literarischen Vergleich ziehen soll – an die Bücher von Michael Crichton. Für mein Gefühl behandelt „Outbreak“ die Versuche, eine Pandemie einzudämmen, also sehr plausibel. Anzumerken wäre in dieser Hinsicht nur, dass der Film aus dramaturgischen Gründen die Ereignisse sehr stark komprimiert: Das, was wir aktuell seit einem Jahr erleben, bricht Regisseur Petersen auf wenige Tage herunter. Wobei man konstatieren muss, dass das in den 1990er Jahren kaum jemandem aufgefallen sein dürfte, heute sind wir ja alle so etwas wie Westentaschen-Infektiologen. Humor ist in „Outbreak“ eher eine Randnotiz (für ein bisschen Spaß sorgt, wie nicht anders zu erwarten, Cuba Gooding Jr.) und auch Action-Szenen findet man nicht allzu viele vor. Spannend ist der Film freilich dennoch – und das auch über fast die gesamte Laufzeit von immerhin knapp 130 Minuten.

Ein kleines Haar könnte man dennoch in der Suppe finden (wenn man wirklich danach sucht): Die von Dustin Hoffman gespielte Figur ist an und für sich ein Klischee, das wir zur Genüge kennen – der geniale Wissenschaftler, der vergeblich vor einer Katastrophe warnt und auf den man erst hört, wenn es zu spät ist. Das kennt man und kannte man auch 1995 schon so. Umgekehrt muss man mit Blick auf die zum Zeitpunkt dieser Rezension vorherrschenden Weltlage sagen, dass es im Film ein Klischee sein mag – das heißt aber nicht, dass es nicht der Wirklichkeit entspricht. Davon abgesehen ist noch anzumerken, dass die Zerstörung von Siedlungen samt der Auslöschung ihrer Bewohner zum Glück in einer echten Pandemie offenbar keine Option ist (zumindest bisher, man weiß ja nicht, welche Pläne die Regierenden, speziell in den USA, noch in der Hinterhand haben). Aber man kann diese, ich nenne es mal „Kosten-Nutzen-Rechnung“ selbstverständlich als Überzeichnung der Situation lesen, die wir gerade überall auf der Welt vorfinden.

Fazit: „Outbreak“ war schon ohne globale Pandemie ein guter Film. Im Angesicht von Corona zeigt sich deutlich, dass er auch 2021 noch relevant ist. Vielleicht sogar mehr noch als vor 25 Jahren, denn er zeigt eine Situation, die damals undenkbar war und die heute für Milliarden Menschen fast zum Alltag geworden ist. Ich kann den Film nur empfehlen, kleine Abzüge gibt es, weil die Dialoge stellenweise etwas zu trocken sind, was trotz durchgängiger Spannung zu klitzekleinen Längen führt.

Gesamteindruck: 5/7


Originaltitel: Outbreak.
Regie:
Wolfgang Petersen
Drehbuch: Laurence Dworet, Robert Roy Pool
Jahr: 1995
Land: USA
Laufzeit: ca. 130 Minuten
Besetzung (Auswahl): Dustin Hoffman, Rene Russo, Morgan Freeman, Donald Sutherland, Cuba Gooding Jr.



FilmWelt: Sieben

Das Jahr 2017. Mittlerweile hat man alle möglichen und unmöglichen Dinge in Filmen gesehen. Es gibt jede Menge Material, das in eine ähnliche Kerbe wie „Sieben“ haut. Und genau jetzt tauchte der Film, der in meiner Erinnerung immer als Meisterwerk abgeheftet war, in den Empfehlungen des Streaming-Dienstes meiner Wahl auf. Grund genug, mal wieder bewusst reinzusehen, erstmals seit vielen, vielen Jahren.

Gesamteindruck: 6/7


Gut gealterter Psychothriller.

Erinnerungen täuschen gerne mal. „Sieben“ habe ich erstmals kurz nach seinem Erscheinen im Jahr 1995 gesehen, ich denke es wird ein Jahr später gewesen sein, als der Film erstmals im Free TV gelaufen ist. Seither immer mal wieder im Programm, habe ich eigentlich nie mehr eingeschalten, zumindest nicht über die volle Länge. Dabei kam mir „Sieben“ beim ersten Ansehen vor gut 20 Jahren wie ein absolutes Meisterwerk vor. Das kann verschiedene Gründe haben – für mich war der Film damals definitiv etwas vollkommen Neuartiges. Optik und Atmosphäre, Machart, Drehbuch, Schauspieler und auch die für einen Hollywood-Film geradezu unglaubliche Härte in manchen Szenen hatte ich so noch nicht erlebt. „Sieben“ war somit der erste Film seiner Art, zumindest in meiner Wahrnehmung.

Aus heutiger Sicht kann man sagen, dass der Film um den Serienkiller, der sich an den Sieben Todsünden orientiert, außergewöhnlich gut gealtert ist. Die Bilder suchen nach wie vor ihresgleichen, man kann im Endeffekt tatsächlich von einem Kunstwerk sprechen. Die dadurch erzeugte Atmosphäre, die in einem ewig verregneten Moloch agierenden Ermittler – das alles hat etwas vom film noir. Dazu kann man Regisseur David Fincher nur gratulieren, speziell das Spiel mit den Farben ist einzigartig und erzeugt einen solch abgrundtiefen Pessimismus, wie man ihn selten in einem Blockbuster sieht. An alledem gab es 1995 nichts auszusetzen und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Gleiches gilt für die Hauptdarsteller. Morgan Freeman (als desillusionierter, im Grunde seines Herzens aber gutmütiger Cop kurz vor der Pension) und Brad Pitt (als dessen ehrgeiziger Nachfolger) ergänzen sich ganz wunderbar. Vor allem das Spiel des damals noch sehr jung wirkenden Pitt kann an der Seite des erfahrenen Freeman voll und ganz überzeugen, speziell in der intensiven Schlussszene. Kevin Spacey als Bösewicht tritt über weite Strecken des Films nicht in Erscheinung, wenn er dann endlich auftaucht, macht er seine Sache solide. Ganz glaubwürdig scheint es mir aber nicht zu sein, wie er die Polizei zum Narren hält, was aber weniger am Schauspieler liegt, sondern an der mangelhaften Charakterzeichnung im Drehbuch. Bleibt Gwyneth Paltrow, als Polizistenfrau, deren Charakter ebenfalls nicht sonderlich Tiefgang aufweist – ihre Rolle ist wohl eher als dramaturgische Unterstützung gedacht gewesen. Das ist in Ordnung, allerdings übertreibt es Paltrow für mein Dafürhalten und legt mir etwas zu viel Theatralik in ihren Charakter.

All das sind allerdings keine Probleme, die „Sieben“ zu einem schwachen Film machen. Denn auch die Handlung passt, auch wenn sie – aus heutiger Sicht! – nicht sonderlich innovativ scheint. 1995 war das anders, zumindest für mich. Leider leistet sich das Drehbuch diverse Schwächen, über die ich damals in meiner ersten Begeisterung hinweggesehen habe, die ich heute aber doch recht deutlich empfinde. Die mangelnde Entwicklung der Charaktere habe ich angesprochen – das betrifft vor allem Serienkiller John Doe, über den man für meinen Geschmack viel zu wenig erfährt. Es ist und bleibt ein Rätsel, wie er es schafft, seine Taten langfristig dermaßen perfekt zu begehen und die „richtigen“ Spuren zu legen. An dieser Stelle hätte man sich dringend tiefgehendere Einblicke gewünscht. Stattdessen fokussiert sich der Film auf die Tätigkeiten der Ermittler, die aber immerhin mit ausreichend Persönlichkeit ausgestattet wurden.

Und so sind es letztlich diverse Unwahrscheinlichkeiten und wenig ausgearbeitet scheinende Handlungsstränge, die „Sieben“ den Status des Meisterwerkes verwehren. Natürlich ist das aus heutiger Sicht leicht gesagt – aber 90% aller „Criminal Minds“-Folgen zeigen die Ermittlungsarbeit ausgefeilter. Weil man aber nicht vergessen darf, dass es diese Serie und viele Filme ohne „Sieben“ in der Form vermutlich gar nicht geben würde, gibt es dennoch 6 Punkte. Nicht nur aus nostalgischen Gründen, sondern weil der Film atmosphärisch tatsächlich bis heute seinesgleichen sucht und durchaus als Pionier angesehen werden kann. Nicht perfekt, klar, aber dennoch wegweisend.

Gesamteindruck: 6/7


Originaltitel: Se7en
Regie: David Fincher
Jahr: 1995
Land: USA
Laufzeit: 127 Minuten
Besetzung (Auswahl): Morgan Freeman, Brad Pitt, Gwyneth Paltrow, Kevin Spacey, John C. McGinley, R. Lee Ermey, Richard Roundtree