Der Zombiefilm ist ein Genre, das sich seit Jahrzehnten nicht versiegen wollenden Nachschubs an Material erfreuen darf. Neben der Güte von Effekten und Drehbüchern stellt sich ob der unüberschaubaren Auswahl allerdings vor allem eine zentrale Frage: Fügt ein Film diesem klassischen Thema einen neuer Aspekt hinzu? Davon hängt der Unterhaltungswert der (Post)-Apokalypse zwar nicht zwangsläufig ab – dennoch freut sich der geneigte Fan, gleich einer/einem sabbernden Untoten, über jedes bisschen Frischfleisch, das von findigen Regisseur:innen in die Arena geworfen wird.
Gesamteindruck: 4/7
Ein Mann und ein Baby.
„Cargo“ (2017) ist ein eher ruhiger Vertreter seines Genres. Vom sonst so gern gezeigten Chaos, von Plünderungen und Gewalt, die den Anfang vom Ende der Zivilisation einleiten, ist hier nichts zu sehen. Im Gegenteil, das postapokalyptische Australien ist zunächst vergleichsweise friedlich: Man fährt mit dem Hausboot den Fluss hinunter, wirft die Angel aus, winkt einer Familie zu oder holt sich Vorräte von einem gestrandeten Kahn. Dass das nicht lange gut gehen kann, liegt auf der Hand – doch auch wenn „Cargo“ zu gelegentlichen Ausbrüchen neigt, bleibt der Film primär nahe an den persönlichen Emotionen seiner Charaktere und nimmt sich Zeit für eine Erzählung, die mehr Drama als Action beinhaltet.
Worum geht’s?
48 Stunden – so lange dauert es, bis man sich nach dem Biss einer infizierten Person in eine willenlose Kreatur verwandelt, die sich vom Fleisch anderer Menschen ernährt. Es sind also denkbar ungünstige Umstände, unter denen Andy und seine Frau Kay nach Ausbruch einer mysteriösen Seuche versuchen, ihre kleine Tochter Josie zu beschützen. Als Kay sich ansteckt, muss Andy eine Entscheidung treffen – und beschließt wider besseres Wissen, sich nicht von ihr zu trennen. Kurz darauf bereut er diesen Schritt, aber es ist zu spät: Er wurde gebissen, eine Heilung gibt es nicht; Andy hat nun 48 Stunden Zeit, die hilflose Josie in einem Australien, in dem nur das Recht des Stärkeren gilt, in gute Hände zu geben…
Ich weiß nicht, wie oft der Begriff „Zombies“ im Allgemeinen in Genrebeiträgen genannt wird. Heute scheint es mir geradezu verpönt zu sein, ihn zu benutzen – und „Cargo“ bildet in dieser Hinsicht keine Ausnahme, indem vor allem von Infizierten gesprochen wird. Es gibt jedoch ein anderes Alleinstellungsmerkmal (oder zumindest einen Aspekt, der bisher noch nicht bis zum Umfallen ausgereizt wurde): Der Film konzentriert sich überhaupt nicht auf die Infizierten, die man auch relativ selten deutlich zu Gesicht bekommt. Das Finden eines Heilmittels, der Kampf um die knappen Ressourcen oder große, gesellschaftliche Umwälzungen sind ebenfalls kein Thema. Es geht in „Cargo“ vielmehr darum, wie eine Familie mit einer tödlichen Krankheit, vor der es kein Entrinnen gibt, umgeht. Was nicht heißen soll, dass es überhaupt keine Zombie- oder sonstige Action gibt; sie steht allerdings nicht im Mittelpunkt der Handlung. Wir haben es hier also mit einem etwas „anderen“ Film zu tun haben, der Liebhaber geradliniger und blutiger Action vermutlich enttäuschen wird.
Normalos als Protagonist:innen.
Die Figuren in Zombiefilmen sind meist Actionheld:innen oder charismatische Anführer:innen, gerne auch beides in Personalunion. Anders in „Cargo“: Hier stellt sich das unwahrscheinlichste Wesen, das man sich vorstellen kann… Naja, schlechter Gag. Jedenfalls spielt Martin Freeman die Hauptrolle in dieser australischen Produktion – und er ist hier natürlich nicht der Hobbit. Wer die umstrittene Trilogie von Peter Jackson kennt, mag sich allerdings schwer tun, den ernsthaften Schauspieler Freeman komplett von seiner Rolle als Bilbo Beutlin zu trennen. Ich gebe zu, dass ich abseits jener Mammut-Produktion und der Serie „Sherlock“ (2010-2017) wenig von unserem Mann gesehen habe – es ist aber nicht zu übersehen, dass er sich in „Cargo“ häufig seiner Auenland-Mimik bedient, was zwar sympathisch ist, es aber gelegentlich schwer macht, ihm vorliegendes Drama abzunehmen. Wer darüber hinwegsehen kann, bekommt in „Cargo“ aber einen über weite Strecken glaubhaften und stark aufspielenden Martin Freeman zu sehen. An ihm liegt es meines Erachtens jedenfalls nicht, dass vorliegender Film international nicht allzu viel Beachtung gefunden hat.
Am restlichen Cast auch nicht, wobei man im Wesentlichen nur zwei Figuren hervorzuheben braucht (der Rest hat relativ wenig Screentime, sieht man vom Baby ab): Anthony Hayes gibt eine Art australischen Redneck, einen echten Kotzbrocken, der vor keiner Grausamkeit zurückschreckt, um auch in der Postapokalypse seinen Willen zu bekommen. Höchst unsympathisch – also auch gut gespielt, würde ich sagen. Und dann gibt es da noch die von Simone Landers dargestellt Thoomi, die der Hauptfigur im Laufe des Films als Führerin zu einem Stamm von australischen Ureinwohner:innen dient. Auch sie macht ihre Sache gut, sodass in Hinblick auf die Besetzung wenig an „Cargo“ zu kritisieren ist. Es sei denn, man hätte grundsätzlich ein Problem mit einer Kinderrolle, die auch mal ein wenig nerven kann. Ich persönlich fand diesen Charakter allerdings sehr passend umgesetzt.
Anders.
Der Rahmen von „Cargo“ unterscheidet sich auf den ersten Blick gar nicht so sehr von anderen Filmen dieser Art: Ein Mann versucht, einen sicheren Ort für sich und seine Tochter zu erreichen und trifft dabei auf verschiedenen Charaktere, die ihm mal mehr, mal weniger freundlich gesinnt sind. Soweit so klassisch, wozu auch passt, dass die Hauptfigur ihre moralische Überlegenheit voll und ganz ausspielen darf. Und doch: Trotz Verwendung bekannter Versatzstücke fühlt sich „Cargo“ insgesamt anders an. Es ist wohl die Konzentration auf Einzelschicksale, die den Titel von der Konkurrenz abheben. Jeder der wenigen Charaktere im Film ist individuell ausgestaltet (freilich nicht alle gleichermaßen ausführlich), was schon einen Unterschied zu jenen Beiträgen macht, die auf Masse statt Klasse setzen, was ich im Übrigen nicht zwangsweise negativ finde.
Was außerdem positiv auffällt: „Cargo“ endet für die Hauptfigur nicht gut, was ein durchaus überraschender Effekt ist (das Finale ist übrigens eine interessante Mischung aus witzig und traurig). Ich könnte mich ad hoc nicht erinnern, das schon mal in diesem Ausmaß gesehen zu haben (ausgenommen „The Walking Dead“, das als Serie aber ganz anders mit den Figuren umgehen kann). Und: Es wird ein Bezug zu den australischen Ureinwohnern hergestellt, die es offenbar als eine von ganz wenigen Gruppen schaffen, den Infizierten zu trotzen, indem sie sich ihrer eigenen, von den Weißen unverstandenen Traditionen bedienen. Auch, wenn das nicht ganz schlüssig erklärt wird, hat mir dieser Aspekt ebenfalls gut gefallen.
Woran hapert es dann eigentlich? Ehrlich gesagt fällt es mir schwer, das zu benennen. „Cargo“ sieht gut aus, hört sich gut an, ist eigenständig genug und hat einen sympathischen Hauptdarsteller. Leider hat mich der Film dennoch nicht sonderlich gut unterhalten; er hat seine Längen und leidet stellenweise unter faden Dialogen. Dass er wenig Hintergrund zur Katastrophe selbst bietet, ist ebenfalls ein Problem – kein grundsätzliches, weil ein solcher Film das eigentlich auch gar nicht machen muss. Nur müsste dann seine individuelle Erzählung voll und ganz überzeugen, was sie aber nicht tut: Der rote Faden kommt mir ganz dünn vor, wie Butter auf zu viel Brot verstrichen (noch ein blöder Gag, ich weiß). Vielleicht ist das auch einmal mehr ein Beweis dafür, dass es nur in den seltensten Fällen gelingt, ein Konzept für einen Kurzfilm (denn auf einem solchen basiert vorliegender Titel) auf abendfüllende Länge aufzublasen. Die Folge: Trotz guter Ansätze gibt es leider nur eine durchschnittliche Wertung für „Cargo“.
Gesamteindruck: 4/7
Originaltitel: Cargo.
Regie: Ben Howling, Yolanda Ramke
Drehbuch: Yolanda Ramke
Jahr: 2017
Land: Australien
Laufzeit: ca. 100 Minuten
Besetzung (Auswahl): Martin Freeman, Anthony Hayes, Simone Landers, Susie Porter