Edguy
Das 10. Album der hessischen Formation Edguy ist im April 2014 erschienen. Ich schreibe diese Rezension im Sommer 2022 – einen Nachfolger gibt es bis dato jedoch nicht, obwohl die Band nicht aufgelöst, sondern „on hold“ ist. Im Folgenden versuche ich zu klären, ob „Space Police – Defenders of the Crown“ ein würdiger Abschluss ist, egal, ob „nur“ vor einer langen Pause oder doch dem endgültigen Aus für die einst so gefeierten Wunderkinder des (deutschen) Melodic Metal…
Gesamteindruck: 5/7
Rückbesinnung.
Der Blick auf die Tracklist verheißt zunächst nichts Gutes: Nur bei einer von zehn Nummern des regulären Albums konnte ich ad hoc sagen, wie sie klingt. Das ist auch keine große Kunst, handelt es sich dabei mit „Rock Me Amadeus“ von Falco doch um ein Cover (hier das Original). Die restlichen Titel waren mir nicht einmal vom Namen her ein Begriff (was auf dem mauen Vorgänger „Age of the Joker“ von 2011 noch anders war). Daraus schließe ich, dass „Space Police“ für mich anno 2014 entweder keinen einzigen, halbwegs memorablen Moment enthalten hat – oder ich hatte Edguy damals schon längst ad acta gelegt und mir die Platte kein einziges Mal bewusst angehört.
Die nunmehrige, intensivere Auseinandersetzung legt jedenfalls Möglichkeit Nummer zwei nahe, denn nach mehreren Durchläufen kam mir kein einziger Song auch nur ansatzweise bekannt vor. Und zwar weder im Positiven noch im Negativen, sodass ich davon ausgehe, dass ich das Album vor 2022 tatsächlich so gut wie nie gehört haben dürfte. Überraschend ist das eigentlich nicht, mein musikalischer Fokus war damals ja bereits ein völlig anderer. Vor allem aber hat die teils unterirdische Qualität, die Edguy in den Jahren zuvor abgeliefert hatten, jegliches Interesse am weiteren Output der Hessen im Keim erstickt.
An dieser Stelle vielleicht ein Wort zum angesprochenen Falco-Cover: Kann man machen, muss man aber nicht. Die Original-Version lebt ja von dem arroganten Superstar-Gehabe eines Falco, der im Wiener Dialekt vor sich hin rappt und damit eine eigentümliche Atmosphäre erschafft, die schlicht nicht reproduzierbar ist. Auch und vor allem von einer Band wie Edguy nicht, zumindest nicht so, wie sie es hier machen (keine Ahnung, ob es als Metalband überhaupt möglich ist). Musikalisch ist es ja noch in Ordnung, gesanglich bekleckert sich der gute Tobi hier aber nicht mit Ruhm. Ist nicht seine Art zu singen, ist nicht seine Stimmlage, ist nicht seine Sprache – so einfach kann das manchmal sein. Ich denke, den Song kann man vielleicht auf der einen oder anderen Metal-Party um Mitternacht auflegen (Ohrwurm-Charakter hat er ja), aber eigentlich würde ich es sogar dort eher mit dem Original versuchen, denn dem fügen Edguy nichts Essenzielles hinzu.
Überraschend gut.
Von dieser Irritation abgesehen mundet die Suppe, die uns die Mannen um Bandleader und Chef-Kaspar Tobias Sammet kredenzen, aber bei weitem nicht so schlecht, wie ich befürchtet hatte. Bereits der Opener „Sabre & Torch“ ist metallischer als alles, was man von Edguy in den zehn (!) Jahren zuvor gehört hat, zusammengerechnet. Ganz ehrlich: Ich hätte nicht erwartet, jemals wieder dermaßen prominent in den Vordergrund gemischte Riffs von dieser Band zu hören. Klar, die vielen „woh-oh-oh“-Teile sind cheesy und die Nummer ist ein bisschen zu lang – aber das ändert nichts daran, dass wir es hier mit dem besten Einstieg in ein Edguy-Album seit „Mysteria“ (auf „Hellfire Club“, 2004) zu tun haben.
Nun wäre das allein freilich zu wenig für eine passable Gesamtwertung. Allerdings geht das Album ähnlich gut weiter, die quasi-Titeltracks „Space Police“ und – eh klar – „Defenders of the Crown“ wissen ebenfalls vorbehaltlos zu gefallen. Wobei erstere Nummer etwas schwächer ist und ich den bemüht-witzigen Text nicht sonderlich mag, obwohl ich die Intention durchaus verstehe. „Defenders of the Crown“ ist hingegen großartig und greift tief in die ganz alte Power Metal-Kiste, eben genau so, wie es ein solcher Titel verspricht.
Der Rest des Albums ist – zu „Rock Me Amadeus“ habe ich ja alles gesagt – ebenfalls gelungen und zeigt, dass es Edguy 2014 doch noch konnten. Dabei stört nicht einmal, dass die Hessen eine Art Werkschau unternehmen, es sich also auch nicht nehmen lassen, Seiten ihres Schaffens auszuleben, die ich eigentlich nicht goutiere. So reiht sich rockiges („Love Tyger“, „Do Me Like A Caveman“) an schwermetallisches („The Realms of Baba Yaga“, „Shadow Eaters“) Liedgut. Das ist nicht ganz neu für Edguy, aber so frisch und spielfreudig klangen sie, ich wiederhole mich, in den zehn Jahren vor „Space Police“ nie, vor allem nicht auf Albumlänge. Der Vollständigkeit halber sei noch angemerkt, dass es mit „The Eternal Wayfarer“ ganz klassisch einen längeren Rausschmeißer gibt, dessen Refrain ich sehr gern mag, der insgesamt aber nicht ganz so geil ist, wie ich mir nach dem, was ich zuvor gehört habe, erhofft hätte. Egal, trotzdem eine gutklassige Nummer.
Es geht nicht ohne Wermutstropfen.
Zwei Wermutstropfen muss ich aber auch benennen: Einerseits ist die Pflichtballade, „Alone in Myself“, komplett für die Tonne. Schade drum, denn das war eine Disziplin, in der mir Edguy zumindest auf den frühen Alben immer sehr gut gefallen haben. In vorliegendem Fall können sie hingegen nicht ansatzweise an alte Großtaten anschließen. Andererseits habe ich teilweise ein echtes Problem mit der Stimme von Tobias Sammet. Speziell bei Songs wie „Sabre & Torch“ oder „Space Police“ bekommt man eine Ahnung davon, was der Grund für den musikalischen Kurswechsel gewesen sein mag, den Edguy kurz nach der Jahrtausendwende vollzogen haben: Man meint regelrecht zu hören, wie sehr sich der Frontmann abmühen muss, halbwegs aggressiv zu klingen. Ganz gelingt ihm das nicht, zumindest in meinen Ohren wirkt er vor allem angestrengt, was den Gesamteindruck dann leider doch etwas nach unten zieht.
Fazit: Wer Edguy nach „Hellfire Club“ komplett abgeschrieben hat, hat mein vollstes Verständnis. Alles was danach kam, hat auch mich enttäuscht – umso erstaunliche ist es, wie stark „Space Police – Defenders of the Crown“ aus den Boxen kommt. Eine schöne Überraschung, die man, wie ich finde, trotz aller Anwandlungen von Meister Sammet keineswegs kleinreden sollte. Mir hat es gefallen, auch wenn der ganz große, unsterbliche Hit nicht dabei ist
Gesamteindruck: 5/7
No | Titel | Länge | Note |
1 | Sabre & Torch | 5:00 | 6/7 |
2 | Space Police | 6:00 | 5/7 |
3 | Defenders of the Crown | 5:39 | 7/7 |
4 | Love Tyger | 4:26 | 5/7 |
5 | The Realms of Baba Yaga | 6:07 | 5/7 |
6 | Rock Me Amadeus [Falco-Cover] | 3:20 | 3/7 |
7 | Do Me Like a Caveman | 4:09 | 4/7 |
8 | Shadow Eaters | 6:08 | 6/7 |
9 | Alone in Myself | 4:36 | 2/7 |
10 | The Eternal Wayfarer | 8:50 | 5/7 |
54:15 |
Edguy auf Space Police (Defenders of the Crown” (2014, Nuclear Blast):
- Tobias Sammet − Vocals, Keyboards
- Jens Ludwig − Lead Guitars
- Dirk Sauer − Rhythm Guitars
- Tobias Exxel − Bass
- Felix Bohnke − Drums