SpielWelt: Penumbra: Black Plague


„Penumbra: Black Plague“ (2008) ist der zweite Teil einer ursprünglich als Trilogie geplanten Reihe von Survival Horror-Adventures. Gleich vorweg möchte ich allerdings zu bedenken geben, dass dieses Spiel noch kürzer ist als sein auch schon sehr kompakter Vorgänger „Penumbra: Overture“ (2007). Nimmt das Expansion-Pack zu „Black Plague“ (2008 als „Penumbra: Requiem“ veröffentlicht) dazu, ergibt das alles in allem keine 20 Stunden Umfang, was in der Regel eher einem einzigen Spiel entspricht.

Gesamteindruck: 4/7


Flüstern in der Tiefe.

Das Spiel, das später zu „Penumbra: Overture“ werden sollte, wurde von der schwedischen Firma Frictional Games ursprünglich als Grafik-Demo entwickelt. In spielfertigem Zustand fand ich Teil 1 der Survival Horror-Reihe zwar nicht übel, zu einem richtig guten Titel fehlte allerdings ein gehöriges Stück. Zum absoluten Pflichtprogramm gehört der Nachfolger „Black Plague“ leider auch nicht unbedingt, immerhin haben es die die Designer aber geschafft, einige Schwächen seines Vorgängers auszumerzen. Wir haben es hier also mit dem klar besseren Spiel zu tun.

Darum geht’s:
Direkt nach den Ereignissen von „Penumbra: Overture“ erwacht Protagonist Philip auf einer versifften Matratze in einem verschlossenen Raum – und hört als erstes, wie in einem angrenzenden Zimmer offenbar ein Mord passiert. Bald stellt sich heraus, dass die unterirdische Forschungsstation, in der man sich befindet, von einem unheimlichen Virus verseucht scheint. Praktisch alle ehemaligen Bewohner sind mittlerweile tot oder zu gefährlichen Mutanten geworden. Nun gilt es, herauszufinden, was diese unerfreulichen Ereignisse ausgelöst hat – und wo der eigene Vater ist, dessen Brief Philip ja überhaupt erst in diese Lage gebracht hat…

Die Handlung von „Black Plague“ führt die Geschichte, die „Overture“ begonnen hat und die so abrupt mit einem Schlag auf den Hinterkopf endete, nahtlos fort. Wer also wissen möchte, was es mit den Ereignissen im entlegenen Norden Grönlands auf sich hat, kommt um die Fortsetzung nicht herum. Deren Ende funktioniert übrigens tatsächlich als Schlusspunkt, wäre aber auch geeignet gewesen, um einen weiteren Titel anzuflanschen. In diesem Zusammenhang haben Frictional Games also alles richtig gemacht und den für viele Spieler:innen fast unverzeihlichen Frust eines komplett offenen Endes vermieden.

Doch was ist eigentlich die Story und wie wird sie erzählt? Ein großer Kritikpunkt an „Overture“ waren ja die ellenlangen Briefe, aus denen man sich eine teils sehr verworrene Geschichte über eine geheimnisvolle Mine/unterirdische Forschungseinrichtung zusammenklauben musste. Das war mühsam, teilweise unglaubwürdig (was die Damen und Herren Wissenschaflter:innen alles in Schriftform festgehalten haben, geht auf keine Kuhaut) und unergiebig (wenn man nicht jedes Dokument gefunden und/oder genau gelesen hat). „Black Plague“ führt die Story deutlich leichtfüßiger und moderner fort: Zwar gibt es immer noch den einen oder anderen Brief, aufgelockert wird das Ganze aber durch (seltenen) Kontakt mit einer überlebenden Forscherin(inklusive Sprachausgabe). Außerdem gibt es nun Computerterminals, in deren Dateien ab und an ebenfalls ein Teil der Geschichte erzählt wird, was zwar auch mit Lesen verbunden, aber dennoch eine nette Abwechslung ist.

Alles in allem wirkt „Black Plague“ dadurch angenehm gestrafft. Dass das keine Einbildung ist, zeigt der eingangs schon angedeutete Blick auf die Spielzeit: War ich mit „Overture“ in rund 7 ½ Stunden durch, brauchte ich für „Black Plague“ ziemlich exakt eine Stunde weniger. Eine Enttäuschung? Naja, vielleicht, wenn man 50 Euro pro Spiel gezahlt hat (ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie hoch der Preis zur Veröffentlichung war). Zum Zeitpunkt dieser Rezension gibt es die „Penumbra Collection“ jedoch um 8,99 Euro bei GOG.com – ein Sümmchen, für das man sich die Spiele schon mal ansehen kann. Unabhängig vom Preis-/Leistungsverhältnis möchte ich im Übrigen anmerken, dass ich weder „Overture“ noch „Black Plague“ als „zu kurz“ empfunden habe. Die Story gibt meines Erachtens nicht mehr her bzw. ist sie nicht so toll erzählt, dass man das Gefühl hat, man könne gar nicht genug davon kriegen. So gesehen passt die kurze Spielzeit wieder ganz gut – aber das ist natürlich eine sehr subjektive Einschätzung.

Verbesserungen allenthalben.

Auch abseits der vergnüglicheren Erzählform wartet „Black Plague“ mit Verbesserungen auf. Als erstes sticht naturgemäß die Generalüberholung in Sachen Grafik und Sound hervor: „Black Plague“ ist schöner und abwechslungsreicher als „Overture“, ohne dessen unheimliche Düsterkeit verloren zu haben. Auch in dieser Hinsicht scheint eine Straffung die Maxime gewesen zu sein, denn das Spiel wirkt nicht mehr so leer und die Gänge sind nicht mehr verschwenderisch breit, ohne dass ein spielmechanischer Sinn dahinter zu entdecken wäre. Akustisch wartet „Black Plague“ mit mehr und besser eingesetzter Musik sowie häufigerer Sprachausgabe auf.

Was die Bedienung betrifft, scheinen Frictional Games gemerkt zu haben, dass die spezielle „Penumbra“-Steuerung (mehr dazu in der Rezension zu „Overture“) nicht für Kämpfe geeignet ist. Zwar schleichen auch in „Black Plague“ einzelne Gegner durch die Gänge, sämtliche Waffen wurden jedoch aus dem Spiel entfernt, sodass man gezwungen ist, sich entweder zu verstecken oder – wenn man dennoch entdeckt wurde – die Beine in die Hand zu nehmen. Gut gelöst, würde ich sagen, war doch das Kämpfen neben einigen Geschicklichkeitspassagen der größte Pferdefuß an „Overture“.

Ansonsten hat sich spielmechanisch nicht viel geändert: Wir haben es hier immer noch mit einem Adventure aus der Egoperspektive zu tun, lösen also verschiedene Verschiebe- und Physikrätsel, legen mal diesen Schalter um oder reparieren jene Leitung. Das Repertoire an Problemstellungen wurde leicht erhöht, überbordende Neuerungen sind aber nicht zu vermelden. Insgesamt scheint mir der Frustrationsgrad deutlich niedriger zu sein, was vielleicht auch erklärt, warum ich für „Black Plague“ weniger Zeit gebraucht habe als für seinen Vorgänger: Ich habe an keiner Stelle gefühlte 20 Versuche benötigt wie beispielsweise im berühmt-berüchtigten „Dampfrätsel“ von „Overture“.

Was fehlt.

Alles, was ich bisher geschrieben habe, steht „Penumbra: Black Plague“ gut zu Gesicht. Noch nicht erwähnt habe ich außerdem, dass die allgemeine Atmosphäre stimmt: Wie schon „Overture“ ist auch sein Nachfolger angemessen düster und gruselig. Wer den Hauch von Verfall schätzt, der die weitgehend menschenleere Einrichtung umgibt, wird seine Freude an vielen Räumen und ihren Details haben. Etwas höher als in „Overture“ ist weiters der Anteil an Szenen, die das Nervenkostüm flattern lassen, weil man meint, etwas gehört zu haben. Angenehmer Grusel, der sich durch das Entfernen der Kämpfe sogar deutlich anders anfühlt als im Vorgänger – wobei ich nicht verhehlen möchte, dass auch „Black Plague“ weit davon entfernt ist, das unheimlichste Spiel aller Zeiten zu sein.

Das ist allerdings nicht der einzige Grund, wieso es nicht zu einer besseren Wertung reicht. Meiner Ansicht nach können die gelungene Atmosphäre und Präsentation nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Story weder originell noch packend erzählt ist. Das, was im fernen Grönland vor sich geht, ist Stoff, der für eine durchschnittliche „Akte X“-Folge reichen würde (und ich meine sogar, dass dort tatsächlich bereits sehr ähnliche Geschichten erzählt wurden), für rund 20 Stunden Computerspiel jedoch nicht wirklich. Vor allem ist die Handlung relativ zerfahren, weil zwischendurch Adventure-Einlagen zu lösen sind. Und genau das ist das meiner Ansicht nach größte Problem der „Penumbra“-Reihe: Adventure und Erzählung gehen hier nicht Hand in Hand sondern unterbrechen sich immer wieder gegenseitig. Ich weiß nun nicht genau, warum mich das hier mehr stört, als in anderen Spielen – Fakt ist aber, dass mir das Vergnügen an beiden Bestandteilen dadurch verleidet wurde.

Fazit: „Penumbra: Black Plague“ sieht gut aus, fühlt sich atmosphärisch gut an, leidet aber an Schwierigkeiten beim Game Design. So, als hätten die Entwickler nicht gewusst, ob sie den Schwerpunkt auf das Abenteuer oder die Erzählung legen sollten. Mit dem Ergebnis, das beides eher halbherzig gelungen ist. Und auch wenn das nicht heißen soll, dass „Black Plague“ ein wirklich schlechtes Spiel ist, ist das bedauerlich – denn ich glaube, es hätte mit etwas Tuning deutlich besser sein können.

Gesamteindruck: 4/7


Genre: Survival Horror / Adventure
Entwickler:
Frictional Games
Publisher: Paradox Interactive
Jahr:
2008
Gespielt auf: PC


Screenshots aus „Penumbra: Black Plague“ – Copyright beim Entwickler!

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SpielWelt: Penumbra: Overture


Ich finde es immer wieder faszinierend: Bei ganz alten Spielen stört es mich kaum, wenn aus den Lautsprechern nur ein paar Piepser kommen, die Grafik eher zweckmäßig als schön und „umständlich“ ein Hilfsausdruck in Sachen Bedienung ist. Bei etwas moderneren Titeln tue ich mich hingegen deutlich schwerer, über gewisse Schwächen hinwegzusehen – so auch bei „Penumbra: Overture“, das in praktisch keiner Hinsicht gut gealtert ist.

Gesamteindruck: 3/7


Unter Tage hört dich niemand schreien.

„Penumbra: Overture“ aus dem Jahr 2007 ist der Auftakt einer ursprünglich als Trilogie geplanten Reihe von Survival Horror-Spielen des schwedischen Entwicklers Frictional Games. Letztlich sind allerdings nur zwei Teile erschienen: „Overture“ und, nur ein Jahr später, der Nachfolger „Penumbra: Black Plague“. Zu letzterem gibt es mit „Requiem“ (ebenfalls 2008) ein Add-on, das aber nicht als dritter Teil gilt. Das Konzept wurde schließlich in der „Amnesia“-Reihe erfolgreich fortgesetzt.

Darum geht’s:
Nachdem Physikstudent Philip einen merkwürdigen Brief von seinem tot geglaubten Vater erhalten hat, führen ihn gewisse Hinweise im Schriftstück in den Norden von Grönland. Dort findet er eine Mine, deren Eingang kurz nach Betreten in sich zusammenstürzt. Damit beginnt der Abstieg des Protagonisten in eine unheimliche, von Wahnsinn zersetzte Welt. Was wurde hier erforscht? Was ist mit den Wissenschaftlern passiert? Und was sind das für Geräusche, die immer wieder durch die vermeintlich leeren Höhlen und Gänge dröhnen?

In „Penumbra: Overture“ betrachtet man die Welt durch die Augen des Protagonisten. Im ersten Moment erinnert diese Perspektive an einen handelsüblichen Ego-Shooter oder ein Rollenspiel im „The Elder Scrolls“-Stil – ein Eindruck, der täuscht, denn „Overture“ ist letzten Endes nichts anderes als ein Adventure mit Horror-Elementen. Heißt: Hauptaufgabe als Spieler:in ist es, in durch Gänge miteinander verbundenen Räumen jeweils Rätsel zu lösen und so die Handlung voranzutreiben. Der Großteil der Herausforderungen hat dabei – ganz klassisch – mit der Kombination von Inventargegenständen (miteinander und/oder der Umgebung) bzw. mit der Entschlüsselung von Codes und Hinweisen zu tun. Einige Rätsel basieren aber auch auf der spieleigenen Physik-Engine, was mal besser, mal schlechter funktioniert (dazu etwas weiter unten mehr). Alles in allem fühlt sich „Overture“ wie ein direkter Nachkomme der beliebten Point & Click-Adventures der 1980er und 1990er an – das schon mal als Warnung für alle, die ob der Screenshots Rollenspielelemente oder ein Shooter-mäßiges Waffenarsenal erwarten.

Stark getrübtes Spielvergnügen.

Die Präsentation von „Overture“ ist grundsätzlich im Haben zu verbuchen: Die düstere Umgebung ist stimmungsvoll und über weite Strecken in akzeptabler grafischer Qualität umgesetzt. Untermalt wird das Spiel von passenden Klavierklängen, die meines Erachtens aber zu selten zum Einsatz kommen (ich hatte im Nachgang das Gefühl eines extrem leisen Spiels, bei dem die Hintergrundmusik über weite Strecken einfach nicht abgespielt wird, was sehr schade ist). Ebenfalls stark: Die Soundeffekte, die von unheilvollem Geflüster über knurrende Monster bis hin zu ohrenbetäubenden Maschinen- und Explosionsgeräuschen sehr gut funktionieren und einen beträchtlichen Teil der Horror-Atmosphäre ausmachen.

Leider trüben diverse Schwächen das Spielvergnügen trotz dieser guten Ansätze deutlich. Am ehesten wird man wohl über die Optik hinwegsehen können – ja, ich weiß, die habe ich vor nur einem Absatz noch gelobt, aber man muss als Spieler:in dennoch eine gewisse Leidensfähigkeit mitbringen, wenn man die teils arg verwaschenen Texturen betrachtet und eher erahnt als erkennt, was ein Objekt darstellen soll. Mir ist natürlich klar, dass Frictional Games ein Indie-Entwickler ist und dass „Overture“ einige Jahre auf dem Buckel hat – das ändert aber nichts am Kernproblem, das ich in der Einleitung angesprochen habe: Spiele mit 2D-Grafik sind in der Regel viel besser gealtert als alles, was sich in 3D abspielt. Das bestätigt sich immer wieder, auch wenn es natürlich Ausnahmen gibt (zu denen vorliegendes Werk, so ehrlich muss man sein, aber nicht zählt).

Schwer, „Overture“ wirklich gut zu finden, macht es aber nicht die Grafik, sondern gewisse inhaltliche Schnitzer: Die Atmosphäre ist, wie oben erwähnt, zwar gelungen, dennoch dominiert im Nachhinein das Gefühl, sieben Stunden (so lange habe ich gebraucht) mit einem nichtssagenden und leeren Spiel verbracht zu haben. Letzteres ist dabei durchaus wörtlich zu nehmen: Man trifft in den Gängen und Räumen des Spiels niemanden, mit dem man reden könnte (abgesehen von sehr seltenen Funkkontakten, die komplett automatisiert ablaufen und ohnehin erst spät im Spiel eine Rolle spielen). Vereinzelt gibt es Gegner, denen man am besten ausweicht (man kann sie theoretisch auch bekämpfen), alles in allem ist aber schlicht und einfach nichts los, was den Survival Horror letzten Endes Lügen straft, weil die Schockmomente, die „Overture“ liefert, an einer Hand abzählbar sind. Es kommt auch kaum vor, dass man sich wie in „Alien: Isolation“ (2014) mal mehrere Minuten vor Angst schlotternd in eine Nische drückt und auch vor dem Monitor kaum zu atmen wagt. Wenn man in „Overture“ in Deckung geht, dann nur, um abzuwarten, bis sich ein mutierter Hund (einer von zwei Gegnertypen) auf seinen vordefinierten Bahnen wieder entfernt hat. Und das ist nicht unheimlich, sondern wird als lästige Unterbrechung des Spielflusses wahrgenommen; zumal die Viecher nicht gerade mit Intelligenz gesegnet sind. Und: „Overture“ ist theoretisch wohl so aufgebaut, dass sich der Terror und die Angst langsam steigern sollen, je tiefer man in die Umgebung vordringt. Das war bei mir eigentlich gar nicht der Fall, mir schien das gesamte Spiel sehr gleichförmig, was die Spannung betrifft (hin und wieder gibt es einzelne Spitzen, großteils plätschert aber alles eher gemächlich vor sich hin).

Was Story und Handlung betrifft, muss man natürlich einrechnen, dass „Penumbra“ von Anfang an als Serie ausgelegt war. Insofern darf man bei „Overture“ kein in sich geschlossenes Spiel erwarten (was ich auch nicht getan habe). Das ändert aber nichts daran, dass die Story ausgesprochen dünn ist. Die Intention von Frictional Games dürfte hier gewesen sein, sich die Ereignisse nach und nach selbst zu erarbeiten. Dementsprechend findet man immer wieder Notizen, Briefe und ähnlichen Papierkram, den man sich zu Gemüte führt, um daraus hoffentlich eine konsistente Story zu generieren. Mir persönlich ist das nicht so richtig gelungen. Die teils sehr langen Dokumente zu lesen ist generell mühsam – aber auch wenn man sich die Zeit nimmt und alles in Ruhe durchsieht, fällt es schwer, der Handlung zu folgen.

Steurung: Licht & Schatten.

Das prägnanteste Alleinstellungsmerkmal von „Overture“ ist die sehr spezielle Steuerung, die (in verbesserter Form) auch in späteren Adventures von Frictional Games zum Einsatz kommt. Während die Bewegung durch die Räume ganz klassisch als Kombination aus WASD und Maus funktioniert, weichen bestimmte Aktionen komplett von der üblichen Mechanik ab: Will man beispielsweise eine Schublade öffnen, reicht ein einfacher Mausklick dafür nicht aus. Stattdessen muss die Bewegung, die man dafür im realen Leben mit Hand und Arm machen würde, per Maus nachgestellt werden. Heißt in diesem Fall: Ein Linksklick und das folgende Halten der Maustaste entspricht den Fingern, die sich um den Griff der Lade schließen. Anschließend zieht man die Maus mit gedrückter Taste zurück – und die Schublade folgt genau dieser Bewegung. Klingt kompliziert, geht meist aber recht gut von der Hand, zumindest dann, wenn die Wege nicht zu lang sind und plötzlich der Tisch auszugehen droht. Insgesamt halte ich das jedenfalls für eine durchaus gelungene Neuerung, die der schwedische Entwickler sich und seiner HPL Engine hier auf die Fahnen schreiben darf (Anmerkung am Rande: „HPL“ ist eine Reminiszenz an den amerikanischen Horror-Autor H. P. Lovecraft).

Allerdings – und das ist der Pferdefuß der innovativen Steuerung – eignet sich eine Maus nicht in jeder Situation, menschliche Bewegungen zu ersetzen. Was in ruhigen Spielmomenten nach einer kurzen Eingewöhnungsphase recht intuitiv funktioniert, macht etwaige Kämpfe zu unnötig schweren und frustrierenden Ereignissen. Der Grund: Im Gegensatz zum wirklichen Leben kann kann die Engine keine Hand-Augen-Koordination. Darum ist der Nahkampf in klassischen Ego-Shootern am PC bis heute eine Herausforderung, die Steuerung von „Overture“ macht es hingegen zum reinen Glücksfall, überhaupt einen Treffer zu landen.

Zur Erklärung: Hat man eine Waffe in der Hand (es gibt einen Hammer und eine Spitzhacke – oder man schnappt sich einen Stein vom Boden und versucht sich am Fernkampf, der aber ähnlich verhunzt ist), „aktiviert“ man sie per Linksklick und halten der Maustaste. Dann führt man die Schwungbewegung aus, die aus ausholen und zuschlagen besteht. Soweit wäre das eigentlich noch in Ordnung, das Problem ist aber, dass man nicht schwingen und gleichzeitig den Kopf bewegen kann, beides hat ja die selbe Belegung auf der Maus. Notwendig wäre ein Drehen des Kopfes aber fast immer, weil die Gegner nicht zwingend von vorne kommen. Weichen sie nur ein kleines Stück zur Seite aus, sind sie nicht mehr zu treffen, wenn man nicht nachjustiert, also die den obigen Ablauf mit geändertem Sichtfeld wiederholt. Das braucht freilich deutlich mehr Zeit, als man im Kampf hat – der eigene Charakter hält ja nur zwei bis drei Treffer aus, bevor er das Zeitliche segnet. Ähnliches gilt für – zum Glück recht seltene – Geschicklichkeitspassagen, in denen man z. B. präzise springen muss. Auch dafür sind Engine und Steuerung nur bedingt geeignet, es ist nachgerade unmöglich, Abstände und Sprungweiten vernünftig einzuschätzen.

Die Folge: Man stirbt tausend unnötige Tode – beispielsweise in einer Höhle, in der man sich gleichzeitig mehrerer Spinnen erwehren muss. Die sind nachgerade unmöglich zu treffen, weil schnell und in Bodennähe, was den Winkel äußerst ungünstig macht. All das ist bei genauerer Betrachtung regelrecht absurd, denn diese Viecher sind für Spinnenverhältnisse zwar groß, in Wirklichkeit würde man sie aber direkt unter dem Stiefelabsatz zerquetschen, wäre man an Stelle des Charakters. Das kann der natürlich nicht, was die Immersion, die mit der Steuerung erzeugt werden soll, bricht. Und zwar deutlicher als in konventionell gesteuerten Spielen.

Generell ist die Frage, ob Kampf- und Geschicklichkeitsabschnitte, die per Definition viel mit Reaktionsfähigkeit zu tun haben und von präziser Steuerung abhängen, in einem solchen Spiel eine sonderlich gute Idee sind. Schon in den alten Adventures waren derartige Passagen umstritten – und ich glaube, die allgemeine Meinung war eher, dass sie dort nichts verloren hätten. Und „Overture“ bekräftigt mich stark in meiner Ansicht, dass das zwei Konzepte sind, die selten gut zusammenpassen. In vorliegendem Fall empfinde ich – abseits der Steuerung – sowohl Kampf als auch Geschicklichkeit in Teilen jedenfalls wie ziemlich lieblos aufgesetzte Versatzstücke. Das führt wiederum dazu, dass man zusehends die Lust am restlichen, eigentlich recht gut gemachten Spiel verliert, weil man sich ständig fürchten muss, wieder mal irgendwelche Sprungpassagen absolvieren zu müssen, bei denen der kleinste Fehler den Tod bedeutet.

Diese Angst wird noch verstärkt, weil freies Speichern – klassisch für den Survival Horror – nicht möglich ist. Stattdessen werden, meist bei einem Raumwechsel, automatisch Spielstände angelegt; ab und an gibt es außerdem „Artefakte“, die als manuelle Speicherpunkte dienen. Grundsätzlich ist das zwar gewöhnungsbedürftig, meist kann man damit aber ganz gut leben, weil es das Gefühl der eigenen Verletzlichkeit und damit die Anspannung steigert. Allein: „Overture“ besitzt mit den bockschweren Kämpfen und gelegentlichen Jump n‘ Run-Einlagen Stilmittel, die über das hinausgehen, was man in einem solchen Spiel normalerweise erwarten würde. Und hier stört es dann doch, dass man nicht auf Wunsch speichern kann, weil es immer wieder ganze Abschnitte gibt, die man x-mal wiederholen muss. Das zieht den Spielspaß tatsächlich gehörig nach unten.

Fazit: Nicht essenziell.

Nach gut sieben Stunden endet „Penumbra: Overture“ mit einem Cliffhanger, man spielt das nahtlos daran anschließende „Black Plague“ also bestenfalls direkt danach (das tue ich übrigens derzeit, meine Eindrücke werde ich zu gegebener Zeit hier im Blog wiedergeben). Was bleibt nun also von diesem Debüt von Frictional Games? Nun, ich würde sagen, dass „Overture“ ein halbwegs ambitioniertes Werk ist, dem man aber an allen Ecken und Enden anmerkt, dass es zunächst gar nicht als Spiel, sondern nur als Demo für die Fähigkeiten der HPL-Engine gedacht war. Das ist dann wohl auch die Erklärung, warum manches fast schon ungeschickt aufgesetzt wirkt und vieles schlicht und einfach unausgegoren daherkommt. Am wenigsten kann man an der Technik an sich kritisieren – ganz im Gegensatz zu Inhalt, Storytellung und der Einbindung der Spieler:innen in die Welt von „Penumbra“.

Ungeschliffen fühlt sich „Overture“ an, so, als hätte es noch ein paar Monate Feintuning gebraucht, um ein wirklich gutes Spiel zu werden. Das sollte erst mit dem Nachfolger gelingen – aber das ist wiederum eine andere Geschichte. Für diesen Versuch gibt es drei Punkte mit viel Luft nach oben – und, so ehrlich muss man sein: Wenn man „Overture“ nie gespielt hat, braucht man das heute auch nicht mehr zwangsweise nachzuholen. Allzu viel hat man nämlich tatsächlich nicht verpasst.

Gesamteindruck: 3/7


Genre: Survival Horror / Adventure
Entwickler:
Frictional Games
Publisher: Paradox Interactive
Jahr:
2007
Gespielt auf: PC


Screenshots aus „Penumbra: Overture“ – Copyright beim Entwickler!

BuchWelt: Schlaflied

Cilla & Rolf Börjlind


„Schlaflied“, der vierte Fall des Ermittlerduos Tom Stilton und Olivia Rönning, behandelt mit Organhandel und Flüchtlingskrise zwei höchst aktuelle Themen, die jedes für sich eine Schande für die ach-so-zivilisierte Menschheit sind. Dafür gibt’s von mir Szenenapplaus; zu Begeisterungsstürmen vermag mich der schwedische Krimi jedoch nicht hinzureißen.

Gesamteindruck: 2/7


Ein Schlaflied für den Leser.

„Schlaflied“ ist das erste Buch des schwedischen Ehepaars Cilla und Rolf Börjlind, das ich gelesen habe. Wer nun denkt, dass meine Probleme mit diesem Werk daher rühren – immerhin kenne ich die Vorgeschichte der Ermittler nicht – täuscht sich. Ich denke nicht, dass entsprechende Vorkenntnisse den fast 600 Seiten starken Roman zu einem Pageturner gemacht hätten.

Worum geht’s?
Stockholm: Tausende Asylsuchende kommen an, die Behörden sind mit der Situation hoffnungslos überfordert. Unter den Flüchtlingen befinden sich viele unbegleitete Jugendliche – wie Akin und Gowon aus Nigeria, die Hoffnung schöpfen, als sie von einem scheinbar hilfsbereiten Mann zu einer vorübergehenden Unterkunft gebracht werden. Gleichzeitig wird in Wäldern ein halb vergrabener, grausam zugerichteter Junge gefunden. Die Kriminalpolizei beginnt zu ermitteln und muss bald erkennen, wie weit sich auch im beschaulichen Schweden das organisierte Verbrechen schon ausgebreitet hat

Falls sich jemand fragt, wieso meine Börjlind-Premiere ausgerechnet der 4. Roman einer Krimi-Reihe ist: Ich gestehe, dass ich von den Autoren noch nie etwas gehört habe, entsprechend stand keines ihrer Bücher auf einer meiner „zu lesen“-Listen. Allerdings kann ich an keinem offenen Bücherschrank vorbeigehen, ohne etwas mitzunehmen – und in diesem Fall war es eben „Schlaflied“, dessen Inhaltsangabe mir gefallen hat. Mittlerweile weiß ich natürlich, dass Cilla und Rolf Börjlind vor allem als Drehbuch-Autoren für Krimi-Serien tätig sind, ein Umstand, der mir vorher ebenfalls völlig unbekannt war. Apropos Serien: Ich kann mir gut vorstellen, dass sich aus „Schlaflied“ – charismatische Schauspieler vorausgesetzt – ein spannender Fernseh-Abend machen ließe.

Kühle Charaktere und ein paar Unwahrscheinlichkeiten.

In Buchform hatte ich hingegen auf verschiedenen Ebenen meine Probleme mit „Schlaflied“. Eines davon sind die Figuren, die einfach nicht vor meinem geistigen Auge lebendig werden wollten – und mir auch charakterlich nicht sonderlich gefallen haben. Nun könnte man das darauf schieben, dass ich die Teile 1 bis 3 der Serie nicht kenne, daher auch nicht weiß, ob und wie die Hauptpersonen dort beschrieben sind. Beurteilen kann ich jedenfalls nur vorliegendes Werk, was einerseits nicht ganz gerecht ist, andererseits aber doch wieder, weil das Buch per se schon so geschrieben ist, dass es für sich allein gelesen werden kann. So oder so: Ich bin mit keinem Charakter wirklich warm geworden, zu kühl und distanziert sind sie beschrieben. Am meisten konnte ich übrigens mit dem rumänischen Gangsterboss anfangen – wenn der nur in diesem Buch vorkommt, wovon ich ausgehe, könnte das wiederum meinen Verdacht bestätigen, dass es mir tatsächlich an Vorkenntnissen mangelt.

Kein Problem ist es hingegen, der in „Schlaflied“ erzählten Handlung zu folgen – ganz unabhängig davon, ob man ein anderes Buch aus der Reihe kennt. Die Geschichte, die sich das Ehepaar Börjlind ausgedacht hat, ist im Endeffekt schnörkellos und man hat relativ früh Gewissheit, wohin sie sich entwickelt (schön fand ich übrigens, wie es am Ende die Auflösung des sehr rätselhaften Einstiegs gibt). Nun könnte man sagen, dass der Weg das Ziel ist, was oft genug auch stimmt. Im Falle von „Schlaflied“ sind die Wege bzw. Handlungsstränge auf den ersten Blick komplex, wenn sie zum Finale hin zusammenlaufen, stellt man jedoch fest, dass „umständlich“ die richtigere Beschreibung ist. Die Ermittler fahren und fliegen mal hierhin, mal dorthin, es passieren scheinbar bedeutende Dinge – und doch bleibt der schale Beigeschmack zurück, dass 400 Seiten locker genügt hätten, um „Schlaflied“ zu erzählen. Bezeichnend übrigens, dass ich in der Rückschau relativ lange überlegen musste, was es mit dem Titel des Romans auf sich hat, man kann sich also vorstellen, dass der entsprechende Teil der Handlung nicht gerade bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen hat. Einen Teil dieses Problems muss man aber der Übersetzung anlasten, denn das schwedische „Schlaf du kleines Weidenjunges“ ist der deutlich stärkere Titel.

Enttäuschend war für mich ferner, dass mir häufig nicht klar war, wie gewisse Ermittlungsergebnisse zustande gekommen sind – es ist, als würden den Beamten ihre Eingebungen zum Teil einfach so zufliegen. Das nimmt der Geschichte für mein Dafürhalten ein gerüttelt Maß an Glaubwürdigkeit. Dazu passt auch, dass manche Charaktere sehr merkwürdige und für mich kaum nachvollziehbare Entscheidungen treffen. Und: In „Schlaflied“ gibt es zumindest so viele Unwahrscheinlichkeiten, die für mein Dafürhalten nicht ausreichend erklärt werden, dass es mir negativ aufgefallen ist.

Fazit: Trotz grundsätzlich brauchbarer Geschichte ist „Schlaflied“ ein Buch, das man wohl nur Fans der Reihe um Tom Stilton und Olivia Rönning empfehlen kann. Ich denke nicht, dass ich ein weiteres Werk aus der Serie lesen werde, dazu war mir vorliegender Roman letzten Endes zu zäh und zu unspektakulär.

Gesamteindruck: 2/7


Autor: Cilla & Rolf Börjlind
Originaltitel: Sov du lilla videung.
Erstveröffentlichung: 2016
Umfang: ca. 570 Seiten
Gelesene Sprache: Deutsch
Gelesene Version: Taschenbuch

MusikWelt: Berserker

Amon Amarth


Als ich das Artwork des 11. Albums der Wikingerhorde Amon Amarth gesehen habe, musste ich schlucken. Nicht nur, weil sich Farbgebung und Stil grundlegend von allem unterscheiden, was die Schweden bis zu diesem Zeitpunkt auf ihre Platten gepappt haben, sondern weil mir der Titel und das Bild ziemlich bekannt vorkamen. Dazu unten mehr, hier sei nur erwähnt, dass dieser Stilbruch bereits bevor ich den ersten Ton gehört hatte, wie ein schlechtes Omen über „Berserker“ zu schweben schien.

Gesamteindruck: 3/7


Leichtgewicht statt Schwermetall.

Amon Amarth führen mit „Berserker“ den Weg fort, den sie mit „Jomsviking“ (2016) eingeschlagen haben. Die Alben ähneln sich so sehr, dass ich im ersten Moment den Impuls hatte, hier meine entsprechende Rezension reinzukopieren. Nun hatte das Quintett aus Stockholm auch früher schon seinen klassischen Sound, der sich von Platte zu Platte häufig nur in Nuancen änderte. Kann man ohne weiteres machen, wenn auch die Qualität stimmt. Mir ist natürlich klar, dass „Qualität“ in der Kunst mehr als irgendwo sonst Ansichtssache ist – aber ich weiß auch, was mir gefällt und kann nach diesem zugegeben subjektiven Maßstab mein Urteil fällen. Im Falle von „Berserker“ bedeutet das, dass sich die musikalische Ähnlichkeit leider auch auf das Songwriting erstreckt, mit dem ich mich einfach nicht anfreunden kann (meine Vermutung ist im Übrigen, dass ich mit meiner Meinung keineswegs allein stehe, aber das soll hier nicht das Thema sein).

Es gibt aber auch eine gute Nachricht: Im Gegensatz zu „Jomsviking“ verfügt „Berserker“ in Form von „Ironside“ über eine Nummer, die ich absolut großartig finde und die jeden anderen Track der jüngsten Amon Amarth-Alben in den Schatten stellt. Und ja, ich weiß schon, dass auch dieser Song sehr auf Eingängigkeit getrimmt ist. Aber er ist seit langem der erste seiner Art, bei dem ich die ursprüngliche Wildheit und die in letzter Zeit eher sporadisch gezeigte Spielfreude der Stockholmer zu jeder Sekunde spüre. Treibender Rhythmus, gute Gitarrenarbeit, schöner Refrain, ein Johan Hegg in Hochform – was will man mehr? Ok, auf den Sprechgesang hätte ich verzichten können, aber man soll nicht unzufrieden sein.

Den Rest des Materials würde ich wie folgt zusammenfassen: Es herrscht die von „Jomsviking“ bekannte Leichtigkeit des Seins vor. Alles ist gefällig und technisch sauber dargeboten, darüber braucht man nicht zu diskutieren. Die Lyrics sind sogar eine Spur besser (schönstes Beispiel: „The Berserker at Stamford Bridge“), offenbar hat man gemerkt, dass die Texte des Vorgängers eher wie eine lästige Pflichtübung gewirkt haben. Wie üblich horcht man auch hie und da auf, beispielsweise beim Refrain des für die Verhältnisse dieser Platte gar nicht so üblen Openers „Fafner’s Gold“, dem in gleicher Hinsicht passablen „Shield Wall“, das sich gut für die Live-Darbietung eignen dürfte oder dem lässigen Riffing von „Wings of Eagles“. Sieht man von diesen Ausnahmen ab, die sehr punktuell gesät sind, bleibt nicht viel übrig – ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wie die weiteren Songs klingen. Ich lese die Titel, die kommen mir natürlich bekannt vor, aber wie z. B. „Crack the Sky“ klingt, weiß ich nicht – und das war sogar die vorab ausgekoppelte Nummer, was auch schon sehr viel aussagt. Am besten neben „Ironside“ wird’s eigentlich ganz hinten raus: „Into the Dark“ ist eine bedächtiger Track, der mit einer epischen Melodie gesegnet ist, die genau jene Wikinger-Stimmung aufkommen lässt, für die man die Band immer geliebt hat. Der Gesang ist hingegen weniger meins, aber wenigstens blitzt hier beim Songwriting die alte Genialität auf.

Von Reißbrett-Kalkulationen und deutschem Pagan Metal.

Bei „Jomsviking“ tat ich mir noch schwer, das Problem genau zu verorten, schwadronierte etwas von Begriffen wie „poppig“ und was dafür/dagegen spricht, Amon Amarth in diese Schublade zu stecken. Im Zuge diverser Sessions mit „Berserker“ meine ich nun, die Schwierigkeiten, die ich mittlerweile mit einer meiner einstigen Lieblingsbands habe, festmachen zu können: Dieses Album klingt vollkommen generisch und austauschbar. Es ist, als hätten die Schweden alles, was auf „Berserker“ zu hören (und zu sehen!) ist am Reißbrett entworfen und genau nach jener Formel gestrickt, die wohl auch „Jomsviking“ zu guten Verkaufszahlen verholfen hat. Diese Vorgangsweise sei ihnen unbenommen und ich kann gut verstehen, warum man kommerzielle Interessen ab einer gewissen Größe nicht ganz hintanstellen mag. Der Preis, den Amon Amarth dafür zahlen, ist das Verprellen eines gewissen Teils ihrer Fanschar, namentlich derer, die von Beginn an dabei waren; im Gegenzug haben sie mit ihren Alben aus 2016 und 2019 mit Sicherheit ein neues, junges Publikum ohne emotionale Bindung zur Bandgeschichte gewonnen. Und natürlich springen deshalb nicht alle ab, es wird genügend alte Säcke geben, die auch „Berserker“ gut finden. Zu Recht, denn über Geschmack kann man nicht streiten; ich gehöre halt definitiv nicht dazu, was schade ist, aber auch nichts Neues, weil wir es hier mit einem Weg zu tun haben, der immer wieder von Bands (prominente ad hoc-Beispiele: Iron Maiden, In Flames, Edguy) beschritten wird. Ich mag das auch nicht verurteilen, wir gehen eben, so schwer es auch fällt, vorerst getrennte Wege; muss ja nicht auf Dauer so sein, wie die Geschichte ebenfalls bewiesen hat (prominente ad hoc-Beispiele: Metallica, Kreator, Helloween).

Einleitend habe ich kurz was zum Cover gesagt, das ich nun noch etwas näher ausführen möchte. Wie erwähnt gefällt es mir optisch nicht, was so gesehen schon ein kleiner Fingerzeig auf die musikalische Qualität sein mag. Aber gut, auch das ist Geschmackssache und sollte generell nicht überbewertet werden. Was mich hingegen wirklich irritiert hat: Hier sieht man das Cover eines Albums der deutschen Pagan Metaller von Asenblut. Das kam 2016 auf den Markt und heißt, richtig geraten, „Berserker“. Ich weiß nicht, ob Amon Amarth das wussten, ob Asenblut überhaupt bekannt genug sind, um auf dem Schirm der Schweden bzw. ihrer langjährigen Plattenfirma Metal Blade gewesen zu sein. Asenblut haben das alles, soweit ich mich erinnere, ohnehin mit Humor und als gute Werbung genommen, von daher ist die Sache wohl gegessen. Ich wollte es aber dennoch erwähnt haben, einfach, weil ich es ziemlich kurios fand und finde.

Vor dem Fazit noch ein Wort zum Personal: „Berserker“ ist das Amon Amarth-Debüt von Schlagzeuger Jocke Wallgren, der den bereits 2015 ausgestiegenen Langzeit-Drummer Fredrik Andersson nun auch auf Platte ersetzt (live war er seit 2016 dabei, für die „Jomsviking“-Aufnahmen hatte allerdings Tobias Gustaffson die Schießbude übernommen). Der Neue macht seine Sache routiniert, viel mitzureden wird er vermutlich nicht gehabt haben. Live weiß er jedenfalls zu überzeugen, wie ich selbst schon feststellen durfte – und das, obwohl er mit seiner schwarzen Matte optisch nicht unbedingt zu seinen vier blonden Kollegen passt 😉

Stagnation.

Leider ist „Berserker“ nicht die erhoffte Rückkehr zu alter Stärke sondern, im Gegenteil, gemeinsam mit seinem Vorgänger und dem Uralt-Schinken „Fate of Norns“ (2004) eines der bisher schwächsten Alben von Amon Amarth. Zumindest für mich – wer hingegen „Jomsviking“ (2016) für eine gelungene Veröffentlichung gehalten hat, wird auch an „Berserker“ wenig auszusetzen finden. In meinen Ohren klingen beide Alben sehr ähnlich und scheinen damit eine neue Phase im Klangkosmos von Amon Amarth eingeleitet zu haben. Ob die noch länger dauert, ob sich die Wikinger weiterentwickeln oder wieder einen Schritt zurück gehen, kann nur die Zeit zeigen.

Falls es jemanden interessiert, würde ich die Karriere der Stockholmer übrigens wie folgt einteilen: Phase 1 (vielleicht „die wilden Jahre“) dauerte von „Once Sent from the Golden Hall“ (1998) bis „Fate of Norns“ (2004); Phase 2 (etwa „Konsolidierung und Erreichung des Headliner-Status“) umfasst alles von „With Oden on Our Side“ (2006) bis „Deceiver of the Gods“ (2013); Phase 3 (noch ohne Namen) beinhaltet die zum Zeitpunkt dieser Rezension jüngsten Platten „Jomsviking“ und „Berserker“. Ich weiß nicht, ob sich die von mir benannten Perioden auch an den Verkaufszahlen festmachen lassen – eine musikalisch-stilistische Abgrenzung ist aus meiner Sicht jedenfalls möglich.

Gesamteindruck: 3/7 


NoTitelLängeNote
1Fafner’s Gold5:005/7
2Crack the Sky3:493/7
3Mjölner, Hammer of Thor4:424/7
4Shield Wall3:464/7
5Valkyria4:433/7
6Raven’s Flight5:202/7
7Ironside4:306/7
8The Berserker at Stamford Bridge5:135/7
9When Once Again We Set Our Sails4:243/7
10Skoll and Hati4:274/7
11Wings of Eagles4:035/7
12Into the Dark6:486/7
56:45

Amon Amarth auf “Berserker” (2019):

  • Johan Hegg − Vocals
  • Olavi Mikkonen − Guitars
  • Johan Söderberg − Guitars
  • Ted Lundström – Bass
  • Jocke Wallgren − Drums
Bild von: metal-archives.com

Anspieltipp 1: Ironside
Anspieltipp 2: Into the Dark

MusikWelt: Jomsviking

Amon Amarth


Es ist schon interessant: Wann immer ich mir ein Amon Amarth-Album anhöre, das nach „Surtur Rising“ (2011) veröffentlicht wurde, fühle ich mich gut unterhalten. Das liegt wohl daran, dass einzelne Songs, manchmal aber auch nur Teile davon, durchaus gelungen sind. Leider bleibt von diesem Gefühl nicht viel übrig, sobald die Kopfhörer herunten bzw. die Stereoanlage aus ist. So ist es leider auch bei Langeisen Nummer 10 aus dem Jahre 2016.

Gesamteindruck: 3/7


Die Luft ist raus.

Ich falle direkt mit der Tür ins Haus: „Jomsviking“ ist das erste Album von Amon Amarth, bei dem ich von Anfang an wusste, dass es zu keiner nachhaltigen Liebesbeziehung kommen wird. Moment, widerspricht das nicht dem, was ich unlängst über „Deceiver of the Gods“ (2013) als Beginn eines Abwärtstrends geschrieben habe? Nein, denn bei jener Platte war mein erster Eindruck eher der, den ich von „Surtur Rising“ (2011) oder „Fate of Norns“ (2004) kannte: Haut zwar nicht direkt rein, klingt aber sehr typisch und wird sich nach mehreren Durchgängen (hoffentlich) bessern. Bei „Jomsviking“ hatte ich von Beginn weg wenig Hoffnung, dass sich das Album zu einem Klassiker oder wenigstens einem passablen Mitglied des imposanten Backkatalogs der Schweden mausern würde.

Wieso ist das so? Ich bin mir selbst jetzt, Jahre später, nicht ganz sicher. Es fehlt wohl einfach an Kante, die Platte klingt als Ganzes viel zu brav. Was merkwürdig ist, weil die Songtitel und Texte eine ganz andere Sprache sprechen, aber dennoch ist es so; die Riffs und Melodien sind da, Frontmann Johan Hegg grunzt vor sich hin (übrigens verständlicher als jemals zuvor!) und die Drums sind mal pfeilschnell, dann wieder im gemächlicheren Midtempo unterwegs. Alles, wie man es von fast jedem Amon Amarth-Album kennt, nur halt irgendwie schaumgebremst. Oder, anders ausgedrückt: Das Gefühl, hier epische Hymnen über Götter und Helden, über glorreiche Siege und blutige Niederlagen zu hören, fehlt vollkommen. Ersetzt wurde es durch eine merkwürdige Art von Leichtfüßigkeit, die die einzelnen Nummern sehr eingängig und gut konsumierbar macht, umgekehrt aber eben völlig frei von Ecken und Kanten ist. Man merkt schon, ich ringe um Worte, traue mich nicht, „poppig“ zu schreiben, weil das der Sache auch nicht gerecht wird. Nein, das hier ist immer noch Metal und kein Pop – aber das Hörgefühl entspricht eher letzterem, weil sich „Jomsviking“ dermaßen locker-flockig anfühlt.

Reißt’s Doro raus?

Vielleicht hilft es, auf die Tracks einzugehen. Zunächst gibt es drei sehr auffällige Nummern, die wohl jedem, der das Album zum ersten Mal hört, sofort im Ohr hängenbleiben. Mit „Raise Your Horns“ haben wir – wohl erstmals in der Karriere der Band – einen Song, den man auf jeder Party anstimmen könnte, ein Gefühl, das durch die vollkommen ungewohnten „Oh-Oh-Oh“-Chöre noch verstärkt wird. Gleich darauf folgt mit „The Way of Vikings“ ein weiterer Hit, den man kaum noch aus dem Hirn bekommt und der versucht, in der Tradition von Songs wie „Twilight of the Thunder God“ oder „The Pursuit of Vikings“ zu punkten. Im ersten Moment gelingt das sogar, aber leider stellen sich hier deutlich schneller al bei genannten Tracks massive Abnutzungserscheinungen ein. Drittes Ausrufezeichen im Bunde ist „A Dream That Cannot Be“, in dem sich Johan Hegg ein Duett mit Doro Pesch (!) liefert. Nun möchte ich weder die Leistung der Grand Dame des internationalen Heavy Metal in vorliegender Nummer kleinreden noch ihre Bedeutung für die Szene schmälern – ist ja nicht umsonst so, dass sogar weiland Lemmy Kilmister große Stücke auf die Düsseldorferin gehalten hatte. Auch muss man zugeben, dass sich ihre Stimme gut für dieses Duett eignet und das lyrische Thema der Nummer positiv aus dem Einheitsbrei auf „Jomsviking“ hervorsticht. Leider ist aber auch hier der Abnutzungsfaktor relativ hoch, zumindest geht es mir so. Von den genannten Songs ist dieser aber definitiv der beste.

Wirklich gut gefällt mir vom restlichen Material auf dem Album leider auch nicht sonderlich viel. Meine persönlichen Favoriten sind der Opener „First Kill“ und dann, sogar noch etwas besser, „On a Sea of Blood“. Beide Tracks können mit treibendem Rhythmus und einem brauchbaren Refrain punkten und wirken nicht ganz so glattgebügelt wie der Rest des Materials. Überhaupt nicht warm werde ich hingegen mit dem Hegg’schen Experiment, auch mal ein wenig Text zu sprechen (z. B. auf „At Dawn’s First Light“). Fast scheint es mir, als hätte man versucht, auf diese Weise ein wenig von der songwriterisch verloren gegangenen Epik zurückzugewinnen, was meines Erachtens nicht gelingt. Übrigens ist genanntes „At Dawn’s First Light“ das perfekte Beispiel dafür, wieso ich das Album insgesamt nicht so toll finde: Der Song hätte ein gutes Tempo, einen schön mitschreibaren Refrain, angemessene Lyrics – und sogar ein geiles Video gibt es. Er geht auch gut ins Ohr – aber irgendwas ist hier musikalisch im Argen. Riffmäßig wäre das durchaus passabel, aber das Zusammenspiel aller Komponenten lässt jeglichen Anflug von Härte vermissen. Ist das die Produktion oder das Mixing? Oder doch das Songwriting? Ich weiß es ehrlich nicht, bin ziemlich ratlos.

Texte zeugen von Faulheit.

Bezüglich der Lyrics sei mir, bevor ich zum Ende komme, auch eine Anmerkung gestattet: Amon Amarth waren nie die ganz großen Dichter vor dem Herrn (wobei es unfair wäre, ihnen durchgehend simple Texte zu attestieren, es gibt definitiv gute und komplexe Lyrics), hier machen sie es sich aber schon sehr einfach. Der Tiefpunkt ist in dem Zusammenhang „Raise Your Horns“, das, wohl ein Tribut an die Partytauglichkeit, mit extrem wenigen und ziemlich platten Textzeilen auskommt. Zu allem Überfluss kommt dem gelernten Amon Amarth-Krieger der Refrain sehr bekannt vor – kein Wunder, erinnert er doch frappierend an die finalen Worte von „Live Without Regrets“ (auf „Surtur Rising“). Und noch eine Sache, die ich an der Stelle erwähnen möchte: Mir gefällt das relativ neue Element der Gangshouts (hier speziell „One Against All“) nicht sonderlich gut, das aber nur als Randbemerkung.

Nimmt man all das zusammen, bleibt der Eindruck einer satten, irgendwo auch faulen Band, die sehr auf Nummer sicher geht. Das ist legitim – und der Erfolg gibt den Stockholmern wohl auch recht. Und, ja, Amon Amarth sind mir immer noch sympathisch und ich respektiere nach wie vor ihre Arbeit, vor allem auf der Bühne. Aber umgekehrt muss es dennoch möglich sein, die einstigen Helden zu kritisieren, wenn man das Gefühl hat, sie hätten sich vom rechten Weg verabschiedet. Und dieses Gefühl habe ich bei „Jomsviking“ ganz deutlich, da kann ich noch so oft bei „Raise Your Horns“ mitgröhlen oder mich in die Lage der unglücklich verliebten in „A Dream That Cannot Be“ versetzen. Die Luft scheint, zumindest auf diesem Album und seinem Vorgänger, einfach raus zu sein.

Gesamteindruck: 3/7 


NoTitelLängeNote
1First Kill4:215/7
2Wanderer4:433/7
3On a Sea of Blood4:056/7
4One Against All3:382/7
5Raise Your Horns4:244/7
6The Way of Vikings5:114/7
7At Dawn’s First Light3:513/7
8One Thousand Burning Arrows5:503/7
9A Dream That Cannot Be4:234/7
10Back on Northern Shores7:083/7
47:34

Amon Amarth auf “Jomsviking” (2016):

  • Johan Hegg − Vocals
  • Olavi Mikkonen − Guitars
  • Johan Söderberg − Guitars
  • Ted Lundström – Bass
  • Tobias Gustafsson [Guest] − Drums
Bild von: metal-archives.com

Anspieltipp 1: On a Sea of Blood
Anspieltipp 2: First Kill

MusikWelt: Deceiver of the Gods

Amon Amarth


Ich habe lange überlegt, zu welchem Zeitpunkt ich begonnen habe, das Interesse an den Melo-Deathern Amon Amarth zu verlieren. Eigentlich dachte ich, dass „Surtur Rising“ (2011) der Übeltäter gewesen wäre – nach neuerlicher, sehr intensiver Beschäftigung mit jenem Album und vorliegendem Nachfolger aus dem Jahre 2013 ist klar: „Deceiver of the Gods“ markiert – zumindest in meinen Ohren – den deutlichen Abwärtsknick in der bis dahin (fast) makellosen Diskographie der Stockholmer.

Gesamteindruck: 4/7


Ziemlich müde Krieger.

Was bei „Deceiver Of The Gods“ – wie schon bei „Surtur Rising“ – als erstes auffällt: Sofort zündende Refrains fehlen nahezu komplett, der Wiedererkennungswert ist zunächst enden wollend. Das ist nun per se nicht negativ, führt aber dazu, dass auch hier kein Live-Klassiker, bei dem alle sofort mitgehen können, auszumachen ist. Der Titeltrack hat mit seiner episch-getragenen Gitarrenharmonie noch am ehesten das Zeug dazu, denn hier lässt sich zumindest die Melodie problemlos rausschreien. Der Punkt ist aber ohnehin ein gänzlich anderer: „Surtur Rising“ ist trotz ähnlicher Anlaufschwierigkeiten ein Album, dessen Songs mit der Zeit wachsen und die raffinierter geschrieben sind, als man anfänglich vermutet. Dieser Aspekt geht „Deceiver of the Gods“ völlig ab; wer das Album nicht von Anfang an gut findet, braucht kaum auf versteckte Qualitäten zu hoffen, die sich erst mit der Zeit offenbaren.

Ich glaube, nun – nach zig Versuchen, mir die Platte schönzuhören – den Grund dafür gefunden zu haben: Wir haben es hier mit dem ersten Amon Amarth-Album zu tun, das überhaupt keine Ecken und Kanten zu haben scheint. Klingt paradox, wenn man bedenkt, dass in diesem Fall auch der oft gehörte Versuch, fehlenden Punch durch Eingängigkeit zu kaschieren, fehlgeschlagen ist. Leider ist es nämlich so, dass „Deceiver of the Gods“ mitnichten das Beste aus beiden Welten ist. Die Band reißt ihren Stiefel mit schönen Gitarrenmelodien, stampfenden Riffs und dem üblichen Gebrüll ihres Frontmanns herunter, was aber nichts daran ändert, dass es dem Großteil des Materials an Feuer fehlt. Technisch sauber? Ja! Routiniert? Ja, allerdings zu sehr. Man spürt die alte Spielfreude einfach nicht mehr, Müdigkeit scheint sich bei den Kriegern aus den Norden breitgemacht zu haben; zumindest ging es mir so, was mich im Angesicht der Grandezza, die Amon Amarth bis hierhin stets zuverlässig abgeliefert hatten, regelrecht erschreckt hat.

Wenige Ausnahmen.

Punkten können die Schweden mit wenigen Nummern: „We Shall Destroy“ überzeugt mit einem sehr Iron Maiden-lastigen Mittelteil, der jedem Fan schwedischen Melo-Deaths ein breites Grinsen ins Gesicht zaubern sollte. Im Haben würde ich außerdem noch das sehr schnelle und mit einem tollen Solo ausgestattete „Coming of the Tide“ sowie den – wie erwähnt – sehr brauchbaren Titeltrack einordnen. „Under Siege“ möchte ich an dieser Stelle auch noch erwähnen, hier gibt’s im Mittelteil einen netten Basslauf, weitere Maiden-Anleihen und ein paar einfache Akustik-Spielereien am Ende – sehr dramatisch ist dieser Track, wenn man es genau nimmt.

Der Rest ist… nunja, wohl der endgültige Abschied vom Death Metal, soweit der bei Amon Amarth zu jener Zeit überhaupt noch eine Rolle gespielt hat. Beispielsweise startet „Blood Eagle“ mit einem Manowar-Gedächtnis-Intro und wird dann zu einer schnellen Power Metal-Hymne inklusive „Oh-oh-oh“-Chören. Oder, ein anderes Beispiel: „Hel“ erhält durch die Stimme Messiah Marcolin von (Candlemass) einen düsteren, fast orientalischen Touch, an dem sich eigentlich nur die Geister scheiden können. Ich für meinen Teil konnte damit nach dem ersten Aufhorchen (weil es wirklich ungewöhnlich klingt) überhaupt nichts anfangen. Und so ähnlich ist es auch mit den übrigen, jetzt nicht explizit genannten Songs. „As Loke Falls“? Ja, wenn ich die Nummer höre, klingt das ganz in Ordnung, aber so richtig hängen bleibt halt nix. Gleiches gilt für das vorab bekannte „Father of the Wolf“ usw. usf.

Produktion als Sargnagel.

Ein Wort zur Produktion: Leider ist Andy Sneap, der an den Reglern saß, nicht ganz unbeteiligt am mauen Resultat. Der in Metal-Kreisen eigentlich sehr angesehene Engländer hat seinem ersten Amon Amarth-Album einen viel zu sauberen Klang verpasst, der das Fehlen todesmetallischer Elemente (und der damit einhergehenden Aggressivität) nur noch deutlicher hervorhebt. Das einzig wirklich brutale Element, die Stimme von Johan Hegg, steht folgerichtig weit im Hintergrund, fast als hätte Sneap nicht gewusst, was er mit den harschen Vocals anfangen soll. Diese Unentschlossenheit meint man herauszuhören: „Deceiver of the Gods“ ist passend für seine Instrumentalparts produziert, nicht aber für diese Form von Gesang. Darum klingt das Album nicht nur müde, sondern – übrigens erstmals in der Karriere von Amon Amarth – auch nicht wie aus einem Guss.

Alles in allem ist die Situation ein bisschen verzwickt: Meine eher verhaltene Meinung zu „Deceiver of the Gods“ hat nichts mit den technischen Fähigkeiten der Band zu tun; wäre bei einer Truppe, die zu diesem Zeitpunkt über 20 Jahre im Geschäft war, auch merkwürdig gewesen. Die Songs sind sauber gespielt, die Produktion ist zwar gewöhnungsbedürftig, aber nicht komplett für die Tonne. Es ist nicht einmal so, dass die ganze Wikinger-Kiste mittlerweile ausgelutscht wäre, wobei es da schon ein paar Abnutzungserscheinungen gibt, speziell an den Lyrics ist das sehr deutlich zu merken. Letztlich ist es das Songwriting, das trotz der exakt gleichen Komponenten, die Amon Amarth seit Jahrzehnten erfolgreich verwenden, nicht überzeugt. Das – und wohl auch der Tribut, den die Schweden zu jener Zeit ihrem exzessiven Tour-Rhythmus zollen mussten – machen „Deceiver of the Gods“ zu einer sehr durchschnittlichen Platte, was für die Verhältnisse dieser Band einer Katastrophe gleichkommt.

Gesamteindruck: 4/7 


NoTitelLängeNote
1Deceiver of the Gods4:195/7
2As Loke Falls4:384/7
3Father of the Wolf4:194/7
4Shape Shifter4:025/7
5Under Siege6:176/7
6Blood Eagle3:154/7
7We Shall Destroy4:256/7
8Hel4:093/7
9Coming of the Tide4:166/7
10Warriors of the North8:124/7
47:52

Amon Amarth auf “Deceiver of the Gods” (2013):

  • Johan Hegg − Vocals
  • Olavi Mikkonen − Guitars
  • Johan Söderberg − Guitars
  • Ted Lundström – Bass
  • Fredrik Andersson − Drums
Bild von: metal-archives.com

Anspieltipp 1: We Shall Destroy
Anspieltipp 2: Under Siege

MusikWelt: Surtur Rising

Amon Amarth


Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, war ich 2011 nach den ersten Durchläufen von „Surtur Rising“ erstmals enttäuscht von Amon Amarth. Freilich kannte ich damals „Fate of Norns“ (2004) nicht oder zumindest nicht sonderlich gut, aber das ist eine andere Geschichte. Wieso „Surtur Rising“ nach neuerlicher Sichtung (oder heißt es in dem Fall „Hörung“?) deutlich besser ist, als ich es im Gedächtnis hatte, versuche ich im Folgenden zu erklären.  

Gesamteindruck: 5/7


Eher heavy als hart.

Eigentlich lässt sich in wenigen Worten erklären, was 2011 mein Problem mit „Surtur Rising“ war: Im Vergleich zu ihren unmittelbaren Vorgängern „With Oden on Our Side“ (2006) und „Twilight of the Thunder God“ (2008) fehlt vorliegender Platte schlicht der unwiderstehliche und alles in den Schatten stellende Refrain. Heißt: Eine Nummer vom Format eines „Asator“ oder „Guardians of Asgaard“ sucht man vergeblich. Am nächsten kommt diesem innerhalb der Fangemeinde durchaus umstrittenen Song-Typus noch „Destroyer of the Universe“; so richtig überzeugt aber ausgerechnet dieser Song nicht, klingt er doch eher so, als hätten Amon Amarth Ideen recycelt, die sie für „Twilight of the Thunder God“ (das Lied, nicht das Album) bereits verworfen hatten. Die Ähnlichkeit ist tatsächlich frappierend, zumindest in meinen Ohren – wenn das als der große Hit des Albums geplant war, ist meine 2011er-Enttäuschung auch heute noch verständlich.

Bevor jetzt Fans der ganz alten Amon Amarth zu jubeln beginnen: Nein, „Surtur Rising“ markiert trotz vergleichsweise geringen Hitpotenzials keineswegs die musikalische Rückkehr zu „The Avenger“ (1999) & Co. Im Gegenteil, Album Nummer 8 ist – vielleicht sogar mehr noch als seine Vorgänger – eine fast lupenreine Heavy Metal-Veröffentlichung. Death Metal-Parts muss man mit der Lupe suchen, sieht man mal vom weiterhin beeindruckenden Organ von Johan Hegg ab, der sich wie der Donnergott höchstpersönlich durch die Songs brüllt. Ob man das mag oder nicht bleibt freilich Geschmackssache; mir gefällt es jedenfalls, weil Amon Amarth mit ihrer Kombination aus Melodie, Riffs und harschen Vocals eine musikalische Nische besetzen, die mich sehr gut abholt. Schade finde ich nur, dass sie es bis dato kaum jemals geschafft haben, alle Facetten ihres Repertoires in entsprechender Qualität auf einem Album zu vereinen.

Braucht seine Zeit.

Was mich an „Surtur Rising“ vor allem anderen beeindruckt, ist die Gitarrenarbeit. Klar, die Axtmänner Olavi Mikkonen und Johan Söderberg erfinden die Riffs und Melodien nicht neu. Gerade letztere sind allerdings einmal mehr ganz große Klasse – so sehr nach Iron Maiden klangen die Schweden bis zu diesem Zeitpunkt nie. Wer auf doppelläufige Harmonien steht, wird beispielsweise vom Mittelteil von „War of the Gods“ oder auch „For Victory or Death“ begeistert sein. Es ist allerdings nicht nur die Verbeugung vor den Eisernen Jungfrauen, die mein Herz höher schlagen lässt: Fast jeder Song auf „Surtur Rising“ ist mit einer mal längeren, mal knapper gehaltenen Melodie gesegnet, die das Wikinger-Thema perfekt unterstützt. Irgendwie haben es Amon Amarth (nicht erst mit diesem Album) geschafft, die Vorstellung, die wir als Metalheads vom Klang der Wikingerzeit haben, (mit) zu definieren. Johan Hegg würde mir vielleicht widersprechen, weil die Schweden immer nur eine Death Metal-Band sein wollten und sich nie in die Viking Metal (á lá Týr) Schublade haben stecken lassen – und doch müssen sie damit leben, durch ihre Kombination aus Lyrics, Riffs und Melodien, einen Beitrag zur langlebigen Erfolgsgeschichte „Heavy Metal + Wikinger“ geleistet zu haben. Ein Beispiel gefällig? Man höre nur den epischen Instrumentalteil ab ca. 2:00 Minuten im Song „Slaves of Fear“. Noch mehr Schlachtengemälde geht fast nicht, so jedenfalls meine Empfindung.

Im Endeffekt ist es so: Man muss „Surtur Rising“ etwas mehr Zeit geben als seinen unmittelbaren Vorgängern. Das klingt wie ein Klischee und ich habe es erst selbst nicht geglaubt, weswegen ich das Album so lange ad acta gelegt hatte. Jetzt, Jahre nach dem Erscheinen und bei intensivem Zuhören ist mir klar geworden, dass ein Großteil der Nummern auf dieser Platte wirklich großartig geschrieben ist. Klar, ein paar Ausnahmen gibt es: Das genannte „Destroyer of the Universe“ ist zwar markant, kann aber als Hit nicht mit anderen Großtaten der Band mithalten. Und hinten raus ist den Schweden mit dem abschließenden Trio „Wrath of the Norsemen“, „A Beast Am I“ und „Doom Over Dead Man“ wohl ein bisschen die kreative Luft ausgegangen – einerseits fehlt es bei diesen Nummern irgendwo im Songwriting, sodass der Funke nicht recht überspringt, andererseits klingen Teile davon schon sehr arg nach Wiederholung.

Das ändert aber nichts daran, dass mich weite Teile von „Surtur Rising“ ausgesprochen gut unterhalten, wenn ich mir die Platte z. B. beim Sport anhöre. Gesagt sei aber auch, dass ich wohl kaum einen Songtitel zuordnen könnte, wenn ich ihn höre – abgesehen von den Refrains, die wie oben erwähnt nicht ganz so eingängig sind, aber doch markant genug, um zumindest den Titel zu erkennen. Es ist halt wie üblich eine Frage der Erwartungen: Der ganz große Zug nach vorne, die Dampfwalze, die alles platt macht, ist „Surtur Rising“ selten. Es ist aber sehr wohl eine Platte, die zeigt, dass Amon Amarth als Musiker, vor allem aber als Komponisten, ihr Repertoire ordentlich erweitert haben. Wer genau hinhört, wird das hoffentlich erkennen (muss es aber selbstverständlich nicht mögen). Von mir gibt’s dafür unerwartet starke 5 Punkte!

Gesamteindruck: 5/7 


NoTitelLängeNote
1War of the Gods4:315/7
2Töck’s Taunt – Loke’s Treachery Part II5:566/7
3Destroyer of the Universe3:404/7
4Slaves of Fear4:236/7
5Live Without Regrets5:015/7
6The Last Stand of Frej5:355/7
7For Victory or Death4:276/7
8Wrath of the Norsemen3:425/7
9A Beast Am I3:354/7
10Doom over Dead Man7:234/7
48:13

Amon Amarth auf “Surtur Rising” (2011):

  • Johan Hegg − Vocals
  • Olavi Mikkonen − Guitars
  • Johan Söderberg − Guitars
  • Ted Lundström – Bass
  • Fredrik Andersson − Drums
Bild von: metal-archives.com

Anspieltipp 1: Töck’s Taunt – Loke’s Treachery Part II
Anspieltipp 2: For Victory or Death

MusikWelt: Twilight of the Thunder God

Amon Amarth


Die Rückschau zeigt es deutlich: Amon Amarth befanden sich rund um die Veröffentlichungen von „With Oden on Our Side“ (2006) und „Twilight of the Thunder God“ (2008) auf dem Höhepunkt ihres Schaffens. Doch während die Huldigung an Allvater Odin noch ein absolutes Meisterwerk war, ist vorliegendes Album, gewidmet dessen Sohn Thor, ein erstes Zeichen von Stagnation. Freilich auf nach wie vor hohem Niveau – mir gefallen beide Platten praktisch gleich gut. Dennoch bekommt man hier erstmals Bedenken, dass die Formel demnächst schal werden könnte.  

Gesamteindruck: 6/7


Dem Donnergott gefällt’s.

Wer Amon Amarth kennt, kann sich denken, was ihn auf Album Nummer 7 erwartet: Hymnische Refrains, epische Melodien, Heavy Metal-Riffs und die grollende Stimme von Frontmann Johan Hegg, der von den Mythen und Legenden der Wikinger erzählt. Ich denke, die Frage, ob dieses Album auch denen gefällt, die klassischen Death Metal – und nur solchen – von den Stockholmern hören wollen, braucht man nicht mehr zu stellen. Das hier ist lupenreiner Heavy Metal, der sich nur in minimal höherem Tempo, etwas harscheren Riffs und den Vocals von anderen Acts dieses Genres unterscheidet. Das heißt nicht, dass es gar keine todesmetallischen Elemente mehr gibt; das Augenmerk liegt im Hause Amon Amarth mittlerweile aber eindeutig woanders. Bevor wir weiter in die Tiefe gehen, noch ein Satz zu einem Nebenkriegsschauplatz: Die Produktion war ein Grund zu sanfter Kritik an „With Oden on Our Side“. Wem jenes Album zu glatt aus den Boxen kam, wird vorliegender Dreher in dieser Hinsicht wieder deutlich besser gefallen. Ich würde zwar nicht behaupten, dass „Twilight of the Thunder God“ extrem rau oder dreckig klingt, aber es ist doch deutlich erdiger als sein Vorgänger ausgefallen, was dem Material meiner Ansicht nach gut zu Gesicht steht..

Eine kleine Überraschung gibt es gleich im Opener, gleichzeitig Titeltrack und einer von zwei ultra-eingängigen Songs auf „Twilight of the Thunder God“. Hier werden die typischen Riffs und die einfache, aber umso eingängigere Melodie durch ein Solo des damals bei den Finnen Children Of Bodom in Lohn und Brot stehenden Gitarristen Roope Latvala veredelt. Sidestep: Dieser kurze Gastauftritt macht den Unterschied zwischen finnischem und schwedischem Metal recht deutlich. Die Axtmänner von Amon Amarth haben ihre Stärken im Bereich der Riffs und Melodien, ihr Kollege aus Suomi legt den Fokus hingegen auf die Technik und lässt seine Finger mit Höchstgeschwindigkeit über das Griffbrett tanzen. Wie ein Fremdkörper wirkt das Solo dennoch nicht, eher wie eine schöne Auflockerung des ansonsten so typischen Sounds der Wikinger. An dieser Stelle sei gleich auch noch der zweite Song genannt, auf den sich der Anfang dieses Absatzes bezieht: „Guardians of Asgaard“ ist nochmal eine Spur riffbetonter bzw. heavier und verfügt über einen ebenso eingängigen und leicht zu merkenden Refrain. Und auch hier gibt es einen Gast zu hören: L-G Petrov, seines Zeichens Frontmann der legendären Entombed (A. D.) brüllt sich abwechselnd (bzw. in den Strophen gemeinsam) mit Johan Hegg durch die Nummer. Ein schöner Song, der aber, genau wie der Titeltrack, ständig in Gefahr ist, totgespielt zu werden. Mir ging’s selbst so, mittlerweile bin ich, nach einigen Jahren Abstinenz, wieder voll in der Lage, beide Songs auch in Dauerrotation zu genießen.

Riffs und Melodien.

Das Gros der restlichen Stücke ist die gewohnte, auf einer zeitweise nur als „genial“ zu bezeichnenden Kombination aus Riffs und Melodien aufgebaute Kost. Daran gibt es nichts auszusetzen, immerhin ist es das, was die Band am besten kann. Trotzdem (oder gerade deshalb) horcht man – wie bei jeder bisherigen Platte – doch das eine oder andere Mal ganz besonders auf. So beim für diese Amon Amarth-Periode ungewohnt heftigen „Free Will Sacrifice“ – oder bei „The Hero“ mit seinem sofort mitsingbaren Refrain. Hervorragend sind auch die Tracks „Varyags of Miklagaard“ (extrem guter Gesang, nahezu perfekte Melodie und Riffing) sowie – vor allem – das großartige, im hymnischen Midtempo vorgetragene „Tattered Banners and Bloody Flags“ (mittlerweile sogar meine Lieblingsnummer auf „Twilight of the Thunder God“). Hervorzuheben ist außerdem „Live for the Kill“, in dem die Schweden einmal mehr aus ihrem Nachbarland Finnland unterstützt werden: Die Cello-Metaller Apocalyptica sorgen im Mittelteil des Liedes für Gänsehaut-Stimmung. Der Rausschmeißer „Embrace Of The Endless Ocean“ ist schließlich der längste Track des Albums, eine getragene, will sagen: relativ langsame Hymne, durchaus vergleichbar mit ähnlichen Songs, die Amon Amarth fast seit Beginn ihrer Karriere immer wieder einstreuen.

Unterm Strich gibt es aus meiner Sicht nur zwei Songs auf diesem Album, die ein wenig abfallen: „Where Is Your God?“, das sich als härteste Nummer auf der Platte wie ein Fremdkörper ausnimmt. Und dann noch „No Fear for the Setting Sun“ [sic!], das letztlich komplett nichtssagend ist und von dem mir auch nach vielfachen Durchläufen bis auf ein paar Textzeilen nichts im Gedächtnis geblieben ist.

Fazit: Amon Amarth stagnieren meiner Meinung nach mit „Twilight of the Thunder God“; das Album ähnelt seinem Vorgänger sehr stark, auch wenn es nicht ganz so schnell und direkt zündet. Aber: Trotz (oder gerade wegen) dieser nahezu völlig fehlenden Weiterentwicklung bin ich auch von dieser Platte sehr angetan. Die Mischung an Songs ist sehr ausgewogen, wobei eines klar sein muss: Wer die Entwicklung, die zu „With Oden On Our Side“ und damit auch zu vorliegendem Longplayer geführt hat, nicht goutiert, wird all das ganz anders sehen als ich. Mir ist das egal, genauso, wie auf diesen beiden Platten möchte ich Amon Amarth hören. Denn hier haben sie die perfekte Synthese aus ihrer deutlich härteren Vergangenheit und den Einflüssen, mit denen sie begonnen haben, die Massen zu begeistern, gefunden. Besser sind die Schweden bis dato (ich schreibe diese Rezension 2021) nicht mehr geworden.

Gesamteindruck: 6/7 


NoTitelLängeNote
1Twilight of the Thunder God4:087/7
2Free Will Sacrifice4:086/7
3Guardians of Asgaard4:237/7
4Where Is Your God?3:114/7
5Varyags of Miklagaard4:186/7
6Tattered Banners and Bloody Flags4:307/7
7No Fear for the Setting Sun3:544/7
8The Hero4:046/7
9Live for the Kill4:116/7
10Embrace of the Endless Ocean6:446/7
43:31

Amon Amarth auf “Twilight of the Thunder God” (2008):

  • Johan Hegg − Vocals
  • Olavi Mikkonen − Guitars
  • Johan Söderberg − Guitars
  • Ted Lundström – Bass
  • Fredrik Andersson − Drums
Bild von: metal-archives.com

Anspieltipp 1: Tattered Banners and Bloody Flags
Anspieltipp 2: Twilight of the Thunder God

MusikWelt: With Oden on Our Side

Amon Amarth


Alle, die Amon Amarth nach dem sehr durchwachsenen „Fate of Norns“ (2004) auf dem absteigenden Ast gesehen haben, werden mit Album Nummer 6 eines Besseren belehrt. Ich meine sogar, dass „With Oden on Our Side“ das mit Abstand beste Album der Schweden seit „The Avenger“ (1999) ist. Und: Bis zum Zeitpunkt dieser Rezension (Februar 2021) haben die Melodic Death Metaller aus Stockholm dieses Niveau nie wieder in solch beeindruckender Manier erreicht.

Gesamteindruck: 7/7


Amon Amarth pitten zum Wikinger-Mosh.

Ich weiß, ich weiß. Superlative schon in der Einleitung… Geht es nicht auch eine Nummer kleiner? Zu meiner Verteidigung sei gesagt, dass meine Begeisterung nicht kurzfristiger Euphorie entspringt – immerhin hat „With Oden on Our Side“ mittlerweile an die 15 Jahre auf dem Buckel. Wobei ich zugeben muss, dass es eine Grundsatzfrage ist, ob man mir zustimmen wird. Das werden wohl alle tun, die sich von Amon Amarth mehr Hymnen vom Schlage eines „The Pursuit of Vikings“ gewünscht haben. Wenn jemand hingegen auf komplexeres Material und ungestüme, kaum kontrollierte Härte steht, wird er „With Oden on Our Side“ vermutlich als endgültiges Ragnarök für die Band deuten.

Ich will nun nicht behaupten, dass die Wahrheit in der Mitte liegt – denn das wird beim Großteil der Zuhörer wohl nicht so sein. Ich persönlich bin dennoch der Ansicht, dass beide Gesichter unser aller Lieblingswikinger ihre Daseinsberechtigung haben. Jedenfalls haben die Herren aus Stockholm schon lange vor diesem Album an ihrer Erfolgsformel gefeilt, was Songs wie „Victorious March“ (1998), „Death in Fire“ (2002) und „The Pursuit of Vikings“ (2004) zeigen. Diese Nummern sind einerseits dafür ausgelegt, live ordentlich für Stimmung zu sorgen, andererseits sind sie wohl auch äußerst gut verkäuflich. Beides kann man Amon Amarth kaum vorwerfen. Der Knackpunkt dürfte eher sein, dass „With Oden on Our Side“ das erste Werk der Schweden ist, das überwiegend aus – nennen wir das Kind beim Namen – relativ leicht verdaulichen Hits besteht. Was übrigens nicht bedeuten soll, dass sich hier irgendeine Nummer für Radio-Airplay eignet…

Kritikpunkte als Mangelware.

Dass das Album wie aus einem Guss klingt, zeigt sich allein daran, dass man nicht so richtig weiß, welchen Song man überhaupt hervorheben soll. Meines Erachtens befinden sich alle auf ungefähr gleichem Niveau – sogar die gefühlt unbekannteren „Gods of War Arise“ und „Prediction of Warfare“ sind ausgezeichnet geschrieben. Die einzige Nummer, die ich im ersten Moment beim Rekapitulieren der Tracklist nicht einer Melodie, einer Textzeile oder einem Refrain zuordnen konnte, war der Titeltrack. Ein Blick in die Lyrics hat das dann aber direkt geändert („Under winters kies / We stand glorious / And with Oden on our side / We are victorious!“), sodass ich nicht sagen kann, dass dieser Song dem Rest des Albums in irgendeiner Weise nachsteht.

Kann man Amon Amarth für „With Oden on Our Side“ überhaupt irgendwie ans Bein pinkeln (wenn man mal von der oben angeführten Grundsatzfrage absieht)? Ein paar Ansatzpunkte, mit denen das möglich wäre, sehe ich tatsächlich. Ein großer Brocken mag in den Ohren vieler Fans der ersten Stunde die Produktion sein. Die walzt zwar alles nieder und ist – übrigens erstmals in der Band-Geschichte – extrem ausgewogen. Allerdings würden Manche wohl sagen „zu ausgewogen“, Andere, die den Wikingern nicht mehr so gewogen sind, vielleicht sogar „aalglatt“. Rein subjektiv empfinde ich den Mix als angenehm und ausgesprochen gut hörbar. Alle Instrumente und der Gesang sind gleichberechtigt abgemischt und glasklar hörbar; alles ist an seinem Platz und wie zu erwarten vollkommen fehlerlos dargeboten. Ist das zu viel des Guten? Ich bin nun niemand, der Wert auf trockene und/oder dreckige Produktionen legt – aber ich muss tatsächlich einräumen, dass das, was hier an den Reglern fabriziert wurde, bei aller technischen Perfektion eine Schippe Rauheit vermissen lässt. Nicht so viel, dass es für mich persönlich ins Gewicht fallen würde, wohlgemerkt.

Man könnte vielleicht auch bei den Songs selbst ansetzen. Wer nicht genau zuhört, mag „With Oden on Our Side“ als zu routiniert abheften, als eine Platte, deren Songs relativ gleichförmig klingen. Ich sehe es so: Zwar hauen „Valhall Awaits Me“, „Runes to My Memory“, „Asator“, „Gods of War Arise“, „With Oden on Our Side“ und „Cry of the Black Birds“ in eine ähnliche Kerbe, „ähnlich“ ist aber nicht „gleich“. Diese Songs vereint die massive Eingängigkeit ihrer Refrains bzw. Mitsing-Parts, der Rest ist für mein Dafürhalten aber variabel genug. Einige davon sind relativ rasant („Valhall Awaits Me“, „Asator“), andere im Riff-betonten Heavy Metal-Midtempo angesiedelt („Cry of the Black Birds“). Mir gefällt diese Mischung gut, am ehesten würde ich hier noch kritisieren, dass die Lyrics der relativen Einfachheit der Musik folgen (wie es schon bei „The Pursuit of Vikings“ der Fall gewesen ist). Klar, wenn man beim Konzert die Leute zum Mitbrüllen animieren möchte, geht das mit komplexen Textzeilen nicht so leicht.

Umgekehrt stehen auf „With Oden on Our Side“ mit „Hermod’s Ride to Hel – Lokes Treachery Part 1“, „Under the Northern Star“ und „Prediction of Warfare“ drei Songs, die kompositorisch durchaus komplexer sind und sich generell vom restlichen Material unterscheiden. Vor allem „Hermod’s Ride to Hel“ möchte ich aus diesem Trio hervorheben – das ist meines Erachtens ein Song, der es in Sachen Songwriting durchaus mit den alten Nummern der Band aufnehmen kann. Extrem geil finde ich, dass die letzte Minute der Nummer sogar ein paar Black Metal-Elemente beinhaltet (eine typische Melodie und angeschwärzter Gesang). Großartig und für mich einer der besten Amon Amarth-Tracks überhaupt, allem Heavy Metal-Riffing zum Trotz. Noch kurz erwähnt sei an dieser Stelle, dass mir das fast ein bisschen balladeske „Under the Northern Star“ von allen Songs auf diesem Werk am wenigsten gefällt, was aber nicht heißt, dass es ein schlechtes Lied ist.

Egal, wie ich die Sache drehe und wende, wurscht, wie oft ich das Album hintereinander höre: „With Oden on Our Side“ ist für mich ein Meisterwerk. Ich gebe zu, dass hier nur mehr homöopathische Dosen Death Metal zu hören sind – aber, verdammt noch mal, was soll’s, wenn die Songs dermaßen gut reingehen und sich über Tage im Hirn festfressen. Und weil sich daran nichts geändert hat, seit diese Platte vor so vielen Jahren auf den Markt gekommen ist, gibt es für mich nur eines: Höchstwertung.

Gesamteindruck: 7/7 


NoTitelLängeNote
1Valhall Awaits Me4:437/7
2Runes to My Memory4:327/7
3Asator3:047/7
4Hermod’s Ride to Hel – Lokes Treachery Part 14:407/7
5Gods of War Arise6:027/7
6With Oden on Our Side4:346/7
7Cry of the Black Birds3:496/7
8Under the Northern Star4:176/7
9Prediction of Warfare6:366/7
42:17

Amon Amarth auf “With Oden on Our Side” (2006):

  • Johan Hegg − Vocals
  • Olavi Mikkonen − Guitars
  • Johan Söderberg − Guitars
  • Ted Lundström – Bass
  • Fredrik Andersson − Drums
Bild von: metal-archives.com

Anspieltipp 1: Valhall Awaits Me
Anspieltipp 2: Hermod’s Ride to Hel – Lokes Treachery Part 1

MusikWelt: Fate of Norns

Amon Amarth


Eine Rezension zu „Fate of Norns“ (2004), dem fünften Album von Amon Amarth, kann man im Endeffekt an einer einzigen Frage aufhängen: Gibt es außer „The Pursuit of Vikings“ überhaupt einen Song, den es sich zu hören lohnt? Ich bin mir sicher, dass ich nicht der Einzige bin, der darauf aus dem Stegreif keine Antwort weiß…

Gesamteindruck: 3/7


Die Schicksalsfäden halten nicht zusammen.

Eigentlich ist obige Frage ja nichts Neues im Zusammenhang mit Amon Amarth. Auf dem Debüt „Once Sent from the Golden Hall“ (1998) war „Victorious March“ die herausragende Nummer, auf „Versus the World“ (2002) war es „Death in Fire“. Auf vorliegendem Album ist es – natürlich – „The Pursuit of Vikings“, mithin der wohl größte Hit, den die Mannen aus Stockholm bis heute zu verzeichnen hatten. Daraus abzuleiten, die Band lebe von einigen wenigen Hits, wäre allerdings höchst unfair. Ich glaube und hoffe, dass ich in verschiedenen Rezensionen herausarbeiten konnte, die schwedischen Wikinger durchaus mehr können, als ihnen oft zugetraut wird und dass sie sich auf ihren ersten vier Platten kaum größere Schwächen geleistet haben. Und doch, es ist wohl Fluch und Segen zugleich, gibt es im Backkatalog der Truppe aus Stockholm häufig diese eine Nummer, die alle anderen in den Schatten stellt; meist einzig und allein aufgrund ihrer schlichten Eingängigkeit, gegen die einfach kein Kraut gewachsen ist.

Lange Rede, kurzer Sinn: An „The Pursuit of Vikings“ führt auf „Fate of Norns“ kein Weg vorbei. Und es muss jetzt einfach mal gesagt werden: Ich finde diesen Track nach wie vor großartig und behaupte sogar, dass er mit einem Riff gesegnet ist, das in seiner Wirkung Göttergaben wie „Walk“ (Pantera) oder „Roots Bloody Roots“ (Sepultura) gleichkommt. Überzeugt mich vom Gegenteil… Mehr möchte ich zu diesem Song jetzt auch gar nicht mehr sagen, außer vielleicht, dass die überaus simple Kombination aus Rhythmus, Melodie und Refrain perfekt auf das Live-Erlebnis abgestimmt ist.

Überstürzte Veröffentlichung?

Mit dem Rest von „Fate of Norns“ tue ich mir zugegebenermaßen schwer. Das hat gar nicht so viel mit der Strahlkraft des großen Hits zu tun; es ist ganz einfach so, dass das Material insgesamt mittelmäßig und unausgegoren klingt. Wirklich aufgehorcht habe ich bei diversen Durchläufen nur bei zwei Nummern: „The Fate of Norns“ (guter Refrain, epischer Melodiebogen) und dem finalen „Once Sealed in Blood“ (Songwriting fast wie auf den ersten vier Alben). Bleiben fünf Tracks, die das Schicksal ihrer Vorgänger auf „Versus the World“ teilen: Alles recht gefällig, einzelne gute Momente, insgesamt aber nicht so herausragend, dass man nach ein paar Stunden noch weiß, wie z. B. „The Beheading of a King“ klingt.

Ich habe lange darüber nachgedacht, warum das so ist. Eine Antwort habe ich nicht, aber vielleicht wurde „Fate of Norns“ einfach überstürzt veröffentlicht und das Gros der Songs hätte mehr Zeit zum Reifen benötigt. Fast scheint es mir, als hätte man schnell das Potenzial des einen, großartigen Tracks erkannt und wollte den auf Biegen und Brechen, heißt, ohne auf den Rest des Materials viel Augenmerk zu legen, raushauen. Wie gesagt: Ich weiß nicht, ob es tatsächlich so war, die kürzeste Gesamtspielzeit seit dem Zweitwerk „The Avenger“ (1999) könnte jedoch ebenfalls ein Hinweis auf diese Vorgangsweise sein.

Mancherorts ist zu lesen, dass Amon Amarth sich spätestens mit diesem Album von ihren Wurzeln entfernt und sich leichterer und damit kommerziell einfacher zu verwertender Musik zugewandt haben. Das halte ich persönlich – mit Verlaub – für Blödsinn. Es ist schon richtig, dass wir hier einen Song haben, der ultra-eingängig ist (wobei ich nicht sehe, dass „The Pursuit of Vikings“ radiotaugliche Musik ist, zumindest nicht in unseren Breiten). Dem Rest des Albums geht jedoch jeglicher Pop-Appeal ab. Das ist ja ohnehin eine Kardinalfrage bei Amon Amarth: Möchte ich die Schweden als (melodische) Death Metal-Kapelle hören – oder doch lieber eingängige Hymnen, die eindeutig dem traditionellen Heavy Metal zuordenbar sind? Ich muss zugeben, dass mir Letzteres lieber ist, vermutlich, weil ich die Band mit „Death in Fire“ und „The Pursuit of Vikings“ kennengelernt habe. Viele andere ihrer älteren Nummern musste ich mir erst erarbeiten, weil sie deutlich komplexer und wilder waren – und um nichts schlechter, halt einfach nur anders.

All das ändert aus meiner Sicht aber nichts daran, dass das Liedgut auf „Fate of Norns“ alles in allem maximal mittelprächtig ist. Ich hätte gar kein großes Problem damit gehabt, wenn mehr Nummern wie die jetzt schon so oft genannte am Start gewesen wären (darum gefallen mir wohl auch die beiden folgenden Alben so gut). Zwar wären die Kommerz-Vorwürfe dann berechtigter gewesen, die Songs zu hören hätte mir persönlich jedoch deutlich mehr Spaß gemacht. Umgekehrt ist „Fate of Norns“ aber auch für den Death Metal-Fan wenig ergiebig, würde ich sagen. Leider ist das alles weder richtig hart, noch setzt es sich direkt im Gehörgang fest.

Ein Reinfall, würde ich sagen – und trotz eines sehr guten und zweier guter Songs die bis zu diesem Zeitpunkt schwächste Veröffentlichung der Nordmänner.

Gesamteindruck: 3/7 


NoTitelLängeNote
1An Ancient Sign of Coming Storm4:384/7
2Where Death Seems to Dwell4:573/7
3The Fate of Norns5:576/7
4The Pursuit of Vikings4:307/7
5Valkyries Ride4:562/7
6The Beheading of a King3:233/7
7Arson6:474/7
8Once Sealed in Blood4:496/7
39:57

Amon Amarth auf “Fate of Norns” (2004):

  • Johan Hegg − Vocals
  • Olavi Mikkonen − Guitars
  • Johan Söderberg − Guitars
  • Ted Lundström – Bass
  • Fredrik Andersson − Drums
Bild von: metal-archives.com

Anspieltipp 1: The Pursuit of Vikings
Anspieltipp 2: The Fate of Norns