„Darkwood“? Noch nie gehört? Ich auch nicht, bis das Spiel irgendwann im Herbst 2022 Teil der regelmäßigen Gratis-Aktion von Epic Games war. Und, wie üblich, wenn etwas auch nur ansatzweise so aussieht, als könnte es mir gefallen, griff ich direkt zu. Jede Menge vermeintliche und echte Klassiker sind auf diese Weise bereits auf meiner Bucket List gelandet (die ich, am Rande bemerkt, in diesem Leben definitiv nicht mehr abbauen kann). Ob „Darkwood“ tatsächlich ein Spiel für die Ewigkeit ist, versuche ich im Folgenden herauszuarbeiten.
Gesamteindruck: 4/7
Im finstern Wald.
Nicht nur der Titel des Spiels dürfte den Wenigsten ein Begriff sein – auch der polnische Hersteller Acid Wizard ist weit davon entfernt, zur internationalen Software-Prominenz zu zählen. Das Team besteht, den Angaben auf der recht bescheidenen Website zufolge, aus „drei Typen und einem Hund“, was die relativ minimalistische Ausführung von „Darkwood“ erklären mag. Wobei ich das keinesfalls negativ meine, im Gegenteil: Gerade heute kommen die besten und befriedigendsten Spiele häufig aus dem Indie-Bereich.
Darum geht’s:
Irgendwann in den 1980ern, irgendwo in Osteuropa: Ein undurchdringlicher Wald hat einen Landstrich innerhalb kürzester Zeit vollständig von der Außenwelt abgeschnitten. Innerhalb dieses Bereichs sind die Felder verdorrt oder versumpft, die Dörfer und Hütten verfallen – und die Menschen entweder krank, wahnsinnig oder beides geworden. In dieser düsteren Umgebung, in der sogar die Farben ihre Kraft verloren haben, erwacht der Fremde. Was er hier wollte und wer er überhaupt ist, weiß er nicht so richtig. Nur eines ist ihm klar: Er muss schleunigst entkommen, denn der Wald ist gefährlich. Der einzige Hinweis auf einen Ausweg: Ein Foto von einer Straße…
Was bereits beim ersten Einstieg in das Spiel klar wird: „Darkwood“ schafft eine ausgesprochen düstere Atmosphäre von überraschender Dichte. Eine Allegorie darauf, wie es sich in Polen zur Zeit des Kalten Krieges angefühlt haben könnte? Ich weiß es nicht, kann mir aber durchaus vorstellen, dass derartige Erwägungen ins Design eingeflossen sind. Unabhängig davon schreit das Spiel einen Namen förmlich heraus (oder flüstert ihn die ganze Zeit vor sich hin): H. P. Lovecraft. Die Story, das gesamte Feeling von „Darkwood“, könnte 1:1 dem Geist des Altmeisters entsprungen sein. Ein unbekannter, schleichender Wahnsinn, geistig und körperlich degenerierte, teils grotesk entstellte Menschen, alptraumhafte Kreaturen, ein geheimnisvoller Kult, übernatürliche Phänomene – all das lehrt Spieler:innen das Fürchten. Und das, ganz wie man es aus den Geschichten Lovecrafts kennt, ohne explizite Splatter-Effekte. Auf diese vermeintlichen Parallelen angesprochen, sollen die Entwickler gesagt haben, dass keiner von ihnen vorab das Werk des amerikanischen Autors gelesen hätte. Nachprüfen lässt sich diese Behauptung kaum; es spielt letztlich aber auch keine Rolle, denn die Grusel-Qualität von „Darkwood“ stimmt definitiv.
Ungewohnter Frust.
Wer sich angesichts meines einleitenden Lobes auf eine stringente, durchgängig spannende Story freut, muss allerdings Abstriche hinnehmen, denn „Darkwood“ ist an einigen Stellen etwas wirr geraten. Was aber gar nicht so viel mit der Erzählung selbst zu tun haben dürfte, sondern eher an der Spielmechanik liegt: Wir haben es mit einer weitgehend offenen Spielwelt zu tun, in der man von Beginn an fast alle Orte auf der Karte besuchen kann. Und zwar in weitgehend beliebiger Reihenfolge. Per se ist das natürlich nicht negativ; ich habe allerdings das Gefühl, dass ich deswegen die eine oder andere für das Gesamtbild wichtige Info verpasst habe. Es gibt zwar eine Art Questlog in Form eines Tagebuchs, allerdings lässt sich das Spiel auch ohne das komplette Abarbeiten aller Aufgaben beenden. Das passiert auch fast zwangsläufig, was ebenfalls mit der Spielmechanik zu tun hat: „Darkwood“ ist bockschwer, was zur Folge hat, dass man extrem vorsichtig zu Werke geht und ständig vor der Entscheidung steht, ob man trotz eklatanter Todesgefahr weiter erkundet oder sich lieber in die sichere Hütte zurückzieht. Dazu gleich mehr – zusammenfassend kann man aber sagen, dass sich jede:r die:der nicht damit klarkommt, im ersten Durchgang nicht direkt alles zu verstehen und jeden Ort zu finden, auf ein gerüttelt Maß an Frust einstellen muss.
A pro pos „Frust“: „Darkwood“ informiert beim Spielstart, dass man es mit einem „hard and unforgiving game“ zu tun habe und warnt, dass man nicht an der Hand genommen („led by the hand“) werde. Das kann ich definitiv bestätigen: Der Fremde ist sehr verletzlich und leidet durchgehend an Ressourcenmangel. Für den Survival Horror ist das typisch: Die Gefahren der Umgebung und der Feinde sind übermächtig und führen sehr schnell zum Tod, die Waffen sind wahlweise wenig wirkungsvoll, schnell kaputt oder verfügen über sehr wenig Munition, sich zu heilen ist mühsam und relativ selten möglich. Und als ob das alles nicht schlimm genug wäre, gibt es mörderischen Zeitdruck: Nur tagsüber kann man sich frei in der Spielwelt bewegen. Wird es Abend, muss man schleunigst seinen Unterschlupf aufsuchen, ansonsten ist der Tod unausweichlich. Ein wenig helfen – abgesehen von letztem Punkt, gegen die Nacht bleibt man bis zum Schluss wehrlos – ein Craftingsystem und das Freischalten von neuen Fähigkeiten, letzten Endes bleibt das Spiel aber zu jeder Zeit schwer; es überwiegt das Gefühl, wahnsinnig verletzlich zu sein, egal, wie viele Stunden man schon in „Darkwood“ verbracht hat.
Auch damit muss man erst einmal zurecht kommen, sodass es wahrlich kein Wunder ist, dass dieses Spiel in der breiten Masse ziemlich unbekannt sein dürfte. Der Tod ist in „Darkwood“ auf höheren Schwierigkeitsgraden übrigens permanent, d. h. jedes Mal, wenn der Fremde ins Gras beißt, ist ein kompletter Neustart fällig (die Karte ändert sich dann auch, sodass die Erfahrungen aus vorherigen Durchgängen nur bedingt helfen). Ich persönlich zähle „FTL“ – ein anderes Beispiel für „Permadeath“ – zu meinen absoluten Favoriten, kann also durchaus mit einem solch gnadenlosen Design umgehen; umgekehrt verstehe ich aber gut, wenn man das nicht kann oder möchte, denn ein Spiel soll ja auch nicht in Arbeit ausarten. Zumal – und das ist ein weiterer Kritikpunkt – der Neustart nach dem Ableben in „Darkwood“ deutlich schwerfälliger und mühsamer von der Hand geht als etwa in „FTL“.
Unkomfortabel bis zum Ende.
Generell nimmt „Darkwood“ wenig Rücksicht auf den Komfort: Questmarker sucht man vergeblich, was zwar grundsätzlich gut ist, ab und an aber ebenfalls frustriert, weil man schlicht nicht weiß, was man wo zu tun hat – und das in einer höchst gefährlichen Umgebung, in der jeder Schritt den Tod bedeuten kann. Da helfen die Tagebucheinträge, die eher poetisch als hilfreich fürs Spiel sind, selten weiter. Ähnliches gilt für die Steuerung, bei der ich das Gefühl habe, sie wäre nicht für Maus und Tastatur, sondern für einen Controller mit zwei Sticks ausgelegt – obwohl „Darkwood“ ja eine PC-Entwicklung ist. Es ist jedenfalls sehr ungewohnt, die Figur in einem Top-Down-Spiel direkt, also über die WASD-Tasten, zu steuern. Dass das so gemacht wurde, liegt freilich an der Mechanik: In „Darkwood“ ist die Blickrichtung wichtig, denn nur dort, wo man hinschaut, sieht man Fallen, Feinde usw. Wohin man den Kopf dreht, wird – unabhängig von der Laufrichtung – per Maus gesteuert. Deren Tasten sind wiederum für den Kampf und das Inventar gedacht. Ganz schlecht ist diese Lösung zwar nicht, sie braucht aber ordentlich Eingewöhnungszeit.
Gleiches gilt für das Kampfsystem: Entgegen meiner Erwartungen sind hier nur Geschick und Timing gefragt, Taktik und Attribute scheinen kaum eine Rolle zu spielen. Ich denke, das war für mich auch der größte Pferdefuß an „Darkwood“: Es hat die Anmutung eines klassischen Rollenspiels, der Kampf ist allerdings sehr Action-orientiert, was meines Erachtens nur leidlich zum Gesamtkonzept passt. Immerhin kann man vielen Kämpfen ausweichen, wovon man auch tunlichst Gebrauch machen sollte. Weil „Darkwood“ über kein Erfahrungspunktesystem im klassischen Sinn verfügt, braucht man nicht zu befürchten, hierdurch etwas zu verpassen. Skills gibt es dennoch, freigeschaltet werden sie durch das Injizieren (!) eines Serums, das man sich aus mysteriösen Pilzen u. ä. appetitlichen Dingen braut. Der Fähigkeiten-Baum ist leider arg überschaubar, immerhin aber einigermaßen innovativ und sehr passend zum Setting. Vor allem, dass man auch Skills mit negativen Eigenschaften (z. B. größere Anfälligkeit für Gift) auswählen muss, hat mir gefallen.
Abschließend noch ein Wort zu den Äußerlichkeiten: „Darkwood“ verfügt über ein hervorragendes Sounddesign. Überall knistert, blubbert, knarzt und knurrt es, oft ohne dass ein Gegner in der Nähe sichtbar ist – das schafft eine höchst unheimliche, ja fast schon ungemütliche Atmosphäre, in der man vor dem Bildschirm ständig auf Nadeln zu sitzen glaubt. Die Musik ist ebenfalls gut, im Vergleich dazu aber eher unauffällig. Ob man die Grafik von „Darkwood“ goutiert, ist hingegen eine Frage des Geschmacks: Klar, die gedeckten Farben sind monoton und mögen dadurch langweilig wirken. Meine Assoziation waren alte Sepia-Fotos, was sehr gut zum Gesamtkonzept passt; ich kann aber nachvollziehen, wenn die Eintönigkeit, Farbarmut und teilweise auch Unschärfe, die vor allem anfangs verhindert, einigermaßen zu erkennen, wo man überhaupt ist, den einen oder die andere stört.
Es ist schon interessant: Obiger Text liest sich so, als hätte mir „Darkwood“ nicht sonderlich gefallen. Und ja, vor allem die Kämpfe und die erzwungen langsame Bewegung durch den Wald haben mich teilweise arg frustriert. Dennoch empfand ich die Atmosphäre und das Setting als so stark, dass ich nicht umhin komme, 4 anstelle der erst angepeilten 3 Punkte zu vergeben.
Gesamteindruck: 4/7
Genre: Survival Horror
Entwickler: Acid Wizard Studio
Publisher: Acid Wizard Studio
Jahr: 2017
Gespielt auf: PC
Screenshots aus „Darkwood“ – Copyright beim Entwickler!