FilmWelt: Prey

Die Ankündigung eines neuen Films aus dem Predator-Universum habe ich mit gemischten Gefühlen aufgenommen: „Predator“ (1987) und „Predator 2“ (1990; ja, auch den!) fand ich großartig, über alles, was danach gekommen ist (inklusive der „Alien vs. Predator“-Crossovers), kann man getrost den Mantel des Schweigens hüllen. Ob es „Prey“ (2022 und damit genau 35 Jahre, nachdem Arnold Schwarzenegger erstmals dem außerirdischen Trophäenjäger gegenüber stand, erschienen) gelingt, an alte Qualitäten anzuknüpfen, versuche ich im Folgenden zu klären.

Gesamteindruck: 5/7


Keine leichte Beute.

Der Titel „Prey“ (deutsch: „Beute“) lässt vermuten, dass das Vertrauen in die Strahlkraft einer einst so mächtigen Marke nicht allzu groß gewesen dürfte – immerhin haben wir es hier mit dem ersten Film der Reihe zu tun, der nicht direkt am Namen als Predator erkennbar ist. Vielleicht ist es aber auch eine Art Neustart, der die verkorksten Jahre, die nach „Predator 2“ folgten, vergessen machen soll? Ich weiß es nicht, im Endeffekt spielt es für die Bewertung aber auch keine große Rolle.

Worum geht’s?
Nordamerika im 18. Jahrhundert: Für die junge Comanche Naru ist in ihrem Stamm die Rolle als Heilerin vorgesehen. Sehr zu ihrem Unmut, ist sie doch eine talentierte Jägerin, was aber kaum jemand ihrer Gefährt:innen zu erkennen vermag. Als sie eines Tages eine merkwürdige, feurige Erscheinung am Himmel sieht, glaubt sie die Zeit gekommen, den Beweis für ihre Jagdkunst anzutreten. Was sie nicht weiß: Eine unheimliche Kreatur ist ebenfalls auf der Suche nach Beute…

Man ist ja leider ein gebranntes Kind, was die Weiterführung klassischer Filmreihen ist: Egal, ob „Predator“, „Alien“, „Terminator“, „Indiana Jones“ oder „Stirb Langsam“ – praktisch alles aus der Hochzeit des Action-Kinos wurde nach zwei, drei Filmen gnadenlos gegen die Wand gefahren. Und auch jeder spätere Versuch, eines dieser Franchises für ein moderneres Publikum attraktiv zu machen, scheiterte grandios. Eine detaillierte Analyse dieses Missstandes würde den Rahmen einer Rezension freilich sprengen; nichtsdestotrotz erklärt obige Aufzählung vielleicht, warum ich dermaßen überrascht war, nachdem der Abspann von „Prey“ nach gut anderthalb kurzweiligen Stunden über meinen Bildschirm flimmerte: Nie hätte ich erwartet, dass es überhaupt möglich wäre, dieses Kind der späten 1980er/frühen 1990er im Jahr 2022 so trefflich fortzuführen.

Gute Entscheidungen.

Dass „Prey“ so überzeugend um die Ecke kommt, ist einer Reihe guter Entscheidungen durch Regisseur Dan Trachtenberg (u. a. „10 Cloverfield Lane“) und Drehbuchautor Patrick Aison zu verdanken. So ist beispielsweise die Gestaltung als Prequel in der Regel hochgefährliches Terrain, weil dadurch fast zwangsläufig Probleme mit der Kontinuität entstehen, die speziell älteren Fans sauer aufstoßen (siehe u. a. die Alien-Prequels oder die Star Trek-Serien „Enterprise“ und „Discovery“). Im Falle von „Prey“ ist dem nicht so, weil Zeit und Ort der Handlung so gewählt wurden, dass aufgesetzt wirkende Referenzen auf spätere Filme kaum möglich sind. Anachronismen, die vor allem das alte Publikum übelnehmen könnte, werden dadurch fast ausgeschlossen (eine kleine Anspielung auf „Predator 2“ ist dennoch drin, die wurde allerdings sehr schön eingebaut). Unabhängig davon ist die Form des Prequels in diesem Fall wohl die beste und glaubwürdigste Methode, mit dem Film tatsächlich back to the roots zu gehen.

Erwähnenswert ist in Sachen Entscheidungen ferner, dass die Verantwortlichen darauf verzichten, den Antagonisten durch ausufernde Erklärungen zu entzaubern (siehe auch hier die Alien-Prequels). Heißt: In „Prey“ verhält sich der außerirdische Jäger so, wie man es erwartet; er hat die üblichen Waffen am Start, wirkt aber dennoch etwas urtümlicher als seine späteren Artgenossen. Das alles schließt sich wunderbar und nahtlos an die Darstellung an, die man aus Teil 1 und 2 kennt. Wobei man sich an dieser Stelle ganz leise fragen darf, wieso sich die Technik eines so fortschrittlichen Wesens in über 200 Jahren anscheinend kaum weiterentwickelt hat – aber das nur am Rande, eventuell hat die Ausrüstung vor allem rituelle oder traditionelle Bedeutung und „darf“ sich deshalb kaum ändern.

Was wollen die Fans?

Was mich an „Prey“ neben den genannten Faktoren aber fast am meisten beeindruckt hat: Dan Trachtenberg scheint verstanden zu haben, was das Publikum wirklich von einem Predator-Film erwartet (während man beim Gros der Filme nach 1990 nicht umhin kommt, den Verantwortlichen Geldmacherei mit einem großen Namen zu unterstellen). Eigentlich ist es fast schon erschreckend einfach: Predator war schon immer ein lupenreines Action-Franchise. Klar, wer wollte, konnte Teil 1 als mehr oder weniger tiefsinnige Verarbeitung des amerikanischen Vietnam-Traumas lesen. Vorwiegend waren „Predator“ und „Predator 2“ aber schlicht und einfach zur Unterhaltung gedacht.

Der Rest? Beiwerk, aber dennoch da, was den Filmen trotz der knallenden Fassade immer Herz und Seele verliehen hat, die den späteren Produktionen abgeht. Und so ist es auch mit „Prey“: Wenn man möchte, kann man den Kampf Predator vs. Kriegerin auf verschiedene Weise interpretieren. Beispielsweise könnte es sich dabei um eine Auseinandersetzung einer selbstbewussten Frau mit toxischer Männlichkeit handeln. Oder man sieht darin ganz allgemein den Kampf der amerikanischen Ureinwohner:innen gegen die technische und zahlenmäßige Überlegenheit der weißen Eroberer. Oder als Befreiung der Heldin Naru aus der von ihren Stammesgenoss:innen erwarteten Rolle.

All das ist möglich – genauso ist es, wie angedeutet, aber auch legitim, „Prey“ als einfachen, höchst unterhaltsamen Actionfilm. als Popcorn-Kino im besten Sinne, zu lesen. Das mag von den Anhänger:innen aktueller Filme und Serials belächelt werden, ich persönlich finde diese Herangehensweise allerdings sehr erfrischend: Man hat das Gefühl, dass die Action zählt und alles andere Beiwerk ist und der Regisseur somit genau das macht, wofür diese Filmreihe früher stand. Dennoch fühlt sich „Prey“ deutlich moderner als seine Pendants aus 1987 und 1990 an, ohne der Seelenlosigkeit aktuelle Produktionen anheim zu fallen. Genau vermag ich nicht zu erklären, woran das liegt – für mein Dafürhalten ist es jedenfalls eine außergewöhnliche Leistung.

Überraschend gut ohne zu überraschen.

Was das alles im Umkehrschluss bedeutet, ist klar: In „Prey“ gibt es keine ausgefeilten Dialoge (es wird generell wenig gesprochen) und das Drehbuch ist in weiten Teilen bis ins Detail vorhersehbar. Letzteres ist vermutlich der Kritikpunkt, der am häufigsten in Zusammenhang mit „Prey“ auf den Tisch kommen dürfte: Dan Trachtenberg orientiert sich so stark an „Predator“, dass man zeitweise fast von einer Kopie sprechen muss. Vielleicht ist aber genau das die Stärke eines Films, der genau weiß, was er sein will, was er kann – und was er tunlichst vermeiden sollte. Wahrscheinlich ist das wirklich die Krux: Mir war über die gesamte Länge (schön übrigens, dass man sich auf 100 Minuten beschränkt und das ganze nicht auf zwei Stunden oder mehr aufgeblasen hat) bewusst, dass „Prey“ Fan-Service par excellence ist. Gestört hat mich das allerdings zu keiner Sekunde, was den Film krass von vielen aktuellen Remakes, Prequels und Relaunches unterscheidet.

Anmerkung an dieser Stelle: Die Action ist hervorragend choreografiert, die Kämpfe entsprechend spektakulär; die Effekte sind gut (sieht man von den Raubtieren ab, speziell bei CGI-Bär musste ich schmunzeln), der Antagonist furchteinflößend. Und, was auch noch erwähnt werden muss: „Prey“ ist abseits der Action geradezu herausragend fotografiert und vertont. Selten wirkte ein amerikanischer Wald dermaßen düster, kühl und unheimlich.

Ganz kommt „Prey“ letztlich zwar nicht an die Filme heran, die den Ruhm der Predator-Reihe begründet haben. Dennoch ist Dan Trachtenberg der mit Abstand beste Versuch seit 1990 gelungen, diesen Stoff zu adaptieren. Wenn das das Niveau künftiger Filme aus dem Franchise sein soll, könnte man von mir aus gern damit weitermachen – etwas, das ich mir bisher bei kaum einem Versuch, so alte Schinken in die Moderne zu holen, wünschen würde.

Gesamteindruck: 5/7


Originaltitel: Prey.
Regie:
Dan Trachtenberg
Drehbuch: Patrick Aison
Jahr: 2022
Land: USA
Laufzeit: ca. 100 Minuten
Besetzung (Auswahl): Amber Midthunder, Dane DiLiegro, Dakota Beavers, Stormee Kipp



FilmWelt: The Witch Next Door

„The Witch Next Door“ (2019) ist einer dieser Fälle, in denen ich – analog zum unlängst besprochenen „Halloween Haunt“ (ebenfalls 2019) – einem Teil der Kritiker:innen beim besten Willen nicht folgen kann (ein Beispiel). Für mich handelt es sich hier um biederen Horror, der ohne große Inspiration und noch dazu recht schwerfällig über den Bildschirm flimmert.

Gesamteindruck: 3/7


Kleinstadt-Horror.

Dass „The Witch Next Door“ bei mir nicht so richtig funktioniert, hat diverse Gründe. Das größte Problem scheint mir jedoch die Austauschbarkeit nahezu aller Aspekte des Films zu sein: Prämisse, Story, Charaktere – fast alles wirkt völlig generisch auf mich. Kein Wunder also, dass der Funke einfach nicht überspringen wollte…

Worum geht’s?
Das Kleinstadt-Idyll, in das Teenager Ben aus Erziehungsgründen geschickt wird, ist trügerisch: Zunächst hat der junge Mann mit den üblichen Problemen seines Alters zu kämpfen und findet schwer Anschluss im Ort. Diese Schwierigkeiten geraten jedoch zunehmend in den Hintergrund, als Ben merkt, dass mit der Familie, die nebenan wohnt, etwas ganz und gar nicht stimmt…

Auch wenn es in meiner Einleitung so rüberkommen mag: Es ist nicht alles schlecht an „The Witch Next Door“ (im Original übrigens „The Wretched“; ich werde wohl nie verstehen, warum deutschsprachige Verleihe einen englischen Titel durch einen anderen ersetzen). Vor allem die Grundstimmung wurde von den für Regie und Drehbuch verantwortlichen Brüder Brett und Drew Pierce gut inszeniert: So wirkt das Küstenstädtchen zwar idyllisch, man merkt als Zuseher:in allerdings sofort, dass hier einiges im Argen liegt. Das Gefühl, dass man dort nicht unbedingt wohnen möchte, ist – ganz im Gegensatz zu einer Legion ähnlicher Filme, die hierfür zum metaphorischen Holzhammer greift – vor allem einigermaßen subtil verpackt, was eine echte Wohltat ist.

Damit hat es sich dann aber leider weitgehend, was die Qualitäten von „The Witch Next Door“ betrifft. Eventuell kann man der Idee, dass die Angehörigen „vergessen“, wen oder was sie verloren haben, noch etwas abgewinnen – das allein reicht aus meiner Sicht aber nicht für einen wirklich spannenden Film. Zumal mir alles zu oberflächlich daher kommt; so, als hätte man eine an sich gute Idee gehabt, damit dann aber nichts Vernünftiges anzufangen gewusst. Damit wirkt die Prämisse wie ein notwendiges Übel, um überhaupt eine Geschichte erzählen zu dürfen. Ein harsches Urteil, ich weiß – aber wenn es hier eine versteckte Ebene geben sollte, ist sie mir entgangen. Oder, anders ausgedrückt: Die Pierce-Brüder haben es nicht geschafft, sie mir zu vermitteln.

Weder richtig schlecht noch wirklich gut.

Unabhängig davon leidet „The Witch Next Door“ aus meiner Sicht an einer ganzen Reihe von Schwierigkeiten, die für sich genommen nicht katastrophal wären, in der Summe aber für den schwachen Gesamteindruck sorgen. So kann man zum Beispiel die Charaktere mit praktisch jedem Beitrag zum Genre des Teenie-Horrors, den man in den vergangenen 25 Jahren gesehen hat, austauschen. Ähnliches gilt für den Cast, der die Figuren verkörpert. Freilich darf man den Schauspieler:innen nicht die Schuld an den Versäumnissen von Drehbuch und Dialogen geben; gleichzeitig muss ich aber schon auch konstatieren, dass es an Spielfreude fehlt.

Das größte Problem ist aus meiner Sicht jedoch das Drehbuch. Das beginnt bereits beim Aufbau der Geschichte, der relativ gemächlich von Statten geht. Das wäre per se nicht negativ, in diesem Fall fehlt es aber so sehr an Spannung, dass man ständig Gefahr läuft, das Interesse des Publikums zu verlieren. Wenn dann irgendwann etwas mehr Bewegung in die Sache kommt, war es für mich zu spät – „The Witch Next Door“ konnte mich einfach nicht mehr „einfangen“. Das auch damit zu tun, dass an keiner Stelle wirklich Überraschendes passiert. Das ist fast schon paradox, bedient sich der Film doch relativ umfangreich an Versatzstücken unterschiedlicher Genres und Werke. Das mag im ersten Moment grandios klingen, ist hier aber so inszeniert, dass man viel zu häufig erahnen kann, was als Nächstes passiert. Letztlich hält sich sogar der Gruselfaktor für meinen Geschmack arg in Grenzen, sodass „The Witch Next Door“ auch hier nicht so richtig zu punkten vermag.

Damit kann ich eigentlich nur ein Fazit ziehen: Die Pierce-Brüder haben hier ein in allen Belangen durchschnittliches Werk geschaffen, das nirgends richtig schlecht – aber eben auch nicht richtig gut – ist. Und das ist mir persönlich einfach zu wenig, wenn ich mir ansehe, aus welchen und wie vielen Filmen man heutzutage frei wählen kann.

Gesamteindruck: 3/7


Originaltitel: The Wretched.
Regie:
Brett Pierce, Drew T. Pierce
Drehbuch: Brett Pierce, Drew T. Pierce
Jahr: 2019
Land: USA
Laufzeit: ca. 95 Minuten
Besetzung (Auswahl): John-Paul Howard, Piper Curda, Jamison Jones, Azie Tesfai, Kevin Bigley



FilmWelt: The Hunt

Die Inhaltsangabe von „The Hunt“ (2020) lässt vermuten, dass hier ein altbekanntes Thema aufgegriffen wird: Menschen, die meinen, außerhalb des Gesetzes zu stehen, machen Jagd auf weniger Privilegierte. „Battle Royale“ (2000), „Hostel“ (2005) und die Serie „Squid Game“ (seit 2021) wären prominente Beispiele für Geschichten, die in diese Richtung gehen. Und „The Hunt“ beinhaltet auch tatsächlich eine ganze Reihe klassischer Genre-Motive. Sehenswert ist der Film aber dennoch – denn wie sich bereits nach wenigen Minuten herausstellt, bricht er gleichzeitig mit vielen Konventionen und birgt Überraschungen am laufenden Band.

Gesamteindruck: 6/7


Wer jagt wen?

Es ist gar nicht so leicht, eine Rezension zu „The Hunt“ einigermaßen spoilerfrei zu gestalten – ein so immanenter Bestandteil dieses Films sind seine Twists. Was man jedenfalls konstatieren kann: Nichts ist so, wie es scheint – nicht einmal, wer der Held oder die Heldin ist, erfährt man auf konventionelle Weise. Und, was noch unstrittig ist: Dieser Film legt ein gewaltiges Tempo vor und schreckt von Anfang an nicht vor expliziter Brutalität zurück. Letzteres hat, in Verbindung mit einer realen Gewaltwelle die in den USA just zu den ersten Ankündigungen des Films stattfand, dafür gesorgt, dass „The Hunt“ ein Jahr später als geplant veröffentlicht wurde (und kein US-Kino von innen gesehen hat). Übertrieben? Mag sein – aber auch ein Zeichen der Zeit, in der wir leben.

Worum geht’s?
Ist es nur eine urbane Legende, ein Scherz oder ein Internet-Phänomen? Angeblich soll sich „die Elite“ regelmäßig treffen, um Jagd auf Menschen zu machen. Und tatsächlich wacht eine Gruppe von Personen, die einander nicht kennen und die nicht wissen, wie ihnen geschieht, geknebelt irgendwo in einem Feld auf. In einer Kiste gibt es neben einem lebendigen Ferkel (!) diverse Waffen zu finden. Die werden auch dringend gebraucht, denn die Menschenhatz geht ohne Umschweife los…

„The Hunt“ startet mit dem üblichen, leicht mysteriösen Vorgeplänkel, in dem einige Charaktere vorgestellt (naja, eher: grob umrissen) werden. Bereits hier geht es sehr brutal zur Sache; am Ort des Geschehens angekommen, dauert es gefühlt nur Sekunden, bis das erste Opfer völlig unerwartet durch einen Kopfschuss niedergestreckt wird. Blut und Hirn spritzen durch die Gegend – und man fragt sich als Zuseher:in, was man hier gerade gesehen hat. Lange kann man nicht überlegen, denn es geht wirklich Schlag auf Schlag und schon nach rund 15 Minuten fragt man sich, wie der Film überhaupt weitergehen soll – denn bereits zu diesem frühen Zeitpunkt sind haben sich die Reihen dermaßen gelichtet, dass man fast schon beim „final girl“ angekommen scheint.

Opfer-Täter-Umkehr (oder so ähnlich?).

Dabei hat man erst der Anfang einer wilden Achterbahnfahrt gesehen, die von nahezu pausenloser Action, aber auch von vollkommen überraschenden Wendungen geprägt ist. Heißt: Auch wer schon den einen oder anderen auf den ersten Blick ähnlich gelagerten Film gesehen hat, wird die Twists, die Regisseur Craig Zobel hier inszeniert, großteils nicht kommen sehen. Und das hebt „The Hunt“ meines Erachtens von „Hostel“, „Battle Royal“ & Co ab: Der Film handelt nicht nur vom Überlebenskampf vermeintlicher Opfer, sondern zeichnet ein ambivalentes Bild, das dazu führt, dass die die Sympathiewerte des Publikums immer wieder wechseln. Das betrifft im Übrigen auch die Täter:innen, die ebenfalls ganz anders sind, als man es erwarten würde.

Dadurch entzieht sich der Film auf ganz eigentümliche Weise der politischen Agitation. Ich denke, es ist kein großer Spoiler, wenn ich es kurz zusammenfasse: Die Bösen, also diejenigen, die eine reale Jagd auf Menschen veranstalten, sind dem politisch links-liberalen Spektrum zuzuordnen, während sich die Opfer, mit denen man sich als Zuseher:in eigentlich voll identifizieren sollte, konservativ bis rechtsextrem sind, wie an diversen Szenen und Rückblenden eindeutig erkennbar ist. Das bringt natürlich ein interessantes Dilemma: Soll man – als selbst eher liberal eingestellter Mensch – nun tatsächlich für diejenigen sein, die Andere fangen, unter Drogen setzen und dann gnadenlos umbringen? Oder soll man sich mit den Opfern identifizieren, die – immer aus Sicht eines Liberalen – Waffennarren, Hassposter und homophobe W*chser sind? Durch diese sehr spannende Verteilung der Opfer- und Täter:innenrollen erhält „The Hunt“ einen Überbau, den man von einem Film, den man anhand des Trailers sofort zu durchschauen meint, nicht erwarten würde. Zumindest ist es mir so ergangen – und ich habe länger über dieses Werk nachgedacht, als mir lieb war.

Gut gespielt ist halb gewonnen.

Die einzige Konstante im ständigen Hin & Her der Story ist letzten Endes die von Betty Gilpin gespielte Crystal. Mir persönlich war die Darstellerin bisher kein Begriff, am ehesten wird sie einem breiteren Publikum vermutlich aus der Netflix-Wrestling-Parodie „GLOW“ (2017 bis 2019), vielleicht auch aus der TV-Serie „Nurse Jackie“ (2009 bis 2015) ein Begriff sein. Davon abgesehen war sie hauptsächlich in einzelnen Folgen anderer Serien zu sehen und hat den einen oder anderen Filmauftritt zu Buche stehen – ob und wann ich sie überhaupt einmal gesehen habe, weiß ich ehrlich gesagt nicht (mehr). Wie dem auch sei: Gilpin spielt in „The Hunt“ ganz hervorragend. Sie ist ja eigentlich ein Opfer der Menschenjäger:innen, will sich aber ganz und gar nicht in diese Rolle fügen.

Doch anders als es beim klassischen „final girl“ wird sie nicht erst gegen Ende zur grimmigen und nahezu unbesiegbaren Kämpferin, sondern hat von Anfang an gewisse Fähigkeiten, die ihr beim Überleben helfen. Das ist freilich dem Drehbuch zu verdanken – was hingegen an der Darstellung durch Betty Gilpin beeindruckt, ist die stoische Ruhe, mit der sich Crystal durch ihre zahlen- und waffenmäßig überlegenen Gegner:innen schneidet. Hier und da gibt es einen lockeren Spruch, insgesamt kommen ihr allerdings nicht allzu viele Worte – und schon gar kein Lächeln – über die Lippen. Die fast schon greifbare Aura von Gefahr, die die Figur umgibt und die Ruhe, die sie dabei ausstrahlt, hat fast schon was von Llewelyn Moss („No Country for Old Men“, 2007), wobei in vorliegendem Fall natürlich alles deutlich überzeichneter ist.

Als Gegenspielerin von Betty Gilpin bzw. Crystal tritt übrigens die von Hilary Swank verkörperte Athena auf. Diese Figur ist leider deutlich weniger interessant und vergleichsweise glatt. Schlecht gespielt ist die Rolle allerdings nicht, sehenswert vor allem der finale Kampf zwischen diesen beiden Charakteren, der viel vom 1. Kapitel („2“) von „Kill Bill – Volume 1“ (2003) hat. Überhaupt lässt die Stimmung von „The Hunt“ immer mal wieder Reminiszenzen an den Tarantino-Klassiker aufkommen, was ich durchaus als Kompliment verstanden wissen möchte.

Fazit: Ich finde tatsächlich kaum Haare in der Suppe, die uns Craig Zobel mit „The Hunt“ vorsetzt. Ihm ist hier ein flotter, höchst unterhaltsamer Film gelungen, der kaum Längen hat, gut gespielt ist, vor überraschenden Wendungen strotzt – und schlicht und einfach Spaß macht. Klar, man muss eine gute Portion Gore ertragen können und auch die Verteilung von Opern und Täter:innen wird nicht Allen schmecken. Mich hat das hingegen nicht gestört – nicht, weil ich mich mit den merkwürdigen Typen, die hier als Opfer dienen, identifizieren konnte, sondern weil dieser Ansatz durchaus dazu führen kann, dass man über die eigene, vermeintlich überlegene Moral nachdenkt. Und das ist dann doch deutlich mehr, als man von einem Film mit einer solchen Story erwarten würde. Daher: Ansehen!

Gesamteindruck: 6/7


Originaltitel: The Hunt.
Regie:
Craig Zobel
Drehbuch: Nick Cuse, Damon Lindelof
Jahr: 2020
Land: USA
Laufzeit: ca. 90 Minuten
Besetzung (Auswahl): Betty Gilpin, Hilary Swank, Emma Roberts, Justin Hartley, Ethan Suplee



FilmWelt: Halloween Haunt

In Amerika sind Spukhäuser, die wie eine Mischung aus Geisterbahn und Escape Room funktionieren, schon länger bekannt und beliebt. Das Publikum gibt sich in solchen Installationen dem gepflegten Grusel hin. Und, wie so oft, scheinen auch hier immer noch extremere Kicks erforderlich zu sein, um noch jemanden hinter dem Ofen hervorzulocken. Dieses Themas nimmt sich der u. a. von Eli Roth produzierte Slasher „Halloween Haunt“ (2019) an.

Gesamteindruck: 2/7


Halloween, Horrorclowns und ein Haus.

Für Drehbuch und Regie des Films, der im Original übrigens nur „Haunt“ heißt, zeichnet das Duo Scott Beck und Bryan Woods verantwortlich. Die kennt man am ehesten als Verfasser des Drehbuchs zu „A Quiet Place“ (2018), ansonsten stammt aus ihrer Feder eher obskures Material, von dem die Meisten wohl noch nie etwas gehört haben dürften (jedenfalls geht es mir so).

Worum geht’s?
Eine Gruppe junger Leute ist zu Halloween auf der Suche nach dem besonderen Kick. Dafür kommt natürlich nur eines in Frage: Der Besuch einer – angeblich besonders extremen – „Haunted House“-Installation. Dort angekommen ist man vorerst noch frohen Mutes, gibt die Handys ab und betritt die heruntergekommene Villa. Gruselig ist es dort allemal, als sich aber herausstellt, dass auch Verletzung und Tod Teil des Halloween-Programms sind, hält das blanke Entsetzen Einzug…

Ich falle einfach mal mit der Tür ins Haus: „Halloween Haunt“ hat mir nicht sonderlich gefallen. Wirklich überraschend ist das nicht, eigentlich war schon an Titelbild und Inhaltsangabe absehbar, dass man sich von diesem Streifen nicht allzu viel erwarten sollte: Halloween, Horror-Clowns und ein Spukhaus sind ja nicht unbedingt Zutaten, die man zum ersten Mal in einem Film gesehen hätte. Angesehen habe ich ihn mir trotzdem, einfach weil ich mal wieder Lust auf einen klassischen Slasher hatte, mit ein bisschen Blut, Nervenkitzel und ein paar Jump-Scares – und mir auf der Suche nach diesen Anforderungen der Zufall vorliegendes Werk empfohlen hat.

Im Endeffekt kann man es so zusammenfassen: „Halloween Haunt“ ist ein durch und durch generischer Film. Das betrifft einerseits die Handlung, die man so oder so ähnlich aus zig Genre-Vertretern kennt und die vor wirklich keinem Klischee halt macht. Andererseits übernimmt der Streifen auch äußere Einflüsse, die eigentlich tunlichst vermieden werden sollten und die wie aus dem Lehrbuch für die letzten Zuckungen der 2. Welle des Teenie-Horrors in den späten 1990er wirken: Dialogzeilen zum Fremdschämen, öde Schauspielerei, austauschbare Gesichter – alles ist da.

Generische Melange, schlecht abgeschmeckt.

Bezüglich Handlung und Drehbuch ist zunächst festzuhalten, dass „Halloween Haunt“ unter dem üblichen Slasher-Phänomen leidet: Die ganze Geschichte ist schlichtweg bescheuert und unglaubwürdig. Vor allem die Frage, warum sich unsere Jungs und Mädels so leicht überreden lassen, das Haus zu betreten, obwohl sofort klar ist, dass etwas nicht stimmt, schwebt die ganze Zeit über wie ein Damoklesschwert über dem Film. Mehr will ich dazu auch gar nicht sagen, jede:r, der/die schon einmal einen ähnlichen Streifen gesehen hat, weiß ohnehin ganz genau, wann was passiert und welche Knöpfe gedrückt werden, um dieses oder jenes Gefühl beim Publikum auszulösen.

Die wahren Probleme von „Halloween Haunt“ beginnen mit der Hauptfigur, die – wie üblich – als graues Mäuschen mit halb-tragischer Hintergrundgeschichte startet, um im Verlauf der Handlung zum klassischen „Final Girl“ zu mutieren und den Spieß umzudrehen. Kann man so machen, ist im Genre irgendwo sogar Pflicht, nur ist es hier dermaßen uninspiriert und ideenlos, dass es fast schon weh tut. Eventuell hängt das auch damit zusammen, dass der Rest des Casts dermaßen beliebig ist, denn als Zuseher:in ist man damit noch mehr auf die gute Harper (verkörpert von Katie Stevens, die wohl das Maximum aus der Rolle herausholt) fixiert. Das erschwert es, über deren schablonenhafte Darstellung hinwegzugehen – zumindest ist es mir so ergangen.

Nun kann man als Fan des Genres solche Dinge normalerweise problemlos ignorieren (Frage am Rande: Wann ist es eigentlich schick geworden, eine schlechte Erzählweise und miese Charaktere als quasi-positiv, weil „unterhaltsam“, anzusehen?). Das habe ich versucht, bin damit aber gescheitert, weil „Halloween Haunt“ für mein Dafürhalten an keiner Stelle richtig gruselig ist. Es kommt auch niemals die nötige Spannung auf und die Erzählung ist trotz ihrer Flachheit merkwürdig schwerfällig. Zu allem Überfluss ist das Spukhaus nicht sonderlich interessant; hier hilft es auch nicht, dass sich zum Ende hin weite Teile des bereits Gesehenen wiederholen, weil man fast exakt den Weg zurückgeht, den man gekommen ist.

Noch nicht einmal beim Ableben der wahlweise blassen und/oder unsympathischen Charaktere kommt man auf seine Kosten. Will sagen: Es gibt kaum Kreativität bei den Todesszenen, was für mein Dafürhalten zur Grundausstattung jedes guten Slashers gehören sollte. Ich weiß, das klingt sehr makaber, aber man denke z. B. daran, wie einfallsreich die Figuren in „Final Destination“ (2000) um die Ecke gebracht werden. Ja, das ist brutal, das ist menschenverachtend – aber es unterhält auf seine Weise durchaus, vor allem auch durch die Überzeichnung. Und dieser Aspekt fehlt hier, ganz abgesehen davon, dass sich „Halloween Haunt“ ohnehin viel zu ernst nimmt.

Auch im Slasher-Eck maximal zweite Reihe.

Mir ist natürlich klar, dass ein solches Werk, auch wenn die Qualität besser wäre, kaum für einen der großen Film- und Fernsehpreise in Frage kommen würde. Das weiß man im Vorhinein – dennoch gibt es meines Erachtens keinen Grund, jeden Slasher gut zu finden, nur weil er nicht mehr ist, als er zu sein vorgibt. Letzteres macht „Halloween Haunt“ zum Glück nicht, aber auch in seiner ureigenen Nische ist der Film weit davon entfernt, positiv aus der Masse herauszustechen.

Dass es mit der Gesamtwertung nicht noch weiter nach unten geht, ist einzig und allein der sauberen technischen Umsetzung zu verdanken. Vor allem die blutigen Effekte wissen durchaus zu überzeugen und haben, zu Recht, für den (erhofften?) „Ab 18“-Sticker gesorgt. Reicht das allein, „Halloween Haunt“ als guten Film abzuheften? Sehe ich nicht so.

Gesamteindruck: 2/7


Originaltitel: Haunt.
Regie:
Scott Beck, Bryan Woods
Drehbuch: Scott Beck, Bryan Woods
Jahr: 2019
Land: USA
Laufzeit: ca. 90 Minuten
Besetzung (Auswahl): Katie Stevens, Will Brittain, Lauryn Alisa McClain, Andrew Caldwell, Shazi Raja



SerienWelt: Star Trek: Picard – Staffel 2

„Bleibt nur die Hoffnung auf Staffel 2“ – mit diesem Satz endete meine Besprechung zur ersten Staffel von „Star Trek: Picard“ (2020). Nun, zwei Jahre später macht sich Ernüchterung breit: Die Fortsetzung der Serie um eine der beliebtesten Figuren aus dem Star Trek-Universum ist eine einzige Enttäuschung. Erneut haben wir es mit 10 Episoden zu tun, die kaum Trek-Feeling vermitteln, schlimmer noch: Der Serie gelingt es zu keinem Zeitpunkt, ihre eigene Existenz in dieser Form zu rechtfertigen. Denn das, was wir hier zu sehen bekommen, ist erneut Stoff, für den früher eine Doppelfolge „The Next Generation“ locker ausgereicht hätte. Exakt das habe ich schon über Staffel 1 geschrieben – traurig, dass es immer noch gilt.

Gesamteindruck: 2/7


Die Borg, Zeitreisen… und Q.

Es ist nun einige Wochen her, dass das mit „Farewell“ höchst kreativ betitelte Staffelfinale über meinen Bildschirm geflimmert ist. Diese Zeit wollte ich mir bis zum Niederschreiben meiner Meinung geben, um halbwegs reflektiert an die Sache herangehen zu können. Wenn man aus folgendem Text also Unverständnis, Frust und Ärger herausliest, hat das nichts mit einer Kurzschlussreaktion zu tun; im Gegenteil, ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich der Serie und den dafür Verantwortlichen vielleicht Unrecht tue. Um es jedoch gleich vorweg zu nehmen: Das Zuwarten und Sinnieren hat keine Besserung gebracht, Staffel 2 von „Star Trek: Picard“ (im Folgenden reicht es wohl, nur „Picard“ zu schreiben) hat mich enttäuscht und mir jegliche Illusion genommen, dass die Serie noch zu retten ist.

Inhalt in Kurzfassung
Seinen Ruhestand zu genießen, ist Jean-Luc Picard nicht vergönnt: Eine Weltraum-Anomalie sendet ein Signal aus, in dem um einen Beitritt zur Föderation gebeten wird – und diese Nachricht richtet sich an den ehemaligen Captain der USS Enterprise persönlich. Vor Ort zeigt sich, dass es offenbar ausgerechnet die Borg sind, die verhandeln wollen, was freilich nicht ohne Konflikt abgeht. Und als ob das für den alternden Diplomaten nicht genug wäre, mischt sich auch noch sein Erzfeind Q ein und verändert die Zeitlinie auf unerfreuliche Art und Weise. Für Picard und seine erneut hastig versammelten Freunde bedeutet das: Ab in die Vergangenheit und im Jahr 2024 alles versuchen, den entstandenen Schaden zu beheben…

Eigentlich widerstrebt es mir, erneut einen ellenlangen Rant loszulassen. Andererseits muss es einfach raus, denn „Star Trek“ nimmt seit jeher einen besonderen Platz in meinem Herzen ein. Wie also diesen Text beginnen, ohne sofort loszuschimpfen? Vielleicht mit ein paar Fakten: „Picard“ besteht, wie es sich für eine moderne Serie gehört, aus aufeinander aufbauenden Episoden, in diesem Fall sind es zehn Stück. Der Vorteil liegt auf der Hand: Die alten „Star Trek“-Serien setzten nach jeder ihrer in sich geschlossenen Folgen fast alles auf Null zurück. Das ermöglichte zwar einen jederzeitigen und leichten Einstieg, umgekehrt war eine grundlegende Weiterentwicklung der Charaktere kaum möglich. Grundsätzlich weiß ich den modernen Zugang, der das isolierte Ansehen einzelner Episoden ausschließt, durchaus zu schätzen, ermöglicht er doch ganz andere Entwicklungen und Handlungsbögen. Vor allem, seit man dank Streaming unabhängig von TV-Ausstrahlungen geworden ist und nicht mehr tagelang auf die neueste Episode warten muss, sehe ich hier gelegentlich sogar Vorteile gegenüber dem Film, der ja doch auf eine gewisse Laufzeit beschränkt ist. Aber das nur am Rande.

Licht bei den Nebenrollen…

Die inhaltliche Auseinandersetzung mit „Picard“ möchte ich mit einem uneingeschränkt positiven Punkt beginnen: John de Lancie kehrt in seiner Paraderolle als nahezu allmächtiger Q, seines Zeichens einer der wichtigsten und am besten geschriebenen Star Trek-Antagonisten, zurück. Ein echter Lichtblick! Und auch wenn seine Auftritte viel zu selten und sehr kurz sind, scheint er doch alle anderen an die Wand zu spielen, was an und für sich schon Bände spricht…

Apropos Nebendarsteller:innen und positive Anmerkungen: Auch Brent Spiner, der zweite Veteran, der sogar eine etwas größere Rolle spielt und immer ein Garant für gute Unterhaltung ist, ist als Pluspunkt zu verbuchen. In dieser Staffel spielt er zwar ganz und gar keinen Sympathieträger, dennoch macht er seinen Job einmal mehr sehr gut. Wobei ich an dieser Stelle eines anmerken muss (auch wenn das kein echter Kritikpunkt ist): Es ist nicht mehr feierlich, wie berechenbar Spiner eingesetzt wird. Im Wesentlichen gibt man seinen Star Trek-Rollen einfach irgendeinen Vornamen und stellt ihn dann als Vor-, Nachfahre oder sonst irgendeinen Verwandten von Dr. Noonien Soong (Schöpfer des von Spiner in „The Next Generation“ verkörperten Androiden Data) vor. So auch hier, wobei es in diesem Zusammenhang zu einem der wenigen Querverweise kommt, die ich wirklich zu schätzen wusste: Von Adam Soong scheint es durch die Eugenischen Kriege eine direkte Linie zu Arik Soong zu geben, der seinerseits in mehreren Episoden von „Star Trek: Enterprise“ als Genetiker auftritt. Das fand und finde ich schön gelöst, auch wenn sich dadurch die Frage aufdrängt, wieso Mitglieder der Familie Soong offenbar über Jahrhunderte immer wieder ungehindert an umstrittenen oder sogar verbotenen Projekten arbeiten konnten. Aber sei’s drum, diesen Faden haben die Showrunner für mein Dafürhalten sehr gut aufgegriffen (zumindest wenn man ignoriert, dass die Eugenischen Kriege laut Kanon eigentlich in den 1990ern hätten stattfinden müssen, man sich also fragen darf, wieso die Erde des Jahre 2024 in „Picard“ genau unserer Gegenwart entspricht).

…Schatten beim Haupt-Cast.

Zum Rest des Casts habe ich leider kaum positive Anmerkungen – und damit sind wir dann auch schon mittendrin in den Problemen, die ich mit der Serie habe. Patrick Stewart führt die Hauptrolle (die zwischendurch auch mal zum Nebencharakter wird) ungefähr so fort, wie man es aus Staffel 1 kennt. Heißt: Man tut sich weiterhin schwer, diesen Picard mit jenem aus „The Next Generation“ und den nachfolgenden Spielfilmen zusammenzubringen. Ob das am britischen Schauspieler liegt – oder doch am Drehbuch? Ich wage es nicht zu beurteilen, gebe aber zu bedenken, dass Stewart ab und an leider tatsächlich so wirkt, als würde er lieber etwas Anderes machen. Das gilt aus meiner Sicht aber für den gesamten Cast, vor allem Jeri Ryan (Seven of Nine) meint man durchgehend anzumerken, dass sie keine große Lust auf die Serie hatte, wobei ich auch hier die Frage aufwerfen möchte, ob das Problem nicht eher die Rolle ist, die ihr das Drehbuch vorgibt.

Die übrigen Darsteller:innen haben – im Vergleich zu den Genannten – bis auf „Picard“, Staffel 1, ja keine große Star Trek-Vergangenheit, mit der man sie in Verbindung bringen musste. Leider gibt es dennoch auch hier ein Problem: Niemand, den/die man bereits aus den ersten zehn Folgen kannte hat groß an Sympathiewerten gewonnen. Heißt: Santiago Cabrera gibt erneut den bemüht coolen Chris Rios, mit dem man wohl eine Art Han Solo schaffen wollte, was überhaupt nicht funktioniert; wie er vom Schmuggler in nur einem Jahr zu einem Captain der Sternenflotte aufsteigen konnte, steht in den Sternen. Michelle Hurd bleibt als Raffi Musiker eine unsäglich unsympathische Rolle, auf die man als Zuseher:in meines Erachtens generell hätte verzichten können. Alison Pill gibt weiterhin ihren weinerlich-verpeilten Gegenpart, mit dem eine Identifikation ebenfalls schwer fällt. In Hinblick auf die Nebenrollen ist eigentlich nur Annie Wershing als Borg-Königin erwähnenswert – sie hatte diese Rolle bereits im Finale der Serie „Star Trek: Voyager“ gespielt und macht ihre Sache ganz gut. Aber auch hier haben wir ein Problem mit dem Drehbuch, dass mit diversen losen Fäden und fehlender Logik innerhalb des Star Trek-Franchise gerade bezüglich jener Antagonistin mehr Fragen aufwirft, als es beantwortet. Der übrige Cast ist, soviel sei noch erwähnt, weder im positiven noch im negativen Sinn besonders auffällig.

Keine Binge Gefahr.

Wie oben angedeutet, könnte man einigen Schauspieler:innen durchaus vorwerfen, dass sie nicht gerade inspiriert oder inspirierend agieren. Die Schuld dafür würde ich im Endeffekt aber doch eher bei der Charakterzeichnung und im Drehbuch suchen. Zu ersterem habe ich bereits das eine oder andere geschrieben, noch einmal hervorheben möchte ich, dass eine Weiterentwicklung der Figuren nach Staffel 1 nicht passiert ist (das betrifft übrigens auch die Hauptfigur). Doch selbst wenn man akzeptiert, dass die Figuren nun mal so sind, wie sie sind, ist es ein echtes Problem, dass jegliche Sympathieträger:innen fehlen. Ich frage mich, ob es jenen, die nicht mit den alten Serien und Filmen sozialisiert wurden auch so geht – oder ob sie mit den Charakteren, die uns die „Picard“-Showrunner vorsetzen, tatsächlich warm werden. Ich kann es mir ehrlich gesagt kaum vorstellen, aber wer weiß.

Vielleicht liegt es auch daran: „Picard“ will – ähnlich wie schon „Star Trek: Discovery“ – eine Art Drama sein. Dafür gibt es im modernen Serien-Dschungel ja eine Menge gelungener Beispiele, von „Game of Thrones“ über „Battlestar Galactica“ und „Snowpiercer“ bis hin zu „The Walking Dead“. Was die genannten Serien aus meiner Sicht (bei all ihrer Unterschiedlichkeit und Folgen-/Staffel-weise durchaus schwankender Qualität) auszeichnet: Nach praktisch jeder Episode will man unbedingt wissen, wie es weitergeht – genau dieses Gefühl führt letztlich zum sogenannten Binge Watching. Im ersten Moment ist man versucht, das an den ausgesprochen geschickt platzierten Cliffhangern festzumachen, die am Ende jeder Folge stehen. Die hat „Picard“ zwar auch – und doch hat sich bei mir in zehn Folgen kein einziges Mal (!) die unbändige Lust eingestellt, direkt weiterzuschauen. Ich habe es zwar getan, aber das kam eher einer lästigen Pflichtübung als dem Befriedigen einer Sucht (im positiven Sinne) gleich.

Spannung? Mangelware!

Die Frage, woran das liegt, lässt sich anhand mehrere Aspekte beantworten, von denen neben den fehlenden Identifikationsfiguren der Mangel an Qualität in Handlung und Drehbuch am schwersten wiegt. Im Endeffekt ist es so: Weder der übergreifende Handlungsbogen nebst wenig überzeugender Auflösung, noch das, was in einzelnen Episoden passiert, ist geeignet, Star Trek-Feeling aufkommen zu lassen.

Mit der Rahmenhandlung, die die zehn Episoden zusammenhalten soll, habe ich vor allem zwei Probleme: Einerseits wirkt sie uninspiriert und aufgesetzt – fast ist es, als hätte man sich unglaublich schwer getan, überhaupt eine solche Geschichte zu finden, aber es musste halt sein, weil man das eben so macht. Dabei ist man andererseits direkt einem folgenschweren Irrtum erlegen, indem man meinte, es würde sozusagen automatisch Komplexität und Tiefgang bringen, möglichst viele Trek-Themen (Zeitreise-Paradoxon, die Borg, Q, Picards Kindheit (!) und vermeintlichen Fan-Service) zusammenzuschmeißen. Das Ergebnis: Sogar ich als ausgewiesener Trekkie hatte große Probleme, den einzelnen Storylines folgen zu können. Das sollte man aber nicht mit Tiefgang verwechseln, denn dafür hätte es eine stimmigere Auflösung der Handlungsfäden gebraucht. Die erfolgt aber nicht oder nur holprig und ist voller Logikprobleme, was in einem Universum, das u. a. auch von (pseudo-)wissenschaftlichen Erklärungen lebt, fatal ist. An dieser Stelle muss man hoffen, dass einige offene Fragen (z. B. wie es denn nun mit der Borg-Königin weitergehen soll, ohne den eigenen Kanon zu gefährden) in der dritten und letzten Staffel beantwortet werden. Ob ich das noch miterleben werde, nachdem mich bereits die ersten 20 Folgen der Serie so enttäuscht haben? Ja, davon gehe ich, unverbesserlich wie ich bin, aus.

Mindestens ebenso schwer wie die hanebüchene Rahmenhandlung lasten die fehlende Spannung und das schwache Drehbuch der Einzelepisoden auf „Picard“. Klar, es gibt gewisse Qualitätsunterschiede in Hinblick auf die Folgen (eindeutiger Tiefpunkt: Folge 9, „Hide and Seek“), bedauerlicherweise ist das Gesamtniveau als solches jedoch erschreckend niedrig. Einerseits hat das damit zu tun, dass die Showrunner offenbar Spannung mit Action verwechselt oder gleich gesetzt haben: „Picard“ greift immer wieder auf Schläger- und Schießerein zurück, etwas, das es in „Star Trek“ zwar auch in der Vergangenheit schon häufiger gab, das hier jedoch erstmals den Eindruck erweckt, durchgehend (!) reiner Selbstzweck zu sein. Und das hat meiner Ansicht nach nicht mehr viel mit der ursprünglichen „Star Trek“-Vision zu tun. Oder, um es anders zu sagen: Die Action hat sich in früheren Serien und Filmen meist einem anderen Zweck untergeordnet, in „Picard“ fehlt dieser interne Unterbau bzw. wirkt er lieblos hingeschludert. Ein Beispiel ist die genannte Folge „Hide & Seek“: Der Borg-Königin ist es gelungen, eine Anzahl an Menschen zu assimilieren, die als Drohnen freilich wenig Sinn für Friedensverhandlungen haben. Nun wurde – wie immer, wenn es um Zeitreisen geht – in den Folgen zuvor mehrmals deutlich gemacht, dass jede noch so kleine Einmischung zu einer Katastrophe führen kann, was die Zeitlinie betrifft. In „Hide & Seek“ sind diese Bedenken plötzlich vom Tisch, unsere Superheld:innen schnetzeln sich durch die Cyborgs als gäbe es kein Morgen (was übrigens auch die einst so gefürchteten Borg ziemlich blöd aussehen lässt). Ob einer der dabei Getöteten vielleicht eine wichtige Rolle für die Zukunft der Erde hätte spielen können, interessiert nicht, es wird noch nicht einmal der Versuch unternommen, die Situation ohne Blutvergießen zu lösen. Und das soll noch „Star Trek“ sein? C’mon…

Guinan (!) und Wesley (!!).

Ein Punkt, den ich ganz am Rande noch erwähnen möchte, weil er angesichts der geschilderten Probleme keine große Rolle mehr spielt: Das Fan-Service von „Picard“ empfand ich als ziemlich dümmlich. Guinan (gespielt von Whoopi Goldberg bzw. in der 2024-er Variante von Ito Aghayere) erschien mir schon in „The Next Generation“ wie ein Fremdkörper, entsprechend kann man sich meine Begeisterung über dieses Wiedersehen vorstellen, das – unabhängig vom Charakter – auch überhaupt nicht in den bisherigen Kanon passt. Nicht mal ansatzweise.

Zum Glück deutlich weniger Screentime (es ist nur ein Kurzauftritt) gibt es für Wil Wheaton. Ja, richtig gelesen, man entblödet sich nicht, Wesley Crusher aus dem Nichts (in das er in „The Next Generation“ verschwand) auftauchen und zum Glück auch wieder verschwinden zu lassen. Ich sage es ganz ehrlich: Dieses Gastspiel hat mich laut und höhnisch auflachen lassen. Viel Gespür scheinen die Verantwortlichen eindeutig nicht für das Franchise zu haben – oder haben sie wirklich gedacht, ausgerechnet diese Figur würde für unbändige Freude bei alten Fans sorgen?

Bevor ich in weitere Tiraden verfalle, möchte ich aber auch noch einen positiven Gastauftritt erwähnen: Kirk Thatcher. Wer das ist? Nun, im Film „Star Trek IV: Zurück in die Gegenwart“ (1986) sitzt ein Punk in einem Bus und hört ohrenbetäubende Musik, was zu einer legendären Szene führt. Diese wurde für „Picard“ erneut aufgegriffen – und zwar ausnahmsweise mit so viel Liebe zum Detail und mit so viel Fingerspitzengefühl, dass ich es kaum glauben konnte. Es geht also doch.

Fazit: Muss man sich nicht antun.

Viel mehr möchte ich jetzt nicht mehr schreiben – ich glaube, es ist auch so klar geworden, dass ich „Picard“ für eine ziemliche Katastrophe halte. Am schlimmsten finde ich persönlich das völlige Fehlen des Gefühls, hier etwas Großes erlebt zu haben. Oder auch nur etwas in sich Stimmiges und für die weitere Entwicklung des „Star Trek“-Universum Relevantes.

Gerade letzteres hinterlässt mich in gewisser Hinsicht eher traurig als wütend: Ich sehe nicht, wie mich „Star Trek“ weiterhin begeistern soll, wenn „Picard“ und – in geringerem Ausmaß – „Discovery“ ein Blick in die Zukunft des Franchise sind. Die zum Zeitpunkt dieser Rezension jüngste Serie, „Strange New Worlds“, habe ich übrigens noch nicht gesehen – davon hört man aber nur Gutes, sodass ich wider besseres Wissen doch wieder sehr angefixt bin. Mit der Qualität von „Picard“ hat das alles aber nichts zu tun – da sehe ich mir dann tatsächlich lieber „Lower Decks“ oder sogar „The Orville“ an, die zwar ausgewiesene Comedy-Serien sind, es aber mit ursprünglichem „Star Trek“-Flair tatsächlich wesentlich besser schaffen, mich bei der Stange zu halten.

Gesamteindruck: 2/7


Originaltitel: Star Trek: Picard
Idee:
Akiva Goldsman, Terry Matalas u. a.
Land: USA
Jahr: 2022
Episoden: 10 á ca. 45 Minuten
Gesehen auf: Amazon Prime
Haupt-Besetzung (Auswahl): Patrick Stewart, Alison Pill, Michelle Hurd, Santiago Cabrera, Orla Brady



FilmWelt: Mother!

„Mother!“ (2017) ist einer der seltsameren Filme, die ich in letzter Zeit gesehen habe. Auch die Kritik war sich bei einer Beurteilung des Werkes von Regisseur Darren Aronofsky, der auch das Drehbuch verfasst hat, nicht einig: Neben einer Nominierung für den Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen in Venedig wurden Aronofsky und das Duo Jennifer Lawrence / Javier Bardem, die die Hauptrollen spielen, für jeweils eine Goldene Himbeere vorgeschlagen. Abseits der professionellen Rezensent:innen gehen die Meinungen ebenfalls auseinander – wobei die Tendenz eher positiv ist (z. B. 68% Zuspruch bei Rotten Tomatoes).

Gesamteindruck: 4/7


Unvergleichlich anders.

Vielfach ist über „Mother!“ zu lesen, dass weite Teile des Publikums den Film entweder hassen oder lieben würden, zwischen diesen Polen solle wohl nicht viel Platz sein. Wenn dem so ist, bin ich offenbar in der Minderheit: Auch, nachdem ich mir ein paar Tage Zeit gegeben habe, das Gesehene zu reflektieren, bin ich mir nicht sicher, was ich davon halten soll. Ist das Kunst oder kann das weg? Hat mich „Mother!“ unterhalten, erschreckt oder gelangweilt? Kann man aus dem Werk die eine oder andere Erkenntnis ableiten – oder hat das alles wenig bis nichts mit unserer Welt zu tun? Ich muss zugeben, dass ich mir schwertue, auch nur eine dieser Fragen zu beantworten.

Worum geht’s?
Ein Dichter und seine Muse leben seit Kurzem zurückgezogen in einem großen Haus – er leidet unter einer Schreibblockade, sie versucht ihn so gut wie möglich zu unterstützen und gleichzeitig das Domizil zu renovieren. Eines Tages steht ein Fremder vor der Tür und wird vom Dichter prompt eingelassen. Erst hat die Frau Vorbehalte gegen den unerwarteten Besuch, schließlich willigt sie aber doch ein. Als dann aber erst die Frau des Fremden, später auch noch deren Kinder auftauchen, gerät das Leben im Haus zusehends aus den Fugen…

Die Unsicherheiten beginnen bereits beim Versuch, ein Genre zu benennen: „Mother!“ ist weder ein echter Horrorfilm, noch würde ich ihn als (Psycho-)Thriller bezeichnen. Am ehesten passt der Titel noch in den Mystery-Bereich, daneben findet man neben Elementen der genannten Filmgattungen noch ein paar weitere Versatzstücke und liegt beispielsweise auch mit Begriffen wie Drama, Liebesfilm und Fantasy nicht völlig daneben. Ich denke, die Bezeichnung Mystery-Thriller wird dem Film im Endeffekt noch am ehesten gerecht, aber auch nur, weil sie recht vielfältige Interpretationsmöglichkeiten zulässt.

Unabhängig von diesen – zugegeben oberflächlichen – Schwierigkeiten wird schnell klar, dass wir es hier mit einem sehr speziellen Film zu tun haben. Weniger aufgrund des Inhalts, der erst im weiteren Verlauf immer mysteriöser wird, sondern zunächst vor allem aufgrund der Machart. Besonders die Kameraführung irritiert anfangs, weil sie leicht verwackelt, vor allem aber sehr nahe an der Hauptdarstellerin ist – zu nahe eigentlich und gern auch mal komplett frontal (oder – quasi umgekehrt – in ihrer Egoperspektive), was einige Zeit benötigt, um sich daran zu gewöhnen. Ungewöhnlich ist daran übrigens auch, dass die Kamera NUR der Hauptfigur folgt. Das schafft eine ganz eigene und selten auf diese Art gesehen Unmittelbarkeit: Das Publikum sieht und hört im Endeffekt nur, was die namenlose, von Jennifer Lawrence gespielte Frau auch mitbekommt. Was außerhalb ihres Blickfeldes passiert, bleibt optisch schemenhaft und akustisch unverständlich, ganz so, wie es auch im wirklichen Leben ist, wenn man Personen z. B. im Nebenraum undeutlich miteinander sprechen hört.

Abgesehen davon, dass sie normalen Sehgewohnheiten widerspricht, hat die eigenwillige Kombination aus Bild und Ton aber auch noch einen anderen Effekt: „Mother!“ fühlt sich fast schon klaustrophobisch an, gleichzeitig hat man ständig das Gefühl, etwas zu versäumen, das in der Peripherie des Bildausschnitts passiert. Vermutlich kommt daher der Eindruck, dass man – ganz real – das Unwohlsein und die Hilflosigkeit mit der Hauptfigur teilt. Diesen Aspekt würde ich tatsächlich als große Leistung des Films hervorheben, noch dazu, weil speziell die Wehrlosigkeit der Frau gegenüber ihrer Situation im Laufe der Handlung immer stärker zunimmt – und sich das auch auf den Zuseher/die Zuseherin überträgt, was eine sehr eigentümliche und stellenweise wirklich unerfreuliche Erfahrung ist.

An dieser Stelle seien übrigens zwei weitere Darsteller:innen genannt, die in diesem Film voll punkten können: Michelle Pfeiffer und Ed Harris spielen die Invasoren die in das beschauliche Privatleben des Paares eindringen. Beide schaffen es, ihren Figuren, die vordergründig ganz normalen Menschen entsprechen, eine ausgesprochen düstere und bedrohliche Aura zu verleihen. Auch das ist eine Leistung, die durchaus anerkennenswert ist und die die Spannung durchaus in die Höhe treibt – man will einfach wissen, was es mit diesen beiden Eindringlingen auf sich hat und verfolgt jeden Dialog entsprechend genau.

Zweite Halbzeit mit Längen.

All das deutet darauf hin, dass „Mother!“ ein innovativer und gut gemachter Film ist. Leider kann die Handlung meiner Ansicht nach nur bis zur Hälfte der rund zweistündigen Laufzeit mit der ambitionierten Technik mithalten. In der ersten Stunde rätselt man – wie oben angedeutet – noch mit, was es mit dem Haus und seinen Bewohner:innen sowie den ungebetenen Gästen auf sich hat. Ungefähr zur Halbzeit gibt es dann einen größeren Zeitsprung – und ab diesem Moment nehmen die Längen deutlich zu. Und das, obwohl der Film zunehmend irrational und fantastisch wird, was eigentlich die Spannung erhöhen sollte. Leider verliert sich „Mother!“ in immer groteskere Momente, ohne auch nur ansatzweise eine Möglichkeit zu bieten, an der man sich festhalten kann.

Höhepunkt ist die letzte halbe Stunde, die im Wesentlichen einer surrealen Achterbahnfahrt gleichkommt, deren Zweck im Kontext des bis dahin Gesehenen kaum zu entschlüsseln ist – zumindest ging es mir so, vielleicht habe ich auch etwas übersehen, wer weiß. So oder so habe ich jene Sequenz als höchst anstrengend empfunden – und auch als unbefriedigend, weil mir zum Schluss ziemlich egal war, was der Regisseur uns mit seinem Film überhaupt sagen wollte. Und das ist schade, denn alles, was davor behandelt wurde, hätte eigentlich Denkanstöße zur Genüge geboten – tatsächlich hat mir aber die zweite Stunde die Lust darauf genommen, weil sie dermaßen abgehoben war (beispielsweise findet plötzlich mitten im Haus eine Art Bürgerkrieg statt, inklusive Schusswaffen, Granaten, Tränengas usw.).

Manche Schreiber:innen wollten „Mother!“ ja als möglichen Oscar-Kandidaten sehen. Letztlich reichte es nicht einmal für eine Nominierung, was ich ehrlich gesagt wenig verwunderlich finde, was aber gleichzeitig auch kein Beinbruch ist, weil die Auszeichnung ohnehin eher fragwürdig ist (aber das ist eine andere Geschichte). Ich glaube allerdings nicht, dass man Kamera, Schnitt und Darsteller:innen viel vorwerfen kann, im Gegenteil, all diese Aspekte fand ich durchgehend gelungen – der Inhalt stinkt in der zweiten Hälfte aber dennoch ab, wenn man mir diese harsche Wortwahl verzeiht (die aber auch zeigt, dass ich wirklich enttäusch war). Für ein breiteres Publikum ist „Mother!“ aber so oder so nicht unbedingt geeignet, würde ich sagen. Wer gern mal einen etwas anderen Film sehen möchte, kann jedoch definitiv einen Blick riskieren.

Gesamteindruck: 4/7


Originaltitel: mother!
Regie:
Darren Aronofsky
Drehbuch: Darren Aronofsky
Jahr: 2017
Land: USA
Laufzeit: ca. 120 Minuten
Besetzung (Auswahl): Jennifer Lawrence, Javier Bardem, Michelle Pfeiffer, Ed Harris



FilmWelt: The Batman

Ich meine, irgendwo gelesen zu haben, dass „The Batman“ (2022) mit (oder trotz) seiner Laufzeit von 3 Stunden wie ein überlanger Vorspann wirkt. Stimmt, irgendwie. Und doch ist der erneute Reboot, ausgerechnet mit dem als romantischen Vampir bekannt gewordenen Robert Pattinson in der Hauptrolle, deutlich besser, als diese Zuschreibung nahe legt. Warum das so ist und was die zweifellos vorhandenen Schwächen des Films sind, versuche ich im Folgenden herauszuarbeiten.

Gesamteindruck: 5/7


Gotham noir.

Bevor wir zum Film kommen, sei mir eine Frage gestattet: Was soll das mit diesen ständigen Remakes, Reboots, Sequels und Prequels eigentlich? Für mein Gefühl hat die Wiederverwertung bekannten Stoffs in den vergangenen 10 Jahren (ich schreibe diesen Text im April 2022) geradezu groteske Ausmaße angenommen. Als Freund halbwegs konsistenter und kanonischer Geschichten kann man das eigentlich nicht gut heißen – wobei ich gleichzeitig konstatieren muss, dass das in diesem Fall die einzig vernünftige Herangehensweise an das früh gescheiterte DC Extended Universe sein dürfte. Am besten ist also, man vergisst Gedanken wie Wie verhält sich dieser Batman zu jenem aus „Justice League“? Wie zum Joker von 2019? und betrachtet jeden dieser Filme vollkommen für sich.

Worum geht’s?
Gotham City ist ein von Korruption und mafiösen Strukturen durchsetzter Moloch. Weite Teile der Polizei stehen auf der Lohnliste brutaler Gangster, die dadurch praktisch freie Hand in der Stadt haben. Die wenigen Beamten, die nicht käuflich sind, haben hingegen keine Chance, dem Verbrechen Herr zu werden. Es gibt allerdings einen Mann, der versucht, für Ruhe und Ordnung zu sorgen – indem er als maskierter Rächer allein und außerhalb des Gesetzes gegen die Schurken antritt. Viel scheint sein Kampf nicht zu bringen – bis er eines Nachts eher zufällig beginnt, die größeren Zusammenhänge zu erkennen…

Zur Einordnung dieses Werkes, das den Auftakt einer weiteren Reihe über den Dunklen Ritter bilden soll, muss man kurz auf bisherige Filme zu diesem Thema referenzieren: Meiner Ansicht nach steht dieser „The Batman“ in der Tradition der Filme von Tim Burton („Batman“, 1989 und „Batmans Rückkehr“, 1992), in denen Michael Keaton die Titelrolle inne hatte. Denn im Gegensatz zur Nolan’schen „The Dark Knight“-Trilogie (2005-2012, mit Christian Bale) lernen wir die Fledermaus diesmal als fertigen Rächer kennen. Über seine Jugend erfahren wir kaum etwas, das über Andeutungen hinausgeht, wie er zu seiner Ausrüstung gekommen ist und zu kämpfen gelernt hat, wird bestenfalls angerissen. Der (Anti-)Held ist hier ein gegebener Faktor in Gotham City – ganz so, wie er es in den alten Filmen und Serien war.

Und doch unterscheidet sich unser Mann von seinen frühen Inkarnationen – denn noch nie war Batman derart düster und ernst, wie ihn Matt Reeves inszeniert hat. Das hat wohl auch damit zu tun, dass die Zeiten, in denen ein Held ohne Persönlichkeit, vor allem aber ohne Tragik, auskommen musste, längst passé sind. Das war bereits an Nolans Filmen deutlich zu erkennen, „The Batman“ setzt noch zwei drauf: Einerseits suchen Regenmenge und Finsternis in Gotham City ihresgleichen, andererseits ist das Herz der Titelfigur so düster wie die Stadt selbst. „The Batman“ ist völlig humorlos, mehr noch als Christopher Nolan es seiner Trilogie zugestanden hat, die immerhin ein paar witzige One-Liner von Heath Ledger zu bieten hatte. Hier kann ich mich hingegen an keinen Moment erinnern, in dem sich der Hauptdarsteller auch nur der Anflug eines Lächelns abringt. Das betrifft übrigens auch die anderen Figuren: Wenn mal gelacht wird, dann wahlweise bitter oder verrückt, nie jedoch humorvoll.

Nicht falsch verstehen: Batman ist per se ein düsterer Held. Aber dieser Film erreicht eine Trostlosigkeit und eine Stimmung, die ich mir im Superhelden-Genre so nicht hätte vorstellen können. Dazu tragen verschiedene Faktoren bei: „The Batman“ spielt praktisch nur nachts, in Gotham City regnet es, wie erwähnt, fast immer in Strömen, generell wirkt die Stadt wie in Lethargie und Angst versunken. Und auch der Soundtrack sollte nicht vergessen werden, weil er die Atmosphäre noch verstärkt. Es gibt aber eine Sache, die ganz besonders aufs Gemüt schlägt: Die Darstellung des Mannes, der sich die Nächte als Rächer im Fledermauskostüm um die Ohren schlägt. Bruce Wayne ist hier eine Figur, die ihrem alter ego in Sachen Bitterkeit in nichts nachsteht. Seinen Reichtum, der ihm überhaupt erst die Möglichkeit gibt, auf Verbrecherjagd zu gehen, sieht man ihm – im Gegensatz zu seinen bisherigen Inkarnationen – überhaupt nicht an. Überhaupt scheint im das Geld völlig egal zu sein, er wagt sich auch als Bruce Wayne kaum in die Öffentlichkeit – und nicht einmal die bisher immer so unerschütterliche Beziehung zu seinem Butler/väterlichen Freund Alfred Pennyworth, gespielt von Andy Serkis (!), ist frei von Problemen.

Die erwähnten Punkte machen „The Batman“ nicht gerade zu einem leicht verdaulichen Werk. Dennoch hat mir die Atmosphäre des Films ausgesprochen gut gefallen, weil dadurch einem altbekannten Thema tatsächlich noch einmal eigenständiges Leben eingehaucht wird. An dieser Stelle sei noch eine Sache erwähnt, die vielleicht nicht jedem Publikum schmeckt: Der Film ist sehr „trocken“, vor allem was seine Figuren betrifft. Heißt: Sieht man von einem Fledermauskostüm ab, sind alle Charaktere wahnsinnig realistisch und haben nichts vom bunten und absurden Comic-Look früherer Werke. Das ist hochinteressant und rückt den Film in eine ganz andere Richtung, als man es bei diesem doch sehr plakativen Titel erwarten würde (gleiches galt meines Erachtens schon für „Joker“).

Charaktere und Story überzeugen nicht voll.

Allerdings – ich habe es ja eingangs angedeutet – heißt all das nicht, dass „The Batman“ ohne Schwächen daherkommt. Zwei Dinge fallen besonders ins Auge: Erstens fand ich abgesehen von der Titelfigur keinen Charakter sonderlich überzeugend, am ehesten konnte noch Jeffrey Wright als ehrenwerter Polizist Jim Gordon punkten. Beim Rest des Casts hatte ich das Gefühl, dass die Rollen hinter Batman und dem quasi-Bösewicht, der Gotham City selbst ist, zurückstehen mussten. Mit Zoë Kravitz ist zwar eine grundsätzlich gute Besetzung der Catwoman gelungen, andererseits hat mich dieser Charakter fast gar nicht berührt – zu sehr auf Action getrimmt und mit zu wenig Tiefgang kommt mir die Katzenfrau hier daher. Schade auch, dass die Schurken nicht punkten können – was aber wohl schwer war, wenn Batman selbst ein dermaßen ambivalenter Charakter ist wie hier. Paul Dano spielt den Hauptantagonisten Riddler und hat das Problem, dass er bis zum Ende sein Gesicht nicht zeigen darf. Der Gedanke war wohl, das durch die üblichen Rätsel und die verrückte-bedrohliche Stimme zu kompensieren. Während letzteres passabel geglückt ist, fand ich die Rätsel, immerhin die Stärke dieses vermeintlichen Bösewichts, viel zu unspektakulär und langweilig. Im Finale kann Dano dann zwar einigermaßen zeigen, was in ihm steckt, das entschädigt aber nicht für die Stunden davor. Die zwei anderen Schurken im Bund sind übrigens ein Mafia-Boss, der letzten Endes jedem Klischee entspricht – und der Pinguin, ebenfalls ein Mafioso, bei dem ich mir auch deutlich mehr Tiefgang gewünscht hätte. Mal sehen, ob in weiteren Filmen noch etwas dazu kommt – denn eigentlich haben wir hier mit Riddler, Catwoman, Pinguin und – ganz als letzten Auftritt – den Joker, die gesamte Herrlichkeit der wichtigsten Batman-Antagonisten versammelt.

Der zweite Kritikpunkt ist die Handlung, die – gelinde gesagt – ziemlich dünn und belanglos ist. Dass mir die erzählte Geschichte nicht so recht gefallen will, passiert mir bei den Superhelden-Filmen der vergangenen Jahre relativ häufig. Im Falle von „The Batman“ ist es nicht anders: Unsere Lieblingsfledermaus legt sich mit einigen Schurken an, meist im durchaus gut inszenierten und choreografierten Faustkampf. Ansonsten beklagt man die Schlechtheit der Welt und versucht, dagegen vorzugehen. Die Polizisten sind korrupt, die Bösewichte gemein, der Riddler spricht in Rätseln usw. Ich weiß ehrlich gesagt nicht so recht, was ich dazu sagen soll: All das ist durchaus solide, aber im Endeffekt wenig spektakulär oder gar tiefgründig.

Fazit: Trotz allem ansehen!

Paradoxerweise kann ich mich an kaum einen Film, zumal mit einer solchen Mammutspielzeit, erinnern, an dem mich die zwar solide, aber kaum nennenswerte Handlung (gleiches gilt für das Gros der Charaktere) so wenig gestört hat. „The Batman“ hat seine Stärken woanders: In den atmosphärischen Bildern und in der nachdenklich-griesgrämigen Hauptfigur. Beides ist dermaßen stark umgesetzt, dass ich dem Film trotz der genannten Schwächen eine hohe Wertung gebe – denn eines ist nicht wegzudiskutieren: „The Batman“ hat mich mit seiner Wucht über die volle Laufzeit gefesselt und nie richtig gelangweilt. Dass habe ich auch daran gemerkt, dass mir erst nach Verlassen des Kinos aufgefallen ist, dass mir der Film ja gar keine so beeindruckende Geschichte erzählt hat. Er endet ja auch nicht mit einem Sieg für den Helden – sondern einfach mittendrin, was den eingangs erwähnten Eindruck eines überlangen Vorspanns noch verstärkt.

Nun, ich bin tatsächlich etwas sprachlos, wenn ich meine Kritikpunkte mit untenstehender Wertung vergleiche. Und doch: Jede:r der/die mit dem dunklen Ritter etwas anfangen kann, sollte sich „The Batman“ unbedingt ansehen. Dermaßen film noir war Batman noch nie – und jetzt bin ich wirklich gespannt auf die Fortsetzung.

Gesamteindruck: 5/7


Originaltitel: The Batman.
Regie:
Matt Reeves
Drehbuch: Matt Reeves, Peter Craig
Jahr: 2022
Land: USA
Laufzeit: ca. 180 Minuten
Besetzung (Auswahl): Robert Pattinson, Zoë Kravitz, Jeffrey Wright, Paul Dano, Colin Farrell, Andy Serkis



FilmWelt: A. I. Rising

Die Fragen nach Wesen und Möglichkeiten künstlicher Intelligenz waren früher der Science Fiction vorbehalten. Heute ist das anders: Die ungelenken Droiden aus „Star Wars“ scheinen wirken fast schon rückständig und selbst Data aus „Star Trek: The Next Generation“ scheint bald von der Wirklichkeit überholt zu werden. „A. I. Rising“ (2018) stellt folgerichtig eine Maschine in den Mittelpunkt, die vor nicht allzu langer Zeit noch nicht denkbar gewesen wäre, heute aber nicht mehr so weit von der technischen Machbarkeit entfernt scheint.

Gesamteindruck: 3/7


Befreiung einer Sklavin.

Auch wenn es derzeit noch nicht ganz mit intelligenten (im Sinne von selbständig denkenden) Maschinen funktioniert, ist es absehbar, dass die Entwicklung eines maschinellen Bewusstseins so fern nicht mehr ist. Die Fragestellung für die weitere Zukunft muss also einen Schritt weitergehen und sich beispielsweise mit der Möglichkeit auseinandersetzen, intelligente Roboter mit Emotionen auszustatten. Doch was ist eine Maschine mit Intelligenz und Emotionen? Ist das überhaupt noch ein Roboter? Oder ist es eine Art Mensch? Ist die Erschaffung derartiger Wesen überhaupt erstrebenswert? Und wie werden wir, die wir Maschinen nur als mechanische Diener nutzen, mit ihnen umgehen? Derartige Fragen harren mittlerweile tatsächlich auch außerhalb der Science Fiction ihrer Beantwortung. „A. I. Rising“ versucht sich an diesem überaus komplexen Thema.

Worum geht’s?
Im Jahr 2148 sind die Ressourcen der Erde bis in den letzten Winkel ausgebeutet. Die Hoffnung der Menschheit liegt bei den Sternen – und dorthin, genauer nach Alpha Centauri, startet als Pionier der Kosmonaut Milutin. Damit seine Psyche auf der langen Reise keinen Schaden nimmt, wird ihm die Androidin Nimani zur Seite gestellt. Verschiedene Verhaltensmuster, aus denen frei gewählt werden kann, sollen in jeder Hinsicht für Zerstreuung sorgen. Allerdings reicht es dem einsamen Kosmonauten bald nicht mehr aus, nur vorgefertigte Programme abzuspulen…

Dass Pornodarstellerin Stoya eine der beiden Hauptrollen in „A. I. Rising“ spielt, mag Kalkül gewesen sein – zumindest ist aber davon auszugehen, dass ihr doch recht bekannter Name die Zielgruppe für den Film erweitert hat. Und tatsächlich wird niemand, der/die angesichts dieser Besetzung auf viel nackte Haut hofft, enttäuscht: Stoya verbringt – ohne dass ich es gestoppt hätte – mehr als die Hälfte ihrer Screentime unbekleidet. Und ja, um auch das gleich abzufrühstücken: Man bekommt Sexszenen zu sehen, Softcore natürlich, aber definitiv expliziter, als es in einem Film aus Hollywood vermutlich der Fall gewesen wäre.

Wer nun denkt, dass die Freizügigkeit der Hauptdarstellerin nur Mittel zum Zweck wäre, täuscht sich meiner Meinung nach jedoch. Denn auch, wenn es schwer fällt, muss man speziell als Mann zugeben, dass die Art, wie Nimani und Milutin die Reise verbringen, in weiten Teilen durchaus realistisch anmutet. Mit anderen Worten: Es hätte zwar vermutlich auch mit weniger nackter Haut funktioniert, jedoch wird gerade dadurch die bedrückende Atmosphäre von „A. I. Rising“ zusätzlich verstärkt – denn freudvoll und leidenschaftlich ist es nicht, was sich zwischen den Charakteren abspielt.

Besser gespielt als vermutet.

Freilich ist die Atmosphäre von „A. I. Rising“ vor allem der Optik in Zusammenspiel mit dem Soundtrack geschuldet. Aber, und das kann man nicht genug betonen: Die Leistung von Stoya trägt viel mehr dazu bei, als das Standard-Vorurteil gegenüber ihrem Brotberuf vermuten lässt. Einerseits erfordert es die Rolle der Androidin, eine Balance zwischen kalter Technik und menschlicher Wärme zu finden – denn genau das ist es ja, das derartige Roboter so unheimlich macht. Ich weiß nicht, ob sich eine Stoya anhand ihrer zum Teil sehr schwierigen Erfahrungen in der Pornoindustrie leichter damit tut; Tatsache ist aber, dass sie die distanzierte Maschine, die Gefühle nur auf Knopfdruck zeigt, sehr gekonnt portraitiert. Andererseits hilft ihr dabei meines Erachtens ihr Aussehen, dem die Attribute fehlen, die man landläufig bei einer Pornoqueen vermutet. Dadurch ist ihre Rolle optisch näher an einem natürlichen, menschlichen Erscheinungsbild und hat nichts von der automatisierten Sexpuppe, was die Unterscheidung zwischen Mensch und Maschine stark verschwimmen lässt. Fazit: Chapeau Stoya, wirklich gut gemacht!

Hauptdarsteller Sebastian Cavazza muss im Vergleich zu seiner zerbrechlich wirkenden Partnerin einen Charakter darstellen, der wenig Sympathisches an sich hat. Er ist ausgesprochen verschlossen und zeigt im Verlauf des Filmes immer widerwärtigere Verhaltensweisen. Das geht so weit, dass man auch zum Schluss hin, als man eigentlich das Gefühl hat, man müsse sich mit beiden Figuren identifizieren, keine Chance mehr hat, einen Zugang zu ihm zu finden. Ob das so beabsichtigt war, weiß ich nicht – ich denke aber, dass man das durchaus so machen kann, auch wenn der Film dadurch im Nachgang noch einmal düsterer wirkt, als während des ohnehin völlig humorlosen Verlaufs.

Nicht zu Ende gedacht.

All das klingt eigentlich vielversprechend und wird, wie angedeutet, in überzeugender Optik dargestellt (wer z. B. „Sunshine“, 2007, kennt, weiß ungefähr, wie „A. I. Rising“ aussieht). Dass mich der Film dennoch nicht überzeugen konnte, liegt einmal mehr am Drehbuch. Dabei ist die Prämisse eigentlich sehr interessant, wie an den von mir weiter oben aufgeworfenen Fragestellungen deutlich geworden sein mag. Nur macht „A. I. Rising“ zu wenig daraus, indem er sich voll und und ganz auf die problematische Liebesbeziehung zwischen Nimani und Milutin fokussiert. Und die ist, mit Verlaub, wenig spannend, weil vorhersehbar.

Einige Ansätze, die es wert gewesen wären, erkundet zu werden, sind ja vorhanden: So beginnt der Film beispielsweise mit dem starken Bild, dass der Kapitalismus die Erde komplett ausgebeutet hätte. Abgelöst wurde er offenbar durch ein sozialistisches Regime – was für die Handlung allerdings überhaupt keine Rolle spielt. Muss es auch nicht, aber dann wäre es besser gewesen, diese Tatsache ganz wegzulassen. Das vor allem auch, weil ein Raumschiff und eine Androidin, die Eigentum eines Großkonzerns sind, überhaupt nicht in meine Vorstellung eines sozialistischen Staates passen wollen…

Ein anderes Problem, an dem ich mich sogar noch mehr gestört habe: „A. I. Rising“ deutet technische Aspekte an, lässt sie dann aber völlig offen. Beispielsweise erfährt man nicht, wie lange die Reise nach Alpha Centauri dauern und welche Technologie sie überhaupt ermöglicht. Das hätte ich wichtig gefunden, um einschätzen zu können, wie lange sich die beiden Figuren überhaupt miteinander beschäftigen können und müssen – immerhin ist Alpha Centauri so weit weg, dass der Flug nach heutigen Maßstäben nicht in der Lebenszeit eines Menschen möglich sein kann. Die Bilder legen übrigens nahe, dass die Situation noch in unserem Sonnensystem völlig eskaliert, was die Frage aufwirft, wie man jemals hatte davon ausgehen können, dass ein Trip über mehr als vier Lichtjahre physisch und psychisch möglich wäre.

Es ist aber auch nicht erklärt, wie die Androidin eigentlich funktioniert bzw. welcher technische Fortschritt die Implementierung von Intelligenz und Emotionen ermöglicht hat. Der Film konzentriert sich fast völlig auf die Versuche des Kosmonauten, die Sicherheitsvorrichtungen zu überwinden und dadurch – wenn man so will – die Sklavin endgültig zu befreien. Auch hier: Man muss das nicht zwangsweise mit Technobabble erklären, sollte dann aber zumindest stärker auf die ethischen Implikationen, die sich daraus ergeben, eingehen. Leider passiert das nicht, im Gegenteil, die Dialoge sind ganz und gar nicht dazu angetan, das philosophische Dilemma dieser Situation zu adressieren.

Fazit: Meines Erachtens wäre eines von beiden notwendig gewesen, um „A. I. Rising“ zu einem wirklich guten Film zu machen: Mehr Technik oder mehr Philosophie. Beides kommt viel zu kurz, das Hauptaugenmerk liegt darauf, uns zu erklären, dass man auch eine Maschine nicht schlecht behandeln darf. Zumindest dann nicht, wenn die Möglichkeit besteht, dass sie dabei tatsächlich etwas empfinden könnte, das über die reine Simulation von Emotionen hinausgeht. Diese Lektion zu erteilen, schafft „A. I. Rising“ auch, bleibt dabei aber so oberflächlich, dass ich mich letzten Endes trotz guter Ansätze zu keiner besseren Wertung aufraffen kann. Symptomatisch, dass mein persönliches Highlight des Films der Hinweis auf die bereits 1942 von Isaac Asimov formulierten Robotergesetze ist – auch hier, ohne dass das dahinterliegende Konzept ausführlich behandelt wird.

Gesamteindruck: 3/7


Originaltitel: A. I. Rising.
Regie:
Lazar Bodroza
Drehbuch: Dimitrije Vojnov
Jahr: 2018
Land: Serbien
Laufzeit: ca. 85 Minuten
Besetzung (Auswahl): Sebastian Cavazza, Stoya, Marusa Majer



FilmWelt: Meander

„Meander“ (2020, Subtitel: „Survival Instinct“) setzt auf eine Prämisse, die man aus Filmen wie „Cube“ (1997), „Saw“ (2004) und Co kennt: Ein Entführungsopfer erwacht in einer unbekannten, verstörenden und mit tödlichen Fallen gespickten Umgebung. Und wie in den bekannten Vorbildern geht es auch in dieser französischen Indie-Produktion darum, aus dem Gefängnis zu entkommen und gleichzeitig eine Antwort auf die Frage „warum bin ich hier?“ zu finden.

Gesamteindruck: 4/7


Verschlungene Gänge.

Abseits der unerfreulichen Situation, in der sich die Hauptfigur in „Meander“ befindet, ist vorliegendes Werk sehr ähnlich inszeniert und vor allem auch ausgestattet wie „Cube“: Die minimalistische Umgebung wirkt metallisch-kalt, vage futuristisch und ist mit Fallen versehen, die Kenner:innen sehr bekannt vorkommen dürften (z. B. Säure und Feuer). Und: Wie im kanadischen Referenzwerk von 1997 müssen auch hier Codes entschlüsselt werden, die offenbar die Navigation durch das Labyrinth ermöglichen. So weit, so ähnlich – was „Meander“ hingegen von seinen Genregenossen unterscheidet und wie gut mir der Film überhaupt gefallen hat, möchte ich im Folgenden herausarbeiten.

Worum geht’s?
Lisa macht das, was man tunlichst vermeiden sollte: Sie lässt sich von einem Fremden im Auto mitnehmen. Bereits nach wenigen Minuten entpuppt sich ihre Mitfahrgelegenheit Adam tatsächlich als Bösewicht und schlägt sie k. o. Als sie wieder zu sich kommt, befindet sie sich in einem kleinen Raum, der nur einer von vielen zu sein scheint, die über ein labyrinthisches Tunnelsystem miteinander verbunden sind. Dass der Fluchtweg durch die engen Gänge führen muss, scheint klar zu sein – doch leider lauern dort tödliche Fallen, wie Lisa schnell feststellen muss…

Der augenfälligste Unterschied zwischen „Cube“ und „Meander“ liegt meines Erachtens darin, dass es in vorliegendem Werk nur eine Haupt- und eine Nebenfigur gibt, sich also kein Ensemble durch tödliche und sadistische Fallen kämpft. Daher vielleicht gleich ein Wort zu den Darsteller:innen: Die unglückliche Anhalterin Lisa wird von Gaia Weiss verkörpert, der ich für ihre Performance ein dickes Lob aussprechen muss. Aufgrund des Settings ist sie weitgehend gezwungen, ihre Arbeit im Sitzen und Liegen zu verrichten, was per se schon eine schwierige Situation ist. Dass sie aber trotz dieser Umstände in der Lage ist, über Körpersprache und Mimik die volle Bandbreite an Emotionen (von Verzweiflung über Trauer bis hin zu Wut und Entschlossenheit) abzuliefern – und das sehr überzeugend – ist aller Ehren wert. In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass das Drehbuch die Figur glücklicherweise nicht zu einer Superheldin macht, sondern sie bis zum Schluss verletzlich und emotional instabil charakterisiert. Das scheint sowohl der Schauspielerin als auch dem von ihr verkörperten Charakter sehr gut zu Gesicht zu stehen.

Neben Weiss ist im Endeffekt nur ein weiterer Schauspieler mit nennenswerter Screentime im Einsatz: Der Finne Peter Franzén spielt den Antagonisten Adam. Allzu viel ist dazu nicht zu sagen, beschränkt sich seine Rolle im Großen und Ganzen doch darauf, sein Opfer durch enge Tunnel zu verfolgen. Dialoge gibt es kaum, sodass die Chemie zwischen den beiden vor allem über das körperliche Spiel zustande kommen muss. Daran finde ich wenig auszusetzen – besser so, als von schlecht geschriebenen Gesprächen eingeschläfert zu werden. Dennoch wäre etwas Interaktion, die über ein paar Tritte und ständiges Wegrennen hinausgeht, schön gewesen.

Bevor wir zum Inhalt kommen, kurz zur Optik: Generell finde ich, dass „Meander“ sehr gut aussieht. Die Umgebung ist mal klinisch sauber, dann wieder dreckig und abgefuckt; garniert ist das Ganze mit glaubwürdigen Effekten, die immer mal wieder ordentliches Ekelpotenzial haben. Lobend hervorheben möchte ich außerdem die Kameraarbeit, bei der man wohl davon ausgehen kann, dass sie unter ähnlich schwierigen Bedingungen stattgefunden haben muss, wie sie die Hauptfigur durchlebt. Aber auch, wenn dem nicht so gewesen sein sollte: Chapeau an die Kamera-Crew, denn „Meander“ sieht aus Sicht des Publikums rechtschaffen eng und klaustrophobisch aus. Wenn für’s Filmen ausreichend Platz vorhanden gewesen ist, sieht man das dem Endprodukt jedenfalls nicht an, was ein Zeichen für das handwerkliche Geschick aller Beteiligten ist.

Erzählung ist nicht Fisch, nicht Fleisch.

Ich möchte den Vergleich mit „Cube“ eigentlich nicht überstrapazieren, an dieser Stelle muss ich aber doch noch einmal darauf zurückgreifen: Einer der ganz großen Vorzüge des Werks von Regisseur Vincenzo Natali war – neben der schlichten Eleganz – seine reduzierte Story. Heißt: Der Film war auch deshalb so speziell, weil an keiner Stelle klar gesagt oder gar gezeigt wurde, was der titelgebende Würfel eigentlich ist, welchen Sinn er hat und wer dahinter steckt. Eine Auflösung der Situation gibt es bis zum Schluss nicht, was im ersten Moment geradezu unerträglich und so in der Filmgeschichte bis dahin auch mehr oder minder beispiellos gewesen ist.

Bei „Meander“ ist das etwas anders, denn hier gibt es ein „Draußen“, dass wir auch gleich zu Beginn des Films zu Gesicht bekommen. Und hier gibt es auch eine Hintergrundgeschichte zu den Charakteren. Kann man so machen, zumal die erste Hälfte der Laufzeit, vielleicht sogar etwas länger, weitgehend unklar bleibt, wozu das Labyrinth eigentlich dient. Konsequent durchgezogen wird das allerdings nicht, denn im weiteren Verlauf wird man von „Meander“ schon darauf hingestoßen, wer oder was für die Situation verantwortlich sein könnte. Das mag die Neugier im Gegensatz zum fast komplett offenen „Cube“ zwar stärker befriedigen, einen richtigen Gefallen tut sich Regisseur Mathieu Turi damit meines Erachtens aber nicht. Denn wie so oft ist das Grauen weit weniger schlimm, wenn man es zu Gesicht bekommt. Hier führt das auch dazu, dass der Film im weiteren Verlauf mehr von Action und Ekel lebt, als von der vorher aufgebauten, verstörenden Szenerie. Schade, vielleicht aber auch verständlich – denn hätte der Regisseur das anders gemacht, müsste man zu Recht von einer „Cube“-Kopie sprechen.

So oder so muss man letzten Endes leider konstatieren, dass „Meander“ mit seinen eigenen Erklärungen nicht richtig zurande kommt. Die Story will tiefgründig wirken, scheint mir aber fast als Alibi für die Situation als solche zu fungieren. Zum Ende hin läuft sie dann komplett aus dem Ruder, sodass man erst Recht nicht weiß, was genau passiert und was davon zu halten ist. Dass das alles nicht so richtig funktioniert, liegt meiner Meinung nach daran, dass sich Turi nicht entscheiden konnte, ob sein Film von Andeutungen leben oder doch ausformuliert sein soll. So macht er leider keines von beiden richtig, was dazu führt, dass „Meander“ am Ende weder Fisch noch Fleisch ist.

Schade – denn wie gesagt ist die Situation als solche schon bedrückend und angsteinflößend. Als Schlusspunkt wäre halt eine bessere (oder besser gar keine) Auflösung angesagt gewesen. Dann hätte es auch für eine höhere Wertung gereicht.

Gesamteindruck: 4/7


Originaltitel: Méandre.
Regie:
Mathieu Turi
Drehbuch: Mathieu Turi
Jahr: 2020
Land: Frankreich
Laufzeit: ca. 90 Minuten
Besetzung (Auswahl): Gaia Weiss, Peter Franzén



FilmWelt: ARQ

An diese Stelle hätte ich im Wesentlichen den Text kopieren können, den ich in meiner Rezension zu „TAU“ (2018) als Einleitung geschrieben habe. Denn auch „ARQ“ (2016) ist so ein Werk, das mir beim gelangweilten Durchsehen meiner Netflix-Empfehlungen offenbar stark genug aufgefallen ist, um es meiner Watchlist hinzuzufügen. So etwas passiert bei mir ja recht schnell und hat zur Folge, dass jene Liste (und ihre Pendants bei anderen Diensten) zum Bersten gefüllt und damit alles andere als eine Entscheidungshilfe ist. Noch schlimmer: Trotz chronischen Zeitmangels zwingt mich die Liste sozusagen, Filme anzusehen, bei denen schon zu erahnen ist, dass sie unter „das war wohl nix“ fallen würden. „ARQ“ ist allerdings eine löbliche Ausnahme von dieser Regel.

Gesamteindruck: 5/7


Und täglich grüßt… der Tod.

Die Ähnlichkeit zwischen „TAU“ und „ARQ“ beschränkt sich übrigens nicht nur auf den in Versalien geschriebenen 3-Buchstaben-Titel. Beide Filme sind von Netflix produziert und spielen in einem einzigen Haus und drehen sich um ein klassisches Science Fiction-Phänomen: „TAU“ ist mit der Frage nach dem Wesen künstlicher Intelligenz näher an unserer Zeit, „ARQ“ nimmt sich mit der Zeitreise einem Thema an, das (noch?) keine Entsprechung in der Gegenwart hat. Mehr Gemeinsamkeiten gibt es allerdings nicht – sieht man davon ab, dass beide Filme andeutungsweise in einer dystopischen Zukunft zu spielen scheinen, was aber weder hüben noch drüben erschöpfend behandelt wird.

Worum geht’s?
Nur Sekunden, nachdem Renton aufgewacht ist, stürmen bewaffnete Männer sein Schlafzimmer, reißen ihn aus dem Bett und zerren ihn durch die Tür. Als sich der Überraschte zu wehren beginnt, stürzt er, bricht sich das Genick und… erwacht wieder in seinem Bett. Bevor er der neben ihm liegenden Hannah auseinandersetzen kann, was passiert ist – oder ob es nur ein Traum war – passiert es erneut: Bewaffnete dringen gewaltsam ins Schlafzimmer ein und nehmen ihn mit… wieder kommt Renton ums Leben, wieder erwacht er in seinem Bett und langsam dämmert ihm, dass diese merkwürdigen Ereignisse mit dem ARQ, einer von ihm erfundenen Maschine, zu tun haben könnten…

Die Suche nach möglichen Vorbildern für „ARQ“ fällt leicht: Hier ist z. B. ganz viel von „Und täglich grüßt das Murmeltier“ drin – oder, wenn man es etwas ernsthafter haben möchte, von der „Star Trek – The Next Generation“-Folge „Déjà Vu“. Die kam übrigens 1992, also noch ein Jahr vor der denkwürdigen Komödie mit Bill Murray, was zwar nichts mit „ARQ“ zu tun hat, mir bis vor wenigen Minuten aber überhaupt nicht bewusst war. Interessant. Zu genannten Werken könnte man ferner, um eine etwas neuere Variante zu nennen, „Edge of Tomorrow“ (2014) hinzufügen.

Es geht hier also, wie unschwer zu erkennen sein sollte, um das die Zeitschleife, eine spezielle Form der Zeitreise. Im Wesentlichen dreht sich alles darum, dass die Protagonist:innen in scheinbar endloser Wiederholung die immer gleiche Sequenz von Ereignissen durchleben. Dass sich die Charaktere entweder sofort oder nach und nach an vorangegangene Schleifen erinnern können und dieses Wissen nutzen, um die Ereignisse zu manipulieren, macht einen Teil der Faszination dieser Prämisse aus. Ziel ist es in der Regel, den Teufelskreis zu durchbrechen, was entweder gelingt, indem sich die Protagonist:innen selbst hinterfragen und zu einem besseren Individuum werden („Und täglich grüßt das Murmeltier“), indem sie eine Katastrophe verhindern („Déjà Vu“) oder eine andere, oft technische Lösung finden, indem sie z. B. die Zeitmaschine vernichten und damit die Welt wieder gerade rücken. Letzteres ist meines Erachtens das, was in „ARQ“ versucht wird, wobei der Film in dieser Hinsicht eher vage bleibt – aber dazu weiter unten mehr.

Was vorliegenden Titel von den mir bekannten Beiträgen zur Zeitschleifen-Problematik unterscheidet, hat vor allem mit der Perspektive zu tun, die ich so noch nicht häufig (oder gar nicht) gesehen habe: Regisseur und Drehbuchautor Tony Elliot („ARQ“ ist der erste Langfilm des Serien-Spezialisten) gestaltet den Blickwinkel variabel. Das heißt, dass wir in der einen oder anderen Iteration zu sehen bekommen, was die Antagonisten machen, denen im Laufe der Handlung ebenfalls bewusst wird, sie immer wieder die gleichen Ereignisse erleben. Daraus ergeben sich trotz des naturgemäß repetitiven Charakters von „ARQ“ sehr interessante Differenzen in der gleichen Geschichte, was mir ungemein gut gefallen hat und eine erfrischende Neuerung in einem im Laufe der Jahre recht häufig beackerten Feld darstellt.

Ein starkes Drehbuch.

Aber auch abseits dieses Alleinstellungsmerkmals ist „ARQ“ stark, denn das Drehbuch hält jede Menge Twists parat, die nicht in jedem Fall mit der Zeitschleife zu tun haben, sondern vor allem in den Charakteren liegen. Ohne zu viel zu verraten: Das anfangs simpel wirkende Schema von Gut und Böse verschwimmt im Laufe der Handlung zusehends, was dem Film ein zusätzliches Spannungselement verleiht; man weiß nie so richtig, was einen in der nächsten Schleife erwartet. Das hätte ich so nicht erwartet, weil „ARQ“ ja eigentlich so aufgebaut ist, dass man meint, es ginge „nur“ darum, aus dieser Situation zu entkommen. Das ist aber nur ein Aspekt der Handlung, während sich der Rest in Thriller-Manier mit Täuschung und Verrat beschäftigt, was den Film letztlich doch recht deutlich von seinen Genregenossen abhebt.

Was mir außerdem sehr gut gefällt, ist die Art und Weise, wie der Film seine eigene Story konstruiert bzw. im Laufe der Schleifen re-konstruiert. Das wirkt auf mich sehr durchdacht und so, als hätte der Regisseur ganz genau gewusst, was er da tut. Dafür nimmt er anfangs sogar Frustmomente im Kauf – denn während z. B. „Und täglich grüßt das Murmeltier“ Story und Charaktere von Beginn an klar umreißt, erschließen sich die Gegebenheiten bei „ARQ“ schrittweise und nicht zwingend chronologisch. Heißt: In den ersten zwei, drei Szenen versteht man teilweise überhaupt nicht, worum es geht und wer die Figuren auf dem Schirm eigentlich sind. Eine mutige Entscheidung, die sich im Endeffekt aber lohnt, weil es durchaus befriedigend ist, wie die Puzzleteile nach und nach an ihren Platz fallen.

Was bei den Pluspunkten auch nicht unerwähnt bleiben sollte: „ARQ“ wurde zwar von Netflix produziert, das Budget war aber vergleichsweise gering. Der Großteil des Films spielt in einem einzigen Haus; dort fällt der budgetäre Aspekt nicht allzu sehr ins Gewicht, sieht man von (sehr seltenen) Splatter-Szenen ab, die etwas billig wirken (per se aber ganz gut zum Film passen). Gegen Ende hin geht es auch mal nach draußen, wo man zu Gesicht bekommt, was bis dahin nur in Dialogen angedeutet wurde: „ARQ“ spielt nach einer nicht näher genannten, weltweiten Katastrophe. Klar, dass die Machart des Films die Spannung, wie das Draußen wohl aussehen würde, in schwindelerregende Höhen treibt. Was man dann zu sehen bekommt, ist eher unspektakulär, ich denke aber, dass die Optik für die Mittel, die für diesen Film aufgewendet wurden, vollkommen in in Ordnung ist. Abgesehen davon ist hier die Handlung ohnehin wichtiger.

Ein paar Erklärungen zu wenig.

Ein bis dato unerkanntes Meisterwerk ist „ARQ“ trotz der genannten Vorzüge allerdings nicht. Dass Hauptdarsteller Robbie Amell mehr an einen Action-Helden als an einen genialen Wissenschaftler erinnert, ist zwar kein Beinbruch, stört die Atmosphäre aber tatsächlich ein wenig (seine Ex-Freundin Hannah wird hingegen sehr passend von Rachael Taylor verkörpert). Was mich hingegen wirklich gewurmt hat: „ARQ“ unternimmt nicht einmal den Versuch, zu erklären, wie die Zeitschleife eigentlich funktioniert. Man bekommt zwar ein recht billig aussehendes, merkwürdiges Gerät zu Gesicht, das wohl eine Art Perpetuum mobile sein soll, was es damit aber auf sich hat, muss man sich selbst zusammenreimen.

Ich verstehe schon, dass das nicht der Fokus der Handlung ist – ein wenig mehr „Fleisch“ hätte dem Film an dieser Stelle aber nicht geschadet. Hinzu kommen gewisse logische Ungereimtheiten – so laufen beispielsweise Uhren mit Fortdauer des Films sichtbar schneller, was meines Erachtens aber nicht von den Charakteren bemerkt werden dürfte, wenn die sich weiterhin in normaler Geschwindigkeit durch den Raum bewegen. Kleinlich? Mag sein, aber dadurch, dass es hier – im Gegensatz zu „Und täglich grüßt das Murmeltier“ – eine eindeutige, technische Komponente gibt, die den Zeitsprung auslöst, hätte ich mir dazu auch eine gewisse Pseudo-Wissenschaftlichkeit gewünscht.

Einen Punkt möchte ich noch ansprechen, bevor ich zum Fazit komme: Den Schluss von „ARQ“ fand ich enttäuschend. Um es deutlich zu sagen: Es wirkt, als hätte schlicht und ergreifend niemand eine Idee gehabt, wie man die Story vernünftig zu Ende führen soll. Ein Happy End war angesichts des allgemeinen Tenors wohl zu Recht keine Option, sodass man sich für eine zweitschlechteste Alternative entschieden hat: Das Ende ist offen, es geht also alles wieder von vorne los – ob das nun besser oder schlechter als die auf unterschiedliche Weisen aufgelösten Zeitschleifen anderer Werke ist, sei dahingestellt; meinen Geschmack hat es jedenfalls nicht getroffen, weil es sich merklich nach einer Verlegenheitsoption anfühlt.

Fazit: Sehenswert.

Ich würde „ARQ“ trotz der genannten Schwächen allen empfehlen, die eine Vorliebe für das Konzept der Zeitreise und ihrer Konsequenzen haben. Wie sehr die fehlende Wissenschaftlichkeit fehlt, hängt meines Erachtens stark vom persönlichen Geschmack ab. Ich gebe jedoch zu bedenken, dass mir selbst solche Dinge in der Regel sehr wichtig sind, ich „ARQ“ aber trotz ihrer Abwesenheit als spannend und unterhaltsam empfunden habe. Wer nicht so viel Wert darauf legt, alles möglichst lückenlos erklärt zu bekommen, wird an dieser Stelle ohnehin keine Probleme mit dem Film haben und erlebt einen spannenden Thriller, in dem nichts so ist, wie es anfangs scheint. Das dürfte sogar funktionieren, wenn man mit der Zeitschleifen-Thematik nicht warm wird, weil der Regisseur es meines Erachtens völlig unabhängig davon schafft, eine interessante und überraschende Geschichte zu erzählen.

Größter Wermutstropfen ist das Finale. Das ist eigentlich sogar recht konsequent, dennoch hinterlässt es das Publikum eher ratlos, weil das Gefühl dominiert, alles, was die Charaktere zuvor erlitten haben, wäre sinnlos gewesen. Ob das in diesem Ausmaß gewollt war, wage ich nicht zu beurteilen. So oder so: „ARQ“ ist definitiv sehenswert und hätte mit einem etwas … naja… „besseren“ Finale (was auch immer das heißen mag) mindestens einen Punkt mehr bekommen. Aber auch so sollten Science Fiction-Fans unbedingt einen Blick riskieren – es lohnt sich.

Gesamteindruck: 5/7


Originaltitel: ARQ.
Regie:
Tony Elliott
Drehbuch: Tony Elliott
Jahr: 2016
Land: USA, Kanada
Laufzeit: ca. 90 Minuten
Besetzung (Auswahl): Robbie Amell, Rachael Taylor, Shaun Benson, Gray Powell, Adam Butcher