Es gibt Spiele, die zunächst so unspektakulär aussehen, dass man sie ohne große Erwartungen installiert. Und ehe man sich’s versieht, hat man über 100 Stunden investiert und schafft es kaum, sich davon zu lösen. „AI War: Fleet Command“ (2009, von der mir völlig unbekannten US-Firma Arcen Games) ist so ein Fall: Nach wie vor kann ich nicht fassen, wie viel Zeit ich in dieses so minimalistisch anmutende Programm gesteckt habe.
Gesamteindruck: 6/7
Minimalismus mit Tiefgang.
Auf den ersten Blick scheint der Fall klar zu sein: „AI War“ sieht aus wie typische, staubtrockene Weltraum-Strategie. Wobei „typisch“ wohl nicht der richtige Ausdruck ist, denn was das kleine US-Studio Arcen Games hier vorlegt, ist speziell grafisch noch einmal deutlich reduzierter als fast alles, das aus dem Genre kennt: Stationen und Einheiten sind wenig mehr als Symbole, Planeten höchstens zweckmäßig dargestellt und vieles, das darüber hinausgeht – z. B. die Forschung – meist eine Kombination aus Texten und ein paar Buttons. Das gilt übrigens auch für die Story, die kaum der Rede wert ist und für deren Präsentation ein kurzer Lauftext reicht.
Darum geht’s:
In einem furchtbaren intergalaktischen Krieg hatten die Kontrahenten nur eine Möglichkeit gesehen, die Oberhand zu gewinnen: Sie hatten jeweils eine künstliche Intelligenz geschaffen, die helfen sollte, die gegnerische Partei zu vernichten. Doch es kam, wie es kommen musste: Die KIs lernten, wurden immer mächtiger und übernahmen schließlich die Kontrolle. Immerhin hatte diese Tragödie, der Millionen zum Opfer fielen, auch einen positiven Effekt: Zurückgedrängt auf ein letztes Refugium stellten die Menschen ihre kleinlichen Streitereien hintan und starteten – endlich vereint – den verzweifelten Versuch, die Galaxis zurückzuerobern…
Die Hintergrundgeschichte ist letztendlich nebensächlich: Ob die Menschheit nun gegen sich selbst Krieg führt, von Außerirdischen angegriffen wird oder die Technik sich gegen ihre Schöpfer wendet, spielt am Ende keine allzu große Rolle. Zumal die Handlung in vorliegendem Fall im Laufe der Kampagne in keiner Form vorangetrieben wird; es gibt keine Story-relevanten Zufallsereignisse, keine Zwischensequenzen, wenn sich beispielsweise das Kriegsglück wendet und auch sonst sieht man den Fortschritt im Spiel hauptsächlich an den – je nach aktuellem Besitzer – unterschiedlich eingefärbten Sternensystemen. Und doch (oder gerade deshalb?) reicht diese minimalistische Herangehensweise, um ein spannendes Erlebnis zu generieren, das sich allerdings weitgehend im Kopf des:der Spieler:in abspielt. Und noch eines macht die knappe Story: Sie bereitet optimal auf ein Setting vor, in dem man von Anfang bis Ende unterlegen ist und schwer zu kämpfen hat.
Die Technik: Weniger ist (manchmal wirklich) mehr.
Zuerst möchte ich kurz auf die Technik eingehen. Die Optik ist auf den Screenshots deutlich zu erkennen: Es dominieren in der Standard-Ansicht neben dem recht schönen Hintergrund vor allem Symbole, die für Einheiten und Basen stehen. Man kann zwar auch ganz nahe heranzoomen und sieht dann z. B. ein Raumdock im Detail – ein grafisches Wunder darf man sich davon allerdings nicht erwarten. Zumal man ohnehin selten in die Verlegenheit kommt, wirklich so dicht ran zu müssen, auch weil so natürlich die in fast allen Situationen dringend nötige Übersicht verloren geht. Der Minimalismus endet hier aber nicht: Die Bedienung erfolgt über eine Mischung aus Symbolleisten und Menüs; erstere haben das Problem, nicht gerade intuitiv zu sein, letztere bestehen aus Texten und Tabellen. Und zwar ausschließlich, so etwas wie Bilder oder gar nur Schmuckgrafiken gibt es nicht.
Die Optik ist also ziemlich trocken und erleichtert die eh schon komplexe Bedienung, die neben der Maus und ihren Tasten auch von zahlreichen Keyboard-Kommandos Gebrauch macht, mitnichten. Die einzige Auflockerung ist genau genommen der Sound: Während die Effekte praktikabel sind und weder positiv noch negativ herausstechen, muss ich die Musik ausdrücklich loben; tatsächlich wirkt die hervorragende und qualitativ hochwertige musikalische Untermalung fast schon wie ein Fremdkörper, denn intuitiv hätte ich mit Blick auf Optik und Spielbarkeit darauf gewettet, dass „AI War“ mit ein paar Geräuschen und leichtem Ambient-Sound auskommt. Wobei: Viele Stücke enthält der Soundtrack nicht, gut ausgewählt sind sie dennoch. Und vor allem haben sie mich auch in den vielen Stunden, die ich mit dem Spiel verbracht habe, nie genervt (das mag bei noch längeren Sessions anders sein, ein Urteil darüber steht mir allerdings nicht zu).
Zur Spieldauer ist zu sagen, dass man für eine typische Kampagne laut Dokumentation zwischen 10 und 20 Stunden benötigt. Das kann ich nicht so richtig einschätzen – ich habe zwar deutlich mehr Zeit mit dem Spiel verbracht, bin dabei aber nur ein einziges Mal komplett durchgekommen. Der Grund dafür ist die überaus steile Lernkurve, die bei mir anfangs diverse Neustarts – gern auch mal nach einigen Stunden Spielzeit – notwendig gemacht hat; das alles auf einem relativ niedrigem Schwierigkeitsgrad, wohlgemerkt. Was man als Neuling also definitiv mitbringen sollte: Jede Menge Zeit und Frustresistenz, denn die schlichte Optik täuscht im ersten Moment darüber hinweg, dass wir es hier mit einem beinharten Strategiespiel zu tun haben.
Bevor wir nun in medias res gehen noch eine technische Besonderheit: Beim Aufsetzen einer Partie stellt man direkt fest, dass „AI War“ offenbar vorwiegend auf den Multiplayer-Modus ausgelegt ist. Interessanterweise aber nicht in der naheliegenden Jeder-gegen-Jeden-Variante, sondern als kooperative Version. Heißt: Es gibt IMMER zwei KIs, die besiegt werden müssen, um die Partie zu gewinnen – entweder im Alleingang oder gemeinsam im Verbund mit menschlichen Mitspieler:innen. Ausprobiert habe ich das nicht (ich weiß auch nicht, ob das heute überhaupt noch möglich ist), erwähnenswert scheint es mir aber zu sein, weil es doch eine recht unübliche Herangehensweise an das Genre sein dürfte.
Wie spielt es sich denn nu‘?
Kann man etwas nicht einordnen, sucht man ja immer eine Referenz. In vorliegenden Fall nicht ganz einfach, aber ich versuche es mal: Das Spielgefühl und die Mechaniken von „AI War“ erinnern mich am ehesten an die „Master of Orion 2: Battle at Antares“ (1996), in dem es ebenfalls in großer Detailtiefe darum geht, durch geschicktes Taktieren und Forschen eine komplette Galaxis zu erobern. Das kann aber nur ein grober Anhaltspunkt sein, denn die Unterschiede – auch zu anderen, ähnlich gelagerten Spielen – sind bei genauer Betrachtung recht groß. Ein Beispiel: In „AI War“ startet man als Spieler:in mit einem Sternensystem (in manchen Einstellungen sind auch drei möglich), was per se natürlich nicht ungewöhnlich ist. Allerdings ist der Rest der Galaxie, die aus weit über 100 Systemen bestehen kann, komplett in Feindeshand, sprich: Die Ausweitung des eigenen Territoriums ist von Anfang an mit Kampf verbunden (Diplomatie gibt es nicht, aber wie soll auch mit einem Computer verhandelt werden…). Ziel ist es, die gegnerischen Heimatplaneten zu erobern. Das sind, wie oben angedeutet, immer zwei, besetzt von jeweils einer künstlichen Intelligenz (englisch übrigens Artificial Intelligence, daher der Name des Spiels). Speziell auch: Um zu gewinnen, muss man theoretisch NUR diese beiden Planeten erobern, alles dazwischen ist optional. Und das sollte man durchaus beherzigen, denn wer unbedingt die gesamte Karte einnehmen möchte, wird sein blaues Wunder erleben (siehe nächster Absatz).
Wer ähnliche Werke kennt, wird versucht sein, so schnell wie möglich eine Streitmacht aufzubauen und direkt loszustürmen. Das ist anfangs eine durchaus valide Taktik – bis man irgendwann merkt, dass sie auf lange Sicht nicht zum Erfolg führt. Denn „AI War“ setzt auf eine sehr spezielle Art von KI, in der der Computer die Strategien seines:seiner menschlichen Kontrahent:in analysiert und darauf reagiert – je nach Schwierigkeitsgrad heftiger oder (etwas) milder. Zumindest behauptet Entwickler Arcen Games, dass es so funktioniert; ich bin angesichts meiner Erfahrungen mit dem Spiel nicht geneigt, dem zu widersprechen. Die Folge: Ist man extrem aggressiv, kann man sich darauf einstellen, dass man nach einigen recht einfachen Eroberungen mit voller Härte von mehreren Seiten gleichzeitig angegriffen wird. Bei der Einschätzung ob und wann es soweit ist, helfen diverse Anzeigen, darunter vor allem der AIP (= Artificial Intelligence Progress), der die Weiterentwicklung der KI angibt und das Thread Level, das anzeigt, wie bedroht sich der Gegner fühlt. Beides erhöht sich durch fast alle Aktionen gegen die KI und kann nur von ganz wenigen gesenkt werden. Man ist also gut beraten, möglichst unauffällig und unsichtbar zu bleiben, während man gleichzeitig vorankommen muss, was wiederum nicht völlig ohne Kollateralschäden geht.
In der Konsequenz fühlt sich ständig unter Zugzwang und im Zweifel, ob man den nächsten Planeten nun erobern soll oder ihn überspringt. Das ist, wie angedeutet, nicht nur möglich, sondern oft sogar notwendig, lässt aber diverse feindliche Basen im eigenen Rücken stehen, was wiederum ein überaus ungutes Gefühl ist. Einfach nichts zu tun oder extrem langsam vorzugehen ist übrigens auch problematisch, denn der AIP steigt mit der Zeit ganz von selbst mit durchaus unerfreulichen Folgen. Dazu kommt ständiger Rohstoffmangel, eine begrenzte Anzahl an Schiffen, die gebaut werden können und die endliche Ressource „Wissen“, die zur Erforschung besserer Einheiten nötig ist und die man nur steigern kann, indem man feindliche Planeten erobert, was wiederum obige Konsequenzen nach sich zieht. Über einen verzweigten Forschungsbaum verfügt „AI War“ indes leider nicht; aufgrund der allgemeinen Komplexität wäre das aber wohl zu viel des Guten gewesen.
Zwei weitere Komponenten machen das Spiel – neben diversen kleineren Dingen – noch einmal deutlich schwieriger als manchen Genre-Genossen. Erstens: Hat man sich zum Angriff entschlossen und eine hoffentlich ausreichend große Streitmacht versammelt, springt man ins Zielsystem und leitet das in pausierbarer Echtzeit ablaufende Gefecht. Die Krux daran: Im Extremfall treffen tausende Einheiten aufeinander, die theoretisch einzeln gesteuert werden könnten. Das ist freilich nicht praktikabel, weswegen das Spiel hier sehr gut und intelligent unterstützt – dennoch sollte man diesen Part nicht unterschätzen und überlegt es sich tatsächlich dreimal, bis man den Sprung wirklich wagt. Randnotiz: Man kann in „AI War“, wenn man es wirklich will, alles mikro-managen. Sinnvoll ist das allerdings nicht, das Spiel verfügt glücklicherweise über eine recht breite Möglichkeit an Automations-Stufen, die man dringend nutzen sollte, um Kopf und Hände für wichtigere Aufgaben frei zu haben.
Zweitens verfügt „AI War“ über eine weitere für derartige Spiele recht ungewöhnliche Mechanik: Die KI ist nicht nur schlau, was die Verteidigung ihrer Positionen betrifft, sondern insbesondere beim (Gegen-)Angriff überaus gefährlich. Daher ist man gezwungen, frontnahe Systeme schwer zu befestigen, was wiederum ein Ressourcenproblem darstellt: Eigentlich möchte man seine Schiffe ja für Angriffe nutzen, aber in besonders umkämpften Gebieten reichen stationäre Verteidigungsanlagen häufig nicht aus. Es bleibt also gar nichts anderes übrig, als eine Garnison zu stationieren, deren Schiffe dann freilich bei eigenen Angriffen fehlen mögen. Das hat etwas von Tower Defense, vor allem ist es neben den genannten Faktoren aber ebenfalls dazu geeignet, den:die Spieler:in in ständiger Angst zu halten; zumal es durchaus passieren kann, dass man seine Hauptflotte gerade zum Angriff auf einen Planeten führt, während am entgegengesetzten Ende des eigenen Territoriums die KI angreift. Solche Situationen kommen relativ häufig vor, wodurch das Spiel anfallsartig in puren Stress ausarten kann, wenn man nicht vorab klug gebaut und antizipiert hat. Generell dehnen sich die Fronten im Spielverlauf immer weiter aus, was zwar ein Indikator für den eigenen Erfolg, gleichzeitig aber immer schwerer zu verteidigen ist.
Fazit.
Ich denke, damit habe ich die technischen Besonderheiten und wichtigsten Mechaniken einigermaßen umrissen – ob „AI War“ dem eigenen Gusto entspricht, wird letzten Endes wohl nur durch Ausprobieren zu entscheiden sein. Wobei genau das ein Problem darstellen kann: Hätte ich nur ein oder zwei (oder 10) Stunden mit dem Spiel verbracht, hätte ich wohl keine Empfehlung aussprechen können. So hoch ist die Hürde, die es zu überspringen gilt, bis „AI War“ sich nicht mehr wie Arbeit anfühlt. Wobei es natürlich auch eine Frage der persönlichen Präferenz und Erfahrung ist: Mich hat das Spiel mehrere Stunden vor allem frustriert, meine Erfahrung sagte mir jedoch, dass sich irgendwo unter all diesem Aufwand ein überaus lohnendes Erlebnis versteckt. Und genau so war es dann auch, zumindest in meinem Fall.
Im Endeffekt würde ich „AI War“ allen, die mit Spielen wie „Master of Orion“ oder „Civilization“ etwas anfangen können, dabei aber nicht zu viel Wert auf die Präsentation legen, empfehlen. Schafft ihr es, euch soweit einzuarbeiten, dass die Bedienung halbwegs automatisch klappt und ihr die grundlegenden Mechaniken einigermaßen kapiert, erwartet euch ein reichhaltiges und tiefgehendes Strategiespiel. Allen, für die das nach mühseliger und aufreibender Kleinarbeit klingt, sei hingegen geraten, es mit einem etwas zugänglicheren Programm zu versuchen – davon gibt es ohnehin die deutlich größere Auswahl.
Gesamteindruck: 6/7
Genre: Strategie
Entwickler: Arcen Games
Publisher: Arcen Games
Jahr: 2009
Gespielt auf: PC
Screenshots aus „AI War: Fleet Command“ – Copyright beim Entwickler!