MusikWelt: For All Tid

Dimmu Borgir


Mitte der 1990er erhob sich die zweite Generation des Black Metal aus der Asche der abgebrannten Stabkirchen und bekam mehr öffentliche Aufmerksamkeit, als vielen Protagonisten lieb gewesen sein dürfte. Doch das allein hätte wohl nicht gereicht, das junge Genre aus dem Nischendasein zu führen, das es innerhalb der Metalszene hatte. Dazu brauchte es auch eine musikalische Öffnung, die vor allem zwei Bands zugeschrieben wird: Cradle of Filth und Dimmu Borgir. Beide in der Szene höchst umstritten – doch während erstere im fernen England lärmten, standen die Norweger Dimmu Borgir im Heimatland der Bewegung auf dem Prüfstand. „For All Tid“ (1995) war das LP-Debüt der Truppe, die sich bei der Namensfindung an einer isländischen Lava-Landschaft namens „Dimmuborgir“ (etwa „dunkle Burgen“) orientierte.

Gesamteindruck: 3/7


Qualitatives Auf und Ab.

Dass Dimmu Borgir schon bald nach Veröffentlichung ihres Debüts geradezu unglaublicher (kommerzieller) Erfolg beschert sein sollte, verwundert ein wenig, wenn man „For All Tid“ heute hört und als Maßstab nimmt. Das beginnt bereits damit, dass das Album auf dem berüchtigten Label No Colours Records, das vor einer Zusammenarbeit mit zweifelhaften bis offen rechtsextremen Gruppen (genannt seien z.B. Absurd und Graveland) nicht zurückschreckt, erschienen ist. Schon damals erzeugte das Bauchweh, heute, in Zeiten von Social Media und Shitstorms ist es praktisch undenkbar, mit diesem Hintergrund den internationalen Durchbruch zu schaffen. Ob deshalb schon 1996 mit Album Nummer 2 der Wechsel zu Cacophonous Records folgte, kann ich nicht beurteilen, der erste Schritt in die Erfolgsspur war damit aber getan. „For All Tid“ fiel – im Gegensatz zu seinem Nachfolger – im Übrigen fast der Vergessenheit anheim, was wiederum mit dem Label zu tun haben könnte; erst später, nach einer Neuveröffentlichung nebst Remastering durch Nuclear Blast, wurde auch dieses Album einer breiteren Masse bekannt. Falls sich jemand wundert: Das Cover, das weiter unten eingefügt ist, ist das Original-Cover, wie es damals auf No Colours Records erschienen ist und von der es auch nur 1.000 Stück gab. Die farbige Variante, die heute verbreitet ist, ist die 1997 veröffentlichte Nuclear Blast-Neuauflage, die auch zwei zusätzliche Tracks (Teil 1 und 2 des von der gleichnamigen 1994er-EP stammenden „Inn i evighetens mørke“) enthält.

Soviel zur Historie, soweit ich sie mir zusammenreimen konnte. Ob „For All Tid“ tatsächlich Ausgangspunkt der über viele Jahre erfolgreichen Karriere von Dimmu Borgir ist, ist im Nachhinein und mit dem Wissen um die Entwicklung der Band natürlich nicht ganz einfach zu beantworten. Ich versuche es trotzdem mal und starte mit der Produktion, die weit von allem entfernt ist, was die Norweger spätestens ab dem übernächsten Album und endgültigen Durchbruch („Enthrone Darkness Triumphant“, 1997) auffahren sollten. Umgekehrt ist „For All Tid“ aber auch nicht auf diese spezielle, rohe Art aufgenommen, wie es bei der zeitgenössischen schwarzen Tonkunst häufig der Fall war. Heißt: Man kann alle Instrumente und den Gesang klar und deutlich differenzieren. Allerdings leidet die Platte unter einem unausgewogenen Mix, der Keyboards, Bass und Gesang viel zu sehr in den Vordergrund stellt. Das geht natürlich zu Lasten der Gitarren, die (wie die Drums) schlechterdings auf fast jedem Track unterschiedlich laut aufgenommen scheinen. Aus heutiger Sicht kann man sich natürlich fragen, ob das der klägliche Versuch war, den nekro-Sound diverser Zeitgenossen zu reproduzieren oder ob wir es hier mit purem Dilettantismus zu tun haben. Unhörbar ist „For All Tid“ selbstverständlich nicht, im Gegenteil. Man kann sich aber vorstellen, dass all das gleich das erste rote Tuch für die damalige Black Metal-Szene war.

Mehr noch als der Sound dürfte der Szene-Polizei, die sich in Sachen Dimmu Borgir ja bis heute noch nicht beruhigt hat, die Instrumentierung sauer aufgestoßen sein. Und da hätten wir zwei „Probleme“: Erstens waren und sind Keyboards im Black Metal immer schon umstritten; zur Unterstreichung einer bedrohlichen Atmosphäre gerade noch toleriert, ist es – so die reine Lehre – vollkommen inakzeptabel, wenn das Tasteninstrument eine Führungsrolle einnimmt. Und genau das ist bei Dimmu Borgir – mehr noch als bei den immer wieder als Vergleich bemühten Cradle of Filth – der Fall. Dass man das nicht unbedingt mögen muss, verstehe ich. Wieso aber speziell diese beiden Gruppen dafür geächtet wurden und werden, während jeder Emperor, die auf „In the Nightside Eclipse“ bereits ein Jahr früher mit symphonischen Klängen experimentiert haben, liebt, entzieht sich meiner Kenntnis. Wobei man nicht verhehlen kann, dass der Keyboard-Einsatz auf „For All Tid“ qualitativ und auch vom Sound her der Konkurrenz deutlich unterliegt. Zweitens ist die Musik, die die Truppe um Silenoz und Shagrath darbietet, nicht gerade das, was man unter typisch-schwarzmetallischer Raserei versteht. Eigentlich sind die Jungspunde hier eher langsam unterwegs, mehr im Heavy als im Black Metal angesiedelt. Wäre nicht der Keifgesang und das Corpsepaint, wäre wohl keiner auf die Idee gekommen, diese Band in der Schwarzwurzel-Szene zu verorten. Gut, die komplett norwegisch gehalten Texte sind auch ein Fingerzeig in diese Richtung – und das reichte offenbar, Dimmu Borgir in eine Schublade zu stecken, in die sie nie so recht passen wollten. Ob sie dafür etwas konnten, ob es also Kalkül war, weil damals ohnehin alles gesigned wurde, was Kalk in der Fresse hatte und aus Norwegen kam, oder ob ihnen das quasi passiert ist, sei dahingestellt. Ich bin da ambivalent – den großen Erfolg hat es der Band einerseits beschert, andererseits aber auch gewaltigen Hass von Musikern und Fans, die genaue Vorstellungen hatten, wie „ihre“ Musik klingen musste und bis heute muss.

Teilweise Überforderung.

Die Songs im Einzelnen sind genauso ambivalent wie das Drumherum, heißt: Mal besser, mal schlechter geschrieben und gespielt. Allgemein kann man nicht überhören, dass die Band zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung sehr jung und technisch bei weitem nicht so fähig war, wie viele ihrer Zeitgenossen. Man höre nur die Einfachheit eines „Stien“ – was jetzt nicht bedeuten soll, dass dessen Melodieführung komplett für die Tonne wäre. Aber Songwriting-Skills und, noch wichtiger, richtige Atmosphäre, lässt eine solche Nummer einfach vermissen. Meiner Ansicht nach kommt erschwerend hinzu, dass die Band teils munter Positionen und Instrumente tauscht – eventuell, weil die einzelnen Protagonisten gemerkt haben, dass sie teilweise überfordert waren? Man weiß es nicht… Interessanterweise klingt das Album trotzdem einigermaßen kongruent, was die Stimmung betrifft – nur unterscheidet sich halt die technische Ausführung von Track zu Track.

Das Bäumchen-wechsel-Dich-Spiel hat aber auch ein Gutes: Den Gesang teilen sich drei Mann (überraschenderweise ist Shagrath keiner der hauptamtlichen Vokalisten). Das sorgt für Abwechslung und einen ganz eigenen Charakter, den man so später leider nicht mehr von Dimmu Borgir präsentiert bekommen hat. Mal gibt es das übliche Gekeife, mal unheilvoll gesprochene Parts, dann wieder Klargesang – all das unterstreicht die Stimmung von „For All Tid“ sehr gut und ist definitiv das Highlight dieses Albums. Eine der besten Nummern ist „Over Bleknede Blåner Til Dommedag“, das meines Erachtens viel von dem, was später von Vintersorg perfektioniert werden sollte, vorwegnimmt.  Hier ist übrigens Draug Aldrahn, Black Metal-Enthusiasten vielleicht von der Kult-Band Thorns bekannt, als Sänger zu hören.

Dieser Song ist dann auch mit Abstand die beste Nummer in der ersten Halbzeit von „For All Tid“. Der Rest klingt stellenweise nach Überforderung der Beteiligten, so als ob das Album mindestens ein Jahr zu früh gekommen wäre und die Band besser noch ein bisschen geprobt hätte, bevor man wirklich Ernst macht. Am ambitioniertesten und talentiertesten scheint mir Keyboarder Stian Aarstad zu sein, der nicht Teil der Band war, sondern als Gast geführt wurde. Dessen Melodien sind zum Teil tatsächlich so, wie man es von späteren Alben der Norweger kennt – vor allem der Titeltrack, „Glittertind“ und als Höhepunkt „Raabjørn Speiler Draugheimens Skodde“ seien hier genannt. Der Rest vom Schützenfest leidet stellenweise unter dem Problem, dass Dimmu Borgir versuchen, neo-klassizistische Keyboard-Parts über ein allzu einfaches Songgerüst zu legen. Man kann hier tatsächlich nur zum Schluss kommen, dass man es mit mehr „Wollen“ als „Können“ zu tun hat. Es ist deutlich zu hören, was die Truppe wollte – nur sollte sie erst späteren Verlauf ihrer Karriere die technischen Fähigkeiten erlangen, das auch zu können. Daher auch hier nochmal die Frage: War das Absicht? Hat man damals erkannt, dass Black Metal kurz vor dem Aufstieg aus dem Untergrund stand und musste trotz mangelhafter Fähigkeiten schnell ein Album raushauen, um später „Wir waren dabei!“ sagen zu können? Ich maße mir kein Urteil darüber an, halte aber fest, dass mich die qualitative Ambivalenz von „For All Tid“ erstaunt hat.

Letztlich verfügt dieses Debüt dennoch über eine handvoll starke Nummern. Und ein interessantes Zeugnis der eher bescheidenen Anfänge von Dimmu Borgir ist das Album allemal. Dass diese Platte zu Recht der Grundstein für die späteren Erfolge (vor allem im bekannten Ausmaß) war, kann ich guten Gewissens aber nicht bestätigen.


Track – Titel – Länge – Wertung

metal-archives.com

  1. Det Nye Riket – 4:59 – 3/7
  2. Under Korpens Vinger – 6:01 – 3/7
  3. Over Bleknede Blåner Til Dommedag – 4:09 – 5/7
  4. Stien – 2:03 – 4/7
  5. Glittertind – 5:16 – 5/7
  6. For All Tid – 5:52 – 5/7
  7. Hunnerkongens Sorgsvarte Ferd Over Steppene – 3:26 – 5/7
  8. Raabjørn Speiler Draugheimens Skodde – 5:05 – 6/7
  9. Den Gjemte Sannhets Hersker – 6:22 – 4/7

Gesamteindruck: 3/7 


Dimmu Borgir auf “For All Tid” (1995):

  • Erkekjetter Silenoz – Vocals, Guitars
  • Shagrath – Drums, Backing Vocals, Guitars
  • Tjodalv – Guitars, Drums
  • Brynjard Tristan – Bass
  • Draug Aldrahn [Guest] – Vocals, Backing Vocals
  • Vicotnik [Guest] – Backing Vocals
  • Stian Aarstad [Guest] – Keyboards, Pianos

Anspieltipp: Raabjørn Speiler Draugheimens Skodde

 

MusikWelt: From Afar

Ensiferum


Gut zehn Jahre ist es mittlerweile her, dass Ensiferum mit ihrem 4. Longplayer „From Afar“ um die Ecke kamen. In meiner Erinnerung war das Album gut, bot aber mit „From Afar“ und „Twilight Tavern“ nur zwei Songs, die ich bis heute regelmäßig höre und die sich nach wie vor praktisch immer auf der Live-Setlist der Finnen finden. Höchste Zeit also, mit ein paar neuen Durchläufen herauszufinden, wie der Rest der Songs klingt. Und vor allem, ob die Enttäuschung, an die ich mich zu erinnern glaube, tatsächlich gerechtfertigt war.

Gesamteindruck: 6/7


Epische Breite.

Der Start ins Album ist tatsächlich auch heute noch so amtlich wie 2009: Vom Intro „By the Dividing Stream“ über „From Afar“ und „Twilight Tavern“ entsteht sofort das typische Ensiferum-Feeling. Vor allem der Titeltrack hat es in sich und ist meines Erachtens eine der besten Nummern der „Schwertträger“ überhaupt. Einfach nur die Faust in die Luft strecken und mitbrüllen möchte man hier. Abgesehen von diesem heroischen Doppelschlag ist in meinem Hirn noch das leicht merkwürdige „Stone Cold Metal“ mit seinem Western-Zwischenteil abgespeichert – aus heutiger Sicht der erste Song einer für Ensiferum inhaltlich und teils auch musikalisch ungewohnten Machart, dem auf den nächsten Alben Nummern wie z.B. „Two of Spades“ folgen sollten. Geht ganz gut rein, hat aber relativ wenig mit dem bis dato durchgezogenen Folk Metal zu tun.

So weit, so gut. Spannender wird es dann beim Rest von „From Afar“. Schuld daran (wenn man so will) sind zwei Tracks, die in der Mitte und am Ende des Albums platziert wurden und dadurch alles dazwischen ein wenig in Vergessenheit geraten lassen. Namentlich ist das der für Ensiferum-Verhältnisse überlange „Heathen Throne“-Zweiteiler, bestehend aus eben „Heathen Throne“ und „The Longest Journey (Heathen Throne Part II)“. Hier muss man dann doch genauer hinhören, als man es von den ersten Alben der Finnen gewohnt war, erst dann offenbart sich die schöne Epik dieser Tracks. Hier haben es Ensiferum tatsächlich geschafft, Komplexität und Songwriting-Skills an Stelle ihrer sonst eher einfachen Hymnen zu setzen. Das mag nicht jedem gefallen, weil es nicht den schnellen und fröhlichen Humppa-Kick eines „Twilight Tavern“ bietet – ich finde bei genauerer Betrachtung den Versuch, etwas andere Songs zu schreiben aber durchaus gelungen. Und, seien wir uns ehrlich: Auch „Heathen Throne“ ist kein Prog Metal. Aber nicht mehr und nicht weniger als eine schön durchkomponierte Erzählung in der man zu jeder Sekunde den Stil von Ensiferum erkennt.

Man sollte genau hinhören.

Letztlich macht jeder neue Durchgang von „From Afar“ klar, was bei mir damals (2009) passiert ist. Ich stand damals noch stark unter dem Eindruck der ersten drei Alben der „Schwertträger“, die allesamt großartig, aber auch sehr leicht zugänglich waren. Platte Nummer 4 hat dagegen zwei überlange Tracks zu bieten, die sich naturgemäß etwas schwerer erschließen. Bis zu diesem Zeitpunkt war der sehr gute „Victory Song“ (von „Victory Songs“, 2007) der einzige Versuch der Band, auf der Langstrecke was zu reißen. Diese Nummer verfügte allerdings über einen extrem eingängigen Refrain, was sie deutlich leichter konsumierbar macht, als die zwei Parts von „Heathen Throne“. Nicht, dass die nicht auch eingängig wären, aber ein bisschen muss man sie sich schon erarbeiten. Und genau das hat bei mir 2009 offenbar nicht geklappt, ich konnte und wollte „From Afar“ nicht die notwendige Zeit geben. Für den schnellen Erfolg sind der Titeltrack und „Twilight Tavern“ natürlich bestens geeignet, wer aber mehr davon erwartet und erhofft, wird im ersten Moment tatsächlich enttäuscht sein. Völlig zu unrecht, wie ich heute gerne zugebe.

Und damit ist auch schon alles gesagt. „From Afar“ ist eine Art zweigeteiltes Album, auf dem neben zwei atypischen Songs, die eigentlich als Einheit gelten müssen, eine handvoll Nummern stehen, die so oder so ähnlich auf jedem Longplayer der Finnen Platz finden würden.


Track – Titel – Länge – Wertung

metal-archives.com

  1. By the Dividing Stream – 3:50 – 5/7
  2. From Afar – 4:51 – 7/7
  3. Twilight Tavern – 5:38 – 6/7
  4. Heathen Throne – 11:09 – 6/7
  5. Elusive Reaches – 3:26 – 5/7
  6. Stone Cold Metal – 7:25 – 5/7
  7. Smoking Ruins – 6:40 – 6/7
  8. Tumman Virran Taa – 0:52 – 5/7
  9. The Longest Journey (Heathen Throne Part II) – 12:49 – 6/7

Gesamteindruck: 6/7 


Ensiferum auf “From Afar” (2009):

  • Petri Lindroos – Vocals, Guitars
  • Markus Toivonen – Guitars, Vocals, Backing Vocals
  • Sami Hinkka – Bass, Vocals, Backing Vocals
  • Janne Parviainen – Drums
  • Emmi Silvennoinen – Keyboards, Organ, Backing Vocals

Anspieltipp: From Afar