Carach Angren
„This Is No Fairytale“ ist eher Hörspiel als reines Musik-Album, stellenweise gewinnt man sogar den Eindruck, der narrative Part und die Lyrics wären der Band leichter gefallen, als die Musik. Aus dieser Sicht ist auch mein Gesamteindruck zu verstehen. Rein musikalisch mögen für den einen oder anderen Metal-Fan die 6 Punkte überzogen erscheinen. Hätte ich nur die Musik bewertet, hätte ich tatsächlich maximal 5 gegeben. Aber der „Gesamteindruck“ ist eben genau das – der Versuch, das Werk als Ganzes zu bewerten. Und da zeigt sich für mein Dafürhalten, dass Carach Angren ihre Version von „Hänsel und Gretel“ überzeugend und herausragend erzählen. Und sich dadurch Extra-Punkte verdienen, weil ich das Album allein wegen der Geschichte so gerne höre (und von der ersten Hälfte auch musikalisch begeistert bin).
Gesamteindruck: 6/7
Ein pechschwarzes Hörspiel.
Carach Angren* aus den Niederlanden haben sich im extremen Metal-Bereich eine ganz eigene Nische geschaffen. Musikalisch sind sie einigermaßen vergleichbar mit Cradle Of Filth und Dimmu Borgir, lyrisch gehen ihre Konzeptalben in Richtung Horror, Märchen, unheimliche Geschichten und dunkle Legenden – all das vertont in wahnwitzigen, überbordenden Kompositionen. Dazwischen wird der klanggewordene Wahnsinn immer wieder durch finster gesprochene (eher: gekrächzte) Passagen unterbrochen, intensiv dargeboten durch den charismatischen Frontmann Dennis „Seregor“ Droomers. An dieser eher hilflosen Beschreibung sieht man schon, wie schwer die Musik von Carach Angren zu fassen ist. Es genügt zu sagen, dass die Songs immer düster und böse, meist ausladend inszeniert und vertont, oft vertrackt, dabei gleichzeitig aber stets gut hörbar sind. Strophe-Refrain-Strophe-Strukturen sucht man vergeblich, was aber nicht heißt, dass die Stücke sich jedem Verständnis durch Otto-Normal-Hörer entziehen. Einmaliges Hören reicht jedoch selten aus, damit sich die Songs irgendwo im Hirn festkrallen können.
Nun aber zur 2015er-Platte „This Is No Fairytale“. Der Titel deutet es schon an – das geschminkte Trio bittet diesmal zur Märchenstunde in der es mitnichten froh und munter zugeht. Die Geschichte ist angelehnt an „Hänsel und Gretel“, also ein ohnehin schon sehr düsteres Werk. Die Version von Carach Angren ist vollends geeignet, Alpträume auszulösen: Drogen und Gewalt, Missbrauch und Mord, Wahnsinn und Kannibalismus sind so ungefähr die Eckpunkte. Selbstredend gönnen die Holländer ihren Zuhörern in ihrer Variante des klassischen Stoffs auch kein Happy End.
Wer der Geschichte von „This Is No Fairytale“ folgen möchte, muss – wie bei Konzeptalben üblich – die Songs in der richtigen Reihenfolge hören. Standesgemäß beginnt ein Märchen mit den Worten „Es war einmal…“ (Englisch: „Once upon a time…“). Passiert auch hier, wobei das Intro „Once Upon A Time“ nur die instrumentale Umsetzung dieses klassischen Märchen-Auftaktes ist. Die passenden Worte sind dann auch gleich die ersten des bereits vorab bekannten Stückes „There’s No Place Like Home“. Hier zeigt sich sofort: Carach Angren sind auf ihrem vierten Album ein ganzes Stück brutaler geworden. Das hat einerseits mit dem Songwriting zu tun, andererseits wurde an der Produktion gefeilt, wodurch sich die klangliche Transparenz erhöht hat. Damit kommen Details noch stärker zur Geltung – was gelegentlich den Nachteil hat, dass die Musik den Hörer regelrecht zu erschlagen droht. Glücklicherweise schafft die Band zumindest in der ersten Albumhälfte immer die Wanderung auf dem schmalen Grat zwischen Bombast und Song-Dienlichkeit. Was ebenfalls schnell auffällt: Seregor ist bemüht, seine Stimme dem härteren Songwriting anzupassen und dringt zeitweise in Regionen vor, die in der Regel dem Death Metal vorbehalten sind. Mir gefällt es, die Texte werden dadurch noch verständlicher, was bei der ausgefeilten Lyrik von Carach Angren nur ein Pluspunkt sein kann.
Vom Songwriting her hat man vor allem in der ersten Albumhälfte (die ich persönlich als die etwas Stärkere einschätze) das Gefühl eines Hörspiels. Die Songs sind natürlich immer noch schwarzmetallisch angehaucht (man höre z. B. die flirrenden Gitarren in „Two Flies Flew Into A Black Sugar Cobweb“). Allerdings enthalten die Stücke auch immer wieder quasi-narrative Passagen, unterlegt mit passender Musik. Um zu verstehen, was ich meine, kann man sich beispielsweise den Mittelteil von „When Crows Tick On Windows“ anhören. So richtig Gruselstimmung kommt übrigens bei „Dreaming Of A Nightmare In Eden“ auf: Hier erzählt Seregor mit seiner unheimlichsten Krächz-Stimme, unterlegt von schauriger Instrumentierung den Teil des Märchens, in dem die Protagonisten an das Knusperhäuschen kommen. Speziell wie die Hexe ihren berühmten Satz zum Besten gibt („Nibble, nibble, gnaw…“), hier natürlich in düster abgewandelter Form, lässt einem förmlich die Haare zu Berge stehen. Diesen Track würde ich tatsächlich als Kernstück der Platte ansehen, zumindest was den narrativen Teil betrifft. Fast hat man den Eindruck, als hätte die Band gern mehr oder weniger die gesamte Platte in diesem Stil aufgenommen – ein Gefühl, das man auch von anderen Werken der Holländer kennt.
Es soll bei aller Euphorie aber auch nicht verhehlt werden, dass die Stücke ab der Hälfte des Albums musikalisch ein wenig abfallen und mehr von der erzählten Geschichte als von der Musik leben. Speziell bei „Possessed By A Craft Of Witchery“ gelingt es nicht so perfekt wie im ersten Teil des Albums, das Stück trotz Komplexität gut hörbar zu halten. Dadurch wirkt der Track zwar sehr theatralisch, letztlich aber zu zerfahren, um sich als Hörer festhalten zu können. Der Grund ist in meinen Ohren, dass hier versucht wurde, mit der Lead-Gitarre Story-unterstützend zu arbeiten, was mir im Endeffekt viel zu verfrickelt klingt. Letztlich ist dieses Lied dadurch meiner Ansicht nach das musikalisch schwächste (oder besser: am schwierigsten zu hörende) auf dem Album. Ähnliches gilt für „Killed And Served By The Devil“, das einem Doublebass-Overkill gleicht und nur dann wirklich gut ist, wenn Carach Angren das Tempo etwas herausnehmen. Auch „The WItch Perished In Flames“ kann mich musikalisch nicht sonderlich überzeugen. Nur das finale, wieder mit schwarzem Hörspielcharakter aufwartende „Tragedy Ever After“ versöhnt auch von der Musik her wieder – vom unerwarteten Story-Twist am Ende ganz zu schweigen.
***
* Exkurs: Wie bei vielen Gruppen, die sich nach irgendwelchen Orten oder Namen aus der Mythologie von J.R.R. Tolkien benannt haben, ist auch hier der Bandname vollkommen unpassend (abgesehen vom exotischen Klang natürlich). Tolkien-Themen sucht man vergebens – genau wie z. B. bei Amon Amarth und Gorgoroth oder – um nicht nur Bands zu nennen – bei Dimmu Borgir-Schreihals Shagrath.
Track – Titel – Länge – Wertung
- Once Upon A Time – 1:37 – 5/7
- There’s No Place Like Home – 4:32 – 5/7
- When Crows Tick On Windows – 6:19 – 7/7
- Two Flies Flew Into A Black Sugar Cobweb – 7:49 – 6/7
- Dreaming Of A Nightmare In Eden – 2:38 – 7/7
- Possessed By A Craft Of Witchery – 6:11 – 3/7
- Killed And Served By The Devil – 4:09 – 4/7
- The Witch Perished In Flames – 5:47 – 3/7
- Tragedy Ever After – 5:22 – 6/7
Gesamteindruck: 6/7
Carach Angren auf “This Is No Fairytale” (2015):
- Seregor – Vocals, Guitars
- Ardek – Orchestrations, Keyboards
- Namtar – Drums
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