FilmWelt: Blood Simple

Joel und Ethan Coen zeichnen für eine Reihe großartiger Filme verantwortlich und wurden speziell für ihre Regiearbeiten, aber auch für diverse Drehbücher mit unzähligen Preisen ausgezeichnet. Im kollektiven Gedächtnis sind vor allem ihre Werke ab „Fargo“ (1996) verankert, dabei nahm die Erfolgsgeschichte der Brüder aus Minneapolis bereits in den 1980ern ihren Anfang.

Gesamteindruck: 7/7


Rohes Meisterwerk.

Von „Blood Simple“ hatte ich bis vor kurzem noch nie etwas gehört. Dass ich diese Bildungslücke nun schließen konnte, habe ich der „Zauberlaterne“ zu verdanken, einem Podcast, den ich allen Filmfreund:innen ausdrücklich ans Herz legen möchte. Dort sprachen die Hosts (Grüße an Sebastian und Simon gehen raus!) so positiv über das Debütwerk der Coens, dass mir im Endeffekt nichts anderes übrig blieb, als selbst reinzuschauen. Und das hat sich gelohnt – so viel sei vorweg genommen.

Worum geht’s?
Nachdem Barkeeper Ray ein Verhältnis mit Abby, der Frau seines Bosses Marty, begonnen hat, schwört dieser Rache – und heuert den schmierigen Privatdetektiv Visser an, der dem Liebespaar für 10.000 Dollar den Garaus machen soll. Der Schnüffler verfolgt jedoch seine eigenen Pläne, was letztlich in einem heillosen Durcheinander aus Mord, Verdächtigungen und gegenseitigen Schuldzuweisungen endet…

Obige Inhaltsangabe suggeriert, „Blood Simple“ wäre ein geradliniger Krimi mit einer Story, wie sie auch in jeder zweiten Folge „Tatort“ vorkommen mag. Und tatsächlich sind die Grundzutaten bekannt: Es geht um ein Beziehungsdreieck mit den üblichen Emotionen wie Leidenschaft, Eifersucht und Wut. Dass Mord eine akzeptable und logische Möglichkeit darstellt, dieses Drama zu lösen, dürfte auch nicht überraschen – es scheint also alles für ein typisches whodunit angerichtet. Um zu erfahren, warum „Blood Simple“ trotz allseits bekannter Zutaten anders ist, muss man sich den Film letztlich aber tatsächlich ansehen.

Alles anders.

Zu beschreiben, was die Coens genau gemacht haben, ist nicht leicht; den einen oder anderen Eckpunkt möchte ich im Folgenden aber zumindest nennen. Zunächst ist festzuhalten, dass „Blood Simple“ keineswegs ein whodunit ist, weil wir als Zuseher:innen stets einen Informationsvorsprung gegenüber den Charakteren im Film genießen und das Geschehen aus verschiedenen Blickwinkeln verfolgen dürfen. Im Gegensatz dazu haben die vier Hauptfiguren zu keiner Zeit – auch zum Ende hin nicht – ein vollständiges Bild der Lage. So gesehen ist „Blood Simple“ also auch kein howcatchem im Sinne von „Columbo“ (zumal es ohnehin keine Ermittlerrolle gibt, was ebenfalls ein gravierender Unterschied zu ähnlich gelagerten Filmen ist), was man anhand des Inhalts ebenfalls vermuten könnte.

Noch dazu zeichnet sich das Werk durch die völlige Abwesenheit einer Heldenfigur aus. Eigentlich ist es sogar mehr als das: Die Coens treiben ein Motiv des Film noir auf die Spitze, indem sich keiner (!) ihrer Charaktere zur Identifikation eignet. Lediglich ein wenig Sympathie und/oder Mitgefühl vermögen sie abwechselnd zu erwecken; von einer traditionellen Held:innengeschichte ist der Film aber weit entfernt. Umgekehrt sind die Figuren jedoch auch keine gerissenen Superschurk:innen: Alles, was sie tun, ist derart dilettantisch, dass man gelegentlich sogar laut auflachen muss, was ich aber nicht als unfreiwilligen, sondern durchaus bewusst platzierten Humor einordnen würde. Generell macht gerade die Hilflosigkeit der Charaktere den Film überaus bedrückend und realistisch, denn wer selbst kein Profikiller ist, mag sich in einer ähnlichen Situation durchaus so oder so ähnlich anstellen, wie es die Figuren in „Blood Simple“ tun.

Ein grandioses Gesamtpaket.

Die genannten Punkte würden „Blood Simple“ noch nicht zu einem Meisterwerk machen, obwohl ich schon der Meinung bin, dass der Film – speziell zu seiner Entstehungszeit in den 1980ern – allein dadurch wesentlich mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. Noch beeindruckender ist aber die Inszenierung des Ganzen: Soundtrack, die sehr spezielle Kameraführung, die immer wieder einzelne Objekte in den Fokus rückt, die gesamte audio-visuelle Ästhetik – all das ist vom Feinsten. Und: Die Darsteller:innen sind schlichtweg großartig und schaffen es scheinbar mühelos, die düstere Stimmung nebst völliger Verwirrung und Überforderung mit der Situation, zum Leben zu erwecken.

Fazit: Ich hätte nicht gedacht, dass mich dieser Film dermaßen abholen würde – und dass er so zeitlos ist. Denn das ist ja häufig ein Problem mit älteren Werken, die man später nachholt: Ihre Ästhetik, ihre Erzählweise und tausend andere Details können mitunter völlig überholt wirken. Das ist bei „Blood Simple“ schlicht und einfach nicht der Fall. Sieht man davon ab, dass es z. B. keine Handys gibt und Frisuren/Kleidung nicht in unsere Zeit passen, kann man sich kaum vorstellen, dass dieser Film bereits 40 Jahre auf dem Buckel hat, so gut ist er erzählt und gespielt. Ich denke, wenn man sich „Blood Simple“ als eine rohere, etwas weniger ausgearbeitete Version von „No Country for Old Men“ (2007) vorstellt, liegt man sicher nicht ganz falsch. Und wenn das keine Empfehlung ist, weiß ich es auch nicht.

Gesamteindruck: 7/7


Originaltitel: Blood Simple.
Regie:
Joel Coen, Ethan Coen
Drehbuch: Joel Coen, Ethan Coen
Jahr: 1984
Land: USA
Laufzeit: ca. 100 Minuten
Besetzung (Auswahl): John Getz, Frances McDormand, Dan Hedaya, M. Emmet Walsh



Ein Gedanke zu “FilmWelt: Blood Simple

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