„Avernum 3“ unterscheidet sich technisch wenig von seinen Vorgängern „Avernum“ und „Avernum 2“. Heißt: Einfachste Optik und Akustik treffen auf eine durchdachte, lebendige und von Beginn an frei begehbare Welt, die sich im Spielverlauf durchaus verändert. Es gibt eine Vielzahl an Quests, die es ohne großartige Hilfen und Komfortfunktionen zu lösen gilt. Story und Handlung sind wie schon bei den Vorgängern über weite Strecken des Spiels gelungen, allerdings hat man erstmals das Gefühl, dass Entwickler und Publisher Spiderweb Software bei der Dimensionierung der Spielwelt ein wenig überambitioniert zu Werke gegangen ist. Dennoch: Rollenspiel-Puristen bringt auch der dritte Ausflug nach Avernum viele, viele Stunden an Vergnügen.
Gesamteindruck: 4/7
Schöne, neue Welt.
„Avernum 3“ aus dem Jahre 2003 ist – wie schon seine unmittelbaren Vorgänger – Teil eines Remakes der „Exile“-Trilogie (1995-1997) und als solcher gleichzeitig Schlusspunkt des als „Avernum: First Trilogy“ bekannten Shareware-Triumvirats (2005 bis 2009 folgte die „Second Trilogy“ als Abschluss der Serie). So viel in gebotener Kürze zur geschichtlichen Einordnung – zu kaufen gibt es „Avernum“ in Bausch und Bogen (die Teile 1 bis 6 sowie das außerhalb des Canons liegende Zwischenspiel „Blades of Avernum“) bei gog.com. Für derzeit wohlfeile 10,79 Euro erhält man hunderte (!) Stunden Spielspaß, wobei das Vergnügen stark davon abhängt, wie sehr man sich in dieses äußerlich wenig anspruchsvolle, spielerisch aber umso komplexere Universum hineinversetzen kann. Ich kann sowohl Begeisterung als auch eher verhaltene Reaktionen (bis hin zu völliger Ablehnung) verstehen.
Die Handlung in Kurzfassung
Zehn Jahre ist es her, dass die Bewohner des unterirdischen Gefängnisses Avernum das Imperium in seine Schranken gewiesen und zurück an die Oberfläche getrieben haben. Direkt nach jener abgewehrten Invasion haben die Averniten begonnen, selbst einen Feldzug vorzubereiten – einerseits, um die ständige Bedrohung durch das Imperium zu beseitigen, andererseits um endlich ihren düsteren Kerker zu verlassen. Doch niemand in Avernum weiß, was eigentlich an der Oberfläche vor sich geht. Daher werden Kundschafter ausgesandt, die so viele Informationen wie möglich zurück in die Unterwelt bringen sollen…
Der erfahrene „Avernum“-Recke findet sich auch im dritten Teil der Serie schnell zurecht: Zunächst gilt es, mindestens einen Charakter zu erstellen – dazu bedient man sich entweder vorgefertigter Helden oder vergibt nach eigenem Gutdünken Punkte für Haupt- und Nebenfähigkeiten, passt Klasse, Rasse und Talente an. Dieser Vorgang ist einigermaßen komplex – gilt es doch zu überlegen, welche Fähigkeiten sich ergänzen könnten, wenn man eine ganze Gruppe (vier Charaktere sind das Maximum für die eigene Party) erstellt. Aber auch die Aufnahme von NPCs ist möglich, ebenso kann man sich mit allen möglichen Party-Kombinationen bis hin zum Alleingang mit einer einzigen Spielfigur an „Avernum 3“ versuchen.
Hat man diese Prozedur, die jeder Fan altmodischer Rollenspiele so sehr liebt, überstanden, geht es mit einer kurzen Zusammenfassung der bisherigen Ereignisse los – diesmal übrigens nicht in schnöder Textform, sondern in Spielgrafik (und durchaus mit Humor, wohlgemerkt). Das als Intro zu bezeichnen wäre zu viel – eine Neuerung gegenüber den Vorgängern ist es aber doch. So richtig merkt man aber erst im Spiel selbst, was sich sonst noch so gegenüber den Vorgängern getan hat. Im direkten Vergleich ist das gar nicht so wenig – denn „Avernum“ und „Avernum 2“ glichen sich letztlich wie ein Ei dem anderen, sieht man von ganz geringfügigen Verbesserungen ab (z. B. gab es in „Avernum“ noch nicht einmal ein Questlog).
(Fast) ein Augen- und Ohrenschmaus.
Der erste Hingucker… Verzeihung, Hinhörer, ist der Sound. Nicht, dass „Avernum 3“ nun plötzlich mit einem echten Soundtrack glänzen würde. Allerdings kann man erstmals in der Serie so etwas wie Ambient-Geräuschen lauschen. Im Wesentlichen gibt es dafür vier Szenarios: Städte/Dörfer, Höhlen, Dungeons und Freiluft-Areale. In Ersteren hat man die ständige Lärmkulisse miteinander sprechender Lebewesen, in den Höhlen rieselt und tropft immer irgendwo Wasser, an der frischen Luft hört man Vögel und Insekten, in den Dungeons unheimliches Geflüster und Gebrumme. Zu Begeisterungsstürmen reißen vor allem Höhlen- und Außenbereiche in Sachen Sound nicht hin – beides ist auf Dauer einigermaßen nervig (und kann zur Not auch deaktiviert werden). Die Städte und Dörfer sind in dieser Hinsicht immerhin in Ordnung, so richtig gelungen sind aber die Dungeons. Hier kommt tatsächlich bedrückend-unheilvolle Stimmung auf; das neue Soundgewand ist wirklich eine Bereicherung, wenn man z. B. durch den Turm eines offenbar verrückt gewordenen Zauberers schleicht. Ein abschließendes Wort zum Sound: Einige Kreaturen haben zumindest neue Todesgeräusche spendiert bekommen, insgesamt ist und bleibt die akustische Untermalung jedoch stark ausbaufähig.
Gleiches gilt, wie nach einem Blick auf die Screenshots klar sein sollte, für die Grafik. Hier hat sich im Gegensatz zum Sound grundsätzlich mal gar nichts getan. Aber, ich habe es oben ja erwähnt, „Avernum 3“ spielt sich weitgehend an der Oberfläche ab. Daraus folgt, dass das Spiel vergleichsweise bunt daherkommt – anstelle einheitlich braun-grauer Höhlen gibt es nun Wiesen und Wälder, die saftig grün strahlen. Eine ungewohnte Abwechslung für das an die düstere „Avernum“-Umgebung gewöhnte Auge und einmal mehr ein Beispiel dafür, wie gut man sich als Spieler mit dem Szenario identifizieren kann. Denn wer unmittelbar vorher die Teile 1 und 2 gespielt hat, wird sich ähnlich seinen Spielfiguren verwundert die Augen reiben, wenn er zum ersten Mal die Höhlenwelt verlässt.
Die üppige Landschaft hat übrigens auch ihre Nachteile: Vor allem im relativ dicht bewaldeten Norden der Spielwelt ist die Fortbewegung zwischen den Bäumen dermaßen hakelig und mühsam, dass ich dafür direkt einen Punkt abziehen möchte, so sehr nervt das. Und, auch wenn das jetzt weniger die Grafik per se sondern eher den Aufbau der Welt betrifft: Schön und gut, dass es in „Avernum 3“ deutlich mehr Siedlungen gibt, in denen man seine Vorräte aufstocken kann und hin und wieder auch mal Quests bekommt. Irgendwann vergeht einem aber dann doch ein bisschen die Lust, weil vor allem die kleineren Dörfer immer gleich aussehen. Immerhin sind die Städte sehr individuell gestaltet und weisen verschiedene Besonderheiten auf. Die Unterschiede zwischen Dorf und Stadt erwecken übrigens ein wenig den Eindruck als hätte sich Spiderweb Software mit der Größe von „Avernum 3“ übernommen und sich schwer getan, die riesige Welt mit ausreichend spannenden Inhalten zu füllen.
Geduld ist und bleibt gefragt.
Als Spieler musste man für „Avernum“ immer schon viel Geduld mitbringen – und eine gewisse Ader für den sehr eigenwilligen und altbackenen Stil mitbringen, der noch dazu ohne jegliche Komfortfunktionen auskommt. „Avernum 3“ bildet natürlich keine Ausnahme, wenngleich man hier erstmals ein einigermaßen aufgeräumt wirkendes Journal bekommt, das es zumindest erleichtert, der Story zu folgen. Das Questlog kennt man aus dem Vorgänger, verbessert wurde es allerdings nicht. Und auch sonst wurden gewisse … hmmm… Eigenheiten, die stark frustrieren können, nicht behoben. So ist es weiterhin nicht möglich, Effekte von Zaubersprüchen, die man sich kaufen möchte, direkt beim Händler abzurufen. Eine Vergleichsmöglichkeit von Waffen und Rüstungen gibt es nicht – und dass es mittlerweile ein zusätzliches Rüstungsmodell gibt, hilft nur bedingt, wenn weiterhin alle Varianten (u. a. Stahl, Bronze) einzelner Harnisch-Klassen optisch nicht unterscheidbar sind.
Nicht zu unterschätzen ist auch, dass trotz riesiger Spielwelt nach wie vor keine Gesamtkarte existiert. Automapping gibt es zwar schon seit Teil 1, aber eine Übersicht? Fehlanzeige, man kann immerhin bei gewissen Händlern Karten der einzelnen Regionen kaufen. Das ist vor allem in Hinblick auf die zahlreichen Nebenquests angeraten, weil man sonst im schlimmsten Fall stundenlang versucht, seinen Questgeber wiederzufinden. Kein Witz – im Log werden zwar Personen- und Ortsnamen genannt, merken, wo sich die bewusste Stadt ungefähr befindet, muss man sich jedoch selbst. Das ist unglaublich mühsam, vor allem, wenn man das Spiel mal ein paar Tage ruhen lässt. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang auch noch, dass das Spiel wenig bis gar kein Feedback gibt, was das Gelingen mancher Quests zur reinen Glückssache verkommen lässt. Solche und ähnliche Kleinigkeiten gibt es zu Hauf, darüber sollte sich jeder im Klaren sein, der „Avernum“ nicht schon im Vorhinein wegen der Screenshots verdammt.
Von Längen und einem durchwachsenen Finale.
Apropos „verdammen“: Nach rund 10 Stunden Spielzeit wollte ich tatsächlich zu einer wüsten Tirade gegen „Avernum 3“ ansetzen. Der Grund: Während ich bei beiden Vorgängern von Beginn an einerseits in die Story gezogen wurde, andererseits immer recht klar war, was als nächstes zu tun war, wird Teil 3 sehr schnell unübersichtlich. Der Anfang ist noch in Ordnung, sobald man aber die riesige, offene Welt der Oberfläche betritt, wird es zäh. „Explore the Surface“, lautet der Auftrag – was in Ordnung wäre, aber irgendwie verschwindet der rote Faden recht schnell und man weiß nicht so genau, wohin man sich wenden und was man dort tun soll. Das legt sich nach ein paar weiteren Spielstunden, aber dass die Story zwischendurch so viel an Fahrt verliert, mag schon ein Grund sein, wieso der eine oder andere aufgeben könnte.
Ich habe das natürlich nicht gemacht – und siehe da, irgendwann nach diesem zwischenzeitlichen Hänger, den man so von den Vorgängern überhaupt nicht kennt, wird auch „Avernum 3“ wieder höchst spannend und interessant. Leider setzt sich das nicht bis zum Ende fort. Die finalen Stunden sind extrem kampflastig, wahre Horden von Gegnern müssen eliminiert werden – eine Alternative steht nicht zur Verfügung. Das ist schade, denn bis zu diesem Zeitpunkt hat „Avernum“ nie auf Masse statt Klasse gesetzt. Hier ist es aber so; und dass die Auflösung letztlich auch nicht so gelungen ist, wie man sich das gewünscht hätte, passt zum langwierigen Endgame. Zusammengenommen sorgen die genannten Kritikpunkte dafür, dass „Avernum 3“ – obwohl grundsätzlich nach wie vor ein gutes Rollenspiel – der bis zu diesem Zeitpunkt schwächste Teil der Serie ist.
Genre: Rollenspiel
Entwickler: Spiderweb Software
Publisher: Spiderweb Software
Jahr: 2002
Gespielt auf: PC
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