MusikWelt: St. Anger

Metallica


Ich erinnere mich, dass die Erwartungen an „St. Anger“ (2003) riesengroß, eigentlich übermächtig, waren – das letzte reguläre Metallica-Album „Reload“ (1997) hatte zu jenem Zeitpunkt 6 Jahre auf dem Buckel, dazwischen gab es mit „Garage Inc.“ (1998) eine (gute) Kompilation aus Coversongs teilweise recht ungewöhnlicher Künstler und mit „S&M“ (1999) ein meiner Ansicht nach sehr durchwachsenes, orchestrales Live-Album. Außerdem hatte man mit internen Querelen zu kämpfen, die mit dem Aus für Bassist Jason Newsted und einem James Hetfield, der sich endlich seinen Dämonen stellte, endeten.

Gesamteindruck: 1/7


Ein Album – für wen eigentlich?

Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich den bis heute umstrittensten Metallica-Longplayer in dessen Erscheinungsjahr 2003 zum letzten Mal in einem Zug und voll konzentriert durchgehört habe. Wobei konzentriert so eine Sache ist, denn die Platte ist a) sehr lang und b) nicht gerade easy listening. Jedenfalls weiß ich noch, dass ich damals kein gutes Haar daran gelassen habe. Könnte natürlich jugendlicher (bzw. studentischer) Übermut gewesen sein – also habe ich mir „St. Anger“ nun, nach 17 (!) Jahren, erstmals wieder in voller Länge gegeben, um zu überprüfen, ob sich für mich was geändert hat. Übrigens habe ich mir direkt zwei Durchgänge gegönnt, einmal einfach so, einmal beim Sport, für den die Platte laut dem einen oder anderen Kommentator ja besonders geeignet sein soll. Für mehr hatte ich keinen Nerv, was das Fazit eigentlich schon vorweg nimmt.

Mit inzwischen doch sehr großer zeitlicher Distanz kann ich zunächst ganz neutral sagen, dass meine damalige Hoffnung auf eine Rückkehr Metallicas zu alter Größe enttäuscht werden musste. Allerdings in einem Ausmaß, das kaum vorherzusehen war. Kleine Anmerkung: Ich hatte die Band tatsächlich 2003 erstmals überhaupt live gesehen und war begeistert von der Energie, die die älteren Nummern auf der Bühne versprühten. Genau davon wollte ich mehr –  bekommen habe ich etwas völlig Anderes, etwas, mit dem ich als Fan traditioneller Klänge herzlich wenig anfangen konnte. Und doch war ich damals der Meinung – und bin es noch – dass ein gewisses Maß an Verbohrtheit dazu gehört, sich groß über die stilistische Veränderung, die Metallica im Laufe der Jahre durchgemacht haben, zu echauffieren. Meine Kritik richtet sich daher weniger an den veränderten Stil (der mir zwar nicht gefällt, aber damit könnte ich wie bei „Load“/„Reload“ gerade noch leben), sondern an das völlig misslungene Songwriting.

Bis auf wenige Ausnahmen („Frantic“, „St. Anger“, „The Unnamed Feeling“ und „Dirty Window“), die im Vergleich zum vorherigen Output ebenfalls nur unterer Durchschnitt sind, bewegen sich alle Songs auf einem Niveau, das einer so talentierten Band eigentlich unwürdig ist. Dabei handelt es sich um zwanghaft modernes Geknüppel (also das, was 2003 als „modern“ galt) ohne Sinn und Verstand, das noch dazu mit einer Produktion aufwartet, die jeglichen Anflug von wirklicher Härte im Keim erstickt. Dazu kommt, dass einzelne Songs und auch das Album als Ganzes für diese Art von Musik viel zu lang sind. Hier sinnvolle Strukturen zu erkennen ist nahezu unmöglich – maximal lässt sich eine gewisse schnell-/langsam-Dynamik in vielen Songs festzustellen. Interessanterweise finde ich jeweils die langsamen, ruhigeren Parts deutlich stärker als das restliche Material.

Kurz zusammengefasst: Insgesamt empfinde ich „St. Anger“ als so anstrengend, dass wohl nur echte Krach-Liebhaber alles an einem Stück genießen können. Übrigens ändert es für mich nichts, ob ich mir die Platte im heimischen Wohnzimmer oder beim Laufen reinziehe: Ersteres geht praktisch gar nicht, für zweiteres sind mir die einzelnen Tracks letztlich zu lang und zu ähnlich aufgebaut. Das pusht mich jedenfalls nicht, im Gegenteil, dadurch wird die Laufrunde gefühlt immer länger.

Damit haben ich auch schon meine Probleme mit dem Album und in der Folge die niedrige Wertung (vor allem in Bezug zum restlichen Metallica-Katalog) erklärt – keine richtigen Songs, kaum Strukturen, mangelhafte Produktion. Der ungewohnte Gesang hingegen stört mich weniger, ich finde ihn sogar recht passend (zum Songmaterial, nicht als Maßstab für Hetfields Fähigkeiten). Mehr Punkte sind aber einfach nicht drin, auch wenn man das Album als das betrachtet, was es eigentlich ist: Weniger Anbiederung an die Moderne, obwohl man auch das raushören kann, sondern eher Gruppentherapie für die Band. Als solche mag es funktioniert haben, aber „St. Anger“ deswegen als Meisterwerk hochzujubeln, wie es einige nach wie vor tun (wohl nur weil Metallica drauf steht), halte ich für übertrieben. Dieses Album mag gut und wichtig als Therapie für die Band sein – für den Großteil der Fans ist es meiner Ansicht nach unbrauchbar.


Track – Titel – Länge – Wertung

metal-archives.com

  1. Frantic – 5:50 – 4/7
  2. St. Anger – 7:21 – 4/7
  3. Some Kind of Monster – 8:26 – 1/7
  4. Dirty Window – 5:25 – 5/7
  5. Invisible Kid – 8:30 – 4/7
  6. My World – 5:46 – 1/7
  7. Shoot Me Again – 7:10 – 1/7
  8. Sweet Amber – 5:27 – 3/7
  9. The Unnamed Feeling – 7:08 – 4/7
  10. Purify – 5:14 – 2/7
  11. All Within My Hands – 8:46 – 1/7

 Gesamteindruck: 1/7 


Metallica auf “St. Anger” (2003):

  • James Hetfield − Vocals, Rhythm Guitars
  • Kirk Hammett − Lead Guitars
  • Lars Ulrich − Drums

Anspieltipp: Dirty Window